Urteil des OLG Frankfurt vom 16.08.2000

OLG Frankfurt: eltern, haftpflichtversicherung, billigkeitshaftung, vergleich, schule, alter, entschädigung, quelle, minderjährigkeit, augenverletzung

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Gericht:
OLG Frankfurt 7.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 U 142/99
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, § 828 Abs 1
BGB, § 829 BGB
(Billigkeitshaftung bei Deliktsunfähigkeit: Private
Haftpflichtversicherung des Schädigers)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts
Wiesbaden vom 22.06.1999 - Az.: 8 0 174/98 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer beträgt 31.427,20 DM.
Tatbestand
Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO
abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg. Zurecht hat das
Landgericht hinsichtlich des Beklagten zu 1. eine Haftung aus 829 BGB, der
einzigen in Betracht kommende Anspruchsgrundlage, verneint. Zwar hat der
Beklagte zu 1. dem Kläger entsprechend den Erfordernissen des § 823 Abs. 1 BGB
geschädigt, indem er ihn mit einem Stock am Auge verletzte, und ist hierfür
gemäß § 828 Abs. 1 BGB nicht verantwortlich, da er zum Zeitpunkt des Vorfalles
das 7. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, doch kann nicht festgestellt werden,
dass die Billigkeit eine Haftung des Beklagten zu 1. erfordert.
Ob die Billigkeit eine Haftung erfordert, beurteilt sich nach den Gesamtumständen,
wozu entsprechend dem Gesetzeswortlaut insbesondere die Verhältnisse der
Beteiligten gehören. Nach allgemeiner Ansicht erfordern die Verhältnisse der
Beteiligten eine Entschädigung nur dann, wenn ein erhebliches wirtschaftliches
Gefälle vorliegt. Ein solches Gefälle ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Zwar
verweist der Kläger auf aus der Augenverletzung resultierende nachteilige
Berufschancen. Hierbei handelt es sich aber um Einschränkungen des
Entscheidungsspielraumes, die zum einen spekulativ sind und deren finanzielle
Konsequenzen zum anderen völlig offen sind. Erst recht ist völlig offen, wie sich im
Vergleich dazu die wirtschaftliche Lage des Beklagten zu 1. entwickelt. Von daher
bedarf es auch keiner Entscheidung, inwieweit die zukünftige wirtschaftliche
Entwicklung bei dem geforderten gegenwärtigen wirtschaftlichen Vergleich
berücksichtigt werden kann.
Ein wirtschaftliches Gefälle lässt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, dass
der Beklagte zu 1. haftpflichtversichert ist. Dabei kann dahinstehen, ob sich die
von den Beklagten zu 2. und zu 3. bei der Allianz unterhaltenen
Haftpflichtversicherung lediglich um eine Gefahrperson handelt. Jedenfalls scheidet
eine Berücksichtigung dieser Haftpflichtversicherung bereits deshalb aus, weil es
sich um eine private, Haftpflichtversicherung handelt. Bei der Entscheidung, ob
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sich um eine private, Haftpflichtversicherung handelt. Bei der Entscheidung, ob
dem Grunde nach ein Billigkeitsausgleich erforderlich ist, kann lediglich eine
Pflichtversicherung berücksichtigt werden (vgl. BGHZ 127, 186, 191).
Auch tat- oder täterbezogene Umstände, die einen Billigkeitsausgleich fordern,
stehen nicht fest. Der Tathergang ist unaufgeklärt. Es lässt sich nicht aufklären, ob
der Beklagte zu 1. dem Kläger im Rahmen eines gemeinsamen Spieles, oder
durch ein aggressives Verhalten verletzt hat. Die Zeugin F. wurde auf das
Geschehen erst aufmerksam, als der Beklagte zu 1. dem Kläger mit dem Stock ins
Auge schlug. Hingegen hatte die Zeugin nach ihrem Bekunden nicht genau
gesehen, wie es zu dem Schlag kam. Wenn es zu dem Schlag aus einer
Spielsituation heraus kam, würde dies gemäß § 254 BGB, auf den § 829 BGB den
"spiegelbildlich" angewendet wird (vgl. Staudinger/Oetzler, § 829 Rz. 66 ff.), gegen
eine Billigkeitshaftung sprechen. Ebenfalls zurecht hat das Landgericht eine
Haftung der Beklagten zu 2. und zu 3. gemäß § 832 BGB verneint. Zwar sind die
Beklagten zu 2. und zu 3. über den .Beklagten zu 1. aufgrund dessen
Minderjährigkeit gemäß § 1626 Abs. 1 BGB aufsichtspflichtig. Es lässt sich aber
nicht feststellen, dass sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Der Umfang der
gebotenen Aufsicht richtet sich nach Alter, Eigenart und Charakter des
Minderjährigen. Bei einem Kind im Alter von 6 Jahren, das bereits die Schule
besucht, ist dabei im Regelfall keine Überwachung "auf Schritt und Tritt" mehr
erforderlich. Vielmehr ist eine regelmäßige Kontrolle in angemessenen Abständen
ausreichend (vgl. BGH NJW 1995, 3385, 3386). Dieser Verpflichtung sind die
Beklagten zu 2. und zu 3. nachgekommen, indem sie die Beaufsichtigung des
Beklagten zu 1. für den Zeitraum nachmittags nach der Schule dessen Großeltern
übertrugen, was gemäß § 823 Abs. 1 Satz 2 BGB zu einer der Eltern Entlastung
führt.
Dass die Beklagten zu 2. und zu 3. ihrer Aufsichtspflicht genügt haben, kann auch
nicht, mit der Begründung verneint werden, bei dem Beklagten zu 1. habe es sich
um ein besonders aggressives Kind gehandelt. Zwar bestehen bei Kindern mit
schweren Verhaltensstörungen und aggressivem Verhalten gesteigerte
Aufsichtspflichten (vgl. BGH NJW 1997, 2047, 2048; 1995, 3385, 3386), doch lässt
sich auch hieraus nichts zugunsten des Klägers ableiten. Für die Annahme einer
gesteigerten Aufsichtsverpflichtung bedarf es einer konkreten Darlegung der
Verhaltensauffälligkeiten (vgl. BGH NJW 1997, 2047, 2048). Diesen Anforderungen
genügt der Sachvortrag des Klägers nicht. Obwohl bereits in dem angegriffenen
Urteil das Vorbringen des Klägers nicht für ausreichend erachtet wurde, wurde in
der Berufung lediglich auf den bisherigen Sachvortrag dahin Bezug genommen,
dass der Beklagte zu 1. bereits im Kindergarten auffällig war und aggressiv sowie
gewalttätig auf seine dortigen Kameraden einwirkte. Damit sind
Verhaftensauffälligkeiten nicht hinreichend dargetan. Es sind keinerlei konkrete
Ereignisse genannt, bei denen sich die behauptete Verhaltensauffälligkeit zeigte.
Damit ist weder den Beklagten zu 2. und zu 3. eine konkrete Erwiderung möglich,
noch lässt sich daraus entwickeln, was an besonderen Aufsichtsmaßnahmen
erforderlich ist. Zudem wird klägerseits die ohnehin auf der Hand liegende
Tatsache eingeräumt, dass den Großeltern die behaupteten Auffälligkeiten
bekannt waren, so dass eine Aufsichtspflichtverletzung der Beklagten zu 2. und zu
3. in Form des Unterlassens einer gebotenen Unterrichtung der Großeltern nicht in
Betracht kommt.
Den Beklagten zu 2. und zu 3. lässt sich auch eine etwaige
Aufsichtspflichtverletzung der von den Großeltern bzw. zumindest der Großmutter
übernommenen Aufsichtsverpflichtung nicht zurechnen. Es existiert keine
Zurechnungsnorm. Von daher kann dahinstehen, ob die Großeltern bzw. die
Großmutter den Beklagten zu 1. hinreichend überwacht hat. Die prozessualen
Nebenentscheidungen folgen aus 97 Abs. 1ZPO sowie aus den §§ 708 Nr. 11, 713
ZPO.
Die Beschwer entspricht dem Berufungsstreitwert, da der Kläger in vollem Umfang
unterlegen ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.