Urteil des OLG Hamm vom 24.07.2002

OLG Hamm: urkunde, tod, zwischenverfügung, innenverhältnis, grundbuchamt, bevollmächtigung, vertretungsmacht, generalvollmacht, vermögensverwaltung, erlöschen

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 338/02
Datum:
24.07.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 338/02
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 23 T 243 und 244/02
Tenor:
Die weitere Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die
Wertfestsetzung der landgerichtlichen Entscheidung abgeändert wird.
Der Gegenstandswert des Verfahrens der ersten und der weiteren
Beschwerde wird auf jeweils 3.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Eingetragene Alleineigentümerin des vorbezeichneten Grundstücks ist Frau T2 geb. S1,
die am 09.08.2000 verstorben ist. Die Erblasserin hatte gemeinsam mit ihrem
überlebenden Ehemann, Herrn T, in notarieller Urkunde vom 09.06.2000 (UR-Nr.
xxx/2000 Notar M in C) dem Beteiligten, ihrem Sohn, eine Vorsorgevollmacht erteilt. Bei
der Vollmacht handelt es sich ihrem Inhalt nach um eine Generalvollmacht, die
Vollmachtgeber unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB in allen
persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, bei denen eine
Stellvertretung gesetzlich zulässig ist, umfassend zu vertreten. Zu dem der
Bevollmächtigung zugrundeliegenden Rechtsverhältnis heißt es in § 4 der Urkunde,
durch die Vollmachtserteilung solle die Bestellung eines Betreuers im Fall von
Krankheit oder Gebrechlichkeit vermieden werden. Im Innenverhältnis, d.h. ohne Einfluß
auf die Vollmacht im Außenverhältnis, solle von der Vollmacht erst dann Gebrauch
gemacht werden, wenn der Vorsorgefall (Geschäftsunfähigkeit bzw.
Betreuungsbedürftigkeit) eintritt. Wegen der näheren Einzelheiten der notariellen
Urkunde wird auf die zu den Akten gereichte beglaubigte Abschrift Bezug genommen.
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Das Nachlaßgericht hat das Grundbuchamt gem. § 83 GBO über die Eröffnung eines
privatschriftlichen gemeinschaftlichen Ehegattentestaments der eingetragenen
Eigentümerin und ihres überlebenden Ehegatten vom 17.02.1981 unterrichtet, in dem
diese u. a. sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben; die Erteilung eines
Erbscheins ist nicht beantragt worden.
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Der Beteiligte hat in notarieller Urkunde vom 27.03.2002 (UR-Nr. xxx/2002 Notar W in L)
zugleich im eigenen Namen wie als Bevollmächtigter seiner beiden Elternteile handelnd
das vorbezeichnete Grundstück auf sich übertragen und aufgelassen sowie die
Löschung der in Abt. II Nr. 1 des Grundbuchs eingetragenen Reallast beantragt. Zum
Nachweis seiner Bevollmächtigung hat er eine beglaubigte Abschrift der vorerwähnten
Vollmachtsurkunde vorgelegt.
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Den Antrag des Urkundsnotars auf Vollzug der Eigentumsumschreibung und Löschung
des Rechts Abt. II Nr. 1 hat die Rechtspflegerin des Grundbuchamtes mit
Zwischenverfügung vom 19.04.2002 dahin beanstandet, es fehle der Nachweis der
Fortbestehens der Vollmacht der eingetragenen Eigentümerin über ihren Tod hinaus.
Zur Beseitigung des Eintragungshindernisses durch Beibringung eines Erbscheins, der
Herrn T als Alleinerben der eingetragenen Eigentümerin ausweise, werde eine Frist bis
zum 19.05.2002 gesetzt. Der Beteiligte hat zu der Zwischenverfügung mit Schreiben
vom 27.05.2002 Stellung genommen. Die Rechtspflegerin hat mit weiterer Verfügung
vom 31.05.2002 ihre Auffassung aufrechterhalten und eine weitere Frist zur Behebung
des Eintragungshindernisses bis zum 28.06.2002 gesetzt.
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Gegen die Zwischenverfügung vom 19.04. und 31.05.2002 hat der Beteiligte mit
Schriftsatz des Urkundsnotars vom 20.05.2002 Beschwerde eingelegt, die das
Landgericht durch Beschluß vom 24.07.2002 zurückgewiesen hat.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten, die er
mit Schriftsatz vom 22.08.2002 bei dem Landgericht eingelegt hat.
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II.
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Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 78, 80 GBO statthaft sowie formgerecht
eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten folgt bereits daraus, daß seine erste
Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.
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In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, weil die Entscheidung des Landgerichts
nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 78 S. 1 GBO).
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In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer nach § 71 Abs.
1 GBO zulässigen ersten Beschwerde des Beteiligten gegen die Zwischenverfügung
des Grundbuchamtes vom 19.04.2002 ausgegangen. Die weitere Verfügung des
Grundbuchamtes vom 31.05.2002 enthält sachlich lediglich eine Verlängerung der in
der Zwischenverfügung vom 19.04.2002 zur Beseitigung des Eintragungshindernisses
gesetzten Frist verbunden mit der Erklärung, an der erhobenen Beanstandung festhalten
zu wollen. Auch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß einer
Zwischenverfügung nach § 18 Abs. 1 GBO liegen vor. Der vom Grundbuchamt
angenommene fehlende Nachweis einer hinreichenden Vollmacht der eingetragenen
Eigentümerin begründet hier lediglich ein behebbares Eintragungshindernis, weil der
Beteiligte die Auflassung des Grundstücks in der notariellen Urkunde vom 27.03.2002
gleichzeitig auch als Bevollmächtigter seines Vaters abgegeben hat, dessen
Berechtigung als Eigentümer des Grundstücks durch einen Erbschein nachgewiesen
werden kann (§ 35 Abs. 1 GBO).
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Auch in der Sache hält die Entscheidung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung
stand. Gegenstand der Beschwerde ist allein das in der Zwischenverfügung
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angenommene Eintragungshindernis, also die Frage, ob durch die Urkunde vom
09.06.2000 das Fortbestehen der von der eingetragenen Eigentümerin (§ 39 GBO)
erteilten Vollmacht über ihren Tod hinaus nachgewiesen ist. In diesem Zusammenhang
kann der Senat offen lassen, ob die vom Landgericht vorgenommene Auslegung der
Vollmachtsurkunde im Ausgangspunkt nur einer eingeschränkten Nachprüfung durch
das Rechtsbeschwerdegericht unter dem Gesichtspunkt unterliegt, daß diese in erster
Linie zur Vornahme des materiell-rechtlichen Rechtsgeschäfts (hier der Auflassung, §
925 BGB) erteilt ist (vgl. BayObLG Rpfleger 1991, 365, 366; MittBayNot 1995, 293, 294).
Unabhängig davon teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, daß die in der
Urkunde vom 09.06.2000 erteilte Vollmacht sich inhaltlich auf Rechtsgeschäfte während
der Dauer der Betreuungsbedürftigkeit der eingetragenen Eigentümerin beschränkt und
nicht über deren Tod hinaus gilt, und zwar ohne die vom Landgericht vorgenommene
Einschränkung, daß dies jedenfalls für ein "internes" Rechtsgeschäft zwischen der
Vollmachtgeberin und dem Bevollmächtigten gelte. Dieses Ergebnis beruht auf den
folgenden Erwägungen:
Die Urkunde vom 09.06.2000 enthält keine ausdrückliche Regelung zu der Frage, ob
die erteilte Vollmacht auch über den Tod der Vollmachtgeberin hinaus fortgelten soll.
Nach § 168 S. 1 BGB bestimmt sich das Erlöschen einer Vollmacht nach dem ihrer
Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Handelt es sich bei dem kausalen
Rechtsverhältnis um einen Auftrag, so ist nach § 672 S. 1 BGB im Zweifel anzunehmen,
daß dieser durch den Tod oder den Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Auftraggebers
nicht erlischt. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß auch
grundbuchverfahrensrechtlich die Auslegungsregel des § 672 S. 1 BGB zum Nachweis
des Fortbestehens der Vollmacht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus ausreicht,
sofern sich die Grundlage der Vermutung, nämlich das Vorliegen eines
Auftragsverhältnisses, aus dem Inhalt der in der Form des § 29 GBO vorgelegten
Vollmacht ergibt (vgl. BayObLG NJW 1959, 2119; KG DNotZ 1972, 18, 20; Demharter,
GBO, 24. Aufl., § 19, Rdnr. 81). Da es sich in § 672 S. 1 BGB lediglich um eine
Auslegungsregel handelt, hat das Grundbuchamt die ihm vorgelegte Vollmachtsurkunde
vorrangig im Hinblick darauf auszulegen, ob ein abweichender Wille des
Vollmachtgebers anzunehmen ist. So liegen die Dinge nach Auffassung des Senats
hier:
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Das der nach außen unbeschränkten Vollmacht zugrunde liegende Auftragsverhältnis
ist in den § 4 der notariellen Urkunde vom 09.06.2000 näher beschrieben. Es handelt
sich um eine Altersvorsorgevollmacht, durch die die Bestellung eines Betreuers im Fall
von Krankheit oder Gebrechlichkeit vermieden werden soll. Dementsprechend darf der
von den Beschränkungen des § 181 BGB befreite Beteiligte im Innenverhältnis von der
Vollmacht nur Gebrauch machen, wenn der Vorsorgefall (Geschäftsunfähigkeit bzw.
Betreuungsbedürftigkeit) eintritt. Der Umfang der im Außenverhältnis erteilten Vollmacht
ist auf diesen Zweck ihrer Erteilung zugeschnitten: Es handelt sich um eine
Generalvollmacht für sämtliche persönlichen und vermögensrechtlichen
Angelegenheiten, bei denen eine Stellvertretung zulässig ist (§ 1). Die in dem
folgenden § 2 der Urkunde beispielhaft aufgeführten Geschäfte, auf die sich die
Vollmacht erstreckt, umfassen nicht nur sämtliche Vermögensangelegenheiten, sondern
auch sämtliche persönliche Angelegenheiten, insbesondere die Einwilligung in ärztliche
Heilmaßnahmen sowie die Aufenthaltsbestimmung, sei es durch geschlossene
Unterbringung, sei es in einer anderen Form der Unterbringung in einem Heim oder
einer sonstigen Einrichtung. Zusammengefaßt sollte also dem Beteiligten eine
rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht eingeräumt werden, die uneingeschränkt
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derjenigen gesetzlichen Vertretungsmacht eines Betreuers entspricht, der für alle
Angelegenheiten des Betreuten bestellt ist (§ 69 l Abs. 1 S. 1 FGG). In der Urkunde wird
dabei von der Möglichkeit, die rechtsgeschäftliche Vertretung auch auf die Einwilligung
in ärztliche Heilmaßnahmen und Unterbringungsmaßnahmen zu erstrecken (§§ 1904
Abs. 2, 1906 Abs. 5 BGB in der Fassung durch das BtÄndG) ausdrücklich Gebrauch
gemacht. Die Vollmacht ist danach sowohl hinsichtlich ihres Umfangs als auch in Bezug
auf das Innenverhältnis speziell auf die Bedürfnisse der Vollmachtgeberin für den Fall
ihrer Betreuungsbedürftigkeit zugeschnitten. Dieser Zusammenhang spricht maßgebend
dafür, daß sich die Vollmacht – wie die gesetzliche Vertretungsmacht eines Betreuers –
auf die Dauer der Betreuungsbedürftigkeit beschränken sollte. Eine Fortgeltung der
Vollmacht über den Tod der Vollmachtgeberin hinaus läge demgegenüber außerhalb
des in der Urkunde zum Ausdruck gekommenen Zwecks der Vollmacht. Die
Nichterwähnung dieses Punktes in einer nach notarieller Belehrung (§ 17 BeurkG)
erteilten Vollmacht deutet zusätzlich darauf hin, daß eine solche weitergehende Geltung
der Vollmacht nicht gewollt ist.
Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den in Rechtsprechung und Literatur entwickelten
Grundsätzen bei der Prüfung, ob der Vollmachtgeber entgegen der Auslegungsregel
des § 672 S. 1 BGB eine Fortgeltung der Vollmacht über seinen Tod hinaus nicht
gewollt hat. So wird zwar bei einer Generalvollmacht zur Ausführung eines
Geschäftsbesorgungsvertrages, der eine Vermögensverwaltung zum Gegenstand hat,
deren Fortbestand über den Tod des Vollmachtgebers hinaus angenommen (RG JW
1929, 1647). Ebenso anerkannt ist jedoch, daß je mehr der Auftragsgegenstand auf die
Person und die persönlichen Verhältnisse und nicht nur auf das Vermögen des
Auftraggebers ausgerichtet ist, desto eher das Erlöschen des Auftrags mit dem Tode des
Auftraggebers anzunehmen ist (Staudinger/Schilken, BGB, 12. Bearbeitung, § 168,
Rdnr. 26; Soergel/Beuthien, BGB, 12. Aufl., § 672, Rdnr. 5; MK/BGB-Seiler, 3. Aufl., §
672, Rdnr. 4). Daß die Vollmacht und der zugrundeliegende Auftrag hier auf die
persönlichen Bedürfnisse der Vollmachtgeber während der Dauer ihrer
Betreuungsbedürftigkeit zugeschnitten sind, ist bereits ausgeführt und wird in der
Erstreckung der Vollmacht auf ihre persönlichen Angelegenheiten besonders deutlich.
Der Gesichtspunkt, daß die Vollmacht sich – auch – auf sämtliche
Vermögensangelegenheiten der Vollmachtgeberin erstreckt, vermag an dieser
Beurteilung nichts Entscheidendes zu ändern. Denn das der Vollmacht zugrunde
liegende Auftragsverhältnis kann nur insgesamt bewertet werden. In diesem Rahmen
kommt der Erstreckung der Vollmacht auf die Vermögensangelegenheiten kein
selbständiges Gewicht zu. Denn wenn die Vollmachtgeberin eine an die Stelle einer
Betreuerbestellung tretende rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung gewollt hat, hatte
sich auch die Vermögensverwaltung des Beteiligten dem Rechtsgedanken des § 1901
BGB folgend allein an den persönlichen Bedürfnissen der Vollmachtgeberin während
der Dauer ihrer Betreuungsbedürftigkeit zu orientieren.
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Die Wertfestsetzung für das Verfahren der weiteren Beschwerde beruht auf den §§ 131
Abs. 2, 30 Abs. 3 und 2 KostO. Da bei der Anfechtung einer Zwischenverfügung nur das
angenommene Eintragungshindernis, nicht jedoch die Entscheidung über den
Eintragungsantrag Beschwerdegegenstand ist, hat der Senat lediglich das Interesse des
Beteiligten daran bewertet, von der Notwendigkeit der Beibringung eines Erbscheins
und den damit verbundenen Mühen und Kosten entbunden zu werden. Mangels näherer
Anhaltspunkte hat der Senat dieses Interesse mit dem Regelwert gem. § 30 Abs. 2
KostO bewertet und gleichzeitig gem. § 31 Abs. 1 S. 2 KostO die landgerichtliche
Wertfestsetzung entsprechend abgeändert.
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