Urteil des OLG Hamm vom 12.01.2000

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Oberlandesgericht Hamm, 13 U 146/99
Datum:
12.01.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 146/99
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 2 O 8/99
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 29. Juni 1999 verkündete
Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert die Klägerin in Höhe von 7.950,86 DM.
Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Glätteunfall, der
sich am 7. Januar 1996 ereignete.
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Die Klägerin war Miteigentümerin einer Wohnung im Hause L-Straße in C. Die Beklagte
zu 1) ist Hausverwalterin. Durch schriftlichen Vertrag vom 19. März 1993 übertrug sie
namens der "WEG C, L-Straße" die hausmeisterliche Betreuung der Wohnanlage auf
die Beklagte zu 2). Diese hatte u.a. die Aufgabe, "öffentliche und nichtöffentliche
Gehwege, Zufahrten, sonstige Verkehrsflächen und Tiefgaragen zu reinigen, von
Schnee und Eis nach bestehenden Vorschriften zu befreien und bei Glatteis der
Streupflicht nachzukommen".
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Am Unfalltag, einem Sonntag, regnete es frühmorgens. Dadurch bildete sich auf
gefrorenem Boden Glatteis. Als die Klägerin gegen 11.00 Uhr das Haus verließ, kam sie
vor der Haustür auf dem zur L-Straße führenden Privatweg zu Fall. Sie behauptet, eine
Gehirnerschütterung und einen Schlüsselbeinbruch erlitten zu haben und bis zum 11.
Januar 1996 in stationärer Krankenhausbehandlung gewesen zu sein. Danach war sie
in der Haushaltsführung beeinträchtigt.
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Die Klägerin, die verheiratet und ebenso wie ihr Ehemann berufstätig ist und zwei
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minderjährige Kinder hat, hat auf der Basis von 40 Stunden pro Woche den Ersatz eines
fiktiven Haushaltsführungsschaden von insgesamt 4.320 DM verlangt, und zwar für die
ersten vier Wochen 100 % = 160 Stunden à 18 DM = 2.880 DM und für weitere vier
Wochen 50 % = 80 Stunden à 18 DM = 1.440 DM. Daneben hat sie Ersatz von - der
Höhe nach unstreitigen - Kosten für Krankenhaus- und Krankengymnastikzuzahlungen,
Taxifahrten und Rezeptgebühren in Höhe von insgesamt 106,29 DM sowie ein
Schmerzensgeld von mindestens 10.000 DM begehrt.
Die Klägerin hat behauptet, der Fußweg vom Haus zur Straße sei durchgehend glatt
gewesen, insbesondere unmittelbar vor der Haustür. Sie habe vergeblich versucht, den
neben dem Fußweg gelegenen Rasen zu erreichen.
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Die Beklagten haben behauptet, es habe Eisregen geherrscht. Ihr Mitarbeiter habe
bereits am Vorabend präventiv Tausalz gestreut und dies am Morgen des Unfalltages
gegen 10.00 Uhr wiederholt.
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Das Landgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen D, P, I
und I2. Mit dem angefochtenen Urteil hat es die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich
die Berufung der Klägerin, die sich nunmehr ein Mitverschulden von 1/3 anrechnen läßt
und ihre Ansprüche deshalb nur in Höhe von 2.950,86 DM (materielle Schäden) bzw.
5.000 DM (Schmerzensgeld) weiterverfolgt.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Der Senat hat die Klägerin persönlich gehört und Beweis erhoben durch uneidliche
Vernehmung der Zeugen B (geb. D), D2, P und I3. Wegen des Ergebnisses der
Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des
Berichterstattervermerks Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist nicht begründet.
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I.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagten aus keinem rechtlichen Grund Ansprüche auf
Schadensersatz oder Schmerzensgeld. Die Beklagten haften nicht gem. §§ 823, 847
BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Eine Verantwortlichkeit der
Beklagten für den Sturz der Klägerin am 7. Januar 1996 läßt sich nicht feststellen.
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1.
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Am Unfalltag herrschte Eisglätte. Wege und Straßen waren überfroren. Auch im Bereich
der Wohnanlage L-Straße in C war es zu Glättebildung gekommen. Die Wege mußten
deshalb zum Schutz der Bewohner und Besucher der Häuser gestreut werden.
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2.
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Die Streupflicht ist Bestandteil der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Diese oblag
hier beiden Beklagten. Die Beklagte zu 2) hat die Streupflicht durch Vertrag vom 19.
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März 1993 übernommen. Die Beklagte zu 1) war als Hausverwalterin
verkehrssicherungspflichtig. Auch der Verwalter nach dem Wohnungseigentumsgesetz
(§§ 20 ff. WEG) ist verkehrssicherungspflichtig, denn zu seinen Aufgaben gehört u.a. die
ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen
Eigentums (§ 21 Abs. 5 Ziff. 2 WEG). Die deliktische Einstands- pflicht des Verwalters
besteht nicht nur gegenüber Dritten, sondern auch gegenüber den - primär selbst
verkehrssicherungspflichtigen - Wohnungseigentümern (BGH VersR 1989, 526). Diese
sind dem Schutzzweck der Streupflicht des Verwalters nur dann entzogen, wenn sie
selbst Streudienst haben (vgl. BGH NJW 1985, 484, 485). Das war hier nicht der Fall.
Die Streupflicht der Beklagten zu 1) hat sich auf eine Kontroll- und Überwachungspflicht
verengt (BGHZ 110, 114, 121 f.), wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft den
Winterdienst wirksam auf die Beklagte zu 2) übertragen hat. Zur Sicherstellung der
Ausschaltung von Gefahren verlangt die Rechtsprechung für eine wirksame
Übertragung eine klare Absprache (vgl. BGH VersR 1988, 516; Senat, Urteil vom 4.
August 1999, 13 U 41/99). Ob diese hier vorliegt, hängt u.a. davon ab, ob die Pflichten
der Beklagten zu 2) in dem Vertrag vom 19. März 1993 deutlich genug geregelt sind. Ob
das der Fall ist, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die Beklagte zu 1) die
Beklagte zu 2) ausreichend überwacht und insbesondere kontrolliert hat, ob diese die
vertraglich übernommenen Sicherungsmaßnahmen auch tatsächlich ausführte (vgl.
BGH NJW 1996, 2646).
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3.
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Es läßt sich nicht feststellen, daß die Beklagten ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt
haben.
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a)
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Es ist nicht bewiesen, daß die Wegflächen vor dem Haus zum Zeitpunkt des Unfalls gar
nicht oder aber nur unzureichend gestreut waren. Die Klägerin hat vorgetragen, der
Boden habe geglänzt; irgendwelche Spuren von Streusalz oder anderen Streumitteln
seien nicht zu sehen gewesen. Die Zeugin D2 hat sowohl beim Landgericht als auch
bei ihrer Vernehmung durch den Senat ausgesagt, sie wisse nicht mehr, ob gestreut
gewesen sei. Auch ihre Schwester, die Zeugin B (geb. D), konnte sich daran nicht
erinnern. Der Ehemann der Klägerin, der Zeuge P, hat bekundet, er habe nicht gesehen,
daß gestreut gewesen sei. Demgegenüber hat der Zeuge I2 ausgesagt, er habe
gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Zeugin I3, die Wege am Vorabend - etwa zwischen
21.00 und 22.00 Uhr - gestreut, weil Eisregen angekündigt gewesen sei. Am nächsten
Tag habe er - wiederum gemeinsam mit seiner Ehefrau - die Wege gegen 9.00 Uhr
nachgestreut, obwohl die am Vorabend gestreuten Flächen noch zu 80 % frei gewesen
seien. Sie hätten am Rand der Gehwege jeweils einen 1 m breiten Bereich und den
Haustürbereich komplett abgestreut. Seine Aussage deckt sich im Kern mit den
Angaben der Zeugin I3. Diese hat das Streuen am Vortag bestätigt und hinzugefügt, am
nächsten Tag (Sonntag) habe man dort, wo am Vortag gestreut worden sei, gehen
können; während es woanders glatt gewesen sei, sei es dort naß gewesen; ob
nachgestreut worden sei, wisse sie nicht mehr; vermutlich sei das der Fall gewesen.
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Wenn sich nach diesem Beweisergebnis letztlich auch nicht ausschließen läßt, daß
entgegen den Aussagen der - am Ausgang des Rechtsstreits nicht uninteressierten -
Zeugen I2 und I3 am Unfalltag entweder gar nicht oder eventuell nicht genügend
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gestreut war, so kann aufgrund der ungenauen Angaben der Klägerin und der anderen
Zeugen das Gegenteil jedenfalls nicht festgestellt werden. Inwieweit die Zeuginnen B
und D2 das Geschehen überhaupt wahrgenommen oder noch in Erinnerung haben,
erscheint fraglich. Während sie gegenüber dem Haftpflichtversicherer angegeben
haben, sie seien zur Klägerin gegangen und hätten sich dabei wegen der Glätte u.a. am
Geländer vor dem Haus festhalten müssen, hat die Zeugin D2 in erster Instanz
bekundet, sie könne sich nicht mehr daran erinnern, ob es tatsächlich vor dem Haus
auch glatt gewesen sei und ob sie sich an einem Geländer habe festhalten müssen. Bei
ihrer Vernehmung durch den Senat hat sie ausgesagt, sie seien ganz vorsichtig
gegangen. Ihre Schwester, die Zeugin B, hat dagegen bekundet, sie hätten im Auto
gewartet; sie seien nicht zum Haus gegangen, weil es so glatt gewesen sei; sie hätten
Angst gehabt, genau wisse sie es nicht mehr.
b)
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Der Beweis des ersten Anscheins kommt der Klägerin nicht zugute. Aus dem Umstand,
daß sie infolge Glätte vor dem Haus gestürzt ist, könnte nur dann auf eine Verletzung
der Streu-pflicht geschlossen werden, wenn feststünde, daß die Klägerin in einem
Bereich zu Fall gekommen ist, der gestreut werden mußte. Das ist nicht der Fall.
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Die Angaben der Klägerin zur Unfallstelle sind ungenau und teilweise widersprüchlich.
In der Klageschrift hat sie vorgetragen, sie sei "direkt nach dem Verlassen des Hauses"
gestürzt. Gegenüber dem Landgericht hat sie bei ihrer persönlichen Anhörung im
Termin vom 15. Juni 1999 angegeben, sie habe beim Heraustreten aus der Haustür
versucht, von dem Gehweg auf den daneben liegenden Rasen zu kommen, weil sie
gehofft habe, daß es dort weniger glatt wäre. Sie habe beim Heraustreten gemerkt, daß
es sehr glatt war. Sie habe den Rasen aber gar nicht erreicht, sondern sei schon vorher
gestürzt. Bei ihrer persönlichen Anhörung durch den Senat hat die Klägerin erklärt, sie
habe vier bis fünf Schritte gemacht. Sie sei gefallen, als sie versucht habe, von dem
kleinen Zuweg auf den Privatweg zu gelangen.
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Ebenso ungenau sind die Angaben der Zeugen. In ihrem an den Haftpflichtversicherer
gerichteten Schreiben vom 28. August 1996 haben die Zeuginnen B und D2 die
Örtlichkeit nicht näher beschrieben, sondern nur ausgeführt, die Klägerin sei aus dem
Haus gekommen und "ganz derbe" gerutscht. Bei ihrer Vernehmung vor dem
Landgericht hat die Zeugin D2 ausgesagt, sie habe den Sturz selbst nicht beobachtet,
sondern nur gesehen, daß die Klägerin irgendwann "dort lag”. Gegenüber dem Senat
hat die Zeugin zunächst bekundet, die Klägerin sei nach vier bis fünf Schritten gefallen.
Auf Vorhalt ihrer früheren Angaben hat sie ihre Aussage korrigiert und bestätigt, daß sie
den eigentlichen Sturz nicht gesehen habe; sie habe die Klägerin "dort" liegen sehen.
Die Zeugin B hat ausgesagt, die Klägerin sei nach zwei oder drei Schritten gefallen. Der
Ehemann der Klägerin, der Zeuge P, hat bekundet, ihm sei damals gesagt worden, die
Klägerin sei etwa in der Mitte des zur Straße führenden Weges gefallen.
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Der zur Straße führende Privatweg ist nach Angaben der Klägerin ein Fußweg, der so
breit ist, daß er mit einem Auto befahren werden kann. Damit er bei Glätte von
Fußgängern sicher begangen werden kann, braucht er nicht auf seiner gesamten Breite
gestreut zu werden. Es genügt, wenn die gestreute Fläche so groß ist, daß sich zwei
Fußgänger begegnen können und für eine sichere Verbindung zum Hauseingang
gesorgt ist. Nach den - unwiderlegten - Angaben der Zeugen I2 und I3 war das der Fall.
Im Hinblick darauf kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Klägerin aus anderen
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Gründen gestürzt ist. So ist z.B. denkbar, daß sie aus mangelnder Vorsicht nicht darauf
geachtet hat, wo gestreut war und deshalb unnötigerweise eine glatte Stelle betreten
hat. Dafür sind die Beklagten nicht verantwortlich.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 10 ZPO.
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