Urteil des OLG Hamm vom 11.02.2010

OLG Hamm (bedingte entlassung, vollzug, entlassung, aussetzung, gutachten, freiheitsstrafe, bewährung, stgb, stpo, geld)

Oberlandesgericht Hamm, 1 Ws (L) 479/09
Datum:
11.02.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Ws (L) 479/09
Vorinstanz:
Landgericht Wuppertal, 21 StVK 297/08
Tenor:
1.) Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
2.) Die bedingte Entlassung des Verurteilten wird angeordnet.
3.) Der Zeitpunkt der Entlassung wird auf den 15.02.2011 festgesetzt.
4.) Die Justizvollzugsbehörde wird angewiesen, den Verurteilten
unverzüglich in den offenen Vollzug zu verlegen.
5.) Die Erteilung von Auflagen und Weisungen sowie etwaige nach §
454a Abs. 2 StPO zu treffende Entscheidungen werden der zuständigen
Strafvollstreckungskammer übertragen.
6.) Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
1
I.
2
Gegen den Verurteilten wird seit mehr als 21 Jahren eine lebenslange Freiheitsstrafe
vollstreckt. Die Strafvollstreckungsgerichte haben es in der Vergangenheit wegen einer
unklaren Gefährlichkeitsprognose mehrfach abgelehnt, den Betroffenen bedingt zu
entlassen.
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Der Verurteilte verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe aus dem Urteil des
Landgerichts Hannover vom 28.06.1989. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts
Hannover hat den Betroffenen wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub zu einer
lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
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Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal hat in dem angefochtenen
Beschluß vom 08.06.2009 die Feststellungen des Landgerichts Hannover zum
Tatgeschehen zutreffend wie folgt zusammengefaßt:
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Der Angeklagte bewohnte gemeinsam mit seiner Freundin C2 eine Wohnung in I2,
Q-Straße. Frau C2 arbeitete als Serviererin in einem Fitneßcenter. Ihre Arbeitszeit
ging von Nachmittags bis spät in die Nacht, so daß sie meistens erst zwischen 2.00
und 3.00 Uhr Nachts nach Hause kam. Als der Angeklagte noch als Bäcker
beschäftigt war, war dies der Zeitpunkt, an dem er zur Arbeit gehen mußte. Wenn er
von der Arbeit nach Hause kam, begann jedoch wieder die Arbeitszeit seiner
Freundin. Die Arbeitszeiten der beiden waren so verschieden, daß sie sich
bisweilen über mehrere Wochen kaum sahen. Der Angeklagte verbrachte daher
seine Freizeit oft in Spielhallen. Ihm standen hierfür monatlich 700,00 DM zur
Verfügung. Er überwies bis Ende September 1988 1.000,00 DM von seinem
Einkommen als Bäcker in Höhe von 1.700,00 DM auf das Konto seiner Freundin,
womit sein Anteil an Miete und Verpflegung abgedeckt war. Da dem Angeklagten
jedoch die ihm zur Verfügung stehende Summe in Höhe von 700,00 DM nicht
genügte, hob er monatlich zwischen 300,00 und 400,00 DM heimlich vom Konto
seiner Freundin mit deren Scheckkarte ab. Nachdem der Angeklagte ab 1. Oktober
1988 arbeitslos war und keinerlei finanzielle Zuwendungen mehr erhielt, kam er
vermehrt in Geldschwierigkeiten. Weil er weiter spielen wollte, mußte er versuchen,
sich irgendwo anders Geld zu beschaffen. Ihm war klar, daß er den von ihm bisher
benötigten Betrag in Höhe von 1.000,00 DM nicht weiterhin unbemerkt vom Konto
seiner Freundin abheben konnte. Ihm kam immer öfter der Gedanke, daß er jemand
töten wollte, der viel Geld bei sich hat. Der Angeklagte träumte in den folgenden
Tagen und Wochen auch oftmals, daß er einen Menschen umbringt und dann bei
dem Getöteten viel Geld vorfindet.
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Am Freitag, den 21.10., und Samstag, den 22.10.1988, war die Freundin des
Angeklagten krankgeschrieben. Der Angeklagte und Frau C2 verbrachten die Tage
fast ausschließlich damit, daß sie sich im Bett aufhielten und Whisky mit Cola
tranken. Nur der Angeklagte verließ jeweils zwei- oder dreimal am Tag die
Wohnung, um seinen Hund auszuführen. In der Nacht vom Samstag zum Sonntag
verließ der Angeklagte kurz nach Mitternacht mit seinem Hund erneut die Wohnung.
Er führte seinen Hund in Höhe der N-Straße hinter dem Y auf einem Brachgelände
aus. Der Angeklagte trug in seiner Lederjacke ein Pfadfindermesser bei sich. Dieses
Messer hatte der Angeklagte drei oder vier Tage zuvor in seine Jacke gesteckt, weil
er sein Vorhaben, einen Menschen zu töten, um an Geld zu kommen, bei einem
dieser Spaziergänge mit dem Hund in die Tat umsetzen wollte. In dieser Nacht
überquerte gegen 0.30 Uhr die 40-jährige Polin B2 das Brachgelände. Frau B2 war
auf dem Weg von der Haltestelle Y2 zu ihrer Wohnung in der I-Straße. Den sehr
dunklen Weg über das Brachgelände hatte Frau B2 genommen, weil er eine
erhebliche Abkürzung für ihren Heimweg bedeutete.
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Als der Angeklagte Frau B2 begegnete, ließ er sie zunächst vorbeigehen und folgte
ihr dann. Er war nunmehr fest entschlossen, diese Frau zu töten, um an Geld zu
kommen und ging deshalb hinter ihr her. Kurz bevor er Frau B2 erreicht hatte, nahm
er sein Messer in die Hand. Er umfaßte die Frau mit der linken Hand von hinten am
Hals und hielt sie fest. Mit direktem Tötungsvorsatz stieß er Frau B2 das Messer
zunächst einmal in den Rücken. Nachdem der Angeklagte das Messer wieder
herausgezogen hatte, riß er die Frau zu Boden. Frau B2 kam auf dem Bauch zu
liegen, und der Angeklagte stach weiterhin mit direktem Tötungsvorsatz mehrfach in
den Rücken der Frau. Da Frau B2 noch Lebenszeichen von sich gab, nahm der
Angeklagte die Hundeleine, legte sie ihr um den Hals und zog zu. Auch hierbei
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handelte der Angeklagte mit direktem Tötungsvorsatz. Der Angeklagte zog mit
beiden Händen an den Enden der Leine und zählte dabei bis 50. Als der Angeklagte
danach merkte, daß die Frau immer noch lebte, drehte er sie um und stieß ihr mit
direktem Tötungsvorsatz das Messer in die Brust genau in Richtung des Herzens.
Danach stach er Frau B2 noch mehrfach mit dem Messer in den Hals.
Als Frau B2 tot war, nahm der Angeklagte ihre Handtasche und plünderte sie. Er
entnahm der Handtasche ein Portemonnaie mit wenig Kleingeld, die Pässe der
Angeklagten, eine Scheckkarte und ein Schreiben mit der Geheimnummer für diese
Scheckkarte. Andere Gegenstände, die er nicht gebrauchen konnte, ließ der
Angeklagte in der Tasche oder warf sie weg, z.B. einen Spiegel und einen
Kugelschreiber. Anschließend versuchte er, das Portemonnaie von Frau B2
anzustecken, weil er befürchtete, daß man darauf seine Fingerabdrücke sichern
könnte. Weiterhin nahm er Frau B2 eine Armbanduhr vom Arm und riß ihr zwei
Kettchen vom Hals. Anschließend zerrte er die Getötete in ein Gebüsch und
bedeckte sie dort mit Zweigen. Da die Getötete dabei ihre Schuhe verloren hatte,
sammelte der Angeklagte diese auf und warf sie in verschiedene Richtungen weg.
Anschließend ging er nach Hause.
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Zu Hause wusch er sich seine blutigen Hände und zog seine mit Blut beschmierte
Kleidung aus.
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Bereits gegen 4.00 Uhr verließ der Angeklagte erneut die Wohnung und fuhr mit
dem Fahrrad zu einer Bank am Q2 Platz. Er hatte die Scheckkarte von Frau B2 und
ihre Geheimnummer dabei und wollte an einem Geldautomaten Geld vom Konto der
Frau abheben. Da der Automat jedoch bis 6.00 Uhr morgens gesperrt war, ließ er
sich nur einen Kontoauszug ausdrucken, aus dem sich ergab, daß auf dem Konto
ungefähr 4.000,00 DM gutgeschrieben waren. Der Angeklagte fuhr weiter zum
Hauptbahnhof, um dort Geld abzuheben. An einem Geldautomaten im
Hauptbahnhof konnte er sein Vorhaben nicht durchführen, da die Karte für diesen
Automat nicht zugelassen war, ein weiterer Automat gegenüber dem Hauptbahnhof
war außer Betrieb. Der Angeklagte fuhr deshalb zunächst wieder nach Hause, um
noch etwas zu schlafen. Kurz vor 6.00 Uhr fuhr er erneut mit dem Fahrrad zur Bank
am Q2 Q und hob vom Konto von Frau B2 einmal 900,00 und einmal 100,00 DM ab.
Der Angeklagte wußte, daß er mit dieser Karte nur einen Betrag in Höhe von
1.000,00 DM pro Tag abheben konnte. Als der Angeklagte am nächsten Tag erneut
versuchte, mit der Karte Geld abzuheben, wurde die Karte eingezogen. Das Geld
verspielte der Angeklagte in den nächsten zwei Tagen an verschiedenen
Spielautomaten.
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Am 26.10.1988 rief der Angeklagte gegen 1.50 Uhr bei der Kriminalpolizei an und
erklärte, daß er der Täter sei und sich nunmehr stellen wolle. Zwischen dem
Angeklagten und der Polizei wurde noch für diese Nacht am Tatort ein
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Treffen vereinbart, wo der Angeklagte kurze Zeit später festgenommen werden
konnte.
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Frau B2 war durch Verbluten nach innen und außen bei tiefgehenden
Rückenstichverletzungen verstorben.
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Bei der Obduktion waren u.a. folgende Befunde erhoben:
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4 Rückenstichverletzungen, wobei die oberste bereits nach 4 cm im
Zwischenrippenraum endete, die zweitoberste in den Bauchraum eingetreten war
mit Verletzung des oberen Poles der linken Niere und die zwei untersten in gleicher
Weise in das Nierenlager hineinreichten mit weitgehender Durchtrennung der linken
Niere. 4 Halsstichverletzungen, davon die oberste in den Halswirbelkanal
eindringend und Halsmark fast vollständig durchsetzend, die übrigen mit
Durchsetzung sowohl der Luft- als auch der Speiseröhre zum Teil mit Durchsetzung
der Halsvene und der Halsarterie links. Eine tiefgehende Bruststichverletzung rechts
in den rechten Lungenmittellappen eindringend. Eine oberflächliche
Bruststichverletzung rechts nahe dem Rippenbogen.
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Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils hat sich der Verurteilte des
Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub schuldig gemacht.
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Der Angeklagte hat Frau B mit direktem Vorsatz heimtückisch, aus Habgier und um
eine andere Straftat zu ermöglichen, getötet (§ 211 StGB). Durch dieselbe Handlung
hat er mit Gewalt gegen Frau B dieser die Handtasche mit diversen Papieren und
Bargeld sowie zwei Goldketten in der Absicht weggenommen, sich diese
Gegenstände rechtswidrig zuzueignen und dabei ein Mittel bei sich geführt, um den
Widerstand seines Opfers mit Gewalt zu überwinden (§§ 249, 250 Abs.1 Nr. 2 StGB)
18
Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts war die Fähigkeit des
Verurteilten, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln,
zur Tatzeit weder erheblich vermindert noch gar ausgeschlossen (§§ 20, 21 StGB).
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Von der durch dieses Urteil verhängten Freiheitsstrafe sind seit dem 25.10.2003 15
Jahre und seit dem 25.10.2006 die festgesetzte Mindestverbüßungsdauer von 18
Jahren verbüßt.
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Der Verurteilte hat sich in der Haft stets beanstandungsfrei geführt. Nachdem er
psychotherapeutischen Gesprächen zunächst zwiespältig gegenüberstand, führte der
Verurteilte seit 1997 in der Haftanstalt über einige Jahre hinweg psychotherapeutische
Einzelgespräche mit der Anstaltspsychologin I. Einem Wechsel in eine sozial-
therapeutische Anstalt stand er stets ablehnend gegenüber.
21
Gleichwohl war es bei dem Verurteilten zu einem beginnenden Prozeß der Nachreifung
und auch Verantwortungsübernahme gekommen. In diesem Prozeß war jedoch
zwischenzeitlich eine Stagnation eingetreten. So hat er nach dem Ergebnis der
psychiatrischen Begutachtung durch die sachverständige Ärztin Frau N bis in die
Gegenwart keine wirklich vertiefte Einsicht in sein Störungspotential entwickeln können.
Es fehlt weiterhin an einer bedeutsamen Gefährdungseinsicht in Restrisiken. Der
Verurteilte ist nicht in der Lage, eine tiefergehende Kommunikation zur Tat zu führen. Er
ist eine im Inneren wenig autonom entwickelte Persönlichkeit mit einer Tendenz zur
symbiotischen Beziehungsgestaltung und einer Neigung zu oberflächlich angepaßtem
konfliktvermeidendem Verhalten geblieben.
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Zum Verlauf der Begutachtungen im Einzelnen:
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Im Jahre 1999 wurde der Betroffene von der Sachverständigen Fachärztin für
Psychiatrie und Psychotherapie N mit Blick auf die Frage einer Erstbeurlaubung sowie
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weitergehender Lockerungen begutachtet. Die Sachverständige N hat ausgeführt, dass
die Gefährlichkeit des Verurteilten unmittelbar mit der hypothetischen Konstellation
ähnlicher persönlicher Verhaltensweisen zusammenhänge, wie sie vor dem
unmittelbaren Tatgeschehen bestanden habe. Solange seine Beziehungswünsche
phantasiert und symbiotisch blieben, sei die Gefahr gegeben, dass er sich über einen
längeren Zeitraum wiederum eine schwierige Beziehung suchen würde, ohne dies
erkennen zu können, mit der Folge eines erneuten sozialen Abstiegs mit Alkohol und
weiteren Problematiken, wodurch er erneut für Straftaten anfällig wäre.
Eine weitere Begutachtung durch die Sachverständige N erfolgte im Jahre 2002
ebenfalls zur Frage der Erstbeurlaubung. Die Sachverständige kam nunmehr zu dem
Ergebnis, dass der Verurteilte trotz nicht ausreichender Tataufarbeitung eine erneute,
ähnlich gelagerte Straftat als Folge eines länger währenden Beziehungskonflikts mit
ambivalenten aggressiven Problemfeldern begehen könnte, wobei jedoch zusätzliche
Aspekte sozialer Isolation hinzukommen müßten. Da dem Verurteilten aber seine
Neigung zu pathologischer Beziehungsgestaltung zunehmend deutlich werde,
erscheine die Gefahr für eine ähnlich gelagerte Beziehung deutlich reduziert. Insofern
könne bei insgesamt reduziertem Gefahrenpotential aus psychiatrischer Sicht
verantwortet werden, den Verurteilten zu beurlauben und später in den offenen Vollzug
zu verlegen.
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In der Folgezeit wurden dem Verurteilten zunehmend Vollzugslockerungen gewährt. Ab
2004 wurde er sodann in den offenen Vollzug verlegt, den er ebenso wie die bis dahin
gewährten Vollzugslockerungen im Wesentlichen beanstandungsfrei bewältigte.
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Mit Schriftsatz seines damaligen Verteidigers vom 22.02.2006 beantragte der Verurteilte
die bedingte Aussetzung des Strafrestes, die die Justizvollzugsanstalt Bochum-
Langendreer in ihrer Stellungnahme vom 19.04.2006 aufgrund der positiven
Entwicklung des Verurteilten befürwortete.
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Der von der Strafvollstreckungskammer zu der Frage der Gefährlichkeitsprognose
hinsichtlich des Verurteilten beauftragte Sachverständige Dr. T2 kam in seinem
Gutachten vom 08.05.2006 zu dem Ergebnis, dass die Frage der Wahrscheinlichkeit
bezüglich einer einschlägigen Rückfalltat nicht so eindeutig wie wünschenswert zu
beantworten sei, da die Auseinandersetzung mit der Straftat und damit die Einsicht in
die Täterpersönlichkeit (Hintergründe für die vorsätzliche Tötung) unbefriedigend sei
und die berufliche und partnerschaftliche soziale Situation ungewiß sei. Auch wenn
insgesamt die positiven Faktoren für ein zukünftiges Leben ohne gravierende Straftaten
überwögen, dürfte eine weitere Bewährung im offenen Vollzug in Verbindung mit der
Förderung der beruflichen Integration sowie der Einflußnahme auf die Gestaltung der
Partnerschaft (ggbfs. durch Paargespräche) die prognostische Sicherheit erhöhen. Die
Vorbereitung der Entlassung über ein Übergangshaus würde auch deutlich werden
lassen, ob unter nahezu freiheitlichen Bedingungen die Abstinenz von Alkohol und
Glücksspiel gelänge.
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Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum hat daraufhin unter
Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. T2 den Antrag auf
bedingte Entlassung mit Beschluß vom 31.08.2006 zurückgewiesen, wobei sie bei
weiterer Bewährung des Verurteilten im offenen Vollzug die bedingte Entlassung zu
einem späteren Zeitpunkt für möglich ansah.
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Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat der Senat mit Beschluß vom
05.12.2006 als unbegründet verworfen.
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Am 23.03.2007 hat der Verurteilte erneut einen Antrag auf bedingte Aussetzung der
Reststrafe gestellt, der von der Justizvollzugsanstalt Remscheid, in die der Verurteilte
zwischenzeitlich verlegt worden war, in ihrer Stellungnahme vom 30.03.2007 wegen der
intensiven Mitarbeit des Verurteilten am Vollzugsziel und erfolgreicher
Umschulungsmaßnahmen wiederum befürwortet wurde.
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Das von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal eingeholte
Gutachten zur Gefährlichkeitsprognose der Sachverständigen Dipl.-Psychologin K vom
27.07.2007 kam zu dem Ergebnis, dass die vorliegende Gesamtbefundlage keine
Hinweise darauf ergebe, die psychologischerseits die Einschätzung zuließen, dass die
von dem Verurteilten durch sein Tötungsdelikt zutage getretene Gefährlichkeit
hinreichend reduziert sei. Behandlungs- und Stützungsmaßnahmen, die im Falle einer
Strafaussetzung in Form von Auflagen eine hinreichende Reduzierung bzw.
Abschwächung der personengebundenen kriminogenen Gefährdungen des Verurteilten
durch äußere Einflußnahme oder Korsettierungen erwarten lassen könnten, könnten
sachverständiger-seits nicht aufgezeigt werden. Dieser Einschätzung lag zugrunde,
dass der Verurteilte bei unauffälliger Persönlichkeitsentwicklung und
Anpassungsfähigkeit bereits in der Kindheit und Jugend Affekt- und
Beziehungsstörungen entwickelt habe, die bis zum Zeitpunkt der Begutachtung in Form
psychostruktureller Defizite mit erhöhter Gefährdung für süchtiges und gewalttätiges
Ausagieren bestünden. Eine vertiefte Einsicht in sein Störungsbild sei nicht zu belegen.
Die Bereitschaft, sich intensiv und erfolgreich mit der Tat auseinanderzusetzen, sei nicht
erkennbar. Postdeliktisch seien weder kriminogen relevante Veränderungen der
Persönlichkeitsstruktur noch der Aufbau entsprechender Hemmungsstrukturen
erkennbar; der Verurteilte sei weiterhin auf narzisstisch wirkende Selbstüberhöhung
angewiesen und lehne jegliche therapeutische Hilfestellung ab. Insgesamt sei davon
auszugehen, dass seine Gefährlichkeit weiter fortbestehe.
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Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage im Anhörungstermin vor der
Strafvollstreckungskammer vom 04.12.2007 nahm der Verurteilte seinen Antrag auf
bedingte Entlassung zurück.
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Am 20.12.2007 wurde der Verurteilte in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt.
Angesichts der beiden psychologischen Gutachten der Sachverständigen Dr. T2 und K
sowie des damit verbundenen unklaren Entlassungszeitpunktes und der damit
einhergehenden Perspektivlosigkeit des Gefangenen war ihm von der
Vollzugskonferenz die Eignung für den offenen Vollzug aberkannt worden.
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Im Anschluß an die Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug nahm der Verurteilte
mit der Dipl.-Psychologin I der Justizvollzugsanstalt die Therapiegespräche wieder auf,
die er bereits seit etwa 1997 bis 2004 geführt hatte und die nach seiner Verlegung in
den offenen Vollzug unterbrochen worden waren.
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Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18.06.2008 beantragte der Verurteilte erneut die
bedingte Entlassung aus der Strafhaft, der die Justizvollzugsanstalt Remscheid
nunmehr zum einen unter Verweis auf das Gutachten der Sachverständigen K
widersprach, zum anderen, weil der Verurteilte die Durchführung einer von der
Justizvollzugsanstalt für erforderlich erachteten Sozialtherapie verweigerte. Der
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Verurteilte müsse zunächst meßbare therapeutische Fortschritte in den Gesprächen mit
der Dipl.-Psychologin I machen und sodann eine neue Phase der Bewährung in
Lockerungen und im offenen Vollzug durchlaufen.
Das von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal zur Frage der
fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten eingeholte Sachverständigengutachten
der Fachärztin für Psychatrie und Psychotherapie N vom 06.02.2009 beschrieb den
Verurteilten als weiterhin wenig problembewußte, im Inneren wenig autonom
entwickelte Persönlichkeit mit einer Tendenz zur symbiotischen Beziehungsgestaltung
und einer Neigung zu oberflächlich angepasstem konfliktvermeidendem Verhalten.
Hinsichtlich des 1989 von ihm begangenen Tötungsdeliktes seien aufgrund seiner
Unfähigkeit und seiner Abwehrhaltung sehr viele Fragen der Motivation, der
Handlungsrelevanz und der Hintergründe offen, so dass die Frage der weiter
bestehenden Gefährlichkeit bei allen erkennbaren positiven Faktoren wie beruflicher
Zukunftsperspektive, beanstandungsfreiem Vollzugsverhalten sowie Versuchen der
Tatauseinandersetzung nicht sicher genug beantwortet werden könnten, um eine
positive Entlassungsprognose auszusprechen. Ein erneuter Einstieg in Lockerungen,
eine erneute Verlegung und Erprobung im offenen Vollzug mit Begleitung der
relevanten zukunftsperspektivischen und risikorelevanten Variablen sowie eine
Erarbeitung sinnvoller rückfallprophylaktischer Strategien, ggf. mit externer
psychotherapeutischer Hilfe, sei allerdings sinnvoll und auch zu verantworten.
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Parallel zu dem Verfahren über die bedingte Entlassung beantragte der Verurteilte im
März 2009 im Hinblick auf das Gutachten der Sachverständigen N die Rückverlegung in
den offenen Vollzug, die von dem psychologischen Dienst der Justizvollzugsanstalt
Remscheid mit Stellungnahme vom 23.03.2009 uneingeschränkt befürwortet wurde.
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Zu einer Rückverlegung des Verurteilten in den offenen Vollzug ist es in der Folgezeit
bis heute nicht gekommen, da das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen
als zuständige Aufsichtsbehörde seine Zustimmung verweigerte. Das dagegen von dem
Verurteilten angestrengte Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz ist bei der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal seit längerer Zeit anhängig und
noch nicht abgeschlossen.
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Mit Beschluß vom 08.06.2009 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Wuppertal unter Berufung auf die gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen
N vom 06.02.2009 die bedingte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt,
weil die aufgezeigten und problematischen Persönlichkeitsanteile keine Bewertung der
Risikofaktoren als bereits hinnehmbare Restrisiken zuließen. In Übereinstimmung mit
der Sachverständigen sah die Strafvollstreckungskammer im Hinblick auf die lange
beanstandungsfrei durchgestandene Haftzeit unabhängig von fortbestehenden
Verdrängungsmechanismen die Notwendigkeit, dem Verurteilten als
verhaltenstherapeutischen Ansatz die Möglichkeit zu geben, durch die erneute
Gewährung von Lockerungen und die Verlegung in den offenen Vollzug die noch nicht
genügend entwickelten, aber erforderlichen rückfallprophylaktischen Strategien
pragmatisch und konkret unter Berücksichtigung der gegenwärtig bestehenden
Paarbeziehung zu erarbeiten und zu vertiefen.
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Gegen diesen ihm am 15.06.2009 zugestellten Beschluß richtet sich die rechtzeitig
eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 16.06.2009. Zur Begründung ist
im Wesentlichen ausgeführt, dass der Verurteilte durch die Gespräche mit der
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Anstaltspsychologin I und die dabei erfolgte Tataufarbeitung sehr wohl die geforderte
Entwicklung und Einsichtsfähigkeit vollzogen habe. Bereits durch den reibungslosen
Verlauf im offenen Vollzug über vier Jahre habe er bewiesen, dass er keine Gefahr mehr
darstelle. Er sei lediglich aufgrund einer neuen Wertung durch die Sachverständige K,
und nicht etwa durch das Hinzutreten neuer objektiver Tatsachen oder von
Fehlverhalten, in den geschlossenen Vollzug rückverlegt worden. Hierzu habe die
Justizvollzugsanstalt in ihrer Stellungnahme vom 23.03.2009 vermerkt, dass sich der
Verurteilte trotz der für ihn mit überwiegend negativen Konsequenzen verbundenen
Rückverlegung konstruktiv in den geschlossenen Vollzug eingefügt habe, er erneut
Therapiegespräche aufgenommen habe und sich seine Entwicklung hinsichtlich
Hilfekompetenz und Offenheit auf weitere Personen erweitert habe, und dass
inbesondere diese Faktoren als stabilisierende und konstruktive Protektivfaktoren
beschrieben werden könnten.
Der Verurteilte sei sofort zu entlassen. Eine weitere Erprobungsphase widerspreche
dem verfassungsmäßigen Freiheitsanspruch des Verurteilten.
42
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde aus den
zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
43
Der Senat hat einen schriftlichen Therapiebericht der Anstaltspsychologin I eingeholt
sowie anschließend eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen N hierzu.
44
Die Anstaltspsychologin I attestierte in ihrem Bericht vom 20.10.2009 dem Verurteilten
eine verbesserte Selbstwahrnehmungsfähigkeit und daraus resultierend auch die
verbesserte Fähigkeit, mit anderen Menschen und insbesondere Frauen umgehen zu
können. Auch habe der Verurteilte nunmehr Zugang zu der von ihm begangenen Tat
gefunden, könne aber nach wie vor nicht den unmittelbaren Auslöser für die
Tatbegehung benennen.
45
Die Sachverständige N sah in ihrer Stellungnahme vom 17.11.2009 trotz der in dem
Bericht der Anstaltspsychologin I geschilderten Persönlichkeitsnachreifung, die bislang
in sämtlichen vorangegangenen Begutachtungen nicht in diesem Ausmaß erkennbar
geworden sei, keine hinreichende Grundlage, ihre Beurteilung aus dem Gutachten vom
06.02.2009 zu ändern. Zwar habe der Verurteilte nunmehr den Tatblauf beschrieben; zu
einer Tataufarbeitung im engeren Sinne gehöre allerdings auch eine selbstkritische
Auseinandersetzung mit Tatauslösern, Tatablauf, Nachtatverhalten, Motiven und
Gefühlen und eben auch die Erarbeitung rückfallprophylaktischer Strategien. Insoweit
sei jedoch noch eine weitere therapeutische Bearbeitung erforderlich.
46
Der Senat hat die Anstaltspsychologin I sowie die Sachverständige N am 26.01.2010
angehört.
47
II.
48
Die sofortige Beschwerde hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
49
Nach § 57 a StGB i. V. m. § 57 Abs. 1 Ziffer 2 StGB wird die Vollstreckung des Restes
einer lebenslangen Freiheitsstrafe – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur
dann zur Bewährung ausgesetzt, wenn dies unter Berücksichtigung des
Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Bei der
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Entscheidung sind die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände
seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sein Verhalten
im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von
der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
Die Regelung des § 57 a StGB über die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger
Freiheitsstrafe konkretisiert eine Forderung der Menschenwürde in der
Strafvollstreckung (vgl. BVerfGE 45, 187, 245). Sie schafft einen Ausgleich zwischen
dem Resozialisierungsanspruch und dem Freiheitsgrundrecht des zu lebenslanger
Freiheitsstrafe Verurteilten einerseits und dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit
andererseits (vgl. BVerfGE 117, 71). Für den besonders intensiven Eingriff eines
möglicherweise lebenslangen Freiheitsentzuges ergeben sich verfassungsrechtliche
Grenzen insbesondere aus dem Übermaßverbot. Dieses verlangt, dass das
Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Verurteilten und dem
Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor unter Umständen zu erwartenden
erheblichen Rechtsgutverletzungen zu einem gerechten und vertretbaren Ausgleich
gebracht wird (vgl. BVerfGE 117, 71, 97). Das Übermaßverbot stellt zunächst materielle
Anforderungen an die Prognoseentschei-dung. Je länger der Freiheitsentzug dauert,
umso strenger sind die Voraussetzungen für dessen Verhältnismäßigkeit. Der
nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs stößt jedoch dort
an Grenzen, wo es im Hinblick auf die Art der von dem Betroffenen drohenden
Gefahren, deren Bedeutung und Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag
für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den
Betroffenen in die Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 117, 71, 97 f). Die im Rahmen der
Aussetzungsentscheidung zu treffende Prognose betrifft die Verantwortbarkeit der
Aussetzung mit Rücksicht auf unter Umständen zu erwartende Rückfalltaten. Je
höherwertige Rechtsgüter in Gefahr sind, desto geringer muss das Rückfallrisiko sein.
Bei Straftaten, die wie der Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, ist das
Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit besonders hoch zu veranschlagen. Wegen der
Art der im Versagensfall zu befürchtenden Taten kommt eine bedingte Entlassung aus
der lebenslangen Freiheitsstrafe nur unter strengen Voraussetzungen in Betracht (vgl.
BVerfGE 117, 71, 99). Die besonders hohe Wertschätzung des Lebens rechtfertigt die
weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht nur in den Fällen, in denen
eine fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten positiv festgestellt werden kann,
sondern auch dann, wenn nach Erfüllung des verfassungsrechtlichen Gebots
ausreichender richterlicher Sachaufklärung eine günstige Gefährlichkeitsprognose nicht
gestellt werden kann, weil verbleibende Zweifel an einer hinreichend günstigen
Prognose zu Lasten des Verurteilten gehen (vgl. BVerfGE 117, 71, 100 f).
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Darüber hinaus begründet das Übermaßverbot verfahrensrechtliche Anforderungen. Sie
betreffen vor allem das Verfahren zur Wahrheitserforschung und damit insbesondere die
Feststellung der der Aussetzungsentscheidung zugrunde liegenden Prognosebasis.
Denn es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass
Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf ausreichender
richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende
Grundlage haben (vgl. BVerfGE 117, 71, 102, 105). Die verfahrensrechtlichen
Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben sowohl dem Sicherheitsaspekt als
auch dem hohen Wert der Freiheit des Verurteilten Rechnung zu tragen. Sie steigen mit
zunehmender Dauer des Freiheitsentzuges, mit der auch die verfassungsrechtliche
Kontrolldichte zunimmt. Vor allem wenn die bisherige Dauer der Vollstreckung der
lebenslangen Freiheitsstrafe die Mindestverbüßungszeit übersteigt und eine besondere
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Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung nicht mehr gebietet,
gewinnt der Anspruch des Verurteilten auf Achtung seiner Menschenwürde und seiner
Persönlichkeit zunehmendes Gewicht für die Anforderungen, die an die für eine
zutreffende Prognoseentscheidung erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu stellen sind.
Das Vollstreckungsgericht hat sich daher auch von Verfassungs wegen um eine
möglichst breite Tatsachenbasis für seine Prognoseentscheidung zu bemühen und alle
prognose-relevanten Umstände besonders sorgfältig zu klären (BVerfGE 117, 71, 107
m. w. N.)
Vollzugslockerungen haben für die im Aussetzungsverfahren zu treffende
Prognoseentscheidung besondere Bedeutung. Die - gerichtlich überprüfbare (§ 109
Abs. 1, § 116 Abs. 1 StVollzG) - Entscheidung über Lockerungen ist der Leitung der
Anstalt als Vollzugsbehörde zugewiesen (§ 11, § 15 Abs. 1, § 156 Abs. 2 Satz 2
StVollzG). Sie betrifft zunächst den Vollzugsalltag des Gefangenen und regelt die Form
des Freiheitsentzuges. Darin erschöpft sich ihre Bedeutung allerdings nicht. Die
Entscheidung der Vollzugsbehörde wirkt sich vielmehr auch auf die - den
Anforderungen des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG unterliegende - Prognoseentscheidung
der Gerichte im Aussetzungsverfahren aus.
53
Für den Richter im Aussetzungsverfahren erweitert und stabilisiert sich die Basis der
prognostischen Beurteilung, wenn dem Gefangenen zuvor Vollzugslockerungen
gewährt worden sind. Gerade das Verhalten eines Gefangenen anlässlich solcher
Belastungserprobungen stellt einen geeigneten Indikator für die künftige
Legalbewährung dar (vgl. BVerfGE 109, 133, 165 f; 117, 71, 119). Er erhält Gelegenheit,
sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens der Vollzugslockerungen zu bewähren;
sein hierbei an den Tag gelegtes Verhalten ist "Verhalten im Vollzug", das der Richter
bei der Prognoseent-scheidung zu berücksichtigen hat (vgl. § 57a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. §
57 Abs. 1 Satz 2 StGB). Darüber hinaus machen es Vollzugslockerungen dem
Gefangenen - insbesondere nach langem Freiheitsentzug - möglich, wenigstens
ansatzweise Orientierung für ein normales Leben zu suchen und zu finden. Je nach dem
Erfolg dieser Orientierungssuche stellen sich seine Lebensverhältnisse und die von
einer Aussetzung der Strafvollstreckung zu erwartenden Wirkungen günstiger oder
ungünstiger dar. Folglich werden die Chancen, dass das Gericht, das über die
Aussetzung zu entscheiden hat, zu einer zutreffenden Prognoseentscheidung gelangt,
durch vorherige Gewährung von Vollzugslockerungen verbessert und umgekehrt durch
deren Versagung verschlechtert (vgl. BVerfGE 117, 71 , 91, 92, 108 m.w.N.)
54
Dieser Umstand begründet besondere Prüfungspflichten der Gerichte im
Aussetzungsverfahren.
55
Will das Gericht die Ablehnung der Aussetzung (auch) auf die fehlende Erprobung des
Gefangenen in Lockerungen stützen, darf es sich nicht mit dem Umstand einer - von der
Vollzugsbehörde verantworteten - begrenzten Tatsachengrundlage abfinden. Es hat von
Verfassungs wegen selbstständig zu klären, ob die Begrenzung der Prognosebasis zu
rechtfertigen ist, weil die Versagung von Lockerungen auf hinreichendem Grund
beruht(e). Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG ist alleine der zuständige Richter zur
Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung berufen; er muss die
vollständige Verantwortung für die Rechtfertigung der Freiheitsentziehung übernehmen
können (vgl. BVerfGE 22, 311, 318 f; 86, 288, 328). Dies ist nur dann gewährleistet,
wenn dieser Richter die (Prognose)Basis seiner Entscheidung eigenständig klärt und
diese Aufgabe nicht Dritten überlässt. Vor allem verbietet es sich, dass die Exekutive, d.
56
h. die Vollzugsbehörde einschließlich der Aufsichtsbehörde, über eine - ungeprüfte,
möglicherweise rechtswidrige - Einflussnahme auf die Tatsachengrundlage der
richterlichen Entscheidung über den Freiheitsentzug deren Inhalt und Ergebnis faktisch
vorwegnimmt (vgl. BVerfGE 10, 302, 310).
Das zur Entscheidung über die Aussetzung berufene Gericht muss daher die
Rechtmäßigkeit der bisherigen Versagung von Lockerungen eigenständig prüfen.
Maßstab der Prüfung ist, ob die Vollzugsbehörde bei der Versagung von Lockerungen
die unbestimmten Rechtsbegriffe der Befürchtung von Flucht oder Missbrauch der
Lockerungen zu Straftaten (§ 11 Abs. 2 StVollzG) richtig ausgelegt und angewandt, alle
relevanten Tatsachen zutreffend angenommen und den Sachverhalt vollständig ermittelt
hat. Bei seiner Prüfung hat das Gericht im Aussetzungsverfahren zu beachten, dass der
Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsgefahr zwar geeignet ist, einen -
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden - prognostischen Beurteilungsspielraum
zu eröffnen, in dessen Rahmen die Vollzugsbehörde mehrere Entscheidungen treffen
kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind, dass allerdings das
Freiheitsgrundrecht des Gefangenen diesem Beurteilungsspielraum auch Grenzen
zieht: Die Vollzugsbehörde muss bei einem Gefangenen, dessen Entlassung nur noch
von einer positiven Kriminalprognose des Richters abhängt, beachten, dass sie dem
Gefangenen, soweit vertretbar, eine Bewährung zu ermöglichen und ihn auf eine
Entlassung vorzubereiten hat, damit dessen grundrechtlich garantierter
Freiheitsanspruch durch den Richterentscheid (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) zeitgerecht
realisiert werden kann (vgl. BVerfGE 117, 71, 108).
57
Die Rechtmäßigkeit der Versagung von Lockerungen haben die Gerichte im
Aussetzungsverfahren auch dann zu prüfen, wenn die Frage – wie hier - Gegenstand
gerichtlicher Überprüfung im Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz war bzw. noch ist.
Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG vertraut die zur Entscheidung über die Freiheitsentziehung
erforderliche Aufklärung des Sachverhalts dem im konkreten Verfahren zur
Entscheidung über die Freiheitsentziehung berufenen Richter an. Im Verfahren über die
Aussetzung der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe ist dies gemäß § 78a
Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GVG die Strafvollstreckungskammer in der aus § 78b Abs. 1 Nr. 1
GVG ersichtlichen Besetzung. Daher hat das Bundesverfassungsgericht die
eigenständige Prüfungspflicht der Gerichte im Aussetzungsverfahren unabhängig davon
betont, ob beziehungsweise inwieweit sich die Gerichte im Lockerungsverfahren mit der
Frage der Rechtmäßigkeit der Versagung schon beschäftigt hatten (vgl. BVerfGE 117,
71,108).
58
Kommt das Gericht dieser Prüfungspflicht nicht oder nicht hinreichend nach, entspricht
die auf fehlende Erprobung gestützte Ablehnung der bedingten Entlassung nicht den
verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Entscheidung beruht dann auf
unzureichender Sachaufklärung. Nur wenn sich herausstellt, dass die Nichtgewährung
von Lockerungen auf hinreichendem Grund beruht(e), darf die fehlende Erprobung des
Betroffenen bei der Prognose ohne Einschränkungen zu seinem Nachteil verwertet
werden (vgl. BVerfG, NJW 1998, 2202, 2204) Die unberechtigte Versagung von
Lockerungen begründet ein von der Exekutive zu verantwortendes Prognosedefizit. Sie
darf nicht unbesehen zum Nachteil des Gefangenen gehen. Die Konsequenzen dieser
Prognoseunsicherheit für die Aussetzungsentscheidung haben die Gerichte auf
Grundlage einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles und vor dem
Hintergrund des Spannungsverhältnisses zwischen dem Freiheitsanspruch des
Gefangenen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit, das auch hier nach
59
einem vertretbaren und gerechten Ausgleich verlangt, zu finden.
Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Das Freiheitsgrundrecht des
Gefangenen verbietet eine generelle Folgenlosigkeit einer verfassungswidrigen
Lockerungspraxis im Aussetzungsverfahren. Es wäre mit dem besonderen Gewicht der
materiellen Freiheitsgarantie unter den grundgesetzlich geschützten Rechten, die auch
in der verstärkten prozeduralen Sicherung durch den Richtervorbehalt in Art. 104 Abs. 2
Satz 1 GG zum Ausdruck kommt (vgl. BVerfGE 10, 302, 323) nicht zu vereinbaren,
würde die Vollzugsbehörde die richterliche Entscheidung im Aussetzungsverfahren
über eine Schmälerung der Entscheidungsgrundlage gleichsam zwangsläufig
präjudizieren. Zwar muss sich eine rechtswidrige Versagung von Lockerungen über
einen prognoserelevanten Zeitraum hinweg nicht in jedem Einzelfall unmittelbar auf die
Prognoseentscheidung - im Sinne eines Verwertungsverbots - auswirken. Die von der
Exekutive zu verantwortende Prognoseunsicherheit muss sich aber auf die im
Aussetzungsverfahren zu treffende Entscheidung unmittelbar auswirken können. Dass
der Gesetzgeber die Entscheidung über Lockerungen der Exekutive zugewiesen und
zur gerichtlichen Kontrolle der Lockerungsentscheidung einen eigenen Rechtszug
eingerichtet hat, vermag die Folgenlosigkeit einer rechtswidrigen Lockerungspraxis für
die Aussetzungsentscheidung nicht zu begründen (BVerfG, Beschluß vom 30.04.2009 –
2 BvR 2009/08). Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Richtervorbehalt in Art. 104
Abs. 2 Satz 1 GG in der Praxis weitgehend leerläuft. Er steht aber nicht zur Disposition
des Gesetzgebers, sondern verpflichtet alle staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen,
dass er als Freiheitssicherung praktisch wirksam wird (vgl. BVerfGE 105, 239, 248).
60
Dem von Verfassungs wegen ohnehin hoch zu veranschlagenden Sicherungsbedürfnis
der Allgemeinheit kommt vor dem Hintergrund des mangels Erprobung bestehenden
Prognosedefizits gesteigerte Bedeutung zu. Die Verwertbarkeit des Umstandes
fehlender Erprobung bei der Entscheidung über die Aussetzung generell
auszuschließen, würde ein Risiko auf die Allgemeinheit verlagern, das im Einzelfall
erheblich sein kann. Dem hat das Bundesverfassungsgericht Rechnung getragen und
seine Aussage, dass Vollzugslockerungen von Rechts wegen nicht notwendigerweise
Voraussetzung für eine bedingte Entlassung sind (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni
2002 - 2 BvR 461/02), im Kontext der lebenslangen Freiheitsstrafe um die Feststellung
ergänzt, dass eine Erprobung in Lockerungen der (Entscheidung über die) Aussetzung
des Strafrests in der Regel vorausgeht (vgl. BVerfGE 117, 71, 108). Bei langen
Haftzeiten zeigt sich typischerweise in besonderem Maße die Notwendigkeit, in
sorgfältig gestuftem Vorgehen durch Lockerungen die Resozialisierungsfähigkeit des
Gefangenen zu testen und ihn schrittweise auf die Freiheit vorzubereiten (vgl. BVerfGE
117, 71, 108). Den in Freiheit nicht erprobten Gefangenen nach langen Jahren des
Vollzugs unvorbereitet in die Freiheit zu entlassen, begründete für sich genommen
einen erheblichen Risikofaktor für einen Rückfall.
61
Vor dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses hat das Gericht im
Aussetzungsverfahren zunächst die Pflicht, auf die Vollzugsbehörde einzuwirken. Ist
diese bei der Entscheidung über Lockerungen dem grundrechtlich garantierten
Freiheitsanspruch des Gefangenen nicht oder nicht hinreichend gerecht geworden,
muss ihr das Gericht im Aussetzungsverfahren - unter Ausschöpfung seiner
prozessualen Möglichkeiten - von Verfassungs wegen deutlich machen, dass
Vollzugslockerungen geboten sind (vgl. BVerfGE 117, 71, 108 f; BVerfG, Beschluss vom
30.04.2009 – 2 BvR 2009/08).
62
Die Einwirkung der Vollstreckungsgerichte auf die Vollzugsbehörde muss aber wegen
der besonderen Bedeutung der Vollzugslockerungen für die Prognosebasis der
richterlichen Entscheidung effektiv sein. Dies haben die Gerichte bei ihrer
Entscheidung, wie sie der Vollzugsbehörde das Gebotensein von Lockerungen deutlich
machen, zu berücksichtigen. Hinweise an die Vollzugsbehörde sind deshalb nicht von
vornherein ungeeignet. Die Gerichte haben aber stets zu prüfen, ob nicht im konkreten
Fall Maßnahmen notwendig sind, die sich unmittelbarer auf die
Aussetzungsentscheidung niederschlagen. Einen Gefangenen, dessen bedingte
Entlassung nur noch von einer günstigen Prognose des Richters abhängt, - unter
Umständen gar wiederkehrend - ohne greifbare Konsequenzen auf künftige
Aussetzungsverfahren zu verweisen, in denen sich eine unverändert fortbestehende
Prognoseunsicherheit stets aufs Neue zum Nachteil des Gefangenen auswirkt, wäre
von Verfassungs wegen nicht hinnehmbar.
63
Im Sinne der von Verfassungs wegen gebotenen effektiven Durchsetzung des
Freiheitsgrundrechts des Gefangenen hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass
die Vollstreckungsgerichte im Aussetzungsverfahren ihre prozessualen
Möglichkeiten auszuschöpfen haben, wenn es darum geht, der Vollzugsbehörde das
Gebotensein von Lockerungen deutlich zu machen (vgl. BVerfGE 117, 71, 108). Das
Bundesverfassungsgericht hat dabei ausdrücklich festgestellt, dass zu diesen - im
Einzelfall zu prüfenden - Möglichkeiten auch ein Vorgehen auf der Grundlage von §
454a Abs. 1 StPO gehört (BVerfG NJW 1998, 2202; BVerfGE 117, 71, 108).
64
§ 454a Abs. 1 StPO ermöglicht es den Vollstreckungsgerichten, dem
Freiheitsgrundrecht des Betroffenen über eine effektive Begrenzung der nachteiligen
Folgen des Prognosedefizits praktische Wirksamkeit zu verleihen, ohne damit
unverantwortbare Risiken auf die Allgemeinheit zu verlagern. Das Gericht kann nach
dieser Vorschrift die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung anordnen, ohne dass
dies zur sofortigen Freilassung des Betroffenen führt. Die Norm gestattet dem Gericht,
den zukünftigen Entlassungszeitpunkt so festzulegen, dass der Vollzugsbehörde eine
angemessene Erprobung des Verurteilten in Lockerungen möglich bleibt (vgl. BVerfG,
NJW 1998, S. 2202, 2204). Ein Vorgehen nach § 454a Abs. 1 StPO stärkt das
Freiheitsgrundrecht des Verurteilten. Anders als die Gewährung von Lockerungen ist
der Entlassungszeitpunkt kraft Gesetzes der Disposition der Vollzugsbehörde entzogen
(vgl. § 16 StVollzG), so dass sich bei weiterer grundloser Versagung von Lockerungen
das Freiheitsgrundrecht des Gefangenen zum - vom Gericht im Aussetzungsverfahren
festgelegten - Entlassungszeitpunkt sicher realisiert. Zwar verhindert das bisherige - von
den Vollzugsbehörden zu verantwortende - Prognosedefizit vorerst eine Entlassung. Die
nachteiligen Folgen des Prognosedefizits für das Freiheitsgrundrecht des Gefangenen
werden aber wirksam beschränkt. Anders als bei bloßen Hinweisen der Gerichte im
Aussetzungsverfahren ist sichergestellt, dass der Freiheitsentzug allenfalls bis zum
Entlassungszeitpunkt auf einer rechtswidrigen Schmälerung der Prognosebasis seitens
der Exekutive beruht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26. August 2005 - 2 Ws 202/05).
65
Eine unverantwortbare Risikoverlagerung zu Lasten der Allgemeinheit ist damit nicht
verbunden. Das Vollstreckungsgericht kann den Entlassungszeitpunkt so wählen, dass
der Vollzugsbehörde ein angemessener Zeitraum für eine aussagekräftige Erprobung
zur Verfügung steht. Dieser Zeitraum ist von Gesetzes wegen nicht beschränkt (vgl. OLG
Zweibrücken, Beschluss vom 11. September 1991 - 1 Ws 297/91 -, NStZ 1992, S. 148).
Dass damit eine unter Umständen weit in die Zukunft gerichtete
Entlassungsentscheidung getroffen wird, kann im Einzelfall verantwortbar sein. Denn in
66
der gesamten Zeit bis zur Entlassung des Gefangenen ist eine Korrektur der
Aussetzungsentscheidung unter erleichterten Voraussetzungen möglich. Nach § 454a
Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 StPO kann das Vollstreckungsgericht - ungeachtet der
Widerrufsmöglichkeit nach § 56f Abs. 1 StGB - die Aussetzung der Vollstreckung des
Strafrestes bis zur Entlassung des Betroffenen wieder aufheben, wenn die
Strafaussetzung aufgrund neu eingetretener oder bekannt gewordener Tatsachen unter
Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht mehr verantwortet
werden kann (vgl. BVerfG, NJW 1994, 377 f; NJW 2001, 2247). Im vorliegenden
Zusammenhang kommt - außer bei generell neuen prognoserelevanten Umständen, die
sich auch auf die Gewährung von Lockerungen auswirken können - eine Aufhebung der
Strafaussetzung primär bei gefährlichkeitsindizierender Nichtbewährung des
Gefangenen in den dann erforderlichen Lockerungen in Betracht. Zudem kann der
Verurteilte in der - sofort zu treffenden - Aussetzungsentscheidung einem engmaschigen
Netz von Auflagen und Weisungen unterworfen und sogleich einem Bewährungshelfer
unterstellt werden, der bereits in der Zeit bis zur Entlassung Kontakt zu dem
Gefangenen aufnehmen und ihn im Erprobungszeitraum zusätzlich unterstützen kann. §
454a Abs. 1 StPO berücksichtigt die Regelung des § 56a Abs. 2 StGB, nach der die
Bewährungszeit nicht erst mit dem tatsächlichen Entlassungszeitpunkt, sondern mit der
Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung beginnt. Schließlich wird das durch eine
frühzeitige Aussetzungsentscheidung begründete Risiko durch die Verlängerung der -
mit Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung beginnenden - Bewährungszeit
kompensiert: Liegen zwischen Aussetzungsentscheidung und festgelegtem
Entlassungszeitpunkt mindestens drei Monate, verlängert sich die Bewährungszeit um
den dazwischen liegenden Zeitraum (§ 454a Abs. 1 StPO; vgl. dazu OLG Koblenz,
Rpfleger 1994, 381 f).
Ausgehend von diesen vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen gilt
vorliegend Folgendes:
67
Es ist schon nicht frei von Beanstandungen, dass der Verurteilte infolge des Gutachtens
der Sachverständigen K in den geschlossen Vollzug rückverlegt worden ist. Es war
nach Auffassung des Senats rechtsfehlerhaft, das Gutachten der Sachverständigen K,
das ausdrücklich nur zur Gefährlichkeit des Verurteilten nach einer bedingten
Entlassung Stellung genommen, sich aber nicht unmittelbar zu dessen Eignung für
Vollzugslockerungen geäußert hat, als hinreichenden Anlaß zu der Rückverlegung des
Verurteilten in den geschlossenen Vollzug bewertet zu haben. Daran bestehen
umsomehr Zweifel als sowohl die Sachverständige N in ihrem Gutachten aus dem Jahre
2002 und der Sachverständige Dr. T2 in seinem Gutachten aus dem Jahre 2006 die
(weitere) Bewährung des Verurteilten im offenen Vollzug ausdrücklich empfohlen und
angeraten haben. Dass die Sachverständige K ihr Gutachten auf einer breiteren oder
besseren Tatsachengrundlage als die beiden vorgenannten Sachverständigen erstellt
hat, läßt sich weder dem Gutachten selbst noch dem übrigen Akteninhalt entnehmen.
Die Sachverständige K hat lediglich aufgrund der von ihr durchgeführten Exploration
eine andere Bewertung als die Sachverständigen N und Dr. T2 getroffen. Bereits dies
hätte für die Vollstreckungsbehörde Anlaß sein müssen, dieses Gutachten besonders
kritisch zu hinterfragen. Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass sich der
Verurteilte bis dahin über einen Zeitraum von etwa drei Jahren im offenen Vollzug
beanstandungsfrei geführt hatte (ein Umstand der nach Ausführungen der
Sachverständigen N im Anhörungstermin vom 26.01.2010 durch die Sachverständige K
nicht hinreichend gewürdigt worden ist) und die Vollstreckungsbehörde die
Erkenntnisse aus diesem Gutachten offensichtlich nicht für derart schwerwiegend
68
erachtete, den Verurteilten sofort in den geschlossenen Vollzug zurückzuverlegen,
sondern mit dieser Entscheidung nahezu ein weiteres halbes Jahr zuwartete.
Eine unverzügliche Rückverlegung des Verurteilten in den offenen Vollzug wäre zudem
spätestens nach Kenntniserlangung von dem Gutachten der Sachverständigen N vom
06.02.2009 geboten gewesen, in dem diese Sachverständige erneut die Bewährung
des Betroffenen im offenen Vollzug anriet, um im Hinblick auf eine
Entlassungsprognose eine breitere Prognosegrundlage zu schaffen. Die Empfehlung
dieses Gutachtens ist zudem von dem psychologischen Dienst der Justizvollzugsanstalt
in der Stellungnahme vom 23.03.2009 geteilt worden, der ausgeführt hat, dass unter
Berücksichtigung der Dittmann-Prognose-Faktorenliste mit hoher Wahrscheinlichkeit
davon auszugehen sei, dass sich der Verurteilte unter den strukturierten vollzuglichen
Bedingungen weiter bewähren werde und eine Mißbrauchs- oder Fluchtgefahr
psycholo-gischerseits nicht zu begründen sei. In Übereinstimmung mit der
Sachverständigen N werde daher aus behandlerischer Sicht eine Rückverlegung
empfohlen, um weitere Entwicklungsschritte anzustoßen, dem Verurteilten die
Gelegenheit zu geben, seinen Selbstwert weiter zu festigen und ihm durch die Therapie
weitere Reflektionsmöglichkeiten zu bieten, in denen er Situationen aus Alltag und
Beziehung thematisieren könne. Die Sachverständige N hat in der mündlichen
Anhörung vom 26.01.2010 vor dem Senat ebenfalls nochmals ausdrücklich die erneute
Erprobung im offenen Vollzug für erforderlich gehalten, um überprüfen zu können, "wie
sich der Verurteilte hält" und ob er eine Arbeitsstelle (die er durch die von der
Vollzugsbehörde in fehlerhafter Weise veranlaßte Rückverlegung in den geschlossenen
Vollzug verloren hatte) und eine Wohnung findet. Der Verlegung in den offenen Vollzug
stehe dabei nicht entgegen, dass bislang weder eine hinreichende Deliktaufarbeitung
erfolgt sei und die Frage der Beziehungsfähigkeit des Verurteilten weiterhin offen sei. Zu
diesen offenen Fragen könnte mehr gesagt werden, wenn der Verurteilte weiterhin im
offenen Vollzug erprobt worden wäre. Gleiches gelte für die eher marginale Frage, wie
sich der Alkoholkonsum des Verurteilten entwickelte. Bei einer (erneuten) Bewährung
im offenen Vollzug würde der Verurteilte auch trotz fehlender Tataufarbeitung entlassen
werden können, da diese allein aufgrund des Zeitablaufs wohl kaum noch erwartet
werden könne. Die Anstaltspsychologin I hat sowohl in ihrer Stellungnahme vom
20.10.2009 als auch in der Anhörung vor dem Senat ergänzend darauf hingewiesen,
dass der Verurteilte hinsichtlich der Beziehungsfähigkeit aufgrund der Therapie bereits
jetzt erhebliche Fortschritte gemacht habe. Die Beziehung zu seiner jetzigen
Lebensgefährtin, die er während es offenen Vollzugs kennengelernt habe, habe eine
andere Qualität als die früheren Beziehungen des Verurteilten. Insbesondere sei die
Beziehung nicht beliebig und austauschbar. Aus der Tatsache, dass zwischen den
Lebenspartnern (im positiven Sinne) Auseinandersetzungen über die Tat sowie die
Angaben des Verurteilten hierzu stattfänden und die Lebenspartnerin sich überhaupt
grundsätzlich an den Umständen und Hintergründen, die zu der Tat geführt haben,
interessiert zeige, erweise sich, dass es sich bei der Beziehung nicht mehr – wie
regelmäßig in den früheren Beziehungen – um eine rein symbiotische Beziehung
handele.
69
Trotz der Empfehlungen der Sachverständigen N, Dr. T2 und des psychologischen
Dienstes der Justizvollzugsanstalt und der beanstandungsfreien Führung des
Betroffenen im offenen Vollzug über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren wird dem
Betroffenen von der Aufsichtsbehörde mit vor dem Hintergrund der sachverständigen
Erkenntnisse offensichtlich nicht tragfähigen Gründen eine (erneute) Verlegung in den
offenen Vollzug rechtswidrig verwehrt. Der von der rechtswidrigen Versagung von
70
Lockerungen betroffene Zeitraum hat Prognoserelevanz. Eine Erprobung des
Beschwerdeführers über diese lange Zeit hätte ohne jeden Zweifel aussagekräftige
Erkenntnisse für die Prognoseentscheidung er-bracht und die bestehende
Prognoseunsicherheit deutlich reduziert. Mit knapp zweieinhalb Jahren übersteigt die
Dauer der möglicherweise rechtswidrigen Versagung sogar den von der
Sachverständigen im Prognosegutachten in vergleichbaren Fällen für erforderlich
gehaltenen entlassungsvorbereitenden Erprobungszeitraum von zwei Jahren. In jedem
Fall hätte der Beschwerdeführer bei Absehen von der Rückverlegung in den
geschlossenen Vollzug die greifbare Chance gehabt, im vorliegenden
Aussetzungsverfahren einen langen Zeitraum erfolgreicher Erprobung vorzuweisen.
Dieser Umstand hätte in das Prognosegutachten der Sachverständigen N einfließen
können. Indem die Strafvollstreckungskammer die Ablehnungsentscheidung im
Besonderen auf die fehlende Erprobung des Beschwerdeführers gestützt hat, war sie
dagegen - ungeachtet des Stands des Verfahrens über den Antrag auf gerichtliche
Entscheidung nach § 109 Abs. 1 StVollzG - von Verfassungs wegen verpflichtet, die
Tragfähigkeit der (bisherigen) Verweigerung von Lockerungen bzw. die Rückverlegung
in den geschlossenen in eigener Verantwortung zu prüfen. Dies gilt auch deshalb, weil
ohne eine solche Prüfung Verzögerungen im Lockerungsverfahren, die vom
Gefangenen nicht zu vertreten sind, ohne sachlichen Grund zu seinem Nachteil auf das
Aussetzungsverfahren durchschlagen könnten. Der vorliegende Fall belegt dies
anschaulich. Das Lockerungsverfahren war im Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung
des Landgerichts ausschließlich aus in der Sphäre von Justizvollzugsanstalt und
Aufsichtsbehörde liegenden Gründen unterbrochen worden, ohne dass hierfür eine
tragfähige Grundlage bestand.
Der Senat hat daher von der oben aufgezeigten Möglichkeit des § 454a Abs. 1 StPO
Gebrauch gemacht und die bedingte Entlassung des Verurteilten an geordnet. Der
Senat hat allerdings den Entlassungszeitpunkt erst in einem Jahr bestimmt, um der
Vollstreckungsbehörde zu ermöglichen, den Verurteilten zwischenzeitlich erneut im
offenen Vollzug zu erproben. Der Zeitraum von einem Jahr erscheint dem Senat
ausreichend, da der Verurteilte bereits eine erhebliche Zeit im offenen Vollzug
verbracht, sich in der zurückliegenden Phase der Erprobung im offenen Vollzug
beanstandungsfrei geführt hat und er ausweislich der Ausführungen der
Sachverständigen N und der Anstaltspsychologin I im zwischenmenschlichen Bereich,
insbesondere was seine Beziehungsfähigkeit zu Frauen angeht, bereits jetzt erhebliche
Fortschritte gemacht hat.
71
Wenn sich der Verurteilte wiederum im offenen Vollzug bewährt, zu dessen
Durchführung die Vollstreckungsbehörde aufgrund der vorliegenden
Senatsentscheidung, durch die zugleich die Zustimmung der Aufsichtsbehörde ersetzt
wird, und der Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht vom 30.04.2009 (2 BvR
2009/08) und 22.03.1998 (2 BvR 77/97) ohne jede Verzögerung verpflichtet ist, und sich
den erforderlichen therapeutischen Maßnahmen, insbesondere zur Erlernung
rückfallprophylaktischer Verhaltensweisen unterzieht, wird seiner Entlassung zu dem im
Tenor bezeichneten Zeitpunkt nichts entgegenstehen.
72
III.
73
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 464 Abs. 1 StPO.
74