Urteil des OLG Frankfurt vom 03.08.2005

OLG Frankfurt: treu und glauben, private krankenversicherung, fristlose kündigung, versicherungsnehmer, verrechnung, versicherer, aufrechnung, leistungsabrechnung, anpassung, verzug

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Gericht:
OLG Frankfurt 7.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 U 84/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 39 Abs 3 S 1 VVG, § 242
BGB
(Private Krankenversicherung: Kündigung des
Versicherungsvertrages wegen geringfügigen
Beitragsrückständen bei anderweitiger
Verrechnungsmöglichkeit)
Leitsatz
In der privaten Krankenversicherung berechtigt ein verhältnismäßig geringer
Beitragsrückstand den Versicherer nach Treu und Glauben jedenfalls dann nicht zur
Kündigung, wenn von einer anderweitigen Verrechnungsmöglichkeit
(Leistungsabrechnung) Gebrauch gemacht werden kann, da hierdurch das
Prämieninteresse gesichert ist.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts
Frankfurt / M. vom 10.3.2004 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die zwischen den Parteien zu Versicherungsschein-Nr. …
abgeschlossene Krankenversicherung fortbesteht und nicht durch die fristlose
Kündigung der Beklagten vom 8.4.2003 geendet hat.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung
in Höhe von 115 % des nach dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden,
wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zur
Vollstreckung gebrachten Betrages leistet.
Gründe
I) Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Kündigung des privaten
Krankenversicherungsvertrages der Klägerin. Mit Schreiben vom 26.11.2002 teilte
die Beklagte der Klägerin eine Beitragsänderung mit, wonach der monatliche
Krankenversicherungsbeitrag mit Wirkung vom 1.1.2003 um 23,47 Euro auf 652,73
Euro erhöht wurde. Die Klägerin, welche der Beitragserhöhung widersprochen und
um Erläuterungen gebeten hatte, zahlte für die Monate Januar bis April 2003
weiterhin den bisherigen Beitrag. Mit Schreiben vom 8.4.2003 forderte die
Beklagte die Klägerin zur Zahlung der offenen Restbeiträge in Höhe von insgesamt
93,88 Euro auf, setzte der Klägerin eine Zahlungsfrist und erklärte für den Fall,
dass die Klägerin bei Fristablauf noch mit der Zahlung in Verzug sein sollte, die
Kündigung des Versicherungsvertrages. Die Klägerin widersprach der Kündigung
mit Schreiben vom 17.4.2003 und rechnete mit einem Teilbetrag in Höhe von
68,38 Euro wegen im Rahmen der Euro-Umstellung vermeintlich unberechtigter
Anhebung des Selbstbehaltes auf und zahlte den weiteren Differenzbetrag von
25,50 Euro. Die Folgebeiträge zahlte die Klägerin in voller Höhe. Mit ihrer Klage
begehrt die Klägerin die Feststellung des Fortbestehens ihres
Krankenversicherungsvertrages bei der Beklagten.
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Durch Urteil vom 10.3.2004 – auf dessen Inhalt (Bl. 124 ff d.A.) wegen des weiteren
Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird - hat das Landgericht die Klage
abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte den
Krankenversicherungsvertrag wirksam gemäß § 39 VVG gekündigt habe. Die
seitens der Klägerin erklärte Aufrechnung scheitere bereits am
Aufrechnungsverbot gemäß §§ 26 VAG, 12 MB/KK. Da die Klägerin bewusst und
gewollt die Prämienforderung nicht vollständig erfüllt habe, sei für
Billigkeitserwägungen kein Raum. Die Klägerin könne die Beklagte auch nicht
darauf verweisen, dass sie die Rückstände mit Gegenforderungen aus
Leistungsabrechnungen habe verrechnen können. Zwar könne im Einzelfall die
Entziehung des Versicherungsschutzes unwirksam sein, wenn dem
Versicherungsnehmer weitaus höhere Gegenforderungen zustünden, da dann
seine Zahlungsbereitschaft nicht in Frage stehe. Die Klägerin habe die
Beitragszahlung jedoch gerade deshalb verweigert, weil sie die Auffassung
vertreten habe, die Erhöhung sei unwirksam; eine Bereitschaft zur Beitragszahlung
habe danach nicht bestanden. Im übrigen sei davon auszugehen, dass die
Leistungsansprüche der Klägerin erst nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist
angemeldet worden seien.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie rügt die Verletzung
materiellen Rechts.
Die Beitragsanpassungsklausel in § 8 b MB/KK sei intransparent und verstoße
gegen § 9 AGBG. Selbst wenn sie wirksam wäre, verstoße die vorliegende
Anpassung gegen Treu und Glauben, da die Beklagte nicht hinreichend dargelegt
habe, dass die Erhöhung der Billigkeit entsprochen habe. Sie verweist insoweit
insbesondere auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 16.6.2004
(VersR 2004, 991).Im übrigen wiederholt sie ihre Auffassung, dass angesichts des
geringen Beitragsrückstandes von 68,38 Euro das Berufen der Beklagten auf § 39
VVG rechtsmissbräuchlich sei und diese auch die Möglichkeit gehabt habe, die
Beiträge mit Gegenforderungen zu verrechnen. Die Beklagte habe zu Unrecht eine
Verrechnung der per Dauerauftrag gezahlten Beiträge mit Schreiben vom
8.4.2003 abgelehnt. Des weiteren sei eine Verrechnung der mit Schreiben vom
28.3. und 15.5.2003 abgerechneten Leistungen (Bl. 105 ff d.A.) ohne weiteres
möglich gewesen, da die Ansprüche lange vor Ablauf der bis zum 28.4.2003
gesetzten Zahlungsfrist angemeldet gewesen seien. In der Vergangenheit habe
die Beklagte sehr wohl derartige Verrechnungen vorgenommen (Beweis:
Schreiben vom 14.4.2004/Bl. 193 d.A.).
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt/M. vom 10.3.2004
festzustellen, dass der zwischen den Parteien zu Versicherungsschein Nr. … seit
dem 1.7.1978 abgeschlossene Krankenversicherungsvertrag fortbesteht und nicht
durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 8.4.2004 geendet hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie verweist darauf, dass die
Klägerin in erster Instanz die Wirksamkeit der Beitragsanpassungsklausel nicht
beanstandet, vielmehr nur die fehlende Nachvollziehbarkeit der Anpassung gerügt
habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei eine derartige
Anpassungsklausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen jedoch nicht zu
beanstanden, da Krankenversicherungsverträge in der Regel auf lange Dauer
geschlossen würden und deshalb ein anzuerkennendes Bedürfnis des Versicherers
bestehe, die Prämien der nicht voraussehbaren Entwicklung der Kosten im
Gesundheitswesen anzupassen. Vorliegend seien die gesetzlichen
Voraussetzungen für eine Prämienanpassung gemäß § 178 g II VVG i.V.m. §§ 12,
12 c VAG gegeben (Beweis: Zustimmungserklärung des Treuhänders Kaschel vom
17.9.2002 / Bl. 181 d.A.).Im übrigen verweist sie darauf, dass der Klägerin zum
Zeitpunkt der Kündigung und der ihr gesetzten Zahlungsfrist keine
Gegenansprüche zugestanden hätten. Die diesbezüglichen Feststellungen des
Landgerichts habe die Klägerin nicht substantiiert angegriffen.
II) Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat ein
berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des Fortbestehens ihres
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berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des Fortbestehens ihres
privaten Krankenversicherungsvertrages bei der Beklagten. Die insoweit erhobene
Feststellungsklage hat auch in der Sache Erfolg. Der Krankenversicherungsvertrag
der Klägerin ist nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 8.4.2003 beendet
worden. Die Kündigung war unwirksam. Eine Kündigung gemäß § 39 VVG setzt
voraus, dass der Versicherungsnehmer eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt,
der Versicherer diesen qualifiziert gemahnt und der Versicherungsnehmer weder
innerhalb der eingeräumten Zahlungsfrist noch der anschließenden Monatsfrist
den Rückstand ausgeglichen hat. Vorliegend dürfte es bereits als streitig
anzusehen sein, ob die Klägerin sich tatsächlich im Hinblick auf die Zahlung der
bisherigen Beiträge für die Monate Januar bis April 2003 im Beitragsrückstand
befand. Die Klägerin hat der erfolgten Beitragserhöhung widersprochen und
ausweislich der Klageschrift die ihr insoweit erteilten Erläuterungen als ungenügend
bezeichnet, da unklar geblieben sei, inwiefern die gebildete Altersrückstellung bei
der Erhöhung der Beiträge berücksichtigt worden sei. Insoweit hat sie auch
Einwendungen gegen die Grundlagen des Treuhänderverfahrens - gegen dessen
Zulässigkeit allerdings entgegen der Auffassung der Klägerin keine Bedenken
bestehen (vgl. BGH VersR 1992, 1211) - erhoben. Letztlich mag dies jedoch
ebenso wie die weitere Frage, ob die einseitige Erhöhung des Selbstbehaltes im
Rahmen der Euro-Umstellung seitens der Beklagten wirksam erfolgt und bereits
deshalb die seitens der Klägerin mit Schreiben vom 17.4.2003 erklärte
Aufrechnung in Höhe von 68,38 Euro ins Leere gegangen ist, dahingestellt bleiben.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin sich bei Ablauf der gesetzten
Zahlungsfrist mit 68,38 Euro in Verzug befand, rechtfertigt ein solcher Rückstand
unter Berücksichtigung der Gesamtumstände (§ 242 BGB) nicht zur Kündigung
des Krankenversicherungsvertrages. Zwar hat das Landgericht zu recht
ausgeführt, dass das Berufen der Beklagten auf die Kündigung nicht allein deshalb,
weil es sich um einen relativ geringfügigen Beitragsrückstand handelt, als
treuewidrig angesehen werden kann. Wie der Bundesgerichtshof (VersR 1988, 484)
ausgeführt hat, wird von einem Versicherer verlangt, dass er angemahnte Prämien
einzeln und ohne – auch nur geringfügige Abweichungen – ausweist. Dem
entspricht umgekehrt das Erfordernis, dass der Versicherungsnehmer seinerseits
die geschuldeten, angemahnten Prämien unverkürzt begleicht, um sich den
Versicherungsschutz zu erhalten. Erfüllt der Versicherungsnehmer bewusst und
gewollt eine Prämienanforderung nicht, bleibt für die Billigkeitserwägung, der nicht
beglichene Rest sei verhältnismäßig geringfügig, kein Raum. Dennoch ist – worauf
Römer (VVG-Komm. 2. Aufl., § 39 Rz. 19) zu recht hinweist - im Einzelfall bei
geringfügigen Rückständen die Anwendung des § 242 BGB nicht grundsätzlich
ausgeschlossen. Ob derartige, besondere Umstände vorliegend darin zu sehen
sein könnten, dass der Beitragsrückstand vor dem Hintergrund seitens der
Beklagten – wie die Klägerin meint - unzureichend erteilter Auskünfte entstanden
ist, mag dahingestellt bleiben. Das Berufen der Beklagten auf die Kündigung ist
jedenfalls deshalb als treuewidrig anzusehen, weil die Beklagte von anderweit
bestehenden Verrechnungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht hat. Wenn
das Prämieninteresse des Versicherers hinreichend gesichert ist, verstößt es – wie
der Bundesgerichtshof (VersR 1985, 877) im Rahmen der Kaskoversicherung
entschieden hat – gegen Treu und Glauben, wenn er von
Verrechnungsmöglichkeiten keinen Gebrauch macht. Diese Grundsätze sind auch
auf die private Krankenversicherung übertragbar. Das Aufrechnungsverbot des §
12 MBKK richtet sich nur an den Versicherungsnehmer, nicht aber den Versicherer.
Vorliegend war das Prämieninteresse der Beklagten hinreichend aufgrund
anderweitiger Verrechnungsmöglichkeiten in Hinblick auf die
Leistungsabrechnungen gemäß Schreiben vom 28.3. und 15.5.2003 gesichert.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 28.3.2003 – also kurz vor Erstellung der
qualifizierten Mahnung – der Klägerin mitgeteilt, dass sie aus der
Leistungsabrechnung betreffend den Behandlungs- bzw. Abrechnungszeitraum
vom 15.1. bis 19.3.2003 einen Betrag von 1.209,17 Euro überweisen werde.
Insofern hätte sie jedenfalls hinsichtlich der Rückstände Januar bis März eine
Verrechnung vornehmen können. Des weiteren bestand innerhalb der - nach
Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist - sodann noch laufenden Monatsfrist eine
weitere Verrechnungsmöglichkeit zugunsten der Beklagten. Gemäß Schreiben
vom 15.5.2003 stand der Klägerin aus der Leistungsabrechnung ein
Erstattungsanspruch in Höhe von 260 Euro zu. Auch von dieser
Verrechnungsmöglichkeit, die geeignet gewesen wäre, die Verzugsfolgen
abzuwenden, hat die Beklagte entgegen Treu und Glauben keinen Gebrauch
gemacht. Entgegen der Auffassung der Beklagten war ihr eine Verrechnung auch
nicht deshalb unzumutbar, weil sie davon habe ausgehen können, dass die
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nicht deshalb unzumutbar, weil sie davon habe ausgehen können, dass die
Klägerin einer Verrechnung widersprechen werde und sich das Problem des
Beitragsrückstandes nur verlagert hätte. Allein der Umstand, dass sich das
Vertragsverhältnis mit der Klägerin in der Vergangenheit nicht unproblematisch
gestaltet und die Klägerin die streitgegenständliche Erhöhung der Beiträge
hinterfragt hat, berechtigt eine solche Annahme nicht. Des weiteren hat die
Klägerin gemäß Schreiben vom 17.4.2003 den nach Aufrechnung mit dem
erhöhten Selbstbehalt verbleibenden Rückstand in Höhe von 25,50 Euro
überwiesen und ab Mai 2003 die erhöhten Beiträge gezahlt, um ihren
Versicherungsschutz nicht weiter zu gefährden, was belegt, dass die Klägerin
bereit war, zumindest bis zu einer weiteren Klärung ihrer Beitragsverpflichtung in
voller Höhe nachzukommen.
Angesichts des nur geringfügigen Beitragsrückstandes und der bestehenden
Verrechnungsmöglichkeiten war das Prämieninteresse der Beklagten daher
hinreichend gesichert, so dass ihr Berufen auf die Kündigung treuewidrig ist.
Der Einräumung einer Schriftsatzfrist für die Beklagte bedurfte es nicht, da – wie
bereits im Senatstermin ausgeführt – der Rechtsstreit auch ohne Klärung der
weiteren noch der Substantiierung bedürftigen Punkte - betreffend die
Voraussetzungen des Treuhänderverfahrens sowie die Berechtigung zur Erhöhung
des Selbstbehaltes - entscheidungsreif ist. Ebenso bestand in Hinblick auf den
nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 8.7.2005 kein Anlass erneut
in die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO einzutreten, da dieser zur Frage
der Treuewidrigkeit des Berufens der Beklagten auf die Kündigung keinen neuen
entscheidungserheblichen Vortrag enthält. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I
ZPO, die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708
Nr.10, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.