Urteil des OLG Hamm vom 01.07.2003

OLG Hamm: treu und glauben, agb, abnahme des werkes, allgemeine geschäftsbedingungen, bürge, bürgschaftsvertrag, sicherheitsleistung, unternehmer, liquidität, vollstreckung

Oberlandesgericht Hamm, 19 U 38/03
Datum:
01.07.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 U 38/03
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 9 O 545/02
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 9. Januar 2003 verkündete
Urteil der Zivilkammer IV des Landgerichts Detmold wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
Be-klagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu voll-
streckenden Betrages leistet.
Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
Gründe
1
I.
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Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des
angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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In der Berufung trägt die Klägerin vor,
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die von ihr in Ziffer 6.2 der Besonderen Vertragsbedingungen verwendete Klausel sei
nicht nach § 9 AGBG a.F. unwirksam. Die Grundsätze der Rechtsprechung des BGH
über die Unwirksamkeit von AGB-Klauseln, die einen Gewährleistungseinbehalt oder
eine Verpflichtung zur Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern zum Inhalt haben,
seien nicht auf solche AGB-Klauseln übertragbar, die von einem öffentlichen
Auftraggeber verwendet werden. Denn anders als bei einem privaten sei bei einem
öffentlichen Auftraggeber weder ein Insolvenzrisiko noch die Gefahr einer
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missbräuchlichen Inanspruchnahme der Bürgschaft gegeben.
Jedenfalls könne sich die Beklagte nach § 242 BGB nicht auf die Unwirksamkeit dieser
Klausel berufen, da sie die Bürgschaft in Kenntnis der hierzu maßgeblichen
höchstrichterlichen Rechtsprechung gegeben habe.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an
sie einen Betrag in Höhe von 12.176,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %
über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2002 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt die Auffassung, hinsichtlich der
Unwirksamkeit einer Verpflichtung in allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Stellung
einer Bürgschaft auf erstes Anfordern könne bei einem öffentlichen Auftraggeber nichts
anderes gelten als bei einem privaten Auftraggeber. Eine unangemessene
Benachteiligung des Auftragnehmers liege in der Gefahr eines Liquiditätsentzuges.
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II.
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Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Dem allein in Betracht kommenden Anspruch der Klägerin aus dem Bürgschaftsvertrag
nach § 765 BGB stehen Einwendungen der Beklagten nach § 242 BGB entgegen.
14
1.
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Zwischen der Klägerin und der Beklagten ist ein wirksamer Bürgschaftsvertrag i.S.d. §
765 BGB zustande gekommen. Eine etwaige Unwirksamkeit der Sicherungsabrede
zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin führt jedenfalls nicht zur
Unwirksamkeit des Bürgschaftsvertrages (BGH NJW 2001, 1857).
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Die Klägerin macht hier gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe
von 12.176,93 EUR aufgrund eines im Jahre 2000 eingestürzten Vordaches geltend,
den die inzwischen insolvente Hauptschuldnerin bereits dem Grunde nach anerkannt
hat. Die von der Beklagten vorgebrachten Einwände gegen die Höhe der
Hauptforderung ergeben sich weder aus dem unstreitigen Sachverhalt noch aus dem
Inhalt der Vertragsurkunden und sind daher einem Rückforderungsprozess vorbehalten
(st. Rspr., vgl. BGH NJW 2001, 1857).
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Die von der Beklagten übernommene Bürgschaft umfasst den von der Klägerin gegen
die Hauptschuldnerin geltend gemachten Anspruch. Nach der Bürgschaftsurkunde
wurde die Bürgschaft übernommen für die "Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus
dem Vertrag, insbesondere für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung
einschließlich der Abrechnung, Gewährleistung und Schadensersatz" zwischen der
Klägerin und der Hauptschuldnerin. Eine Begrenzung der Haftung für Ansprüche bis
zum Abnahmezeitpunkt wird von der Beklagten nicht vorgetragen und lässt sich aus der
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Bürgschaft auch nicht entnehmen. Vielmehr wollten die Parteien, dass die Bürgschaft
"sämtliche Ansprüche", also insbesondere auch möglicherweise nach der Abnahme
entstehende Gewährleistungsansprüche der Klägerin absichert (§§ 133, 157 BGB).
2.
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Der Durchsetzbarkeit des Anspruchs steht jedoch der Einwand des Rechtsmissbrauchs
nach § 242 BGB entgegen.
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2.1
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Der Einwand ist begründet, weil es im Verhältnis zwischen der Klägerin und der
Hauptschuldnerin an einer wirksamen Verpflichtung zur Stellung eines durch Bürgschaft
auf erstes Anfordern ablösbaren Sicherheitseinbehalts für Gewährleistungsansprüche,
die nach der Abnahme entstehen, fehlt.
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Der Bürge kann Einwendungen aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem Gläubiger und
dem Hauptschuldner nur dann bereits in dem Erstprozess erheben, wenn sie sich aus
dem unstreitigen Sachverhalt oder dem Inhalt der Vertragsurkunden ohne weiteres
ergeben. Denn nach § 242 BGB braucht ein Bürge der Zahlungsaufforderung nicht
nachzukommen, wenn der Gläubiger offensichtlich seine formelle Rechtsstellung als
Inhaber einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ausnutzt. Ein solcher Rechtsmissbrauch
liegt auch dann vor, wenn der Bürgschaftsvertrag nur der Erfüllung einer
Sicherungsabrede zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner dient, sich aus
dieser Sicherungsabrede jedoch kein wirksamer Anspruch des Gläubigers auf Erhalt
einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ergibt (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2001, 1857 f.).
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Der Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten liegt die Sicherungsabrede zwischen der
Klägerin und der Hauptschuldnerin zugrunde, die in Ziffer 6.2 der Besonderen
Vertragsbedingungen der Klägerin enthalten ist. Danach ist für Gewährleistungs- und
Schadensersatzansprüche ein Sicherheitseinbehalt in Höhe von 5 % vorgesehen, der
durch eine "selbstschuldnerische Bürgschaft nach dem Muster des Auftraggebers"- eine
Bürgschaft auf erstes Anfordern - ersetzt werden konnte. Diese Klausel ist nach § 9
AGBG a.F. i.V.m. § 24 AGBG a.F. - die gemäß Art. 229 § 5 S.1 EGBGB anzuwenden
sind - unwirksam.
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2.1.1
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Bei der Regelung in Ziffer 6.2 der Besonderen Vertragsbedingungen der Klägerin
handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung der Klägerin i.S.d. § 1 AGBG
a.F.
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2.1.2
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Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. NJW 1997, 2598, 2599; NJW 2001,
1857, 1858) ist die Vereinbarung eines Sicherheitseinbehalts von 5 % der jeweiligen
Auftragssumme für eine Gewährleistungszeit von 5 Jahren mit § 9 Abs. 1 AGBG a.F.
unvereinbar. Denn durch die Abweichung von § 641 BGB a.F., wonach bei Abnahme
des Werkes die volle Vergütung zu zahlen und von diesem Zeitpunkt an im Zweifel zu
verzinsen ist, wird der Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben
unangemessen benachteiligt, ohne dass ihm ein angemessener Ausgleich gewährt
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wird. Ein angemessener Ausgleich liegt insbesondere nicht in dem Recht, den
Einbehalt durch Bürgschaft auf erstes Anfordern abzulösen. Denn die Bürgschaft auf
erstes Anfordern führt dem Gläubiger sofort liquide Mittel zu, wenn er den Bürgschaftsfall
für eingetreten erklärt. Der Bürge bzw. der von dem Bürgen in Anspruch genommene
Auftragnehmer ist wegen seiner Ansprüche auf einen unter Umständen langjährigen
Rückforderungsprozess angewiesen und muss während dieser Zeit in vollem Umfang
das Risiko der Bonität des Auftraggebers tragen. Zudem kann die Bürgschaft auf erstes
Anfordern den Auftraggeber dazu verleiten, sich durch eine unberechtigte
Inanspruchnahme des Bürgen einen Liquiditätsvorteil zu verschaffen.
2.1.3
29
Der Einwand der Klägerin, ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 AGBG a.F. liege schon
deshalb nicht vor, weil hier die Gewährleistungszeit nicht fünf, sondern nur zwei Jahre
betragen hat, greift nicht durch.
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Unabhängig von Höhe und Dauer des Sicherheitseinbehaltes ist eine Klausel über
einen Einbehalt, der ausschließlich durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst
werden kann, unwirksam (BGH, Beschluss vom 17.01.2002 - VII ZR 495/00). Die
unangemessene Benachteiligung liegt darin, dass die mit einer solchen AGB-Klausel
verbundene Machtposition des Auftraggebers unabhängig von ihrer Dauer zum
Missbrauch reizen kann und dem gesetzlichen Leitbild des BGB sowie den Vorschriften
der VOB widerspricht (Bomhard, BauR 1998, 179, 182; Sienz, BauR 2002, 1241, 1243
f.; Schmitz, IBR 2002, 663).
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2.1.4
32
Zu Unrecht wendet die Klägerin ein, die AGB-Klausel sei deswegen nicht nach § 9 Abs.
1 AGBG a.F. unwirksam, weil die Hauptschuldnerin die geforderte Sicherheitsleistung
auch hätte hinterlegen können.
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AGB-Klauseln, die einen durch Bürgschaft auf erstes Anfordern ablösbaren
Sicherheitseinbehalt verlangen, schließen das Wahlrecht des Auftragnehmers nach §
17 Nr. 3 VOB/B regelmäßig aus. Denn der alleinige Hinweis auf die mögliche Ablösung
des Gewährleistungseinbehaltes durch eine Bürgschaft ist dahin auszulegen, dass nur
diese Sicherheitsleistung dem Auftragnehmer als Ersetzungsalternative vorbehalten
werden soll (BGH NJW 2002, 1863, 1864).
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Eine Einbeziehung der Sicherheiten nach § 17 VOB/B ergibt sich entgegen der Ansicht
der Klägerin nicht daraus, dass hinter Ziffer 6 der Besonderen Vertragsbedingungen der
Klägerin in Klammern die entsprechende Vorschrift der VOB/B genannt war. Vielmehr
wird bei jeder Ziffer der Besonderen Vertragsbedingungen auf die entsprechende
Vorschrift der VOB/B Bezug genommen. Diese Bezugnahmen sollen lediglich deutlich
machen, welche Vorschriften der VOB/B ersetzt oder modifiziert werden. Soweit neben
einer Klausel die entsprechende VOB/B Bestimmung anwendbar bleiben soll, wird das
in der jeweiligen Klausel selbst ausdrücklich deutlich gemacht, z.B. Ziffer 7.4: "Die
Gewährleistungsansprüche richten sich nach § 13 VOB/B." Das ist in Ziffer 6 jedoch
nicht geschehen.
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2.1.5
36
Entgegen der Ansicht der Klägerin ändert der Umstand, dass es sich bei der Klägerin
um eine öffentliche Auftraggeberin handelt, nichts an der Unwirksamkeit der AGB-
Klausel.
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Die Frage, ob die von dem BGH entwickelten Grundsätze über die Unwirksamkeit von
Sicherungsabreden in AGB-Klauseln, die Gewährleistungseinbehalte bzw.
Bürgschaften auf erstes Anfordern vorsehen, auf Bauverträge der öffentlichen Hand
Anwendung finden, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet.
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In der bisherigen Rechtssprechung der Oberlandesgerichte wird die formularmäßige
Verpflichtung des Auftragnehmers zur Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern im
Bauvertrag eines öffentlichen Auftraggebers für wirksam erachtet. Zur Begründung wird
darauf hingewiesen, dass bei öffentlichen Auftraggebern anders als bei privaten
Auftraggebern gerade kein Insolvenzrisiko bestehe (OLG Koblenz, IBR 2003, 245; OLG
München, BauR 1995, 859, 860; OLG Stuttgart, BauR 1994, 376, 377). Zudem wird § 17
Nr. 6 Abs. 4 VOB/B angeführt, wonach öffentliche Auftraggeber berechtigt sind, den als
Sicherheit einbehaltenen Betrag auf ein eigenes Verwahrkonto zu nehmen. Wer einen
Sicherheitseinbehalt auf einem eigenen Konto verwalten darf, werde auch nicht durch
eine Bürgschaft auf erstes Anfordern unangemessen bevorzugt (OLG München, BauR
1995, 859, 860).
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Demgegenüber differenziert die überwiegende Auffassung in der Literatur hinsichtlich
der Wirksamkeit von AGB-Klauseln, die einen durch Bürgschaft auf erstes Anfordern
ablösbaren Sicherheitseinbehalt vorsehen, nicht danach, ob die Klausel von einem
privaten oder einem öffentlichen Auftraggeber verwendet wird. In beiden Fällen soll die
AGB-Klausel nach § 9 AGBG a.F. unwirksam sein. Denn gerade bei einem öffentlichen
Unternehmer widerspreche es dem Leitbild des § 17 VOB/B, sich durch allgemeine
Geschäftsbedingungen gegenüber einem einzelnen Unternehmer einen einseitigen
Zugriff auf Gelder verschaffen zu wollen (Kainz, BauR 1995, 616, 626; Ulbrich, BauR
1994, 377, 378). Zudem führe die Bürgschaft auf erstes Anfordern unabhängig davon,
ob als Auftraggeber ein privater Unternehmer oder die öffentliche Hand auftrete, zu
einem Liquiditätsverlust des Auftragnehmers (Leinemann, VOB-Kommentar, 2002, § 17
Rn. 84; Rübartsch, IBR 2003, 245). Ein erheblicher Liquiditätsverlust ergebe sich schon
daraus, dass die Avalgebühren für eine Bürgschaft auf erstes Anfordern regelmäßig
höher seien als die für eine gewöhnliche Bürgschaft (Leinemann, VOB-Kommentar,
2002, § 17 Rn. 84).
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Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung. Ebenso wenig wie es für die
Wirksamkeit solcher AGB-Klauseln darauf ankommt, ob als Auftragnehmer ein
Kaufmann oder eine Privatperson auftritt (BGH NJW 2002, 2388, 2389), ist nicht
entscheidend, ob als Auftraggeber ein Privater oder die öffentliche Hand tätig wird. Auch
bei einem öffentlich-rechtlichen Auftraggeber bietet die Bürgschaft auf erstes Anfordern
keine faire Alternative, die eine in der Höhe und Dauer des Einbehalts liegende
unangemessene Benachteiligung auszugleichen vermag. Zwar trägt der Auftragnehmer
bei einem öffentlichen Auftraggeber kein Insolvenzrisiko. Die unangemessene
Benachteiligung folgt aber daraus, dass ihm durch die Verpflichtung, eine Bürgschaft auf
erstes Anfordern zu stellen, das Risiko eines Liquiditätsentzuges aufgebürdet wird.
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Die Liquidität des Auftragnehmers ist bereits dadurch beeinträchtigt, dass er gegenüber
einer gewöhnlichen selbstschuldnerischen Bürgschaft höhere Avalgebühren zu tragen
hat. Weiter trägt der Auftragnehmer das Risiko, dass ihm im Falle einer
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Inanspruchnahme des Bürgen Liquidität in Höhe des unangemessenen 5 %igen
Sicherheitseinbehaltes für ungewisse Dauer entzogen wird. Ein Liquiditätsverlust des
Auftragnehmers tritt ein, wenn der Auftraggeber den Bürgen aus der Bürgschaft auf
erstes Anfordern in Anspruch nimmt und der Bürge wiederum bei dem Auftragnehmer
Rückgriff. Der Auftragnehmer kann dann sämtliche Einwendungen gegen den Anspruch
des Auftraggebers erst in einem späteren Rückforderungsprozess geltend machen, der
wiederum über mehrere Instanzen ausgetragen und daher mehrere Jahre in Anspruch
nehmen kann.
Zwar mag das Missbrauchsrisiko bei öffentlichen Auftraggebern geringer sein, Es ist
jedoch nicht völlig auszuschießen. Die Praxis zeigt zudem, dass Bauprozesse, an
denen die öffentliche Hand beteiligt ist, nicht selten über lange Jahre und bis in's Detail
geführt werden, weil die einzelnen Beamten gegenüber Vorgesetzten,
Rechnungsprüfungsämtern und den Selbstverwaltungsgremien unter
Rechtfertigungsdruck stehen und deshalb manchmal die Bereitschaft zu pragmatischen
und den Prozeß beschleunigenden Problemlösungen fehlt. Ferner ist es denkbar, dass
bei einzelnen Mitarbeitern in Zeiten knapper öffentlicher Kassen und Haushaltssperren
die Neigung größer wird, Zweifel an dem Bestehen eines durchsetzbaren Anspruchs
zurückzustellen und gegen den Hauptschuldner aus der Bürgschaft vorzugehen.
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Allerdings ist es richtig, dass dem öffentlichen Auftraggeber durch § 17 Nr. 6 Abs. 4
VOB/B die Möglichkeit eingeräumt wird, Sicherheitseinbehalte auf ein eigenes
Verwahrkonto ohne Verzinsung zu nehmen. Diese Bestimmung ist jedoch nur
deswegen und so lange unbedenklich im Sinne von § 9 AGBG a.F., als nicht die
Gesamtausgewogenheit der Regelungen zur Sicherheitsleistung beeinträchtigt wird,
weil der Auftragnehmer das Ersetzungrecht - u.a. durch bloße selbstschuldnerische
Bürgschaft - hat. Die Ausgewogenheit ist aber nicht mehr gegeben, wenn dem
Auftragnehmer nur die Alternativen Einbehalt in unangemessener Höhe und Bürgschaft
auf erstes Anfordern verbleiben.
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Schließlich sieht § 14 VOB/A vor, dass öffentliche Auftraggeber Sicherheiten nur
restriktiv verlangen sollen. Es widerspricht dem Grundgedanken dieser Regelungen,
wenn in allgemeinen Vertragsbedingungen ohne Prüfung des Einzelfalles Klauseln mit
dem hier vorliegenden Inhalt vereinbart werden.
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2.1.6
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Mangels eines angemessenen Ausgleichs für die Belastungen infolge des
Sicherheitseinbehalts ist Ziffer 6.2 der Besonderen Vertragsbedingungen der Klägerin
insgesamt nach § 9 Abs. 1 AGB a.F. unwirksam. Auf die Frage, ob die Klausel über die
Austauschsicherheit in Satz 2 der Ziffer 6.2 eine teilbare Regelung bildet, kommt es
nicht an (BGH NJW 2002, 894, 895).
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2.2
48
Zu Unrecht wendet die Klägerin ein, die Beklagte verstoße gegen Treu und Glauben,
indem sie in Kenntnis der BGH-Rechtsprechung über die Unwirksamkeit
entsprechender AGB-Klauseln in Bauverträgen einen Bürgschaftsvertrag
abgeschlossen habe, sich dann aber bei einer Inanspruchnahme aus der Bürgschaft auf
diese BGH-Rechtsprechung berufe.
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Die Beklagte mußte im Zeitpunkt des Abschlusses des Bürgschaftsvertrages nicht von
einer Unwirksamkeit der Verpflichtung der Hauptschuldnerin zur Stellung dieser
Bürgschaft ausgehen. Die Bürgschaft ist bereits vor Abnahme übergeben worden und
sollte zunächst auch die vor Abnahme entstehenden Ansprüche der Klägerin absichern.
Ob und inwieweit eine formularmäßig verwendete Klausel über eine solche
Vertragserfüllungsbürgschaft mit § 9 AGB a.F. vereinbar ist, war jedoch zur Zeit des
Abschlusses des Bürgschaftsvertrages noch nicht höchstrichterlich geklärt. Der BGH hat
erst mit Urteil vom 18.4.2002 (BGH NJW 2002, 2388 f.) entschieden, dass solche
Klauseln gegen § 9 AGB a.F. verstoßen. Zudem ist es bis heute noch nicht
höchstrichterlich geklärt, inwieweit die BGH-Grundsätze über die formularmäßige
Verpflichtung zur Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern auf öffentliche
Auftraggeber übertragbar sind. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte
wusste, dass die Verpflichtung zur Stellung der Bürgschaft in allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Klägerin vereinbart worden ist.
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2.3.
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Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Vertrag zwischen ihr und der
Hauptschuldnerin nicht dahingehend auszulegen, dass die Hauptschuldnerin
verpflichtet ist, eine selbstschuldnerische Bürgschaft zu stellen.
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Der BGH hat zwar mit Urteil vom 4.7.2002 für den Fall einer unwirksamen AGB-Klausel,
die den Auftragnehmer zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft verpflichtete,
entschieden, dass die Lücke im Vertrag im Wege ergänzender Vertragsauslegung
dahingehend geschlossen werden müsse, dass der Auftragnehmer zur Stellung einer
unbefristeten, selbstschuldnerischen Bürgschaft verpflichtet sei (BGH NJW 2002, 3098,
3099). Diese Grundsätze sind jedoch auf den vorliegenden Fall einer
Gewährleistungssicherheit nicht anwendbar. Eine unwirksame AGB-Klausel, die einen
allein durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern ablösbaren Gewährleistungseinbehalt
enthält, ist nicht als Verpflichtung zur Stellung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft
aufrechtzuerhalten (BGH NJW 2002, 894, 895; NJW 2001, 1857, 1858). Wenn der
Auftraggeber durch seine AGB zu erkennen gibt, dass er als Gewährleistungssicherheit
nur zwei Alternativen akzeptieren will, die ein unangemessene Benachteiligung des
Auftragnehmers bedeuten, ist für eine Auslegung kein Raum.
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III.
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Die Entscheidungen zur Kostentragung und zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen
auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Senat hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO zugelassen. Die
Rechtsfrage, ob eine Verpflichtung zur Stellung eines durch Bürgschaft auf erstes
Anfordern ablösbaren Sicherheitseinbehalts in AGB-Klauseln auch dann gegen § 9
AGBG a.F. bzw. § 307 BGB n.F. verstößt, wenn diese Klausel von einem öffentlichen
Auftraggeber verwendet wird, ist bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt worden.
Zudem liegt eine Rechtsprechungsdivergenz vor, da der Senat in dieser Frage von der
Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte (OLG Koblenz, IBR 2003, 245; OLG
München, BauR 1995, 859, 860; OLG Stuttgart, BauR 1994, 376, 377) abweicht.
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