Urteil des OLG Hamm vom 10.06.2008

OLG Hamm: pflichtverteidiger, bewährung, strafrichter, revisionsgrund, widerruf, form, sperre, datum

Oberlandesgericht Hamm, 5 Ss 237/08
Datum:
10.06.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
5. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 Ss 237/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Essen, 38 Ds 32 Js 2280/07 (64/08)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts -
Strafrichter - Essen zurückverwiesen.
Gründe:
1
I.
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Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil vom 20.
Februar 2008 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe
von 6 Monaten verurteilt und gegen ihn eine Sperre von 3 Jahren für die Erteilung einer
neuen Fahrerlaubnis verhängt (§§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, 69 a StGB). Gegen dieses
Urteil hat der Angeklagte am 27. Februar 2008 zunächst ein unbenanntes "Rechtsmittel"
eingelegt, das er durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. März 2008 als Revision
bezeichnet und mit selbigem Schriftsatz mit der Verletzung formellen und materiellen
Rechts begründet hat.
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II.
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Die Sprungrevision ist gem. § 335 StPO statthaft und auch sonst zulässig eingelegt
worden. In der Sache hat sie einen – zumindest vorläufigen – Erfolg. Das Urteil
unterliegt bereits aufgrund der Verfahrensrüge wegen unterbliebener Mitwirkung eines
Verteidigers der Aufhebung.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 03. Juni 2008 zu der
Sprungrevision des Angeklagten u. a. folgendes ausgeführt:
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"Der Angeklagte macht mit seiner gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO in zulässiger
Form begründeten Verfahrensrüge zu Recht den Revisionsgrund gemäß §§ 140
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Abs. 2, 338 Nr. 5 StPO geltend, weil die Hauptverhandlung gegen ihn ohne den
Beistand eines Verteidigers und somit in Abwesenheit einer Person, deren
Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Insoweit ist es unerheblich,
dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung die Beiordnung eines
Pflichtverteidigers nicht beantragt hat. Denn der Revisionsgrund des § 338 Nr. 5
StPO gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen der Generalklausel des § 140 Abs.
2 StPO vorliegen, ein Verteidiger aber nicht bestellt worden ist (zu vgl. Meyer-
Goßner, StPO, 50 Aufl., § 338 Rdn. 41; OLG Hamm, Beschluss vom 18.01.2001 – 2
Ss 1243//00 – m. w. N.).
Die Mitwirkung eines Verteidigers war in der Hauptverhandlung am 20.02.2008
gemäß § 140 Abs. 2 StPO aber notwendig. Nach dieser Vorschrift ist einem
Angeklagten u. a. dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn dies wegen der
"Schwere der Tat" geboten erscheint. Die "Schwere der Tat" beurteilt sich vor allem
nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung, nämlich ob die zu erwartende
Rechtsfolge einschneidend für den Angeklagten ist (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO,
50. Aufl., § 140 Rdn. 23 m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte
hier dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müssen. Zwar ist
der Angeklagte nicht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung
verurteilt worden, was in der Regel ohne Weiteres die Beiordnung eines
Pflichtverteidigers erforderlich gemacht hätte (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 140
Rdnr. 23). Von entscheidender Bedeutung ist jedoch, dass dem Angeklagten in zwei
anderen Verfahren wegen der hier abgeurteilten Tat der Widerruf von
Strafaussetzungen zur Bewährung droht. Dabei handelt es sich zum einen um die
durch Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 20.10.2004 nachträglich gebildete
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, bei der die
Bewährungszeit bis zum 20.10.2008 verlängert worden ist, und zum anderen um
eine Verurteilung durch das Amtsgericht Essen vom 11.07.2007 zu einer
Freiheitsstrafe von vier Monaten, bei der die Bewährungszeit bis zum 10.07.2010
verlängert worden ist. Damit droht dem Angeklagten – neben der in diesem
Verfahren verhängten Freiheitsstrafe – insgesamt eine Strafverbüßung von 24
Monaten. Dem Angeklagten hätte daher wegen der zu erwartenden
schwerwiegenden Nachteile ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müssen.
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Da nach alledem das angefochtene Urteil schon wegen des Verstoßes gegen § 140
Abs. 2 StPO keinen Bestand haben kann, kommt es auf die im Übrigen vom
Angeklagten erhobene allgemeine Sachrüge nicht mehr an."
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Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum
Gegenstand seiner Entscheidung.
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Das angefochtene Urteil war daher, entsprechend dem Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft, gem. § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben und die Sache zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine
andere Abteilung des Amtsgerichts – Strafrichter – Essen zurückzuverweisen; § 354
Abs. 2 StPO.
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