Urteil des OLG Hamm vom 31.03.2009

OLG Hamm: marihuana, strafzumessung, rauschgift, beschränkung, schweigen, durchschnitt, betäubungsmittelgesetz, geständnis, anfang, wohnung

Oberlandesgericht Hamm, 1 Ss 111/09
Datum:
31.03.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Ss 111/09
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 47 Ns 90/08
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird in den Fällen 1. bis 7. im Schuldspruch mit
den zugrundeliegenden Feststellungen und hinsichtlich des Falles 8. im
Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung – auch über
die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des
Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
1
I.
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Mit Urteil vom 23.07.2008 hat das Amtsgericht Hamm den Angeklagten wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen sowie wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
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Das Amtsgericht hat zum Schuldspruch folgende Feststellungen getroffen:
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1. - 3.
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An den einzelnen nicht näher bestimmbaren Tagen in der Zeit zwischen August
2006 und Anfang März 2007 kaufte der gesondert verfolgte Zeuge T
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B in mindestens 3 Fällen jeweils mindestens 25 g Marihuana von dem Angeklagten.
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4. - 7.
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In der Zeit ab März 2007 hatten sich der Angeklagte und B verkracht. Der
anderweitig verfolgte Zeuge B beauftragte daher den anderweitig verfolgten Zeugen
X2 für ihn Marihuana beim Angeklagten zu kaufen. Der X2 kaufte ab März 2007 bis
zum 03.08.2007 in mindestens 3 Fällen beim Angeklagten jeweils mindestens 50 g
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Marihuana und in einem Fall mindestens 75 g Marihuana. Pro Gramm musste er
jeweils - wie auch schon der anderweitig verfolgte B - 5 € an den Angeklagten
bezahlen. In den Fällen, in denen X2 kaufte, wurde das Geld entweder von dem
Zeugen vorgeschossen, oder es wurde ihm zuvor von dem anderweitig verfolgte
Ouled B B
übergeben.
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8.
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Ende Juli 2007 beschlossen die gesondert verfolgten X2, K und B eine Menge von 1
Kilogramm Marihuana bei dem Angeklagten einzukaufen. Der AdemYolcu rief den
Angeklagten an und traf sich mit ihm in einem Cafe. Der Angeklagte erklärte sich
bereit, 1 Kilogramm Marihuana zum Preise von 4.100 € am 03.08.2007 zu liefern.
Weil der Zeuge X2 selbst verhindert war, bat er seinen Bruder, den gesondert
verfolgten Zeugen X, darum, das Marihuana bei dem Angeklagten zu holen und an
die Wohnanschrift des gesondert verfolgten K in dem I-Straße in Hamm zu
überbringen. Der X tat wie ihm geheißen. Der Preis wurde entweder dabei oder bei
einem gesonderten Gespräche zwischen dem Angeklagten und
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X2 auf 3.000 € reduziert, da teilweise statt Blütenständen reine Pflanzenteile
geliefert worden waren. In der Wohnung des gesondert verfolgten K konnten am
03.08.2007 insgesamt 964,73 g Marihuana in einem Pappkarton verpackt in neun
Klemmverschlusstüten und eine große Papiertüte mit einer nicht geringen
Gesamtwirkstoffmenge von 115,35 g THC in folgenden Teilmengen aufgefunden
werden, die der Angeklagte an den Zeugen X übergeben hatte:
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6 Klemmverschlusstüten von insgesamt 372,52 g Marihuana mit einem
Wirkstoffgehalt von 13,3 %‚ mithin 48,91 g THC; 2 Klemmverschlusstüten mit
insgesamt 94,82 g Marihuana und einem Wirkstoffgehalt von 11,4 %‚ mithin einer
nicht geringen Wirkstoffmenge von 10,84 g; 1 Klemmverschlusstüte mit 20,01 g
Marihuana und einem Wirkstoffgehalt von 11,41 %‚ mithin 2,28 g THC; 1 große
Papiertüte mit 477,38 g Marihuana und einem Wirkstoffgehalt von 11,17 %‚ mithin
einer Wirkstoffmenge von 53,32 g.
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Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte rechtzeitig Berufung eingelegt und diese in der
Hauptverhandlung vor dem Landgericht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
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Das Landgericht, das die Berufungsbeschränkung als wirksam angesehen hat, hat das
angefochtene Urteil des Amtsgerichts sodann mit Urteil vom 27.11.2008 im
Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wird.
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Zur Strafzumessung hat das Landgericht ausgeführt:
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Bezüglich der Strafzumessung gilt dies:
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Das Berufungsgericht hat zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser
nicht vorbelastet ist. Aus seiner Beschränkung des Rechtsmittels auf den
Rechtsfolgenausspruch lässt sich auf seine Einsicht in den Unrechtsgehalt seiner
Taten schließen; insoweit nimmt das Berufungsgericht zu seinen Gunsten nun ein
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uneingeschränktes Geständnis an. Ferner war zu berücksichtigen, dass es sich bei
dem von dem Angeklagten gehandelten Marihuana um ein Rauschgift handelt, das
weniger gefährlich als andere ist. Zu Gunsten des Angeklagten war dann auch noch
zu berücksichtigen, dass das Rauschgift, auf welches sich seine Tat vom
03.08.2007 bezog, sichergestellt werden konnte, also nicht in den Verbrauch geriet.
Das Berufungsgericht erachtet mit dem Amtsgericht bezüglich der Taten 1. bis 7. die
Verhängung von kurzen Einzelstrafen gemäß § 47 StGB für tat- und
schuldangemessen. Besonderheiten im Sinne der vorgenannten Vorschrift erblickt
das Berufungsgericht jeweils darin, dass jeweils Rauschgift von dem Angeklagten
veräußert wurde, welches über den durchschnittlichen Tagesgebrauch eines
Rauschgiftabhängigen hinausging. Für die Taten 1. bis 3. sind jeweils zwei Monate
Freiheitsstrafe tat und schuldangemessen; für die drei Fälle des Handeltreibens mit
jeweils 50 g Marihuana sind je vier Monate Freiheitsstrafe und für das Handeltreiben
mit 75 g Marihuana weitere sechs Monate Freiheitsstrafe tat- und
schuldangemessen. Das weitere Handeltreiben mit einem Kilogramm Marihuana ist
mit der Einzelstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe zu ahnden; diese Tat bezog sich
auf mehr als das 10-fache der nicht geringen Menge. Hinzu kommt, dass der
Angeklagte seine eigene Bezugsquelle nicht offenbart hat.
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Bei der gebotenen zusammenfassenden Würdigung ergibt sich die nun erkannte
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten.
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Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Revision des
Angeklagten, mit der er die allgemeine Sachrüge erhebt.
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II.
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Die Revision des Angeklagten hat einen – zumindest vorläufigen – Erfolg.
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Sie führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang,
soweit die Fälle 1. bis 7. des unerlaubten Handeltreibens betroffen sind, und zur
Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch soweit der Fall 8., Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, betroffen ist.
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1. Fälle 1. bis 7.
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Insoweit ist die Revision bereits deshalb begründet, weil das Landgericht zu Unrecht
von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch
ausgegangen ist.
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Zwar kann die Berufung nach § 318 StPO grundsätzlich beschränkt werden.
Voraussetzung ist jedoch, dass sich das Rechtsmittel auf Beschwerdepunkte bezieht,
die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinen nicht
angegriffenen Teilen rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können,
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ohne eine Prüfung der Entscheidung im übrigen erforderlich zu machen (vgl. BGHSt 19,
46, 48; 24, 185, 187; 29, 359, 364). Ob eine Beschränkung hiernach statthaft ist oder
nicht, hat das Rechtsmittelgericht nach der besonderen Lage des Einzelfalles zu
entscheiden (BGHSt 19, 46, 48; 27, 70, 72).
In der Regel handelt es sich bei dem Rechtsfolgenausspruch um einen selbständig
anfechtbaren Urteilsteil. Im Allgemeinen ist dessen erschöpfende Nachprüfung durch
das Rechtsmittelgericht möglich, ohne dass dadurch die tatsächlichen Feststellungen
und die rechtlichen Ausführungen zum Schuldspruch berührt werden (BGHSt 19,
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46 ff.; 24, 185, 188).
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Eine solche Beschränkung ist aber unwirksam, wenn die Schuldfeststellungen des
Amtsgerichts derart knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie
keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden
(Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 318 Rdn. 16 mit weiteren Nachweisen).
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So liegt der Fall hier.
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Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Schuldspruch lassen den Schuldumfang der
Tat nicht hinreichend erkennen.
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Grundsätzlich setzt bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das
Betäubungsmittelgesetz die zutreffende Beurteilung des Schuldumfangs auch
Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels im Rahmen des
Schuldspruchs
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voraus (vgl. BGH NStZ 1984, 556 und bei Schoreit NStZ 1994, 327; BayObLG
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NStZ-RR 1998, 55). Die Qualität des Betäubungsmittels ist für die Strafzumessung von
erheblicher Bedeutung (BGH NStZ 2008, 471; Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29
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Rdn. 726 m.w.N.). Ohne Feststellungen dazu lässt sich nicht abschätzen, welche
Mindestzahl an Konsumeinheiten aus der dem Täter angelasteten Menge hergestellt
werden kann (BayObLG a.a.O.). Bei fehlenden Qualitätsangaben erschließen sich in der
Regel weder der objektive Unrechtsgehalt der Tat noch das Maß der persönlichen
Schuld des Täters (BGH NStZ a.a.O.; BayObLG a.a.O.). Der Strafzumessung fehlen
damit die wesentlichen Grundlagen.
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Von genaueren Feststellungen zu dem für den Schuldumfang maßgebenden
Wirkstoffgehalt darf ausnahmsweise nur dann abgesehen werden, wenn – was
vorliegend nicht der Fall ist - auszuschließen ist, dass eine genaue Angabe des
Wirkstoffes das Strafmaß beeinflusst (OLG Köln StV 1999, 440).
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Diesen Grundsätzen entspricht das Urteil des Amtsgerichts nicht. Den Gründen des
amtsgerichtlichen Urteils lassen sich in den Fällen 1. bis 7. Feststellungen zum
Wirkstoffgehalt der sichergestellten Betäubungsmittel nicht entnehmen.
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Dies hat zur Folge dass die Berufungsbeschränkung in den genannten Fällen nicht
wirksam war, so dass die bloße Bezugnahme des Landgerichts auf die
amtsgerichtlichen Feststellungen unzulässig war und die Revision insoweit bereits
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mangels ausreichender eigener Feststellungen des Berufungsgerichts begründet ist.
Hinsichtlich der Fälle 1. bis 7. war das angefochtene Urteil daher im Schuldspruch
aufzuheben.
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2. Fall 8.
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Hinsichtlich des Falles 8. ist die Berufungsbeschränkung auf den
Rechtsfolgenausspruch hingegen nicht zu beanstanden, da das Amtsgericht insoweit
anders als bei den zuvor abgeurteilten Fällen hinreichende Feststellungen, auch zum
Wirkstoffgehalt, getroffen hatte.
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Allerdings hält die von dem Landgericht getroffene Rechtsfolgenentscheidung einer
rechtlichen Prüfung nicht stand.
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Dies bereits deshalb nicht, weil zu besorgen ist, dass das Berufungsgericht dem
Angeklagten zulässiges Verteidigungsverhalten nachteilig und strafschärfend
angelastet hat, indem sie zur Begründung der Strafzumessung ausgeführt hat, es
komme hinzu, "dass der Angeklagte seine eigene Bezugsquelle (Anm.: des Senats: für
das Rauschgift) nicht offenbart hat". Ebenso wenig wie sein Schweigen darf einem
Angeklagten jedoch vorgeworfen werden, Hintermänner der Tat nicht benannt zu haben
(BGH NStZ-RR 1996, 71; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 46 Rdn. 52 m.w.N.).
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Darüber hinaus weist die Strafzumessung einen weiteren Rechtsfehler auf. Die
Generalstaatsanwaltschaft hat diesbezüglich ausgeführt:
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"Insofern liegt (…) ein Erörterungsmangel vor, weil die Urteilsgründe nicht erkennen
lassen, dass die Berufungskammer einen minderschweren Fall gemäß § 29 a Abs. 2
BtMG in Betracht gezogen hat. Dieser ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil
der Vorsatz des Angeklagten auf den Verkauf einer erheblichen Menge Rauschgift,
nämlich eines Kilogramms Marihuana, gerichtet war. Vielmehr ist für das Vorliegen
eines minderschweren Falles entscheidend, ob das gesamte Tatbild einschließlich
aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der
erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße
abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint. Für
die Prüfung dieser Frage ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle
Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des
Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten,
ihr vorausgehen oder nachfolgen (zu vgl. BGH, Beschluss vom 31.10.1990 - 3 StR
352/90 - bei juris.de). Zwar hat die Berufungskammer die für und gegen den
Angeklagten sprechenden Umstände, die auch bei der Prüfung des Vorliegens
eines minderschweren Falles gegeneinander abzuwägen sind, aufgelistet. Es fehlt
jedoch jedweder Anhaltspunkt dafür, dass sie sich der Anwendbarkeit des milderen
Strafrahmens gemäß § 29 a Abs. 2 BtMG überhaupt bewusst war, und an der
erforderlichen wertenden Gesamtschau. Vielmehr drängt die Darstellung in den
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Urteilsgründen zu der Annahme, dass sie rechtsfehlerhaft die Anwendbarkeit von §
29 a Abs. 2 BtMG bereits deshalb nicht in Betracht gezogen hat, weil sich die Tat zu
Fall 8. der Urteilsgründe auf mehr als das Zehnfache der nicht geringen Menge
bezieht."
Diesen Ausführungen tritt der Senat nach eigener Prüfung bei.
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Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler war das angefochtene Urteil im Fall 8. insoweit im
Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.
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3.)
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Im Umfang der Aufhebung war daher die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund, die auch
über die Kosten der Revision zu entscheiden hat, zurückzuverweisen.
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