Urteil des OLG Frankfurt vom 15.07.2008
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Gericht:
OLG Frankfurt
Vergabesenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 Verg 6/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 26 VOB B
Öffentliche Auftragsvergabe: Verletzung von Bieterrechten
bei Zweitausschreibung desselben Beschaffungsvorgangs
Leitsatz
Leitet ein öffentlicher Auftraggeber für einen identischen Beschaffungsvorgang, der nur
einmal realisiert werden kann und soll, vor Abschluss des ursprünglichen ein weiteres
Vergabeverfahren ein, so verletzt die Doppelausschreibung für diejenigen Bieter, die im
ursprünglichen Verfahren ein zuschlagsfähiges Angebot abgegeben haben, sowohl
deren Recht auf Durchführung eines fairen Wettbewerbs als auch auf Beachtung des
Diskriminierungsverbots.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1.
Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium in Darmstadt
vom 22.04.2008 (Az.: 69d-VK-13/2008) aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Neuausschreibung im nichtoffenen
Verfahren ohne Vergabebekanntmachung zum Bau der Verkehrsanlage
Straßenbahnanbindung „Frankfurter Bogen“ – Az. der Antragsgegnerin 13/08,
Paket 1; Fachlose 1 – 6 Straßen-, Gleis- und Tiefbauarbeiten Stadtentwässerung,
Verkehrssignalanlagen, ATA Kabeltrassentiefbauarbeiten, aufzuheben.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens und die zur
Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.
Gründe
I. Wegen des Sach- und Streitstands wird auf den Senatsbeschluss vom heutigen
Tag im Parallelverfahren (Az.: 11 Verg 4/08) Bezug genommen.
Mit dem vorliegenden Nachprüfungsverfahren wendet sich die Antragstellerin
gegen die Neuausschreibung des Auftrags im nichtoffenen Verfahren.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 22.04.2008
zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss
Bezug genommen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde, mit der die
Antragstellerin ihren Antrag weiterverfolgt und beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Neuausschreibung im nichtoffenen
Verfahren ohne Vergabebekanntmachung zum Bau der Verkehrsanlage
Straßenbahnanbindung „Frankfurter Bogen“ – Az. der Antragsgegnerin 13/08,
Paket 1; Fachlose 1 – 6 Straßen-, Gleis- und Tiefbauarbeiten Stadtentwässerung,
Verkehrssignalanlagen, ATA Kabeltrassentiefbauarbeiten, aufzuheben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze
Bezug genommen.
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II. Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere in gesetzlicher Frist und
Form eingelegt und begründet worden ( §§ 116, 117 GWB).
2. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Auf die zutreffenden Ausführungen der
Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss kann insoweit zur Vermeidung
von Wiederholungen Bezug genommen werden.
3. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
Die Antragsgegnerin hat die Aufhebung des offenen Verfahrens zwischenzeitlich
von sich aus rückgängig gemacht und beabsichtigt, den Zuschlag nunmehr im
offenen Verfahren zu erteilen. Ihre Absicht, das nichtoffene Verfahren (erst) nach
Zuschlagserteilung im offenen Verfahren zu beenden, ist jedoch
vergaberechtswidrig.
Leitet ein öffentlicher Auftraggeber für einen identischen Beschaffungsvorgang,
der nur einmal realisiert werden kann und soll, vor Abschluss des ursprünglichen
ein weiteres Vergabeverfahren ein, so verletzt die Doppelausschreibung für
diejenigen Bieter, die im ursprünglichen Verfahren ein zuschlagsfähiges Angebot
abgegeben haben, sowohl deren Recht auf Durchführung eines fairen Wettbewerbs
als auch auf Beachtung des Diskriminierungsverbots (OLG Naumburg, Beschl. v.
13.10.2006, 1 Verg 11/06).
Die Antragstellerin hat im offenen Verfahren ein zuschlagsfähiges Angebot
abgegeben. Wie der Senat in der Parallelsache heute entschieden hat, ist das
Angebot der Antragstellerin nicht auszuschließen. Das Vergabeverfahren ist –
zumal nach dem Vortrag der Antragsgegnerin ein weiteres wertungsfähiges
Angebot vorliegt – demnach im offenen Verfahren zu Ende zu bringen, wie die
Antragsgegnerin dies nunmehr auch beabsichtigt.
Dann aber stellt die Fortführung des nichtoffenen Verfahrens eine absolut
unzulässige Doppelausschreibung dar. Dem Auftraggeber ist eine erneute
Ausschreibung solange verwehrt, als nicht eine frühere Ausschreibung wirksam
aufgehoben ist (jurisPK-VergabeR/Kullack/Zeiss, § 26 VOB/A Rn. 73 f. m.w.N.).
Insbesondere liegt kein Fall einer ausnahmsweise zulässigen
Parallelausschreibung, sondern eine unzulässige Zweitausschreibung desselben
Beschaffungsvorgangs vor, wie er auch der Entscheidung OLG Naumburg a.a.O.
zugrunde liegt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO entsprechend. Der Streitwert
wird gem. § 50 Abs. 2 GKG auf 1.516.836,40 EUR ( 5% der Bruttoangebotssumme
der Antragstellerin) festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.