Urteil des OLG Frankfurt vom 12.07.2004
OLG Frankfurt: historische auslegung, zivilprozessrecht, quelle, immaterialgüterrecht, versicherungsrecht, verwaltungsrecht, wiederholung, meinung, dokumentation, parteivertreter
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Gericht:
OLG Frankfurt 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 W 99/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15 BRAGebO, § 538 ZPO
(Rechtsanwaltsgebühren: Betragsverfahren als neuer
Rechtszug nach Zurückweisung der Berufung gegen
Grundurteil)
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird unter Zurückweisung des weitergehenden
Rechtsmittels der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin der 8.
Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 30.1.2004 in der Fassung des
Teilabhilfebeschlusses vom 9.6.2004 abgeändert.
Auf Grund des Beschlusses des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt
am Main vom 5.12.2003 und des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts
Darmstadt vom 16.10.2001 hat die Beklagte an den Kläger Kosten von 17.455,32
Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz aus
11.812,61 Euro seit 19.12.2001 und aus 5.642,71 Euro seit 21.11.2003 zu
erstatten.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Beschwerdewert: 4.110 Euro.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, soweit der Senat entschieden hat, dass §
15 BRAGO im Falle der Zurückverweisung der Berufung gegen das Grundurteil
anwendbar ist.
Gründe
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde dagegen, dass die Rechtspflegerin
die Festsetzung einer Verhandlungs- und Beweisgebühr seines
Prozessbevollmächtigten für das Betragsverfahren abgelehnt hat. Das Landgericht
hatte durch Grundurteil über den Grund des Anspruchs entschieden, die Berufung
der Beklagten dagegen wurde zurückverwiesen. Das Landgericht hat sodann über
die Höhe der Forderung erneut verhandelt und entschieden.
Der Kläger vertritt die Auffassung, seinem Prozessbevollmächtigten seien in
beiden Verfahren vor dem Landgericht über Grund und Höhe der Klage je eine
Verhandlungs- und Beweisgebühr erwachsen und zu erstatten, weil § 15 BRAGO
Anwendung finde.
Die Beschwerde ist zulässig und zum Teil begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Verhandlungsgebühr, nicht aber der
Beweisgebühr in dem Betragsverfahren.
In der Rechtsprechung ist umstritten, ob eine Zurückverweisung vorliegt, und ob
für das Betragsverfahren § 15 BRAGO anzuwenden ist, wenn das Berufungsgericht
die Berufung gegen ein Grundurteil zurückweist und anschließend vor dem
erstinstanzlichen Gericht über die Höhe verhandelt wird.
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Es wird die Ansicht vertreten, eine Zurückverweisung liege nur dann vor, wenn auf
Grund der Entscheidung des Berufungsgerichts über den gleichen Gegenstand in
der 1. Instanz erneut verhandelt werde, dann aber nicht, wenn lediglich über das in
der 1. Instanz anhängig gebliebenen Betragsverfahren verhandelt werde, bei dem
es sich um eine Wiederholung der früheren Verhandlung handle (OLG
Saarbrücken, JurBüro 1990, 338; OLG Düsseldorf, 24. ZS, JurBüro 1993, 672; OLG
München, JurBüro 1994, 543; HansOLG Hamburg, JurBüro 1996, 136; OLG
Odenburg, JurBüro 1996, 305; LG Berlin, MDR 1999, 385; OLG Bremen, MDR 2002,
298; OLG Oldenburg, JurBüro 2002, 474, jeweils m. w. Hinw.).
Nach überwiegender Meinung in Literatur und Rechtsprechung liegt ein Fall der
Zurückverweisung im Sinne des § 15 BRAGO auch dann vor, wenn das
Berufungsgericht ein Grundurteil der 1. Instanz bestätigt, nicht selbst über die
Höhe entscheidet, sondern die Verhandlung und Entscheidung hierüber der 1.
Instanz überlässt (Hartmann, Kostengesetze, 33. Aufl., § 15 BRAGO Rn 6;
Gerold/Schmidt – Madert, BRAGO, 15. Aufl. § 15 BRAGO Rn. 4 mit
Rechtsprechungsübersicht; Göttlich/Mümmler, fortgeführt von Rehberg/Xanke,
BRAGO, 20. Aufl., Stichwort „Grundurteil“ Anm. 2.2 und Stichwort
„Zurückverweisung“ Anm. 1.2; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl., § 15
BRAGO Rn. 2.3; OLG Stuttgart , JurBüro 1984, 1672; OLG Zweibrücken, JurBüro
1990, 479 m. Anm. Mümmler; OLG Düsseldorf 10. ZS JurBüro 1995, 197 und 12.
ZS, JurBüro 1997, 364; OLG Koblenz, MDR 1996, 533 und JurBüro 1997, 643; OLG –
Schifffahrtsgericht – Karlsruhe JurBüro 1996, 135; OLG Schleswig, KostenRspr § 15
BRAGO Nr. 19 m. Anm. Lappe, jeweils m.w.Hinw.; S. auch Überblick bei Groll,
JurBüro 1996, 286).
Der Senat folgt dieser letzteren Auffassung.
Dafür, dass eine Zurückverweisung auch dann vorliegt, wenn nach der Berufung
über das Grundurteil über den Betrag verhandelt wird, spricht sowohl die
historische Auslegung des § 15 BRAGO, als auch der Gesetzeswortlaut des § 538
Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F. und § 538 Abs., 1 Nr. 4 ZPO der jetzigen Fassung. Mit der
Neufassung des § 15 BRAGO sollte die Regelung des früheren § 27 BRAGO nicht
eingeschränkt werden, mit dem ausdrücklich auf § 538 ZPO verwiesen wurde, nach
dessen Nr. 3 die Sache bei Entscheidung über ein Grundurteil im Falle eines dem
Grunde und der Höhe nach streitigen Anspruchs an die 1. Instanz
zurückzuverweisen ist.
Darauf, ob die Zurückverweisung ausdrücklich ausgesprochen wird, kommt es
nach einhelliger Ansicht nicht an. Maßgeblich ist, ob sich aus dem Berufungsurteil
die Notwendigkeit einer weiteren Verhandlung vor dem untergeordneten Gericht
ergibt, weil das Rechtsmittelgericht die ihm an sich mögliche umfassende
Anschlussentscheidung der untergeordneten Instanz übertragen hat.
Die eigene Entscheidung wäre dem Berufungsgericht nach § 538 Abs. 1 Nr. 3, 2.
Halbsatz ZPO a.F. möglich gewesen.
Es handelt sich daher nach dem Gesetzeswortlaut um eine Zurückverweisung, weil
das Berufungsgericht dem erstinstanzlichen Gericht die Entscheidung über die
Höhe überlässt.
Erst Recht gilt dies nach neuem Recht, wonach es sich nicht mehr um eine
notwendige Zurückverweisung handelt. Das Berufungsgericht hat nach geltendem
Recht auch über die Höhe des Anspruchs zu entscheiden und darf nur
ausnahmsweise zurückverweisen, wenn eine Partei dies beantragt (§ 538 Abs. 2 S.
1 am Ende ZPO).
Auch Sinn und Zweck des § 15 BRAGO steht der Auslegung entsprechend dem
Gesetzeswortlaut nicht entgegen.
Die Bundesrechtsanwaltsordnung knüpft an typische Sachverhalte an, die den
Gebührenanspruch des Rechtsanwalts auslösen, wie etwa Antragstellung, ohne
dass im Einzelfall geprüft wird, ob und in welchem Umfang damit Arbeit verbunden
ist.
§ 15 BRAGO soll den Mehraufwand des Rechtsanwalts vergüten, der damit
verbunden ist, dass das erstinstanzliche Verfahren noch einmal wiederholt wird.
Dieser Mehraufwand entsteht nicht nur dann, wenn das erste Urteil aufgehoben
wird, sondern auch, wenn zwar schon über die Höhe verhandelt worden ist, dieser
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wird, sondern auch, wenn zwar schon über die Höhe verhandelt worden ist, dieser
Streit aber auf der Grundlage des Grundurteils und der Entscheidung des
Berufungsgerichts neu aufgerollt wird. Die wiederholte Einarbeitung nach in der
Regel längerer Zeit ist häufig nicht weniger aufwendig als die Erstbefassung.
Der Klägervertreter hat daher in dem Betragsverfahren eine 10/10
Verhandlungsgebühr gemäß §§ 31 Abs. 1 Nr. 2, 15 BRAGO von 4.225 DM nebst
Mehrwertsteueranteil = 4.901 DM = 2.505,84 Euro verdient, die anteilig zu
erstatten ist.
Anders ist es mit der begehrten Beweisgebühr.
Nach dem Inhalt des Schlussurteils vom 16.10.2001 (S. 5 ff, Bl. 563 d.A.) hat das
Landgericht ausdrücklich ohne weitere Beweiserhebung über die Vorschäden des
Klägers auf der Grundlage der bereits vor Erlass des Grundurteils vorgelegten und
als Beweis gewürdigten Gutachten entschieden.
Dass das Gericht zunächst eine andere Rechtsauffassung vertreten und einen
Beweisbeschluss angekündigt hat, löst die Beweisgebühr nicht aus, auch nicht die
Stellungnahme der Parteien dazu, ob weitere Gutachten einzuholen seien oder
nicht. Möglicherweise war die erneute Auseinandersetzung mit den vom
Landgericht in dem ersten Verfahren zu Beweiszwecken verwerteten Gutachten für
die Parteivertreter mit Arbeit verbunden. Da es, wie ausgeführt, auf den Umfang
des Arbeitsaufwands nicht ankommt, und da die abweichende Wertung des
Gerichts bereits erhobener Beweise kein neues Beweisaufnahmeverfahren ist, hat
der Klägervertreter die Beweisgebühr nicht verdient.
Der Beklagte muss daher nur die Verhandlungsgebühr von anteilig 2.054,89 Euro
nebst Zinsen ab Antragstellung erstatten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde war, soweit geschehen, zuzulassen, weil die Sache
grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 574 Abs. 32,
3 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.