Urteil des OLG Frankfurt vom 29.11.2006
OLG Frankfurt: urkunde, hinreichender tatverdacht, handlungsunfähigkeit, amt, absicht, bedingung, versammlung, falschbeurkundung, form, abstimmung
Gericht:
OLG Frankfurt 2.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ws 173/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 13 BeurkG, § 267 StGB, §
274 StGB, § 348 StGB
(Urkundendelikte eines Notars: Zeitpunkt der
Urkundsqualität einer Niederschrift)
Leitsatz
Bei der Beurkundung rechtsgeschäftlicher Erklärungen ist eine Urkunde dann
abgeschlossen, wenn das in § 13 BeurkG vorgeschriebene Prozedere - Vorlesen,
Genehmigen, Unterschreiben - stattgefunden hat.
Tenor
Die Erhebung der öffentlichen Klage wird angeordnet.
Der Beschuldigte ist hinreichend verdächtig, eine Urkunde, welche ihm nicht oder
nicht ausschließlich gehört, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen,
vernichtet zu haben, tatmehrheitlich als Amtsträger, der zur Aufnahme öffentlicher
Urkunden befugt ist, innerhalb seiner Zuständigkeit eine rechtlich erhebliche
Tatsache falsch beurkundet zu haben.
Der Beschuldigte erstellte als Notar am 10. Juni 2003 gemäß § 130 AktG die
notarielle Niederschrift über die ordentliche Jahreshauptversammlung der A AG.
Hierzu fertigte der Beschuldigte vor der Hauptversammlung einen maschinellen
Entwurf an, der die aus der Tagesordnung und aus dem Leitfaden des
Vorsitzenden des Aufsichtsrates der A AG voraussichtlich sich ergebenden
Elemente berücksichtigte. Diesen Entwurf ergänzte er während der Dauer der
Hauptversammlung handschriftlich um alle Abweichungen vom erwarteten Verlauf
sowie um alle „Variablen“, wie beispielsweise Wortmeldungen, Widersprüche und
Abstimmungsergebnisse, und unterzeichnete ihn noch am Tage der
Versammlung. Diese Niederschrift sollte nach seinem Willen nicht mit einer
Urkunderollennummer versehen und zur Urkundensammlung genommen werden.
Lediglich für den Fall seines Todes oder seiner Handlungsunfähigkeit hatte er seine
Notariatsangestellte zuvor angewiesen, für diese Niederschrift eine
Urkundenrollennummer zu „reservieren“, sie als das Hauptversammlungsprotokoll
einzutragen und zur Urkundensammlung zu nehmen. Zu einem nicht näher
bekannten, nach der Hauptversammlung liegenden Tag ließ der Beschuldigte
seine Notariatsangestellte eine vollständig maschinell erstellte Fassung fertigen, in
der diese in Abstimmung mit ihm seine handschriftlichen Änderungen
einarbeitete. Sodann übersandte er diese maschinell erstellte Fassung der A AG
und traf sich „zur Abstimmung von Feinheiten“ mit zwei Mitarbeitern dieser Bank.
Danach nahm er an dieser Fassung aufgrund der Ausführungen der Mitarbeiter
verschiedene Änderungen und Berichtigungen vor, ohne diese als solche kenntlich
zu machen. In der danach unter dem Datum „10. Juni 2003“ erstellten
„Endfassung“ des Hauptversammlungsprotokolls erklärte der Beschuldigte am
Ende Folgendes: „Nachdem weitere Wortmeldungen nicht mehr vorlagen, wurde
die Versammlung um 21 Uhr 21 Minuten von dem Herrn Vorsitzenden
geschlossen. Hierüber wurde diese in Urschrift bei mir verbleibende Niederschrift
aufgenommen und von mir, dem amtierenden Notar, eigenhändig
unterschrieben.“
Diese „Endfassung“ des Protokolls unterzeichnete der Beschuldigte, versah sie
mit der „reservierten“ Urkundenrollennummer und nahm sie zur
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mit der „reservierten“ Urkundenrollennummer und nahm sie zur
Urkundensammlung.
Die seine handschriftliche Ergänzungen enthaltende, von ihm unterzeichnete
Fassung des Hauptversammlungsprotokolls ist von dem Beschuldigten nach
Erstellung der „Endfassung“ vernichtet („entsorgt“) worden.
Vergehen, strafbar nach §§ 274 Abs. 1 Ziff. 1, 348 Abs. 1, 53 StGB.
Gründe
Der form- und fristgerecht gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist,
soweit der Antragsteller damit die Klageerhebung gegen den Beschuldigten wegen
Urkundenvernichtung und Falschbeurkundung im Amt erstrebt, zulässig (§ 172
Abs. 2 und 3 StPO), insbesondere ist der Antragsteller als Inhaber von Aktien der A
AG Verletzter i.S.d. § 172 Abs. 1 StPO.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat insoweit auch in der Sache Erfolg.
Die Anordnung der öffentlichen Klage ist geboten, weil der Beschuldigte zum einen
einer Urkundenunterdrückung in Form der Urkundenvernichtung (274 Abs. 1 Ziff 1
StGB) hinreichend verdächtig ist, indem er die von ihm am Abend des 10. Juni
2003 unterzeichnete Niederschrift über den Verlauf der Hauptversammlung
„entsorgte“.
Bei dieser Niederschrift handelte es sich um eine Urkunde im Sinne von §§ 267
Abs. 1, 274 Abs. 1 Ziff. 1 StGB. Zwar ist in der neuesten Literatur streitig, wann die
von einem Notar gemäß § 130 Abs. 1 AktG über die Hauptversammlung
aufgenommene Niederschrift als notarielle Urkunde abgeschlossen ist, sie mithin
Urkundsqualität erreicht. Während nach einer erst nach der in Rede stehenden
Hauptversammlung vertretenen Auffassung dies erst dann der Fall ist, wenn der
Notar die Niederschrift insbesondere durch Erteilung von Ausfertigungen oder
beglaubigten Abschriften in den Rechtsverkehr gegeben hat (so Maaß ZNotP
2005, 50 ff und 377 ff; ebenso Wolfsteiner ZNotP 2005, 376 f), liegt nach anderer
schon lange vertretenen Ansicht bereits mit der Unterzeichnung der Niederschrift
durch den Notar eine Urkunde vor (so Eylmann zuletzt in ZNotP 2005, 300 ff und
458 ff).Letzterer Auffassung ist zu folgen. Bei der Beurkundung
rechtsgeschäftlicher Erklärungen ist eine Urkunde dann abgeschlossen, wenn das
in § 13 BeurkG vorgeschriebene Prozedere – Vorlesen, Genehmigen,
Unterschreiben – stattgefunden hat. Davon, dass etwas anderes für sonstige
Beurkundungen i.S.v. §§ 36 ff BeurkG gelten soll, abgesehen davon, dass bei
solchen Urkunden ein Vorlesen nicht erforderlich ist und nur der Notar durch seine
Unterschrift die von ihm gemachten Wahrnehmungen bestätigt, kann nicht
ausgegangen werden (vgl. Eylmann ZNotP 2005, 302). Vielmehr ist aus dem
Umstand, dass in § 44a BeurkG zwischen der Beurkundung von Willenserklärungen
und sonstigen Beurkundungen nicht unterschieden wird, zu folgern, dass der
Gesetzgeber eine solche Differenzierung nicht wollte (vgl. Eylmann a.a.O.).Den
Schluss, dass es sich bei der am Hauptversammlungstag unterzeichneten
Niederschrift nicht lediglich um einen Entwurf, sondern um das wirksam zustande
gekommene Protokoll handelte, lässt sich auch aus der Einlassung des
Beschuldigten selbst ziehen. Die Intention des Beschuldigten war, dass dieses
Schriftstück im Falle seines Todes oder seiner Handlungsunfähigkeit die wenn auch
gegebenenfalls unvollständige Niederschrift der Jahreshauptversammlung
darstellen sollte. Die Frage des Vorliegens einer Urkunde kann indes nicht von
dem Eintritt einer Bedingung abhängig gemacht werden, insbesondere kann die
Urkundeneigenschaft nicht dadurch verloren gehen, dass die Bedingung (Tod oder
Handlungsunfähigkeit) nicht eintritt.
Der Beschuldigte hat diese Niederschrift nicht unter der dafür vorgesehenen
Urkundennummer zur Urkundensammlung genommen, sie vielmehr nach seiner
Einlassung „entsorgt“, also „vernichtet“ i.S.d. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Deshalb kann im jetzigen Zeitpunkt hinreichender Tatverdacht des Beschuldigten
im Hinblick auf eine vorsätzliche Urkundenvernichtung nicht verneint werden. Es ist
bei einem Notar davon auszugehen, dass diesem die einschlägigen
Bestimmungen des Beurkundungsgesetzes in Bezug auf die Errichtung von
Urkunden geläufig sind, insbesondere dass er weiß, in welchem Zeitpunkt eine
Urkunde abgeschlossen und damit seiner uneingeschränkten Verfügungsgewalt
entzogen ist. Ein Berufen auf einen mangelnden Vorsatz unter Hinweis auf die
oben genannten Aufsätze von Maaß und Wolfsteiner, nach denen die
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oben genannten Aufsätze von Maaß und Wolfsteiner, nach denen die
Urkundsqualität der am Hauptversammlungstag unterzeichneten Niederschrift zu
verneinen wäre, ist dem Beschuldigten bereits deswegen verwehrt, weil diese
zeitlich erst nach der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat veröffentlicht
wurden, sie sein Handeln im Tatzeitpunkt mithin nicht beeinflusst haben konnten.
Der Beschuldigte ist zudem hinreichend verdächtig, die am
Hauptversammlungstag unterzeichnete Niederschrift in der Absicht vernichtet zu
haben, einem anderen Nachteil zuzufügen. Ausreichend ist insoweit das
Bewusstsein, dass der Nachteil die notwendige Folge der Tat ist, das heißt, dass
das Benutzen des gedanklichen Inhalts der Urkunde in einer aktuellen
Beweissituation vereitelt wird (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 274 Rdn. 6
m.w.N.). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Dem Beschuldigten war bewusst,
dass er durch das „Entsorgen“ der Niederschrift die Beweisführungsmöglichkeit
der Aktionäre im Hinblick auf die in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse
hindert.
Der Beschuldigte ist zudem einer Falschbeurkundung im Amt (§ 348 Abs. 1 StGB)
hinreichend verdächtig ist, indem er in der von ihm unterzeichneten „Endfassung"
der Niederschrift vorgab, diese am „10. Juni 2003“ errichtet zu haben, obwohl dies
tatsächlich zu einem unbekannten Zeitpunkt deutlich nach diesem Tag geschehen
ist.
Als Notar war der Beschuldigte ein zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugter
Amtsträger (§ 1 BeurkG, §1 BNotO). Die Errichtung der notariellen Niederschrift
nach § 130 AktG nahm er auch innerhalb seiner Zuständigkeit im Sinne des § 348
StGB vor. Mit der Beurkundung des unzutreffenden Zeitpunkts der Errichtung der
Niederschrift hat der Beschuldigte eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch
beurkundet. Falsch beurkundet im Sinne des § 348 StGB sind diejenigen rechtlich
erheblichen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der
öffentliche Glaube der Urkunde, das heißt die volle Beweiswirkung für und gegen
jedermann erstreckt (vgl. BGHSt 22, 201 (203)). Das ist hier der Fall. Die
Niederschrift über eine Hauptversammlung, die unmittelbar nach deren
Beendigung unter dem Vorbehalt einer – späteren – sorgfältigen Prüfung
unterzeichnet wird, dann aber später verschwindet und geraume Zeit –
gegebenenfalls Wochen - danach durch eine neu gefasste Niederschrift ersetzt
wird, verliert an Beweiswert, weil nicht erkennbar ist, an welchen Punkten eine
Veränderung oder Berichtigung vorgenommen worden ist. Mit der Angabe des
unzutreffenden Zeitpunkts der Errichtung des neu gefassten Protokolls hat der
Beschuldigte vorgetäuscht, dieses aufgrund frischer Erinnerung niedergeschrieben
zu haben. Damit wird aber der Anschein einer Authentizität erregt, die tatsächlich
höchst fraglich ist.
Die Durchführung dieses Beschlusses obliegt der Anklagebehörde (§ 175 S. 2
StPO).
Soweit der Antragsteller die Erhebung der öffentlichen Klage gegen den
Beschuldigten (auch) wegen Beihilfe zum (versuchten) Prozessbetrug (§§ 263, 22,
27 Abs. 1 StGB) erreichen möchte, ist jedenfalls sein Antrag auf gerichtliche
Entscheidung unzulässig. Insoweit fehlt es bereits an der erforderlichen
hinreichenden Sachverhaltsschilderung im Hinblick auf das Vorliegen einer
Haupttat (versuchter Prozessbetrug). Es ist schon nicht ersichtlich, wer, durch
welche Täuschungshandlung einen Irrtum erregen wollte, der zu einem auf einer
Vermögensverfügung beruhenden Vermögensschaden führen sollte.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.