Urteil des OLG Hamm vom 21.01.1998

OLG Hamm (kläger, zustellung, leichte fahrlässigkeit, partei, frist, zpo, vvg, zeuge, akte, fristwahrung)

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 144/97
Datum:
21.01.1998
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 144/97
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 3 O 391/96
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 6. Mai 1997 verkündete Urteil
der 3. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Hausratversicherung, der die VHB 92
zugrundeliegen. Am 25.07.1995 meldete er einen Einbruchdiebstahl in seine Wohnung
mit einem Schadenaufwand in Klagehöhe. Die Beklagte bestreitet Diebstahl, Schaden
und Schadenhöhe. Sie hält sich ferner wegen Verfristung nach §12 Abs. 3 VVG und
wegen Obliegenheitsverletzung für leistungsfrei.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat im Ergebnis
keinen Erfolg.
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Es kann unerörtert bleiben, ob, was das Landgericht trotz anderweitiger Formulierung
wohl bejahen wollte, der Kläger den Diebstahl mit erheblicher Wahrscheinlichkeit
vorgetäuscht hat. Die Berufung kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die
Ansprüche nicht innerhalb der gemäß §12 Abs. 3 VVG ordnungsgemäß gesetzten Frist
gerichtlich geltend gemachten worden sind.
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Die formellen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor: Der Kläger hatte seine
Entschädigungsansprüche aus dem Diebstahlsschaden gegenüber der Beklagten
geltend gemacht. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 09.04.1996 die angemeldeten
Ansprüche gegenüber dem dazu bevollmächtigten Rechtsvertreter des Klägers, dem
Zeugen Rechtsanwalt ... abgelehnt. Das Schreiben ist unstreitig am 12.04.1996
zugegangen. Ob die Ablehnung begründet werden muß (vgl. Römer in Römer Langheit,
§12 VVG Rdnr. 48) kann dahinstehen, weil die Beklagte ihr Ablehnungsschreiben
begründet hat. Letztlich hat sich die Beklagte insoweit auch auf Leistungsfreiheit
berufen.
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Der Anspruch ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von 6 Monaten gerichtlich
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geltend gemacht worden. Zwar wurde die Klage bereits am 04.09.1996 anhängig
gemacht. Auf die am 12.09.1996 abverfügte Kostenanforderung zahlte der Kläger selbst
den Betrag mit Angabe des richtigen Aktenzeichens ein, das vom Kostenbeamten
allerdings mißverstanden worden war. Dieses Mißverständnis war spätestens am
15.10.1996 behoben. Die daraufhin wieder eingeschaltete Geschäftsstelle des Gerichts
legte die Akte jedoch, anstatt sie dem Vorsitzenden vorzulegen, auf die bereits im
September 1996 (für den Fall der Nichtzahlung) verfügte 6-Monats-Frist. Am 05.02.1997
fragte der Zeuge ... dann nach, warum nichts geschehe. Daraufhin wurde die Akte dem
Vorsitzenden vorgelegt, der unter dem 25.02.1997 die Zustellung anordnete, die dann
am 06.03.1997 auch erfolgte.
Die Zustellung der Klage ist hiernach nahezu 5 Monate nach Fristablauf (12.10.1996)
erfolgt. Die Zustellung kann auch nicht mehr als "demnächst" im Sinne des §270 Abs. 3
ZPO und damit zur Fristwahrung als geeignet angesehen werden.
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Nach Sinn und Zweck des §270 Abs. 3 ZPO soll die Partei nach Einführung der
Amtszustellung vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des
gerichtlichen Geschäftsbetriebes bewahrt werden, weil derartige Verzögerungen
außerhalb ihres Einflußbereiches liegen. Hingegen sind der Partei Verzögerungen
zuzurechnen, die sie oder ihr Prozeßbevollmächtigter bei gewissenhafter
Prozeßführung hätte vermeiden können. Nach feststehender Rechtsprechung ist daher
eine Klage dann im Sinne des §270 Abs. 3 ZPO "demnächst" zugestellt, wenn die
Partei und ihr Prozeßbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtumstände
alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan haben. Dies ist jedoch nicht der
Fall, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozeßbevollmächtigter
durch nachlässiges, wenn auch nur leicht fahrlässiges Verhalten zu einer nicht bloß
geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen haben. Als geringfügig in diesem
Sinne sind in der Regel Zustellungsverzögerungen bis zu zwei Wochen anzusehen.
Eine Zeitspanne von mehr als zwei Wochen, um die sich die Klagezustellung durch
leichte Fahrlässigkeit des Klägers oder seines Prozeßbevollmächtigten verzögert, wird
hingegen nicht mehr als geringfügig und damit unschädlich behandelt (BGH VersR 95,
361). Gemessen wird die Zeitdauer der Verzögerung vom Tage des Ablaufs der 6-
Monats-Frist und nicht etwa seit dem früheren Zeitpunkt der Einreichung der
Klageschrift. Außerdem hat der Zeitraum außer Betracht zu bleiben, dessen
ungenutztes Verstreichen dem Kläger nicht angelastet werden kann. Nur dann, wenn
die Verzögerung auch nicht mitursächlich auf ein nachlässiges Verhalten des Klägers
oder seines Prozeßbevollmächtigten zurückzuführen ist, kann eine Klage auch nach
langer Zeit nach Eingang bei Gericht und Fristablauf noch als demnächst zugestellt
angesehen werden (BGH NJW 1993, 2614). Die Partei bleibt aber für Verzögerungen
verantwortlich, die sie oder ihr Prozeßbevollmächtigter bei gewissenhafter
Prozeßführung hätte vermeiden können, auch wenn die Verzögerung in erster Linie im
Bereich des Gerichtes ihre Ursache hat (BGH VersR 95, 361).
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Ein solcher Fall ist hier gegeben.
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Zwar ist die Klage rechtzeitig anhängig gemacht worden. Die angeforderten Kosten sind
pünktlich gezahlt worden. In der Senatsverhandlung ist entgegen früherem unstreitigen
Vortrag auch belegt worden, daß der Kläger bei der Einzahlung der Kosten das richtige
Aktenzeichen angegeben hat. Wenn der Kostenbeamte dieses mißverstanden hat, ist
dies nicht dem Kläger anzulasten. Der Anwalt des Klägers durfte auf die ihm mitgeteilte
Einzahlung des Vorschusses durch den Kläger zunächst die von Amts wegen zu
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erfolgende Zustellung durch das Gericht abwarten. Dies gilt aber nicht unbegrenzt. Der
Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter mußten nicht nur alles Zumutbare tun, um die
Voraussetzungen für die alsbaldige Zustellung der Klage zu schaffen, was hier erfolgt
war. Sie mußten auch im Sinne einer größtmöglichen Beschleunigung wirken. So darf
ein Prozeßbevollmächtigter einer Kostenanforderung nicht unbegrenzt untätig
entgegensehen (BGH VersR 94, 455). Er darf aber auch sonstige Versehen des
Gerichts nicht unbegrenzt hinnehmen. Ob eine Frist von drei Wochen keinesfalls
überschritten werden darf oder ob jedenfalls ein vierwöchiges Zuwarten schadet (so
Römer in Römer Langheit §12 VVG Rdnr. 60), bedarf keiner abschließenden
Entscheidung. Jedenfalls ein über vier Wochen deutlich hinausgehendes Zuwarten des
dazu bestellten Rechtsanwaltes muß einer Partei als fahrlässig zugerechnet werden.
So verhält es sich hier. Zwar will der Kläger, wie er erstmals wenige Tage vor dem
Senatstermin hat vortragen lassen, im November und im Dezember einmal bei Gericht,
er meinte bei einem Amtsgericht, angerufen haben, wobei ihm erklärt worden sein soll,
die Sache sei in Arbeit. Dies will er dem Zeugen ... mitgeteilt haben. Damit war der
Kläger seiner Verpflichtung zur größtmöglicher Beschleunigung aber nicht
nachgekommen. Jedenfalls der Zeuge ... wußte oder mußte zumindest wissen, daß die
ihm vom Versicherer gesetzte Frist längst abgelaufen war und daß er verpflichtet war
darauf hinzuwirken, daß die Zustellung baldmöglichst erfolgte. Ihm war auch bekannt,
daß der Kläger persönlich pünktlich gezahlt hatte, die Zustellung deshalb in den
nächsten Tagen erfolgen mußte. Wenn, wie der Zeuge ... ausgesagt hat, in ... des
öfteren Zustellungsverzögerungen eintreten, mag er Gründe dafür gehabt haben, nicht
vor Ende November 1996 gegenüber dem Gericht energisch auf Zustellung zu drängen.
Tatsächlich hat er aber mehr als zwei weitere Monate später erst schriftlich angefragt.
Dies kann nicht mehr als entschuldigt angesehen werden. Daran ändert auch nichts,
daß der Kläger persönlich nach seiner Darstellung zweimal bei einem Gericht
angerufen und dies dem Zeugen ... mitgeteilt hat. Zunächst war dem Zeugen ... bekannt,
daß mündliche Anfragen eher "untergehen" können als schriftliche Nachfragen,
insbesondere dann, wenn nicht einmal sichergestellt ist, daß man überhaupt mit einem
zuständigen Sachbearbeiter gesprochen hat. Insbesondere war dem Zeugen ... aber
bekannt, daß die mündlichen Nachfragen des Klägers persönlich keinerlei Wirkung
gezeigt hatten. Er hätte deshalb spätestens Mitte Dezember 1996 sich in der Weise um
die Angelegenheit kümmern müssen, wie er es am 05.02.1997 dann getan hat.
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Bei einer derartigen Sachlage beruht die Zustellungsverzögerung auch auf einem
Mitverschulden des Rechtsvertreters des Klägers, das dieser sich zurechnen lassen
muß. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§97, 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Beschwer des Klägers beträgt 49.276,03 DM.
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