Urteil des OLG Hamm vom 22.11.2004

OLG Hamm: verschulden, betriebsgefahr, neues vorbringen, höhere gewalt, fahrspur, beweisvereitelung, fahrzeug, ampel, vorrang, unfall

Oberlandesgericht Hamm, 13 U 131/04
Datum:
22.11.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 131/04
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 3 O 148/03
Schlagworte:
Haftungsquote bei Straßenbahnunfall
Normen:
§§ 823 BGB, 1, 4 HaftpflG, 7, 17 StVG, 2 Abs. 3, 41 Abs. 3 Ziff. 6 StVO
Leitsätze:
Fährt ein Kraftfahrer unter Verkennung der vor ihm befindlichen
erkennbaren Verkehrssituation (Rückstau vor einer roten Ampel) und
trotz einer sichtbar folgenden Straßenbahn in den überdies mit einer -
lediglich zur Schaffung einer Abbiegemöglichkeit unterbrochenen -
Sperrflächenmarkierung (Zeichen 298) versehenen Gleisbereich auf der
linken Fahrspur ein, um das auf der rechten Fahrspur vor ihm befindliche
Fahrzeug zu passieren, und zieht er seinen PKW nach Erkennen des
Rückstaues auf die rechte Fahrspur zurück, ohne den Gleisbereich
vollständig zu räumen, so tritt auch die naturgemäß erhöhte
Betriebsgefahr der dann auffahrenden Straßenbahn hinter der
verschuldensbedingt erhöhten Betriebsgefahr des PKW ganz zurück.
In diesem Fall spricht auch kein Anschein für ein Verschulden des
Straßenbahnführers.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 03.05.2004 verkündete Urteil
der
3. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
I.
2
1. Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der erstinstanzlich
gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen. Das
3
Landgericht hat mit der aus dem angefochtenen Urteil ersichtlichen Begründung die
Klage insgesamt abgewiesen und der (gegen den Kläger und seinen Sohn, den
Widerbeklagten zu 2, gerichteten) Widerklage der Beklagten zu 2 in vollem Umfang
stattgegeben. 2. Mit seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung wendet der
Kläger sich lediglich gegen die vollständige Abweisung seiner Klage. Er begehrt
nunmehr noch die – das angefochtene Urteil teilweise abändernde – Verurteilung der
Beklagten als Gesamtschuldner, zur Zahlung von 2.054,92 € nebst Zinsen i.H. von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.10.2002. Zur Begründung führt er
ergänzend im Wesentlichen aus: Das angefochtene Urteil sei rechtsfehlerhaft. Bei
rechtlich zutreffender Würdigung sei von einer Mithaftung der Beklagten zu 50 %
auszugehen. Die Beklagte zu 2 hafte einmal gem. § 1 Abs. 1 HaftpflG; der
Entlastungsbeweis nach § 1 Abs. 2 HaftpflG sei – insoweit unstreitig – nicht geführt. Die
Beklagte zu 2 hafte ferner nach § 831 BGB als Geschäftsherrin des Beklagten zu 1, der
als ihr Verrichtungsgehilfe in Ausführung der ihm obliegenden Aufgaben widerrechtlich
dem Kläger Schaden zugefügt habe. Auf ein Verschulden des Beklagten zu 1 komme es
insoweit nicht an. Vielmehr müsse die Beklagte zu 2 sich gem. § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB
entlasten, wobei Zweifel zu ihren Lasten gingen. Der Entlastungsbeweis sei nicht
geführt. Insoweit habe die Beklagte zu 2 erstinstanzlich schon nicht vorgetragen; neues
Vorbringen hierzu sei nicht berücksichtigungsfähig (§ 531 ZPO). Die Haftung des
Beklagten zu 1 ergebe sich aus § 823 BGB. Entgegen der Annahme des Landgerichts
sei von einem Verschulden des Beklagten zu 1 auszugehen. Gegen diesen spreche
nämlich der Beweis des ersten Anscheins, da er auf das klägerische Fahrzeug
aufgefahren sei. Nach den Feststellungen des Sachverständigen könne der Kläger sich
allerdings nicht auf § 7 Abs. 2 StVG berufen. Soweit jedoch das Landgericht ein dem
Kläger zurechenbares Verschulden des Widerbeklagten zu 2 (und Sohnes des Klägers)
angenommen habe, habe es schon nicht aufgezeigt, gegen welche gesetzlich normierte
Verpflichtung hier schuldhaft verstoßen worden sein solle. Jedenfalls könne nach dem
Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nur ein (dem Kläger zurechenbares)
gering zu bewertendes Verschulden des Widerbeklagten zu 2 angenommen werden;
insbesondere sei nicht bewiesen, dass dieser unmittelbar und in geringem Abstand vor
der Straßenbahn nach links ausgeschert sei. Das vorgenannte Verschulden rechtfertige
keine alleinige Haftung des Klägers; vielmehr sei unter Berücksichtigung der höheren
Betriebsgefahr der vom Beklagten zu 1 geführten Straßenbahn eine Haftungsquote von
50 % anzunehmen. 3. Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und begehren
dementsprechend die Zurückweisung der klägerischen Berufung. Sie führen ergänzend
im Wesentlichen aus: Die (ja auch vom Haftpflichtversicherer des Klägers akzeptierte)
Entscheidung des Landgerichts sei im Ergebnis nicht zu beanstanden, da der
streitgegenständliche Unfall ausschließlich durch den Sohn des Klägers (den
Widerbeklagten zu 2) schuldhaft verursacht worden sei, indem dieser sich rücksichtslos,
unter Verkennung der Verkehrssituation vor ihm (Stau vor der roten Ampel) und unter
Verstoß gegen § 2 Abs. 3 StVO auf den Straßenbahnschienen eingeordnet habe, um
schneller voran zu kommen, obwohl ihm die vom Beklagten zu 1 geführte Straßenbahn
unmittelbar gefolgt sei. Angesichts des geringen Abstandes zwischen Straßenbahn und
klägerischem PKW habe sich die spezielle Betriebsgefahr der Straßenbahn (fehlende
Ausweichmöglichkeit, Schwerfälligkeit) hier überhaupt nicht realisiert. Hinzu komme,
dass der Sohn des Klägers auch noch verbotswidrig eine ausschließlich der
Straßenbahn vorbehaltene Sperrfläche befahren habe. Dem Beklagten zu 1 sei
demgegenüber keinerlei Verschulden anzulasten. Vor diesem Hintergrund sei im
Rahmen der – auch nach § 4 HaftpflG gebotenen – Abwägung der
Verursachungsbeiträge von einem völligen Wegfall einer Haftung der Beklagten
auszugehen. Eine Haftung der Beklagten zu 2 aus § 831 BGB scheide auch gem. § 831
Abs. 1 Satz 2 BGB aus. Bei dem Beklagten zu 1 handele es sich nämlich um einen
erfahrenen, seit 1974 in Diensten der Beklagten zu 2 stehenden, ordnungsgemäß
ausgebildeten und regelmäßig weitergeschulten Straßenbahnfahrer. Ferner sei der
Beklagte zu 1 – ausweislich der nunmehr überreichten Aufstellung (Bl. 219 GA) – auch
regelmäßig und von diesem unbemerkt in Zivil überwacht worden, ohne dass sich dabei
(Bedenken gegen seine Eignung rechtfertigende) Auffälligkeiten ergeben hätten. 4.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens in der
Berufungsinstanz wird auf die im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen. Die Akten #####/############## der Stadt F haben
vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
II.
4
Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Die vollständige Abweisung der Klage durch
das Landgericht ist nicht zu beanstanden. 1. Hinsichtlich des Beklagten zu 1 kommt –
davon geht zu Recht auch der Kläger aus – allenfalls eine Haftung nach § 823 BGB in
Betracht (das StVG ist gem. § 1 Abs. 2 StVG bei Schienenfahrzeugen nicht einschlägig;
die Haftung nach § 1 HPflG trifft allein der Bahnbetriebsunternehmer). Das Landgericht
ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger eine schuldhafte Herbeiführung des
hier in Streit stehenden Verkehrsunfalls durch den Beklagten zu 1 (namentlich ein zu
schnelles Fahren oder eine verspätete Reaktion) nicht bewiesen hat. Die Aussage des
erstinstanzlich vernommenen Zeugen T (Bl. 67 GA) ist hinsichtlich des
Zustandekommens des hier in Streit stehenden Unfalls unergiebig. Auch aus den zu
Beweiszwecken verwerteten Beiakten (namentlich der dortigen Angaben des Beklagten
zu 1 und des Sohnes des Klägers) ergibt sich kein klares Bild des Unfallhergangs,
insbesondere hinsichtlich der jeweiligen Geschwindigkeiten, der Fahrzeugabstände
und einer etwa verspäteten Reaktion des Beklagten zu 1. Der Sachverständige T2 hat in
seinem Gutachten (vgl. inbes. Bl. 126 ff. GA) dementsprechend auch überzeugend
ausgeführt, dass eine überhöhte Geschwindigkeit oder eine verspätete (Brems-
)Reaktion seitens des Beklagten zu 1 zwar durchaus möglich seien, sich mangels
vorhandener objektiver Spuren und vorhandener Unwägbarkeiten jedoch nicht
feststellen und beweisen ließen. Bedenken ergeben sich insoweit auch nicht etwa
daraus, dass die Beklagten selbst vorgetragen haben (vgl. Bl. 33 f. GA; ähnlich im Kern
auch die Angaben des Beklagten zu 1 im Ermittlungsverfahren), der Beklagte zu 1 habe
zunächst – als vor ihm der Sohn des Klägers auf die linke Fahrspur gewechselt sei –
lediglich abgebremst und eine Notbremsung erst eingeleitet, als er bemerkt habe, dass
der Sohn des Klägers unter gleichzeitigem Abbremsen wieder auf die rechte Fahrspur
hätte zurückkehren wollen, was ihm wegen der Nähe zum Stauende nicht mehr
vollständig möglich gewesen sei. Eine Verpflichtung zu einer sofortigen (für die
Fahrgäste nicht ungefährlichen) Notbremsung beim ersten Fahrspurwechsel des
Sohnes des Klägers kann nämlich nicht angenommen werden, zumal der Beklagte zu 1
nach seiner unwiderlegten Darstellung zunächst angenommen hatte, der Sohn des
Klägers habe nach links auf den Parkplatz des Supermarktes abbiegen – also den
Fahrstreifen sogleich wieder räumen – wollen (vgl. zur Örtlichkeit die polizeiliche
Unfallskizze Bl. 52 = 138 GA und die Lichtbilder Bl. 148 GA, aus denen sich auch ergibt,
dass die Unterbrechung der Schraffierung der linken Fahrspur – so auch der
Sachverständige, Bl. 121 GA - lediglich der Schaffung einer Abbiegemöglichkeit zum
Supermarkt dient). Grundsätzlich darf sich der Straßenbahnführer darauf verlassen,
dass andere Verkehrsteilnehmer auf seinen Vorrang gem. §§ 2 Abs. 3, 9 Abs. 3 StVO
Rücksicht nehmen. Erst in dem Moment, in dem sich die Gefahr einer Kollision
aufdrängt und eine rechtzeitige Räumung des Gleisbereichs unwahrscheinlich ist oder
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sich die Straßenbahn sonst einer unklaren Verkehrssituation nähert, entfällt die
Berechtigung des Straßenbahnführers, auf seinen Vorrang zu vertrauen und ist er ggfs.
zur Einleitung einer Schnellbremsung verpflichtet (vgl. zum Ganzen OLG Düsseldorf
NZV 1994, 28 ff.; OLG Hamm NZV 1991, 313; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37.
Aufl., § 2 StVO, Rdn. 64 und § 9 StVO, Rdn. 36; ). Dass solche Umstände hier
vorgelegen hätten, lässt sich nicht feststellen. Überdies ist nach den Ausführungen des
Sachverständigen ohnehin nicht feststellbar, dass der Beklagte zu 1, dann, wenn er
schon bei Erkennbarkeit des ersten Spurwechsels des Sohnes des Klägers reagiert und
(mit der entsprechenden Reaktions- und Schwellphase von 1,6 sec.) eine Notbremsung
eingeleitet hätte, die Kollision hätte vermeiden können. Vor diesem Hintergrund kann
der Kläger sich auch nicht mit Erfolg auf einen Beweis des ersten Anscheins für ein
Verschulden des Beklagten zu 1 berufen. Ein typischer Geschehensablauf, der nach
allgemeiner Lebenserfahrung unter Berücksichtigung der Besonderheiten
schienengebundener Fahrzeuge, auf ein Verschulden des Beklagten zu 1 schließen
ließe, steht eben nicht fest (vgl. zur Frage des Anscheinsbeweises beim Auffahren einer
Straßenbahn auf ein im Gleisbereich befindliches Fahrzeug allgemein OLG Düsseldorf,
a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.; Hentschel, a.a.O.; Geigel-Zieres, Der Haftpflichtprozess, 24.
Aufl., Kapitel 27, Rdn. 275). Auch das – überdies erst in der Berufungsinstanz ins Spiel
gebrachte - Überwachungsprotokoll (Bl. 219 GA), aus dem sich ergibt, dass der
Beklagte zu 1 bei Überwachungen auch schon einmal zu schnell oder "recht schnell"
gefahren ist, lässt keine hinreichend sicheren Schlüsse auf eine fehlerhafte (insbes. zu
schnelle) Fahrweise des Beklagten zu 1 bei dem hier in Rede stehenden Vorfall zu.
Dass das Landgericht – soweit ersichtlich – weder den Widerbeklagten zu 2 noch den
Beklagten zu 1 selbst angehört oder als Partei vernommen, sondern sich auf die
Verwertung der Beiakten (mit den dortigen Angaben der vorgenannten Beteiligten) zu
Beweiszwecken beschränkt hat, ist nicht zu beanstanden, zumal der Kläger insoweit
auch keinerlei Rügen erhebt und insbesondere den auf Vernehmung seines Sohnes
(jetzt wieder als Zeuge) gerichteten Beweisantrag (vgl. dazu Bl. 2 und 50 GA) nicht
wiederholt. Schließlich vermag der Senat auch nicht zu erkennen, dass hier etwa eine
Beweisvereitelung seitens der Beklagten angenommen werden und zur
Beweislastumkehr oder der Annahme eines Fehlverhaltens des Beklagten zu 1 führen
könnte (vom Kläger – anders als in erster Instanz, vgl. Bl. 163 GA – auch nicht mehr
geltend gemacht). Dass der Beklagte zu 1 es unmittelbar nach dem Unfall versäumt hat,
das Kurzweg-Registriergerät auszuschalten, so dass die Aufzeichnungen der
Unfallphase überschrieben wurden, kann nicht als missbilligenswerte
Beweisvereitelung gewertet werden (vgl. zum Begriff der Beweisvereitelung nur
Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 286, Rdn. 14a). Die Beklagten haben aus Sicht des
Senats zu Recht darauf verwiesen, dass dieses Versäumnis des Beklagten zu 1
angesichts der Unfallsituation durchaus verständlich und entschuldbar erscheint;
insoweit dürfte ein Vorwurf auch eher der unfallaufnehmenden Polizei zu machen sein.
Jedenfalls könnte eine etwa anzunehmende, allenfalls fahrlässige Beweisvereitelung
nicht zur Annahme einer Beweislastumkehr oder – im Rahmen der Beweiswürdigung –
zur Annahme eines unfallursächlichen Fehlverhaltens des Beklagten zu 1 führen. Nach
alledem ist eine Haftung des Beklagten zu 1 schon dem Grunde nach zu verneinen. 2.
Anders verhält es sich bei der Beklagten zu 2. Deren Haftung ergibt sich hier nämlich
dem Grunde nach – unabhängig von einem schuldhaften Fehlverhalten des Beklagten
zu 1 – unzweifelhaft aus § 1 Abs. 1 HaftpflG. Der Entlastungsbeweis nach § 1 Abs. 2
HaftpflG (höhere Gewalt als Unfallursache) ist unstreitig nicht geführt; auch eine
Unabwendbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 1 i.S. des § 13 Abs. 3 HaftpflG ist –
davon gehen letztlich auch die Beklagten aus – nicht bewiesen (nach den
Feststellungen des Sachverständigen ist eine verspätete Reaktion des Beklagten zu 1
möglich, also nicht auszuschließen). Ob die Beklagte zu 2 daneben auch aus § 831
Abs. 1 BGB (also für ein nach dieser Vorschrift vermutetes Verschulden) haftet oder sie
sich gem. § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB entlasten kann, spielt deshalb letztlich keine Rolle
und bedarf keiner weiteren Aufklärung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen
der hier vorzunehmenden und sogleich noch zu erörternden Abwägung der
Verursachungsanteile (§§ 4 HaftpflG, 17 StVG) ein lediglich (etwa gem. § 831 BGB oder
§ 18 StVG) vermutetes Verschulden nicht zu berücksichtigen ist (vgl. dazu allgemein nur
Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 254, Rdn. 47 und Hentschel, a.a.O., § 17 StVG,
Rdn. 31, jeweils m.w.Nachw. aus der Rechtsprechung). Ein (zur Haftung der Beklagten
zu 2 nach § 823 Abs. 1 BGB führendes) konkretes unfallursächliches Organisations-
oder Überwachungsverschulden der Beklagten zu 2 hat der Kläger erstinstanzlich nicht
dargetan; auch in der Berufungsinstanz fehlt es an hinreichendem – ohnehin gem. § 531
ZPO kaum berücksichtigungsfähigem – Vorbringen hierzu. Insbesondere lässt sich ein
(bestrittenes) unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 2 im o.g. Sinne nicht,
jedenfalls nicht ohne weiteres aus den in der Berufungsinstanz von den Beklagten
vorgelegten und vom Kläger im Zusammenhang mit der Frage des
Entlastungsbeweises (vgl. Bl. 222 f. GA) in Bezug genommenen Unterlagen (namentlich
dem Überwachungsprotokoll Bl. 219 GA) herleiten. Danach ist bei der gem. §§ 4
HaftPflG, 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsanteile auf Seiten
der Beklagten zu 2 nur die naturgemäß (wegen ihrer Schienengebundenheit und des –
auch gewichtsbedingt – längeren Bremsweges) erhöhte Betriebsgefahr der
Straßenbahn (vgl. dazu nur Hentschel, a.a.O., § 17 StVG, Rdn. 43) anzusetzen. Es kann
hier – trotz der Unaufklärbarkeit des genauen Ablaufs, insbesondere der
Fahrzeugabstände – davon ausgegangen werden, dass diese erhöhte Betriebsgefahr
sich auch ursächlich ausgewirkt hat (so offenbar auch OLG Düsseldorf NZV 1994, 28 ff.
in einem ähnlich gelagerten Fall). Insoweit streitet – anders als bei der Frage eines
Verschuldens des Beklagten zu 1. – auch der Beweis des ersten Anscheins für den
Kläger. Auf Seiten des Klägers, der ja nunmehr (zu Recht) selbst von seiner Mithaftung
gem. §§ 7, 17 StVG (jedenfalls zu 50 %) ausgeht, ist im Rahmen der vorzunehmenden
Abwägung – darin ist dem Landgericht zuzustimmen – ein die Betriebsgefahr des
klägerischen Fahrzeuges erheblich erhöhendes (vgl. dazu allgemein nur Hentschel,
a.a.O., § 17 StVG, Rdn. 11) Verschulden des Sohnes des Klägers (= Fahrer des
klägerischen PKW) anzusetzen. Dieser durfte gem. § 2 Abs. 3 StVO angesichts der
auch nach klägerischer Darstellung (allerdings danach in einem Abstand von geschätzt
200 m; vgl. Bl. 2 GA) sichtbar folgenden Straßenbahn nicht auf die linke Fahrspur
wechseln, zumal für ihn nach den (als solchen auch nicht beanstandeten)
Feststellungen des Sachverständigen (Bl. 129 f. GA) bei aufmerksamer Beobachtung
die vor ihm befindliche Verkehrssituation (Rückstau vor der roten Ampel) – und damit
auch die Gefahr des Blockierens des Gleisbereiches – erkennbar gewesen wäre und
jedenfalls ein längeres Fahren auf der linken Spur zwecks Überholens oder gar ein
Vorfahren auf dieser Spur bis zur Ampel im Hinblick auf die schraffierte
Sperrflächenmarkierung gem. § 41 Abs. 3 Ziff. 6 StVO (vgl. dazu die Lichtbilder Bl. 146
ff. GA) ohnehin von vornherein verboten war. Da die Unterbrechung der Sperrfläche
ersichtlich lediglich der Schaffung einer Abbiegemöglichkeit nach links auf das
gegenüberliegende Supermarktgelände diente, durfte der Sohn des Klägers auch
diesen Bereich für sich genommen nicht einfach zu dem klägerseits behaupteten – aus
Sicht des Beklagten zu 1 nicht, jedenfalls nicht ohne weiteres erkennbaren – Zweck des
Passierens eines zunächst angenommenen einzelnen parkenden Fahrzeuges auf dem
rechten Fahrstreifen befahren; dies gilt natürlich erst recht bei – hier unstreitig erfolgtem
– Erkennen einer nachfolgenden Straßenbahn, zumal eine Unzumutbarkeit der
Vorranggewährung keinesfalls ersichtlich ist und überdies § 5 Abs. 4 StVO ein eine
Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausschließendes Verhalten forderte. Der
Sohn des Klägers musste unter den hier gegebenen Umständen in jedem Fall der
Straßenbahn Vorrang gewähren und durfte nicht vor der (von ihm ja unstreitig
erkannten) Straßenbahn in den Gleisbereich einfahren und diesen gar – wie letztlich
geschehen und auch voraussehbar - versperren (vgl. zum Ganzen allgemein nur
Hentschel, a.a.O., § 2 StVO, Rdn. 64 f. sowie Geigel/Zieres, a.a.O., 27. Kapitel, Rdn. 74
ff. und 275). Das Verschulden des Sohnes des Klägers wiegt aus Sicht des Senats –
entgegen der Auffassung des Klägers – schwer und führt zu einer ganz erheblichen
Erhöhung der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges. Der Senat teilt die
Auffassung des Landgerichts, dass hier demgegenüber die (von vornherein erhöhte)
Betriebsgefahr der Straßenbahn völlig zurücktritt. Zwar geht etwa Grüneberg in
Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 7. Auflage, Rdn. 332 ff. beim Auffahren einer
Straßenbahn auf ein im Gleisbereich anhaltendes Fahrzeug trotz des Vorrechts der
Straßenbahn gem. § 2 Abs. 3 StVO davon aus, dass regelmäßig eine
Haftungsverteilung von 1:1 bis 2:1 zu Lasten des Straßenbahnhalters in Betracht
komme. Eine solche Haftungsverteilung erscheint dem Senat hier angesichts des – die
Annahme eines bloßen Regelfalles ausschließenden – gravierenden Verschuldens des
Sohnes des Klägers jedoch keinesfalls angemessen. Insoweit teilt der Senat auch nicht
die Einschätzung des Kammergerichts in der vom Kläger angeführten Entscheidung
NZV 2001, 426 ff. [dort hat das Kammergericht – bei einer ohnehin nicht vergleichbaren
Unfallkonstellation und überdies offenbar, wie oben ausgeführt zu Unrecht, auch unter
Berücksichtigung eines bloß gem. § 831 BGB vermuteten Verschuldens des
Bahnbetreibers – trotz eines "besonders leichtfertigen" Verhaltens der PKW-Fahrerin
und nicht feststellbaren Verschuldens des Straßenbahnführers eine Haftungsquote von
50:50 angenommen). Vielmehr erscheint es dem Senat hier gerechtfertigt, die
(naturgemäß erhöhte) Betriebsgefahr der Straßenbahn ganz zurücktreten zu lassen, da
der Sohn des Klägers durch sein schwerwiegendes Fehlverhalten, nämlich seine – wie
oben ausgeführt – in mehrfacher Hinsicht verkehrswidrige Fahrweise, die
entscheidende Ursache für den Unfall gesetzt hat. Ein völliges Zurücktreten der
Straßenbahnbetriebsgefahr hinter einem schwerwiegenden unfallursächlichen
Fehlverhalten des PKW-Fahrers ist von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen
auch schon mehrfach angenommen worden (vgl. die auch bei Grüneberg, a.a.O.
aufgeführten Entscheidungen des OLG Düsseldorf NZV 1994, 28 ff., des OLG Hamm
VersR 1988, 1250 und des OLG Braunschweig VersR 1969, 1048).
3. Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten
und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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