Urteil des OLG Hamm vom 07.01.2010

OLG Hamm (haft, behörde, beschleunigungsgebot, verordnung, anordnung, beendigung, rückführung, abschiebung, falle, stadt)

Oberlandesgericht Hamm, 15 Wx 83/09
Datum:
07.01.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 Wx 83/09
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 9 T 8/09
Tenor:
Es wird festgestellt, dass der Haftanordnungsbeschluss des
Amtsgerichts vom 04.02.2009 sowie die Anordnung der Haftfortdauer
durch den angefochtenen Beschluss rechtswidrig waren.
Die Stadt S ist verpflichtet, dem Betroffenen seine außergerichtlichen
Kosten, die infolge des Haftverlängerungsantrages vom 20.01.2009
entstanden sind, zu erstatten.
G r ü n d e :
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Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 106 Abs. 2 S.1 AufenthG, 7 Abs. 1, 3
S. 2 FEVG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die
Beschwerdebefugnis des Betroffenen ergibt sich bereits daraus, dass seine
Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.
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Abgesehen von den erheblichen Bedenken, die gegen das Verfahren der Vorinstanzen,
hier insbesondere das Unterlassen einer Anhörung der Ehefrau des Betroffenen,
bestehen, war die Anordnung der Haftverlängerung und deren Bestätigung bereits
deshalb rechtswidrig, weil einer Verlängerung der Haft der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit entgegenstand.
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Richtig ist nach Einschätzung des Senats allerdings die Auffassung der Beteiligten zu
2), dass die Regelungen der VO (EG) Nr.343/2003 den Behörden des
Aufenthaltsstaates nicht die Befugnis nehmen, anstelle eines Rücknahmeverfahrens
nach den Art.16 und 17 der VO die Abschiebung eines Ausländers in seinen
Ursprungsstaat zu betreiben. Dies folgt für den vorliegenden Fall, in dem eine
Rücknahmepflicht nur nach Art.16 Abs.1 lit.e VO (EG) Nr. 343/2003 besteht, aus Art.3
Abs.3 der Verordnung.
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Gleichwohl haben die Regelungen der sog. Dublin II-Verordnung und die durch sie
begründeten Handlungsmöglichkeiten Einfluss auf die Verhältnismäßigkeit der
Sicherungshaft. Diese dient
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alleine der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung. Sie ist daher von vorneherein
ausgeschlossen, wenn die Aufenthaltsbeendigung auch ohne Haft gesichert erscheint
oder umgekehrt unmöglich ist. Aber auch in zeitlicher Hinsicht muss sich die Haftdauer
an den Möglichkeiten einer rechtmäßigen Aufenthaltsbeendigung messen lassen. Dies
kommt insbesondere im sog. Beschleunigungsgebot zum Ausdruck, das die Behörde
verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet erscheinen, die Haft auf das
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unbedingt erforderliche Maß zu begrenzen.
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Es mag zweifelhaft sein, ob das Beschleunigungsgebot die Behörde im Falle eines
Haftantrages immer verpflichtet, von mehreren in Betracht kommenden Zielländern
dasjenige auszuwählen, das die schnellste Durchführung der Aufenthaltsbeendigung
erwarten lässt. Denn dem Beteiligten zu 2) ist zuzugeben, dass das
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öffentliche Interesse nicht nur auf die schnelle Beendigung
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eines illegalen Aufenthalts gerichtet ist, sondern auch auf
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eine effektive Beendigung, die einer konkreten Gefahr, dass der Ausländer sofort
zurückkehrt, begegnen kann. Richtig ist
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weiter, dass das Verhalten des Betroffenen hier die Annahme rechtfertigte, er werde im
Falle einer Rückführung in die
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Niederlande alsbald wieder illegal einreisen.
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Auch wenn man aber davon ausgeht, dass diese Gesichtspunkte in die gebotene
Güterabwägung einzubeziehen sind, dann muss angesichts der überragenden
Bedeutung des Freiheitsgrundrechts hierfür ein strenger Maßstab gelten. Eine
Haftverlängerung über drei Monate hinaus kommt danach unter Berücksichtigung der
aus § 62 Abs.2 S.4 AufenthG sprechenden gesetzgeberischen Wertung grundsätzlich
nicht in Betracht. Denn unter Berücksichtigung der Fristenregelung in Art.20 Abs.1 lit. b
und c) VO (EG) Nr. 343/2003 kann davon ausgegangen werden, dass ein
Rücknahmeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten –vorbehaltlich von Rechtsmitteln
des Betroffenen- jedenfalls binnen drei Monaten durch Vollzug der Rückführung zum
Abschluss gebracht werden kann. Wenn anstelle des Rückführungsverfahrens die
Abschiebung in das Ursprungsland betrieben wird, so kann eine hierdurch eintretende
Verzögerung über den zeitlichen Vergleichsrahmen des Dublin II-Verfahrens hinaus
dem Betroffenen nicht mehr als von ihm zu vertretender Umstand im Sinne des § 62
Abs.2 S.4 AufenthG zugerechnet werden.
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Gemäß § 16 FEVG, der auch dann Anwendung findet, wenn sich das Verfahren in der
Hauptsache erledigt hat, war vorliegend die Erstattung der außergerichtlichen Kosten
durch die Stadt S als Körperschaft der antragstellenden Behörde anzuordnen, da das
Verfahren aus den vorgenannten Gründen erbracht hat, dass der
Haftverlängerungsantrag zu Unrecht gestellt worden ist. Der Antrag des Betroffenen auf
Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren III. Instanz ist damit
gegenstandslos.
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