Urteil des OLG Hamm vom 17.10.1989

OLG Hamm (gutachten, befangenheit, kläger, zpo, sache, ablehnung, vorbereitung, tätigkeit, gegner, verbindung)

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 25/89
Datum:
17.10.1989
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 U 25/89
Tenor:
Das Ablehnungsgesuch wird zurückgewiesen.
Gründe:
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Gemäß §406 Abs. 1 S. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die
zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Gründe, die geeignet
sind, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (§42
Abs. 2 ZPO), hat der Kläger indes nicht glaubhaft gemacht.
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Der Sachverständige hat kurz vor der schriftlichen Zusammenfassung des auf
Verfügung des Vorsitzenden des Senats mündlich zu erstattenden Gutachtens in dem
weiteren Rechtsstreit 20 U 176/89 zur Vorbereitung der Berufungsbegründung des
Versicherers ein schriftliches Gutachten verfaßt, dessen Kernproblem deckungsgleich
mit einer der im vorliegenden Fall aufgeworfenen Beweisfrage ist; hier wie dort geht es
u.a. um die Frage, ob ein Sturz des VN Folge einer Bewußtseinsstörung i.S.v. §3 Abs. 4
AUB sein kann, wobei der zugrunde liegende Sachverhalt deutliche Parallelen aufweist.
In beiden schriftlichen Äußerungen kommt der Sachverständige nach konkret
fallbezogenem Ausschluß anderer Ursachen und ausführlicher wissenschaftlicher
Diskussion der Ursachen und Erscheinungsformen von Bewußtseinsstörungen zu dem
Ergebnis, daß eine solche vorgelegen haben müsse. Dies allein rechtfertigt bei
objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise vom Standpunkt des Klägers aus
gesehen nicht die Annahme, der Sachverständige habe die Grundlagen seines
demnächst zu erstattenden Gutachtens nicht unparteiisch sachlich erarbeitet und
schriftlich zusammengefaßt.
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Es ist anerkannt, daß etwa die Erstattung eines entgeltlichen Privatgutachtens in
derselben Sache, die regelmäßige Tätigkeit für den Gegner des Ablehnenden oder eine
Tätigkeit für den Haftpflichtversicherer einer Partei regelmäßig die Ablehnung eines
Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen
(Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, 47. Aufl. 1989, §406 Anm. 2 B m.w.N.). Diesen
und anderen Konstellationen ist jedoch eine - sich möglicherweise auch aus der
sachwidrigen Behandlung des Gutachtenauftrags ergebende - Verbindung zwischen
dem Prozeßgegner und dem Sachverständigen gemein, die Ansatzpunkt einer
Voreingenommenhait des Sachverständigen sein kann (OLG Koblenz MDR 84, 675),
wie ja §42 ZPO unter Befangenheit die parteiische Einflußnahme auf das
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Streitverhältnis versteht.
So liegt es hier ersichtlich nicht. Der Kläger befürchtet vielmehr, daß der
Sachverständige sich durch das kurz zuvor im Auftrage eines (anderen) Versicherers
erstattete Gutachten zu seinen Lasten in der Sache festgelegt habe.
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Dieses Problem stellt sich dem Sachverständigen in mannigfaltigen Situationen, etwa
wenn er bereits in erster Instanz (die Befangenheit verneinend BGH LM §209 BEG 1956
Nr. 37) oder in einem parallelen Strafverfahren (die Befangenheit verneinend OLG
Stuttgart MDR 64, 63) ein dem Ablehnenden ungünstiges Gutachten erstattet hat. In
jeder dieser Situationen steht der Sachverständige, der sich zu einer Frage bereits
gutachtlich geäußert hat, vor der Aufgabe, auch zu erwägen, zu beurteilen und sich ggf.
dazu zu äußern, ob sein früheres Gutachten zutreffend war oder nicht (OLG Koblenz
a.a.O.).
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Daß der abgelehnte Sachverständige sich dieser selbstverständlichen Verpflichtung
des Wissenschaftlers bei der angegriffenen schriftlichen Zusammenfassung seines
Gutachtens nicht bewußt gewesen ist, kann der Kläger angesichts der jeweils konkret
fallbezogenenen und sorgfältig differenzierenden Ausführungen vernünftigerweise nicht
befürchten; soweit der Sachverständige die wissenschaftlichen Erkenntnisse über
Grundlagen und Erscheinungsformen der Bewußtseinsstörung in beiden Gutachten
übereinstimmend darstellt, beruht das notwendigerweise auf der weitgehend
gleichartigen Fragestellung, die befürchtete "Festlegung" des Sachverständigen mithin
auf dem derzeitigen - einheitlichen - Stand seiner wissenschaftlichen Erkenntnis.
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Es ist auch darauf hinzuweisen, daß der Sachverständige sein endgültiges Gutachten
erst im Senatstermin erstatten wird; seine inzwischen vorgelegten schriftlichen
Ausführungen stellen eine vorläufige Zusammenfassung seiner bei der Vorbereitung
des Gutachtens gewonnenen Erkenntnisse dar. Beide Parteien werden Gelegenheit
haben, den Sachverständigen zu einer Auseinandersetzung mir ihren Fragen und ggf.
abweichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen zu veranlassen, der Kläger
insbesondere auch zu den Auswirkungen der von ihm behaupteten erheblichen
Kopfschmerzen zwischen August 1985 und Februar 1986.
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