Urteil des OLG Hamm vom 13.06.2006

OLG Hamm: arbeitsstelle, nettoeinkommen, krankenversicherung, ankauf, fahrtkosten, ratenzahlung, darlehen, beschränkung, einwilligung, ortsabwesenheit

Oberlandesgericht Hamm, 6 WF 160/06
Datum:
13.06.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 WF 160/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Paderborn, 8 F 1310/05
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 27. April 2006 wird der
Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 21. April 2006 abgeändert.
Eine Verpflichtung der Beklagten zur Ratenzahlung entfällt.
Ebenso entfällt hinsichtlich der Beiordnung von Rechtsanwalt die
Einschränkung "zu den Bedingungen eines bei dem Amtsgericht
Paderborn zugelassenen Anwalts".
Eine Kostenerstattung findet nicht statt.
Gründe:
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Die gern. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
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I) Verpflichtung zur Ratenzahlung
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1.) Zu Unrecht hat das Amtsgericht die Raten, welche die Beklagte für ihren Pkw
bezahlen muss, bei der Feststellung des anzusetzenden Einkommens unberücksichtigt
gelassen. Die Berücksichtigungsfähigkeit richtet sich nach § 115 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.
Tilgungsraten auf ein Darlehen dürfen abgezogen werden, wenn es, wie hier, vor
Prozessbeginn aufgenommen worden ist (OLG Köln, MDR 1995, 314). Wer auf die
Benutzung eines Pkw nicht angewiesen ist, kann die Finanzierungskosten hierfür nicht
abziehen, wenn diese in einem Missverhältnis zu seinem Einkommen stehen und es
ihm zuzumuten ist, das Auto zu verkaufen und aus dem Erlös das Darlehen
zurückzuzahlen, das er zum Ankauf des Autos aufgenommen hat (OLG Hamburg,
FamRZ 1996, 42).
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Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte auf die berufliche
Nutzung ihres Pkw nicht angewiesen ist. Die Beklagte hat die einfache Entfernung
zwischen ihrem Wohnort in und der Arbeitsstelle in in der Anlage zu ihrem
Prozesskostenhilfegesuch mit 8 km angegeben. Eine Berechnung durch einen
Routenplaner (FaIk) ergibt eine einfache Entfernung von 6,1 km. Bei dieser Entfernung
ist die berufliche Nutzung eines bereits vorhandenen Pkw für Fahrten zur Arbeitsstelle
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zumindest für die Bedürftigkeitsprüfung im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren
zuzugestehen. Bei einem Privatverkauf des (gebraucht gekauften) Pkw könnte die
Beklagte im Übrigen nicht den gleichen Erlös erzielen wie ein Autohändler, zum einen
deshalb, weil es üblich ist, bei einem privaten Verkauf gebrauchter Kraftfahrzeuge die
Sachmängelgewährleistung, soweit möglich, auszuschließen, zum anderen deshalb,
weil private Verkäufer in aller Regel die technische Beschaffenheit ihres Fahrzeugs
nicht sachkundig beurteilen können. Die Ablösung des Finanzierungsdarlehens, dessen
Laufzeit 6 Jahre betragen soll, wird unter Berücksichtigung einer zu zahlenden
Vorfälligkeitsentschädigung aus dem zu erwartenden Erlös voraussichtlich nicht ganz
gedeckt werden. Da die Beklagte bei Ankauf des Pkw im Januar 2005 noch eine
Anzahlung von 3.000,- € geleistet hat und die monatlichen Raten von 149,- € auch nicht
außer Verhältnis zum Nettoeinkommen der Beklagten stehen, ist ihr zumindest bei einer
Gesamtwürdigung aller vorgenannten Umstände ein Verkauf nicht zuzumuten.
2.) Die Kosten für die Fahrten zur Arbeitsstelle sind neben der Berücksichtigung des
Pkw-Darlehens nur noch mit einem geringeren Kilometersatz zu berücksichtigen, weil
die Kilometerpauschalen auch Beträge für den Wertverlust des Pkw enthalten. Der
Senat rechnet daher mit einer Kilometerpauschale von 0,11 €. Die Beklagte legt nach
eigenen Angaben den Weg zur Arbeit an drei Tagen pro Woche zurück. Daraus
errechnen sich Fahrtkosten wie folgt:
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6,1 km x 2 x 0,11€ x 220 : 12 : 5 x 3 = 14,76€.
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3.) Von den Versicherungskosten sind zumindest die Kosten der privaten
Krankenversicherung mit 6,17 € berücksichtigungsfähig. Die Kosten für die
Lebensversicherungen der Kinder sind nicht als notwendige Kosten anerkennungsfähig.
Der Senat unterstellt, dass die Beklagte, die keine Vermögenswerte in Form von
Lebensversicherungen in ihre Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen aufgenommen hat, kein Zugriffsrecht auf die Lebensversicherungen der
Kinder hat.
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4.) Bei Mitberücksichtigung der unter 1.) bis 3.) genannten Kosten ergibt sich folgende
Berechnung des verfügbaren Einkommens der Beklagten:
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Nettoeinkommen:
936,88 €
Abzüglich Freibetrag:
- 380,-- €
Abzüglich Erwerbstätigenfreibetrag
- 173,-- €
Abzüglich Kosten der privaten Krankenversicherung
- 6,27 €
Abzüglich Wohnkosten
- 200,-- €
Abzüglich Kosten für die Fahrt zur Arbeitsstätte:
- 14,76 €
Abzüglich Darlehensraten Pkw:
-149,-- €
Ergebnis:
13,95 €
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Aus diesem Einkommen muss die Beklagte keine Raten auf die bewilligte
Prozesskostenhilfe zahlen.
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II) Beiordnung von Rechtsanwalt aus zu den Bedingungen eines ortsansässigen
Anwalts
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Zu Unrecht hat das Amtsgericht die Beiordnung von Rechtsanwalt ausohne seine
Einwilligung mit der Beschränkung "zu den Bedingungen eines bei dem Amtsgericht
zugelassenen Anwalts" versehen.
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Zwar bestimmt § 121 Abs. 3 ZPO, dass ein nicht bei dem Prozessgericht zugelassener
Rechtsanwalt nur dann beigeordnet werden kann, wenn dadurch weitere Kosten nicht
entstehen. Daraus haben viele Gerichte den Schluss gezogen, dass auswärtige, nicht
bei dem Prozessgericht zugelassene Rechtsanwälte auch gegen ihren Willen nur zu
den Bedingungen eines ortsansässigen Anwaltes beigeordnet werden (vgl. OLG
Nürnberg, FamRZ 2002, 106; weitere Nachweise bei Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl., §
121 Rn. 13). Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfG NJW 2004, 1789)
ist jedoch durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen
Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und
Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes geboten. Daran anknüpfend
hat der BGH seine Rechtsprechung (BGH NJW 2003, 898 ff.), wonach die Zuziehung
eines in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts durch
eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei im Regelfall eine
Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i.S.d. § 91
Abs. 2 Satz 1 ZPO darstellt, auch auf das Verfahren der Beiordnung eines Anwaltes im
Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung erstreckt (BGH NJW 2004, 2749 ff.; dem
folgend OLG Hamm, NJW 2005, 1724). Denn eine ihre Belange vernünftig und
kostenbewusst wahrnehmende Partei darf für das zur Verfolgung ihrer Interessen
notwendige persönliche Beratungsgespräch mit einem Rechtsanwalt den für sie
einfacheren und nahe liegenden Weg wählen und einen an ihrem Wohn- und
Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten beauftragen (OLG Hamm
aaO). Eine Ausnahme. wird nur dann gelten können, wenn von vornherein feststeht,
dass die Kosten, welche durch die Beauftragung eines auswärtigen Anwalts entstehen,
diejenigen bei Beauftragung eines ortsansässigen Anwaltes nicht unwesentlich
übersteigen werden. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn von vornherein
absehbar ist, dass in dem Rechtsstreit mehrere Gerichtstermine stattfinden müssen.
Kann dagegen davon ausgegangen werden, dass nur ein Gerichtstermin stattfinden
wird, so werden sich die Kosten, die der Partei für ihre Anreise zu einem bei dem
Prozessgericht ansässigen Anwalt entstehen, den Reisekosten des auswärtigen
Anwaltes für die Wahrnehmung des Gerichtstermins so weit annähern, dass keine
(nennenswerten) Mehrkosten im Sinne des § 121 Abs. 3 ZPO durch dessen Beiordnung
entstehen. So liegt der Fall hier. Auch die nach der Rechtsprechung des BGH zu
prüfende Alternative, am Wohnort einen Verkehrsanwalt und am Gerichtsort einen
Hauptbevollmächtigten zu bestellen (BGH NJW 2004, 2749, 2751), führt hier nicht zu
geringeren, sondern zu höheren Kosten. Bei einer Entfernung von rund 120 km
zwischen und und einer durch die Wahrnehmung eines einzelnen Gerichtstermins
bedingten Ortsabwesenheit von bis zu 8 Stunden entstehen Fahrtkosten von (120 x 2 x
0,30 €, VV 7003) 72,- € zuzüglich Abwesenheitsgeld von 35,- €‚ insgesamt 107,- € an
Kosten. Die auf einen Verkehrsanwalt entfallende Verfahrensgebühr nach VV 3400
beträgt bei einem Streitwert von 11.326,- € (§ 42 Abs. 1 und 5 GKG: geltend gemachte
Unterhaltsbeträge = 241,- € + 2 x 284,- €‚ zu muliplizieren mit 14 Monaten) dagegen
526,- € zzgl. Umsatzsteuer = 610,16 € und liegt damit deutlich höher.
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III) Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 WO).
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