Urteil des OLG Hamm vom 22.10.1997

OLG Hamm (kläger, angriff, härte, zeuge, verschulden, gruppe, verletzung, spiel, beweisaufnahme, besitz)

Oberlandesgericht Hamm, 13 U 62/97
Datum:
22.10.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 62/97
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 4 O 509/96
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 25. Februar 1997 verkündete
Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert den Kläger in Höhe von 12.651,70 DM.
Tatbestand:
1
Von der Darstellung des
Tatbestandes
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Entscheidungsgründe
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Am 19.04.1996 spielte eine Gruppe von jüngeren Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren,
zu der der damals 9jährige Kläger gehörte, gegen eine Gruppe von älteren Kindern und
Jugendlichen im Alter von 11 bis 16 Jahren, zu der der seinerzeit 16jährige Beklagte
gehörte, auf der Sandfläche (4 × 10 Meter) eines Spielplatzes Fußball. Dies geschah in
der Weise, daß sich die ältere Gruppe den Ball zuspielte und die jüngere Gruppe
versuchte, den Ball abzufangen.
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Der Kläger nimmt den Beklagten wegen einer durch diesen im Rahmen des
Fußballspiels verursachten Körperverletzung gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB auf
materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
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I
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Dein Kläger steht der geltend gemachte Schadensersatz nicht zu, weil er nicht
bewiesen hat, daß ein schuldhafter Regelverstoß des Beklagten zu seiner Verletzung
führte.
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Eine Haftung für Verletzungen beim Fußballsport ist nach der Rechtsprechung des BGH
nur dann gegeben, wenn ein schuldhafter Regelverstoß zur Verletzung führt, wobei ein
Verschulden nicht vorliegt, wenn der Regelverstoß im Grenzbereich zwischen der
einem solchen Kampfspiel eigenen gebotenen Härte und Unfairneß liegt. (vgl. BGH Urt.
v. 05.11.74, VersR 75, 137 = BGHZ 63, 140; BGH Urt. v. 10.02.76, VersR 76, 591)
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1.
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a)
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Der Kläger kann einen Regelverstoß nicht auf seine erstmals in der Berufung
aufgestellte Behauptung stützen, das Spiel sei so vereinbart gewesen, daß nur die
Kleinen den Großen den Ball abnehmen sollten und nicht umgekehrt. Die Verabredung
einer solchen Spielregel ist nicht erwiesen.
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Nach der Parteianhörung und den Zeugenaussagen in erster Instanz ist vielmehr davon
auszugehen, daß auch die Großen den Kleinen den Ball wieder abnehmen sollten,
wenn diese in Ballbesitz gekommen waren.
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Der Kläger hat bei seiner Anhörung im Senatstermin angegeben, daß bereits vor ihm
ein Kleiner einen Ball abgefangen hatte, der diesem dann wieder von einem Großen
abgenommen worden sei. Für ein solches wechselseitiges Abnehmen des Balles
spricht auch die Spielweise des Klägers. Bei der behaupteten Regel ist es nicht
nachvollziehbar, daß der Kläger den Ball gegen einen Zaun spielen wollte.
Regelgerecht wäre es gewesen, nachdem der Kläger in den Besitz des Balles gelangt
war, diesen wieder einem Großen zuzuspielen, damit das Spiel neu beginnen konnte.
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Auch die Beweisaufnahme in erster Instanz spricht gegen die behauptete Regel. Keine
der Zeugenaussagen weist auf diesen Umstand hin. Der Angriff des Beklagten wird vom
Anlaß her nicht in Frage gestellt. Alle Aussagen gehen wie selbstverständlich davon
aus, daß der Beklagte nach der Art und Weise des Spiels versuchen durfte, wieder in
den Besitz des Balles zu gelangen. Sie beschäftigen sich nur mit dem Angriff selbst.
Dies erscheint ungewöhnlich, wenn es die vom Kläger behauptete Regel gegeben
hätte. So hat der Bruder des Klägers, der Zeuge ..., ausgesagt, als der Kläger in den
Besitz des Balles gekommen sei, habe er wohl eine Ahnung gehabt, daß er ihn nicht
halten könne und habe ihn deshalb gegen den Zaun schießen wollen. Eine solche
Aussage macht nur Sinn, wenn auch die Großen den Kleinen den Ball abnehmen
durften.
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b)
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Mangels Vereinbarung bestimmter Regeln sind daher die allgemeinen Fußballregeln,
wie sie auch für reguläre Fußballspiele verbindlich sind, anzuwenden (OLG Hamm,
NJW-RR 1992, 856). Die praktizierte Spielweise (Kampf um den Ball) entspricht der
Spielweise in regulären Fußballspielen mit der Abweichung, daß hier der Kampf um
den Ball zum alleinigen Zweck erhoben wurde.
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Unter Anwendung dieser Regeln hat der Beklagte objektiv einen Regelverstoß
begangen. Er hat beim Hineingrätschen nicht den Ball gespielt, sondern das Schienbein
des Klägers getroffen. Nach den Fußballregeln darf der Spieler nur gegen den Ball und
nicht gegen den Gegenspieler treten. Der Beklagte hat im Rahmen seiner Anhörung in
erster Instanz eingeräumt, daß er den Ball nicht gespielt, vielmehr den Kläger am
Schienbein getroffen hat. Damit ist ein objektiver Regelverstoß gegeben.
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2.
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Der Beklagte hat jedoch nicht schuldhaft gehandelt.
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a)
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Der objektive Regelverstoß indiziert nicht automatisch ein schuldhaftes Verhalten.
Hektik und Eigenart des Fußballspiels als blitzschnelles Kampfspiel fordern von dem
einzelnen Spieler oft Entscheidungen und Handlungen, bei denen er in Bruchteilen
einer Sekunde Chancen abwägen und Risiken eingehen muß, um dem Spielzweck
erfolgreich Rechnung zu tragen. Bei einem so angelegten Spiel ist es erforderlich, die
Meßlatte für einen Schuldvorwurf nicht allzu niedrig anzusetzen. Ein Schuldvorwurf ist
daher dann berechtigt, wenn die durch den Spielzweck gebotenen bzw. noch
gerechtfertigte Härte die Grenze zur Unfairneß überschreitet. Solange sich das
Verhalten des Spielers noch im Grenzbereich zwischen kampfbetonter Härte und
unzulässiger Unfairneß bewegt, ist ein Verschulden trotz objektiven Regelverstoßes
nicht gegeben (vgl. BGH VersR 76, 591).
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b)
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Unter Beachtung dieser Maßstäbe ist vorliegend ein Verschulden des Beklagten nicht
feststellbar. Der Kläger, der die volle Beweislast trägt (BGH, a.a.O.), hat nicht bewiesen,
daß der Beklagte mit großer Geschwindigkeit auf ihn zugekommen, kurz vorher
abgesprungen und ihm dann mit ausgestreckten Beinen in seine Beine gerutscht ist.
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Sämtliche Zeugen, einschließlich des Klägers, der ebenfalls als Zeuge vernommen
wurde, konnten bei ihrer Vernehmung in erster Instanz keine verläßlichen Angaben zum
Schadenshergang machen, auf die eine gerichtliche Überzeugungsbildung hätte
gestützt werden können. Übereinstimmend und hinreichend konkret ist nur die Angabe,
daß der Beklagte eine Grätsche gemacht hat. Ob dies mit dem rechten oder linken oder
gar mit beiden Beinen geschehen ist, konnten die Zeugen nicht angeben. Nur der
Kläger hat bekundet, daß der Beklagte mit dem rechten vorgestreckten Bein auf ihn
zugerutscht sei und dabei das linke Bein nachgezogen habe. Er meint, daß der
Beklagte, mit beiden Beinen auf ihn draufgerutscht sei. Auch zur Entfernung sowie zur
Geschwindigkeit und Dynamik konnten die Zeugen keine objektivierbaren Angaben
machen. Der Kläger konnte zur Entfernung zwischen ihm und dem Beklagten nichts
sagen und gab an, der Beklagte habe einigen "Schwung drauf" gehabt. Der Zeuge ...
hat angegeben, daß der Beklagte noch etwa 1 Meter vom Kläger entfernt gewesen sein
mag, als dieser in Ballbesitz kam, und hat den Angriff als normal eingestuft. Der Zeuge
gab an, nicht mehr zu wissen, ob es sich um einen heftigen oder ganz normalen Angriff
gehandelt hat. Als der Kläger in Ballbesitz gekommen sei, sei der Beklagte nur so weit
weg gewesen, daß er den Ball habe noch treffen können. Bei dieser Beweislage kann
nur davon ausgegangen werden, daß der Beklagte eine Grätsche gemacht hat, wobei
schon zweifelhaft ist, ob dies mit gestrecktem Bein geschah. Selbst wenn man dies
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annimmt, begründet ein solcher Angriff noch kein Verschulden, da er noch innerhalb des
Grenzbereiches zwischen der einem solchen Kampfspiel eigenen gebotenen Härte und
der unzulässigen Unfairneß liegt (BGH a.a.O.).
c)
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Gleiches gilt für die Behauptung, der Beklagte habe die Verletzung durch einen
unkontrollierbaren und übermäßigen Einsatz herbeigeführt.
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Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, daß der Beklagte die grundsätzlich zulässige
Technik mit übergroßer Härte ausgeführt oder in einer Situation eingesetzt hat, in der er
keine Chance mehr hatte, an den Ball zu kommen. Das Grätschen nach einem Ball ist
für sich genommen weder ein unkontrollierter noch übermäßiger Einsatz. Dies ist eine
im Fußball anerkannte und gebräuchliche Technik, die in allen Altersstufen angewandt
wird und demselben Regelwerk unterliegt. Es kann nicht davon ausgegangen werden,
daß auf einem Spielplatz andere Regeln gelten oder diese Techniken nicht zur
Anwendung kommen. Auch hier spielen Kinder und Jugendliche nach den Vorbildern
des professionellen Fußballs, dessen Spielweise und Spieleinstellungen sie fast täglich
im Fernsehen übermiltelt bekommen.
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d)
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Es kann weiterhin nicht festgestellt werden, daß der Beklagte die sich möglicherweise
aufgrund der Unterschiede von Alter, Größe und Gewicht ergebenden Vorteile dazu
ausgenutzt hat, um sie unfair und damit schuldhaft gegen den Kläger einzusetzen. Wie
bereits dargelegt hat die Beweisaufnahme nicht ergeben, daß sich der Beklagte anlaß-,
situations- und zweckbezogen unangemessen verhalten hat. Der Umstand, daß er älter,
größer und schwerer als der Kläger war, kann ihm daher nicht zum Nachteil gereichen.
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e)
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Da der Kläger einen schuldhaften Regelverstoß nicht bewiesen hat, war die Berufung
zurückzuweisen.
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II
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Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 I, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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