Urteil des OLG Frankfurt vom 23.03.2010

OLG Frankfurt: einfache sache, vergabeverfahren, hessen, ermessen, anwaltsgebühr, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, quelle, verwaltungsrecht, dokumentation

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Gericht:
OLG Frankfurt
Vergabesenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 Verg 9/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 128 Abs 4 GWB, § 14 Abs 1
RVG, Nr 2301 RVG-VV, Nr
7000 RVG-VV
Höhe der Anwaltsgebühr bei Tätigwerden im
vorausgegangenen Vergabeverfahren
Leitsatz
1. Auch soweit sich die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Vergabekammer
nach VV 2301 richtet, weil der Anwalt bereits im Vergabeverfahren tätig war, kommt der
Ansatz der Höchstgebühr nur in Frage, wenn es sich um ein überdurchschnittlich
schwieriges oder umfangreiches Nachprüfungsverfahren handelt.
2. Handelt es sich um eine tatsächlich und rechtlich nicht einfache Sache und hat eine
mündliche Verhandlung stattgefunden, kann eine 1,1-fache Gebühr im Einzelfall
angemessen sein.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der
Kostenfestsetzungsbeschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom
10.12.2009 (69 d VK 20/2009) dahin abgeändert, dass die von der Antragstellerin
der Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten auf 1.255,30 € festgesetzt werden.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragstellerin 64% und die
Antragsgegnerin 36% zu tragen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 673,80 € festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 06.07.2009 (69 d VK 20/2009) hat die 2. Vergabekammer des
Landes Hessen den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin, der ein im Februar
2009 begonnenes Vergabeverfahren betraf, zurückgewiesen und entschieden,
dass die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der
Antragsgegnerin trägt; zudem erklärte sie die Hinzuziehung eines
Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für erforderlich.
Mit Schriftsatz vom 21.10.2009 beantragte die Antragsgegnerin, die ihr von der
Antragstellerin zu erstattenden Kosten auf 5.102,01 € festzusetzen. Dieser Betrag
enthält eine 1,3-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 des
Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG) in Höhe
von 1.459,90 € und eine 2,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 2400 VV-RVG in Höhe von
2.807,50 €.
Die 2. Vergabekammer des Landes Hessen setzte mit
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.12.2009 (69 d VK 20/2009) die von der
Antragsgegnerin der Antragstellerin zu erstattenden Kosten auf 1.479,90 € fest.
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Dieser Betrag setzt sich aus einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV-
RVG in Höhe von 1.459,90 € und der Pauschale nach Nr. 7000 VV-RVG in Höhe von
20,00 € zusammen.
Gegen die Festsetzung einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV-RVG
in dem ihr am 16.12.2009 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat die
Antragstellerin mit am 28.12.2009 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom
22.12.2009 sofortige Beschwerde erhoben.
Sie ist der Ansicht, es sei nur eine 0,7-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV-
RVG in Höhe von 786,10 € festzusetzen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Kostenfestsetzungsbeschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen
vom 10.12.2009 abzuändern und die von der Antragstellerin der Antragsgegnerin
zu erstattenden Kosten auf 806,10 € festzusetzen.
Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen und meint, eine 1,3-fache
Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV-RVG sei mit Blick auf die umfangreiche und
schwierige Tätigkeit angemessen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze
Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach § 116 Abs. 1 GWB statthaft und auch im Übrigen
zulässig.
Sie hat in der Sache teilweise Erfolg.
Der Kostenfestsetzungsbeschlusses durch die Vergabekammer ist nicht deswegen
aufzuheben, weil nach § 128 Abs. 4 Satz 5 GWB in der seit dem 24. April 2009
geltenden Fassung ein gesondertes Kostenfestsetzungsverfahren vor der
Vergabekammer nicht mehr stattfindet. Auf das vorliegende Vergabeverfahren ist
das GWB in der bis zum 23. April 2009 geltenden Fassung anzuwenden, da das
Vergabeverfahren vor dem 24. April 2009 begonnen hat (§ 131 Abs. 8 GWB).
Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist jedoch teilweise abzuändern, denn im
vorliegenden Fall ist eine 1,1-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV-RVG
festzusetzen.
Für seine Tätigkeit im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren vor der
Vergabekammer verdient der Rechtsanwalt in Ermangelung eines konkreten
Gebührentatbestands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 Abschnitt 3 VV-RVG (BGH,
Beschluss vom 23.09.2008, X ZB 19/07, VergabeR 2009, 39).
Die Gebührentatbestände Nr. 2300 und Nr. 2301 RVG-VV sind dabei im
Nachprüfungsverfahren in gleicher Weise anzuwenden, wie sie im
verwaltungsrechtlichen Vorverfahren anzuwenden wären (BGH, wie vor).
Danach kommt hier – wie die Vergabekammer zutreffend entschieden hat – die
Gebühr nach Nr. 2301 RVG-VV zur Anwendung, weil der Verfahrensbevollmächtigte
der Antragsgegnerin für diese bereits im Vergabeverfahren tätig geworden ist.
Nr. 2301 VV-RVG normiert einen Gebührenrahmen von 0,5 bis 1,3, wobei gemäß
Nr. 2301 VV-RVG Abs. 2 eine Gebühr von mehr als 0,7 nur gefordert werden kann,
wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Da es sich um eine
Rahmengebühr handelt, gilt § 14 Abs. 1 RVG, wonach der Rechtsanwalt die Gebühr
nach billigem Ermessen bestimmt. Dabei ist die dem billigen Ermessen
entsprechende Gebühr gemäß § 14 Abs. 1 RVG nach allen Umständen des
Einzelfalls aus dem Gebührensatzrahmen zu ermitteln.
Für Vergabesachen spielt die in Nr. 2301 VV enthaltene Kappungsgrenze in der
Regel deswegen keine Rolle, weil in der großen Mehrzahl der Fälle
Nachprüfungsverfahren umfangreich oder schwierig, oftmals auch beides sind
(OLG München, Beschluss vom 11.01.2006 - Verg 21/05, zitiert nach Juris Rn. 8
m.w.N.). Dies bedeutet jedoch nicht, dass für Tätigkeiten in
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m.w.N.). Dies bedeutet jedoch nicht, dass für Tätigkeiten in
Nachprüfungsverfahren stets die Höchstgebühr gerechtfertigt ist. Die volle
Ausschöpfung des Gebührenrahmens bedarf vielmehr der näheren Begründung
sowie der Bewertung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Umfangs
und der Schwierigkeit des konkreten Nachprüfungsverfahrens, wobei dem zu
tolerierenden Ermessen des Anwalts innerhalb des von der Rechtsprechung
entwickelten Toleranzbereiches Rechnung zu tragen ist.
Danach kann der Höchstsatz nur dann gerechtfertigt sein, wenn es sich um ein
überdurchschnittlich schwieriges oder umfangreiches Nachprüfungsverfahren
handelt (OLG München, wie vor, Rn 9,10). Hieran fehlt es.
Die von der Antragsgegnerin angeführten Prüfungsgesichtspunkte (formaler
Ausschluss des Angebotes der Beschwerdeführerin wegen fehlenden Nachweises,
Ausschlussangebot der Beschwerdeführerin, weil die angebotene Leistung nicht
der ausgeschriebenen Leistung entsprach, Wertung der Nebenangebote, da die
Rücknahme des Ausschlusses die tatsächliche und rechtliche Beurteilung de
Nebenangebote bedurfte, Prüfung der Zulässigkeit von Nebenangeboten wegen
Mindestbedingungen, Prüfung mehrerer Angebote, Prüfung baurechtlicher
Prüfzeugnisses und Produktarten, Prüfung der Gleichwertigkeit des Produktes auf
Bauart und Zulassung und Sickerfähigkeit) rechtfertigen nicht die Annahme eines
überdurchschnittlich schwierigen oder umfangreichen Nachprüfungsverfahrens.
Dafür spricht auch, dass die Antragsgegnerin selbst ihrem Festsetzungsantrag
eine 1,3-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG zugrunde gelegt hatte.
Dies deutet darauf hin, dass sie den Höchstsatz selbst nicht als angemessen
ansah, denn Nr. 2300 VV-RVG normiert einen Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5,
wobei eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit
umfangreich oder schwierig war.
Andererseits wäre es nicht gerechtfertigt, die Antragsgegnerin an einem
Gebührensatz in Höhe der Kappungsgrenze, die bei Nr. 2301 VV-RVG einem
Gebührensatz von 0,7 entsprechen würde, ohne Berücksichtigung der Umstände
des Einzelfalls festzuhalten.
Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erscheint hier eine 1,1-
fache Gebühr nach Nr. 2301 VV-RVG angemessen. Dieser Gebührensatz
entspricht einem Gebührensatz von 2,0 für die Gebühr nach Nr. 2300 VV-RVG, den
die Rechtssprechung der Vergabesenate im Regelfall für angemessen hält, wenn
es sich wie hier um eine tatsächlich und rechtlich nicht einfache Sache handelte
und eine mündliche Verhandlung stattfand (OLG Düsseldorf, Beschluss vom
24.5.2005 – Verg 98/04, zitiert nach Juris Rn. 6; Summa in: jurisPK-VergR, 2. Aufl.
2008, VT 1 zu § 128 GWB Rn. 22).
Danach waren unter Berücksichtigung einer 1,1 Geschäftsgebühr nach Nr. 2301
VV-RVG in Höhe von 1.235,30 € insgesamt 1.255,30 € festzusetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 92 Abs. 1
ZPO.
Der Streitwert entspricht dem Änderungsinteresse der Antragstellerin.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.