Urteil des OLG Frankfurt vom 04.07.2008

OLG Frankfurt: aufrechnung, auszahlung, agio, betrug, vollstreckung, kapitalanlage, schneeballsystem, mahnung, verzicht, rendite

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Gericht:
OLG Frankfurt 24.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 U 59/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 134
InsO, § 143 Abs 2 InsO, § 389
BGB, § 814 BGB
Insolvenzanfechtung der Auszahlung von Scheingewinnen
bei Kapitalanlage im Schneeballsystem: Ausschluß des
Insolvenzverwalters mit Bereicherungs- und
Rückgewähranspruch wegen unentgeltlicher Verfügung bei
Scheitern der Aufrechnung des Anfechtungsgegners am
Bereicherungsausschluß
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts
Darmstadt vom 28.02.2007 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Wert zweiter Instanz wird auf 47.894,03 € festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger will als Insolvenzverwalter der Firma A-GmbH von der Beklagten
Rückzahlung der an diese geleisteten Auszahlungen gemäß Abrechnung wie
Anlage K 15 der Akten. Die Gemeinschuldnerin war eine Wertpapierhandelsbank
und hatte mit der Beklagten am 24.10.2000 einen Beteiligungsvertrag zum
sogenannten A-Managed Account abgeschlossen. Sie warb dabei mit Renditen von
8,7 – 14,07 %, obwohl seit 1993/1994 hohe Verluste erwirtschaftet wurden. Die
Beklagte zahlte in dem hier relevanten Zeitraum insgesamt 437.154,56 € ein und
erhielt 453.604,13 € ausgezahlt, was eine Differenz von 16.449,57 € ergibt. Über
das Vermögen der Schuldnerin wurde aufgrund Antrags vom 11.03.2005 der BaFin
am 01.07.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Klägerin begründet ihren Anspruch damit, es habe sich um unentgeltliche
Leistungen der Gemeinschuldnerin gehandelt, die gemäß § 134 InsO anfechtbar
seien. Der Beklagten stehe indes kein Aufrechnungsanspruch gegen diesen
geltend gemachten Anspruch zu.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 47.894,03 € nebst 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 11.04.2006 zu verurteilen, weiterhin zur
Zahlung von 759,95 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 13.05.2006.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte meint, eine Gegenleistung für die von der Gemeinschuldnerin
geleisteten Auszahlungen läge in den Einzahlungen der Beklagten. Hiermit und mit
Zinsen wegen entgangener Kapitalnutzung könne die Beklagte aufrechnen. Wegen
des Sachverhalts im übrigen wird auf den Tatbestand der angefochtenen
Entscheidung Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und hat der Beklagten einen
Aufrechnungsanspruch zugestanden. Dabei ist das Landgericht davon
ausgegangen, dass die Gemeinschuldnerin keine Gewinne erwirtschaftet hatte. Ein
Leistungsbestimmungsrecht der Gemeinschuldnerin nach § 366 BGB im Hinblick
auf eventuelle Auszahlungen auf Einlagen der Beklagten hat das Landgericht
dahinstehen lassen. Denn ein Rückforderungsanspruch der Gemeinschuldnerin sei
jedenfalls durch Aufrechnung der Beklagten erloschen. § 814 BGB käme zu Lasten
der Beklagten hier nicht zur Anwendung, da die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGHZ 113, 105 f.) gemäß § 55 Konkursordnung eine
Aufrechnung im Wege einer teleologischen Reduktion grundsätzlich ermögliche.
Demnach stünden der Beklagten aufrechenbare Ansprüche aus Schadensersatz
jedenfalls in Höhe der Differenz zwischen Einzahlungen und Auszahlungen sowie
im Hinblick auf entgangene Kapitalnutzungszinsen zu, die jedenfalls die
Klageforderung erreichten.
Wegen der weiteren Überlegungen des Landgerichts wird auf die Gründe der
angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Mit der Berufung begehrt der Kläger Abänderung und verfolgt seinen Antrag erster
Instanz weiter. Er wiederholt und vertieft hierzu seine Argumentation. So führe eine
Anwendung des § 366 BGB zur Annahme, dass die Auszahlungen der
Gemeinschuldnerin auf die Einlagen der Beklagten (und nicht auf Scheingewinne)
erfolgt seien. Die entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen wie
Einhaltung der Kündigungsfrist, wären klägerseits dargelegt worden, wenn das
Landgericht nicht seine Hinweispflicht aus § 139 ZPO verletzt hätte.
Der Beklagten stünde eine Aufrechnungsmöglichkeit nicht zur Seite. Der
Gesetzgeber habe die Beschränkung der Einwendungen eines Empfängers
unentgeltlicher Leistungen nach § 143 Abs. 2 InsO in Kenntnis der Entscheidung
BGHZ 113, 98 (105) getroffen und deshalb die dortigen Überlegungen bewusst
nicht übernommen. Der Kläger verweist neben der angesprochenen
gesetzgeberischen Entscheidung darauf, dass die genannte BGH-Entscheidung
auf einer nicht aufrecht erhaltenen Rechtsprechung der Vorinstanz OLG Nürnberg
beruhe, die wiederum auf einer BGH-Entscheidung aus dem Jahre 1961 zu § 817
Satz 2 fuße. Diese Rechtsprechung sei jedoch durch BGH-NJW 89, 580 (581)
aufgegeben worden.
Wenn auch die Berufung des Klägers einen Schadensersatzanspruch der
Beklagten grundsätzlich konzidiert, könne er nach alledem jedoch nicht im Wege
der Aufrechnung geltend gemacht werden.
Zinsen wegen vorenthaltenen Kapitalbetrages könne die Beklagte ohnehin
mangels Verzuges und Mahnung nicht verlangen. Ein Verzicht auf die genannten
Verzugsvoraussetzungen käme nur bei konkreter Vorenthaltung einer Sache und
nicht bei einfachem Betrug in Betracht. Im übrigen bestreitet der Kläger die
beklagtenseits behauptete Rendite.
Die Erwiderung der Beklagten verteidigt das angefochtene Urteil und sieht aus der
Nichterwähnung des § 814 BGB in der Insolvenzordnung den umgekehrten Schluss
wie der Kläger. Es gelte nämlich die BGH-Rechtsprechung zur Konkursordnung fort.
Entsprechend werde in der Begründung des Regierungsentwurfes für die nähere
Auslegung des § 96 InsO auf die Kommentierung zu § 55 Konkursordnung
verwiesen. Dieser allgemeine Rechtsgedanke müsse auch in der Insolvenzordnung
gelten.
Zinsen schulde die Gemeinschuldnerin wegen entgangener Zinserträge jedenfalls
gemäß der Bescheinigung der B-Bank vom 06.02.2007 Anlage B1 (GA 98). Die
Beklagte meint, die Auszahlungen der Gemeinschuldnerin seien Rückzahlungen
eingezahlten Kapitals nebst Nutzungsvergütung gewesen und damit nicht
unentgeltlich. Sämtliche Auszahlungen seien als „Teilauflösung“ bzw.
„Kontoauflösung“ deklariert. Insofern könne nicht zwischen
„Einlagenrückerstattung“ (vor dem 11.03.2001) und „Scheingewinnen“ (nach dem
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„Einlagenrückerstattung“ (vor dem 11.03.2001) und „Scheingewinnen“ (nach dem
11.03.2001) unterschieden werden. Nach dem Klägervortrag sei alles
Scheingeschäft und damit Scheingewinn gewesen (§ 366 BGB sei unanwendbar
mangels Unterschiedlichkeit der Forderungen im Hinblick auf Fälligkeit, Lästigkeit,
Sicherheit oder Alter der Schuld). Auszahlungen der Gemeinschuldnerin vor dem
11.03.2001 in Höhe von insgesamt 17.383,93 € seien nach § 134 InsO von der
Rückforderung ohnehin ausgeschlossen. Des weiteren könne die Klägerin das Agio
in Höhe von 2.556,46 € und 11.504,07 € nicht verlangen. Die Beklagte wiederholt
ferner die Einrede der Verjährung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf
die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Insolvenzverwalter nicht mehr Rechte als
der Gemeinschuldner geltend machen kann, vgl. BGH NJW 89, 580 (581), war die
Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Denn der auch von dem Kläger
konzedierte grundsätzliche Schadensersatzanspruch der Beklagten hat qua
Aufrechnung den grundsätzlichen Rückforderungsanspruch des Klägers zu Fall
gebracht. Auf die zutreffenden Überlegungen der angefochtenen Entscheidung
wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung kommt es deshalb auf die
Vorschrift des § 366 BGB nicht an.
Auch das Berufungsgericht geht davon aus, dass der durch BGHZ 113, 98 (105 f.)
formulierte systematische Rechtsgedanke auch für das Insolvenzrecht Gültigkeit
hat. Hiergegen spricht auch nicht die Neufassung der Regeln durch die
Insolvenzordnung, da die geregelten Normzwecke identisch sind ebenso wie die
der BGH-Entscheidung zugrunde liegenden Grundüberlegungen. Dass mit den
Regelungen der Insolvenzordnung eine inhaltliche Änderung verbunden sein sollte,
erschließt sich dem Berufungsgericht nicht. Der Schutz des Empfängers einer
unentgeltlichen Leistung nur durch § 143 Abs. 2 InsO würde indes den
Empfängerschutz in Fällen wie dem vorliegenden ins Leere laufen lassen. Dem
steht auch nicht die von Professor ... in seinem Kurzgutachten vom 13.08.2007
aufgezeigte Entstehungsgeschichte der zentralen BGH-Entscheidung entgegen.
Denn der in dieser zu Tage getretene Rechts- und Schutzgedanke gilt nach
Auffassung des Berufungsgerichts wegen identischer Sachlage fort.
Steht der Beklagten danach ein Aufrechnungsanspruch grundsätzlich zu, kann sie
mit den geleisteten Einzahlungen inklusive des von der Klägerin beanspruchten
Agios und mit den der Beklagten entgangenen Kapitalnutzungszinsen aufrechnen.
Dabei gilt § 849 BGB auch für „bloß“ vorenthaltenes Kapital, da der
Schutzgedanke der gleiche ist wie bei einer tatsächlich vorenthaltenen Sache, vgl.
BGHZ 8, 289 (298).
Auszahlungen der Gemeinschuldnerin im anfechtbaren Zeitraum vom 11.03.2001
bis 11.03.2005 in Höhe von 453.604,13 € stehen Einzahlungen in Höhe von
437.154,56 € entgegen, was ein Saldo zu Gunsten der Gemeinschuldnerin bzw.
des Klägers in Höhe von 16.449,57 € entspricht. In den Einzahlungen der
Beklagten sind 14.060,53 € Agio enthalten, die der Klägerin nicht zustehen, da das
Geschäftsmodell der Gemeinschuldnerin von vorneherein auf Betrug angelegt war.
Ferner hat die Beklagte Anspruch auf entgangenen Gewinn in Höhe des
Nutzungsentgelts für die Beträge, die sie bei der Gemeinschuldnerin eingelegt hat.
Nach 849 BGB in Verbindung mit § 246 BGB sind dies 4 % ab Einlageleistung
nämlich 53.685,65 € per 31.01.2000 und 383.468,91 € per 29.09.2000. Dieser
Aufrechnungsanspruch der Beklagten übersteigt die Klageforderung und bringt sie
somit zum Erlöschen.
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, da nach seiner Auffassung eine
höchstrichterliche Entscheidung zur Fortgeltung der vom Bundesgerichtshof zur
Konkursordnung entwickelten Rechtsgrundsätze zur hier streitigen Aufrechnung
mit Gegenansprüchen auch unter der Geltung der Insolvenzordnung notwendig
erscheint.
Nebenentscheidungen: §§ 97 Abs 1, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.
ausgewählt und dokumentiert.