Urteil des OLG Frankfurt vom 29.06.2006

OLG Frankfurt: leichtfertiges verhalten, umkehr der beweislast, frachtführer, hohes alter, beförderung, fahrzeug, verjährung, speditionsvertrag, verfrachter, angola

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Gericht:
OLG Frankfurt 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 100/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 407 HGB, § 421 HGB, § 452
HGB, § 452a HGB, § 452b HGB
Speditionsvertrag zu fixen Kosten: Schadenersatzanspruch
wegen der Beschädigung eines Fahrzeugs
Leitsatz
Gemäß § 452 S.1 HGB sind die allgemeinen frachtrechtlichen Vorschriften der §§ 407 ff.
HGB nur anwendbar, soweit sie nicht durch die spezielleren Vorschriften der §§ 452 a
bis 452 d HGB für multimodale Transporte verdrängt werden. Die Sondervorschriften
greifen gemäß § 452 a HGB ein, sobald der Schadenseintritt einer bestimmten
Teilstrecke zugeordnet werden kann.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 23. Zivilkammer des
Landgerichts Darmstadt vom 13.04.2005 unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 41.231,52 zuzüglich Zinsen von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2003 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Frachtführerin auf Schadensersatz in Höhe
von € 41.631,52 (zunächst US$ 52.039,40) wegen Beschädigung von Transportgut
in Anspruch.
Der Kläger erwarb von seiner Streithelferin im Dezember 2002 einen gebrauchten
A Baujahr 1999 zum Preis von € 46.500,00, der in O1/ Angola ausgeliefert werden
sollte. Die Streithelferin des Klägers beauftragte mit der Überführung des
Fahrzeugs die Beklagte und vereinbarte mit ihr zum Fixkostenpreis von € 2.500,00
(Bl.43f./207 der Akte) Transport ab O2 bis frei Ankunft O1 mit Vorlauf per
Autotransporter zum Ladehafen O3 und von dort per Seefracht im Container zum
Zielhafen O1. Die Beklagte übertrug den Schiffstransport von O3 nach O1 ihrer
Streithelferin, was nur diese bestritten hat.
Der Pkw wurde von der Beklagten am 17.12.2002 unbeschädigt in O2
übernommen und via Autotransport über Land am 20.12.2002 im Verladehafen
O3 an den für den Weitertransport nach O1 zuständigen Seefrachtführer
übergeben. Abredewidrig wurde der Pkw sodann zunächst offen ohne Container
nach O4 verschifft, dort ohne zusätzliche Sicherungsmaßnahmen und Fixierungen
in einen Container verladen und sodann ebenfalls auf dem Seeweg nach O1
weiterbefördert. Während des Seetransportes wurde das Fahrzeug schwer
beschädigt und kam am 10.02.2003 in diesem Zustand im Zielhafen O1/Angola an
(wegen Einzelheiten vgl. die Lichtbilder Bl.165-171 sowie im Aktendeckel).
Der Kläger übernahm das Fahrzeug bereits im Zielhafen und ließ sich von der B-
Niederlassung in Angola einen Kostenvoranschlag vom 17.04.2003 über die
voraussichtlichen Reparaturkosten unterbreiten, der mit einem Betrag von US$
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voraussichtlichen Reparaturkosten unterbreiten, der mit einem Betrag von US$
51.539,40 schloss. Diesen Betrag verlangt er als Schadensersatz sowie weitere
US$ 500,00, die er im Zielhafen O1 an Containerkaution entrichten musste. Eine
Reparatur sei vertretbar, weil der Kläger auch noch Einfuhrzoll in Höhe von US$
21.238,00 zahlte.
Die Beklagte wie auch ihre Streithelferin haben im Wesentlichen den behaupteten
Schaden bestritten und sich auf Haftungsausschlüsse und -beschränkungen des
Seehandelsrechts berufen.
Mit am 13.04.2005 verkündeten Urteil, worauf zur weiteren Darstellung auch
wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz ergänzend Bezug genommen
wird, hat das Landgericht der Klage zum Hilfsantrag, der auf Währung „EURO“
lautete, stattgegeben und zur Begründung ausgeführt:
Die Beklagte hafte aufgrund Speditionsvertrag zu fixen Kosten gemäß § 459 HGB
wie ein Frachtführer. Diesen Anspruch könne der Kläger gemäß § 421 HGB
unmittelbar selbst geltend machen. Die §§ 452,452a HGB und damit auch §§ 606
ff. HGB seien nicht anwendbar. Der Höhe nach habe die Beklagte den substanziiert
dargelegten Schaden des Klägers trotz richterlichen Hinweises nicht hinreichend
qualifiziert bestritten.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die auch in zweiter Instanz von
ihrer Streithelferin unterstützt wird. Sie rügt unzutreffende Tatsachenfeststellung
und fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts. Der Kläger sei nicht nach §§ 459,
421 I 1, 2 HGB aktivlegitimiert, da der Pkw nicht am vertraglich vereinbarten
Bestimmungsort - seiner Wohnanschrift in O1/ Angola - abgeliefert wurde.
Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht ferner die §§ 606 ff. HGB nicht zugunsten
der Beklagten angewandt. Die Beklagte beruft sich auf verspätete
Schadensanzeige durch den Kläger, Haftungsausschluss wegen Seegefahr bzw. -
unfall sowie die Haftungsbeschränkung nach § 660 I HGB und erhebt, nachdem die
Streithelferin des Klägers ihre Ansprüche gegen die Beklagte im Termin am
30.06.2006 vorsorglich erneut abgetreten hat, ferner die Einrede der Verjährung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 13.04.2004 zu Az.: 23 O 324/03
abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und seine Streithelferin beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt im Übrigen dem
Berufungsvortrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die nachfolgenden Ausführungen Bezug
genommen.
II. Die zulässige Berufung hat ganz überwiegend keinen Erfolg. Das Urteil des
Landgerichts hält den Angriffen der Berufung bis auf einen Teilbetrag der
Klageforderung von € 400,00 im Ergebnis stand. Der zuerkannte
Zahlungsanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 459, 421 I 2, 452, 452a, 606 S.2
HGB in Verbindung mit § 249 BGB.
A. Der zwischen der Streithelferin des Klägers und der Beklagten am 05.12.2002
geschlossenen Vertrag ist ein Speditionsvertrag zu fixen Kosten im Sinne des §
459 HGB. Die Beklagte hat sich verpflichtet, den Pkw für € 2.500,00 einschließlich
aller Kosten von O2 nach O1 zu befördern (vgl. Koller, Transportrecht, 5. Aufl., HGB
§ 459 Rn.19 f.; Fremuth/Thume, Kommentar zum Transportrecht, HGB § 459 Rn.7
f.). Rechtsfolge ist, dass die Beklagte gemäß § 459 S.1 HGB wie ein Frachtführer
bzw. wie ein Verfrachter haftet. Der Vertrag unterliegt gemäß Art.28 IV 1 EGBGB
deutschem Rechtsstatut, weil sowohl die Beklagte als Beförderer wie auch die
Streithelferin des Klägers als Absender bei Vertragsschluss in der Bundesrepublik
Deutschland niedergelassen waren.
1. Der Kläger ist nach § 421 I 2 HGB aktivlegitimiert. Zwar weist die Beklagte
zutreffend darauf hin, dass der unmittelbare Anspruch des Empfängers gegen den
Frachtführer erst entsteht, wenn das Transportgut nicht nur am Bestimmungsort,
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Frachtführer erst entsteht, wenn das Transportgut nicht nur am Bestimmungsort,
sondern an der vereinbarten Ablieferungsstelle eintrifft (Koller a.a.O. HGB § 421
Rn.2, 14). Es kann aber dahin stehen, ob die vom Kläger vorgelegte und ihrem
Inhalt nach unstreitige Vertragsunterlage (Bl.43, 207 der Akte) so auszulegen ist,
dass die Aufnahme seiner Privatanschrift in O1 als Ablieferungsstelle gilt.
Ablieferung ist nach ständiger Rechtsprechung der Vorgang, durch den der
Frachtführer die zur Beförderung erlangte Obhut über das Gut mit ausdrücklicher
oder stillschweigender Einwilligung des Verfügungsberechtigten wieder aufgibt und
diesen in die Lage versetzt, die tatsächliche Gewalt über das Gut auszuüben. Sind
keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine andere Beurteilung rechtfertigen
könnten, dann wird sich die Einwilligung des Verfügungsberechtigten zur Aufgabe
der Obhut durch den Frachtführer regelmäßig mit der zwischen Absender und
Frachtführer getroffenen Vereinbarung decken; ist demnach vereinbart, dass der
Frachtführer das Gut an einem bestimmten Platz absetzen muss, dann ist die
Einwilligung des Verfügungsberechtigten erst dann anzunehmen, wenn der
Frachtführer das Gut an diese Stelle verbracht hat (Bundesgerichtshof Urteil vom
09.11.1979, I ZR 28/78, zitiert nach juris, dort Rn.8; ebenso Oberlandesgericht
Frankfurt am Main NJW-RR 1987, 1055 [1056]). Das schließt jedoch nicht aus, dass
vor Ort ausdrücklich oder konkludent eine hiervon abweichende Vereinbarung
getroffen wurde. Unter diesen Voraussetzungen kann auch eine Ablieferung „am
falschen Ort“ genügen. Denn der Empfänger des Transportgutes ist grundsätzlich
nicht gehindert, ein am falschen Ort angeliefertes Transportgut in seine Obhut zu
nehmen und darüber weiter zu verfügen (Oberlandesgericht Frankfurt am Main
NJW-RR 1987, 1055 [1056]; Fremuth/Thume a.a.O. HGB § 425 Rn.19). Diese
Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger trägt unwidersprochen vor, dass er sich
nach Eintreffen des Pkw im Zollfreilager des Hafens von O1 nach Erlaubnis der
Zollbehörde am 22.02.2003 Zutritt zu dem Container verschafft, die
Containerkaution entrichtet, die Zollgebühren gezahlt und das Fahrzeug im Hafen
von O1 übernommen hat. Die Beklagte trägt nicht vor, dass sie mit dieser
Verfahrensweise des Klägers nicht einverstanden war. Auch die Streithelferin des
Klägers als Versenderin hat keine Einwände erhoben. Damit ist von einer
konkludenten Übergabe „am falschen Ort“ auszugehen, welche die
Aktivlegitimierung des Klägers nach § 421 I 2 HGB ausgelöst hat und kommt es
auf die erneut erklärte Abtretung der Streithelferin des Klägers im Termin am
30.03.2006 nicht an.
2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind allerdings die §§ 452 ff. HGB
sowie die Vorschriften des Seehandelsrechts anzuwenden. Der zwischen der
Streithelferin des Klägers und der Beklagten über die Gesamtstrecke
geschlossene Speditionsvertrag zu fixen Kosten sah eine Beförderung mit
verschiedenen Transportmitteln vor, auf die unterschiedliche
Transportrechtsregime anzuwenden sind. § 452 S.2 HGB stellt zunächst klar, dass
die Einbeziehung des Seetransportes der Annahme eines einheitlichen
Beförderungsvertrages nicht entgegensteht (Koller a.a.O. HGB § 452 Rn.6;
Fremuth/Thume a.a.O. HGB § 452 Rn.41).
Gemäß § 452 S.1 HGB sind die allgemeinen frachtrechtlichen Vorschriften der §§
407 ff. HGB nur anwendbar, soweit sie nicht durch die spezielleren Vorschriften der
§§ 452a bis 452d HGB für multimodale Transporte verdrängt werden (Fremuth/
Thume a.a.O. HGB § 452 Rn.23; Koller a.a.O. HGB § 452 Rn.1). Die
Sondervorschriften greifen gemäß § 452a HGB ein, sobald der Schadenseintritt
einer bestimmten Teilstrecke zugeordnet werden kann. Aus den nach wie vor
unstreitigen Tatsachen ergibt sich, dass der Schaden nur auf der Seestrecke
entstanden sein kann, § 286 I ZPO. Offen bleiben kann, ob und welche Teilschäden
möglicherweise während des Beladens in O3, der Beförderung nach O4, der
Umverladung in O4, der Beförderung von dort nach O1 oder dem Entladevorgang
in O1 entstanden sind. Die Strecke O3-O4 und O4-O1 ist im Sinne des § 452 HGB
als eine Teilstrecke anzusehen, weil hier durchweg nur das Transportmittel „Schiff“
benutzt wurde und die Umladung in O4 diesen unimodalen Zusammenhang nicht
unterbricht (vgl. Koller a.a.O. HGB § 452 Rn.13). Bei multimodalen Transporten im
Sinne des § 452 S.1 HGB werden Verladevorgänge ferner nicht als gesonderte und
abgrenzbare Teilstrecken bewertet. Daher ist die Phase des Beladens (O3) der
nachfolgenden Teilstrecke und die Phase des Entladens (O1) der
vorangegangenen Teilstrecke zuzuordnen (Koller a.a.O. HGB § 452 Rn.15). Beides
führt dazu, dass der Schadensort der Seestrecke O3-O1 zugerechnet werden
muss. Damit ist das für diese Teilstrecke einschlägige Transportrechtsregime,
nämlich Seehandelsrecht, anzuwenden (vgl. Fremuth/Thume a.a.O. HGB § 452a
Rn.2; Koller a.a.O. HGB § 452a Rn.5).
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3. Die nach § 452a HGB vorzunehmende fiktive Betrachtungsweise hat diejenigen
Rechtsvorschriften zugrunde zu legen, die anwendbar wären, wenn der Absender -
die Streithelferin des Klägers - und der Frachtführer - die Beklagte - über die
Beförderung der Teilstrecke O3-O1 einen gesonderten Vertrag abgeschlossen
hätten (Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 14.03.2002, 19 U 2561/01, zitiert
nach juris, dort Leitsatz 1; Koller a.a.O. HGB § 452a Rn.5; Fremuth/Thume a.a.O.
HGB § 452a Rn.8). Dabei ist zunächst auch für die maßgebliche unimodale
Teilstrecke das geltende Rechtsstatut zu bestimmen, welches mit dem
Rechtsstatut des multimodalen Gesamtvertrages nicht zwingend übereinstimmen
muss (Koller a.a.O. HGB § 452a Rn.5; Fremuth/Thume a.a.O. HGB § 452a Rn.12).
Nachdem vorrangig anzuwendende völkerrechtliche oder sonstige internationale
Kollisionsnormen nicht eingreifen, richtet sich die Bestimmung des Rechtsstatuts
für die Teilstrecke ebenfalls nach Art.28 IV 1 EGBGB (Koller a.a.O. HGB § 452a
Rn.5; Fremuth/ Thume a.a.O. HGB § 452a Rn.12 f.). Da die Parteien des Vertrages
über die Gesamtstrecke auch bei hypothetischem Seefrachtvertrag ihren
Hauptsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatten, unterliegt auch das
Teilrechtsregime für die Seestrecke O3-O1 deutschem Recht.
3.1 Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch ergibt sich dem
Grunde nach aus §§ 459, 421 I 2, 452, 452a, 606 S.2 HGB. Danach hat die
Beklagte als fiktiver Seefrachtführer für substanzielle und nicht nur
vorübergehende Schäden am Transportgut einzustehen (Bundesgerichtshof VersR
1978, 371; Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 02.12.1971, 2 U 107/71, zitiert
nach juris; Rabe, Seehandelsrecht, 4.Aufl., HGB § 606 Rn.2, 27), die in der Zeit
zwischen Übernahme der Fracht (O3) und deren Ablieferung (O1) entstehen, wenn
und soweit sie sich nicht auf Haftungsausschlüsse oder -beschränkungen nach §§
607a ff. HGB berufen kann. Der Schaden wiederum ist nach § 249 BGB zu
ermitteln, soweit er zur Höhe nicht gemäß §§ 658-660 HGB begrenzt ist (Rabe
a.a.O. § 606 Rn.44).
3.2 Nachdem feststeht, dass die Schäden am Fahrzeug des Klägers während des
Seetransportes entstanden sind, hat die Beklagte als fiktiver Seefrachtführer den
Nachweis zu führen, dass sie dies nicht zu vertreten hat, §§ 606 S.2 2.Hs., 607 I
HGB (Bundesgerichtshof VersR 1978, 371 [372]; Oberlandesgericht Bremen, Urteil
vom 02.12.1971, zitiert nach juris; Rabe a.a.O. HGB § 606 Rn.64). Dazu trägt die
Beklagte nichts vor. Da weiter unstreitig ist, dass der Pkw auf der Teilstrecke O3-
O4 vertragswidrig ohne Container und auf der Teilstrecke O4-O1 zwar im Container
aber ohne zusätzliche Fixierungen und Sicherungen transportiert wurde, ist ein
sogenanntes kommerzielles Verschulden (dazu Rabe a.a.O. HGB § 606 Rn.2), für
das die Beklagte im Gegensatz zu rein nautischem Verschulden als fiktiver
Seefrachtführer einzustehen hat, ohnedies indiziert.
3.3 Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, der Kläger habe die Frist zur
Anzeige des Schadens nach § 611 I HGB versäumt, weshalb gemäß § 611 III HGB
zu vermuten sei, dass der Schaden auf einem von ihr nicht zu vertretenden
Umstand beruhe. Sie verkennt, dass auch bei multimodalen Transportverträgen
mit bekanntem Schadensort im Sinne des § 452a HGB etwaige Regeln des
Teilstreckenrechtsregimes zur Rügeobliegenheit gemäß § 452b HGB einheitlich
und abschließend einschließlich der Rechtsfolge der Vorschrift des § 438 HGB
unterliegen (vgl. Koller a.a.O. HGB § 452b Rn.2; Fremuth/Thume a.a.O. HGB § 452b
Rn.4 f.; Rabe a.a.O. HGB § 611 Rn.22 f.) und § 611 HGB deshalb nicht anzuwenden
ist. Einzige Rechtsfolge einer unterlassenen oder verspäteten Schadensanzeige ist
nach § 438 I 1 2.Hs. HGB der Eintritt einer gesetzlichen und zugleich widerleglichen
Vermutung dahingehend, das Gut sei in ordnungsgemäßem Zustand abgeliefert
worden. Allerdings folgt daraus kein Rechtsverlust des Empfängers, sondern
lediglich eine Umkehr der Beweislast (Fremuth/Thume a.a.O. HGB § 438 Rn.7; wohl
auch Koller a.a.O. HGB § 438 Rn.16). Dass die Schäden am Pkw des Klägers erst
auf der Seestrecke O3-O4-O1 und damit im - fiktiven - Obhutsbereich der
Beklagten eingetreten sind, ist aber unstreitig. Deshalb ist die Vermutung des §
438 I 1 2.Hs. HGB bereits widerlegt und kann dahin stehen, ob der Kläger den
Schaden rechtzeitig angezeigt hat.
3.4 Auch der von der Beklagten erhobene Einwand einer Seegefahr nach § 608 II, I
Nr.1 HGB greift nicht durch. Sie hat auch nach entsprechendem Hinweis des
Senats vom 30.03.2006 (Bl.349 der Akte) weder dargelegt, welche Seegefahr sich
konkret realisiert hat, noch ausgeführt, wann und an welchem Schiffsort sich
entsprechendes zugetragen haben soll. Die Streithelferin der Beklagten hat dazu
ebenfalls nicht vorgetragen. Damit hat die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht
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ebenfalls nicht vorgetragen. Damit hat die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht
genügt und ist im Übrigen mangels Beweisangeboten auch beweisfällig geblieben.
Grundsätzlich hat nämlich der Verfrachter darzulegen und zu beweisen, dass sich
während des Transportes eine Seegefahr im Sinne des § 608 I Nr.1 HGB ereignet
hat (dazu näher Rabe a.a.O. HGB § 608 Rn.7, 20). Der Nachweis einer abstrakten
Möglichkeit der Schädigung genügt nicht. Es müssen statt dessen konkrete
Tatsachen dargelegt und bewiesen werden, aus denen sich nach den Regeln des
Anscheinsbeweises die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens aus der
Gefahr ergibt (Rabe a.a.O. HGB § 608 Rn.20 m.w.N.). Von dieser Darlegungslast ist
die Beklagte auch nicht wegen angeblich verspäteter Schadensanzeige des
Klägers nach § 611 III HGB befreit. Zwar führt die an sich nach § 611 III HGB
eingreifende Vermutung fehlenden Verschuldens dazu, dass der Verfrachter auch
die Voraussetzungen der Vermutung des § 608 II HGB nicht beweisen muss (Rabe
a.a.O. HGB § 611 Rn.17). Aus den bereits dargelegten Gründen wird aber § 611
HGB über die Rückverweisung des § 452b HGB durch § 438 HGB vollständig
verdrängt. Hinsichtlich der Frage des Verschuldens bleibt § 438 HGB auf der
Rechtsfolgenseite hinter § 611 III HGB zurück und greift nach dem Wortlaut des §
438 I HGB selbst bei verspäteter Schadensanzeige des Empfängers zugunsten
des Frachtführers keine Vermutung dahingehend ein, der Schaden beruhe auf
vom Frachtführer nicht zu vertretenden Umständen. Damit bleibt es selbst bei
verspäteter Schadensanzeige durch den Kläger bei der grundsätzlich der
Beklagten obliegenden Darlegungs- und Beweislast, weshalb die Frage der
Rechtzeitigkeit der Schadensanzeige auch unter diesem Gesichtspunkt dahin
stehen kann.
II. Hinsichtlich der Schadenshöhe ist zu differenzieren zwischen dem Sachschaden
am Pkw des Klägers und der aufgewandten Containerkaution.
1. Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz der an seinem Pkw eingetretenen Schäden
in Höhe der nachgewiesenen voraussichtlichen Reparaturkosten. Grundsätzlich ist
der auf § 606 S.2 HGB beruhende Schadensersatz gemäß § 249 BGB zu
bestimmen. Die Vorschriften der §§ 658-660 HGB verstehen sich nur als
Begrenzung der Schadenshöhe (Rabe a.a.O. HGB § 606 Rn.44). Auf die
Haftungsbeschränkungen nach §§ 658, 659 und 660 I HGB kann sich die Beklagte
aber gemäß § 660 III HGB nicht berufen, weil der Schaden auf eine pflichtwidrige
Unterlassung der gebotenen Sicherung des Transportgutes zurückzuführen ist, die
leichtfertig in dem Bewusstsein begangen wurde, dass ein Schaden mit
Wahrscheinlichkeit eintreten werde.
Im Rahmen der nach § 452a HGB vorzunehmenden fiktiven Betrachtung muss sich
die Beklagte zunächst so behandeln lassen, als habe sie die Verfrachtung über
See selbst durchgeführt. Deshalb kommt es auf das Vertragsverhältnis zu ihrer
Streithelferin nicht an (Oberlandesgericht Dresden Urteil vom 14.03.2002, 19 U
2561/02, zitiert nach juris, dort Leitsatz 1). § 660 III HGB beruht auf der
Neufassung des Art.4 § 5e der Haager-Visby Regeln (Rabe a.a.O. HGB § 660
Rn.26). Die aus Art.4 § 5e der Haager-Visby Regel in § 660 III HGB übernommene
Definition des qualifizierten Verschuldens beruht ihrerseits auf Art.25 des
Warschauer Abkommens von 1955 (Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln
über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, vgl. Rabe a.a.O. HGB § 607a
Rn.19). Daraus leitet sich ein zweigliedriger Verschuldensbegriff ab. Leichtfertiges
Verhalten ist danach grob fahrlässiges Verhalten, das eine auf der Hand liegende
Sorgfaltspflicht außer Betracht lässt. Das weiter erforderliche Bewusstsein ist eine
sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende
Erkenntnis, es werde mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstehen. Eine solche
Erkenntnis als innere Tatsache ist demnach dann anzunehmen, wenn das
leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen
es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt. Es obliegt dem Tatrichter, aus dem
äußeren Ablauf, den auslösenden und begleitenden Umständen zu folgern, ob das
Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bejaht werden
muss (Bundesgerichtshof Urteil vom 16.02.1979, I ZR 97/79, zitiert nach juris, dort
Rn.22; Rabe a.a.O. HGB § 607a Rn.22 m.w.N.). Das Interesse der
Ladungsbeteiligten erfordert es hierbei, dass der Verfrachter, dem in der Regel
Güter von erheblichem Wert zur Beförderung anvertraut sind, alle nur erdenklichen
Vorkehrungen trifft, um die Güter vor Schaden zu bewahren. Insoweit sind an seine
Sorgfaltspflicht hohe Anforderungen zu stellen (Oberlandesgericht Bremen, Urteil
vom 30.06.1966, 2 U 30/66, zitiert nach juris; Urteil vom 10.02.1971, 2 U 102/70,
zitiert nach juris; Urteil vom 02.12.1971, 2 U 107/71, zitiert nach juris).
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Nach diesen Grundsätzen steht zur Überzeugung des Senats bereits aufgrund der
weitgehend unstreitigen äußeren Tatsachen fest, dass sich die Beklagte
leichtfertiges Verhalten und das Bewusstsein, es werde zu einem Schaden
kommen, zurechnen lassen muss. Sie hat in erster Instanz wie auch in der
Berufungsbegründung nicht in Abrede gestellt, dass der Pkw zunächst -
vertragswidrig - ohne Container und sonstige Sicherungen von O3 nach O4 und
von dort aus zwar im Container aber ohne zusätzliche Fixierungen nach O1
verbracht wurde. Damit ist dies gemäß § 138 III ZPO unstreitig, zumal die Beklagte
und nicht der Kläger diejenige ist, welche die Schadensursache aufzuklären und
vorzutragen hat (Bundesgerichtshof VersR 1978, 371 [371 f.]; Oberlandesgericht
Bremen Urteil vom 02.12.1971, 2 U 107/71, zitiert nach juris). Sie räumt in der
Berufungsbegründung auch nochmals ausdrücklich ein, dass der Container auf
diesem Teilstück umfiel und auf dem Kopf liegen blieb. Die vom Kläger vorgelegten
und im Termin am 30.03.2006 nochmals in Augenschein genommenen Lichtbilder
beweisen ebenfalls, dass der Pkw im Container abgesehen von ein paar
Holzklötzen und Holzkeilen völlig ungesichert war. Da es sich bei dem Frachtgut
um einen Pkw der Luxusklasse mit - auch in gebrauchtem Zustand - noch
beträchtlichen Wert handelte, ist der Umstand, dass der Verfrachter und seine
Leute nahezu keinerlei Maßnahmen getroffen haben, um dieses Gut vor Schaden
zu bewahren, leichtfertig im Sinne des § 660 III. Ferner lassen die äußeren
Umstände und das eklatante Ausmaß des Versagens bei lebensnaher
Betrachtungsweise nur den Schluss zu, dass die pflichtwidrige Unterlassung mit
dem Bewusstsein eines wahrscheinlichen Schadenseintritts begangen wurde.
Offen bleiben kann, ob die Pflichtverletzung auf einem Organverschulden des
Verfrachters oder auf einem Versagen seiner Leute beruht. Etwaiges
Organverschulden müsste sich die Beklagte als fiktiver Seefrachtführer analog §
487d I 1 lit.a) HGB (Bundesgerichtshof Urteil vom 03.11.2005, I ZR 325/02, zitiert
nach juris, dort Rn.20) und Verschulden ihrer Leute nach § 607 I HGB zurechnen
lassen (Oberlandesgericht Bremen Urteil vom 02.12.1971, 2 U 107/71, zitiert nach
juris; Rabe a.a.O. HGB § 607 Rn.1).
Der vorliegend entstandene Sachschaden ist deshalb ausschließlich nach § 249
BGB zu bestimmen. Der Kläger darf demzufolge fiktiv abrechnen und den Betrag
verlangen, der zur Beseitigung der Schäden ausweislich Kostenvoranschlag
erforderlich ist (vgl. nur Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Aufl. § 249 Rn.14, 26a m.w.N.).
Diesen hat er durch Vorlage eines Kostenvoranschlages der B-Niederlassung in
Angola mit netto US$ 51.539,40 dargelegt und unter Zugrundelegung eines von
der Beklagten nicht bestrittenen Umrechnungskurses von € 1/US$1,25 auf €
41.231,52 beziffert. Das entspricht rund 89% des kurz vor Schadenseintritt
gezahlten Kaufpreises für den Pkw von € 46.500,00 netto. Das Fahrzeug mit
Erstzulassung November 1999 war bei Schadenseintritt erst rund drei Jahre alt,
was für einen Pkw der Luxusklasse kein hohes Alter darstellt. Zudem liegen die
voraussichtlichen Reparaturkosten deutlich unterhalb der im Einzelfall noch
vertretbaren Grenze von 130% des Wiederbeschaffungswertes (Palandt-Heinrichs,
BGB, 65.Aufl., § 249 Rn.26a m.w.N.), den der Senat in Ansehung der kurzen
Zeitspanne zwischen Erwerb und Schadenseintritt gemäß § 287 ZPO mit dem
Kaufpreis gleichsetzt. Wegen des von der Beklagten ebenfalls nicht bestrittenen
Umstandes, dass der Kläger auch den Einfuhrzoll von US$ 21.238,00 noch
entrichtet hat, ist der im Kostenvoranschlag ausgewiesene Betrag als
angemessener fiktiver Ausgleichsbetrag anzuerkennen. Der vorgelegte
Kostenvoranschlag ist aufgrund der dokumentierten Schäden plausibel. Zudem
hat das Landgericht das erstinstanzliche Bestreiten der Beklagten in diesem
Zusammenhang als nicht ausreichend qualifiziert zurückgewiesen und haben
weder die Beklagte noch ihre Streithelferin das Urteil in diesem Punkt angegriffen.
2. Hinsichtlich der geltend gemachten Containerkaution von US$ 500,00
(umgerechnet € 400,00) ist die Klage unschlüssig, was der Senat auch ohne
ausdrückliche Rüge der Berufung gemäß § 529 II 2 ZPO berücksichtigen kann. Aus
der vom Kläger vorgelegten Übersetzung des Containerkontrollscheins geht
hervor, dass ihm dieser Betrag rückerstattet worden wäre, wenn er den Container
binnen 16 Tagen in dem Zustand, wie er übernommen wurde, wieder
zurückgegeben hätte (Bl.222 der Akte). Die rechtzeitige Rückgabe hat der Kläger
versäumt. Auch der nach Hinweis des Senats vom 30.03.2006 weiter gehaltene
Vortrag des Klägers mit Schriftsatz vom 31.05.2006 enthält keine neuen
Tatsachen, aus denen sich eine Haftung der Beklagten für das Versäumnis des
Klägers ableiten ließe. Er hat den Verfall der Kaution deshalb selbst zu vertreten
und kann insoweit auch keine Verzugszinsen verlangen, § 254 BGB.
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3. Zu den vom Landgericht zuerkannten Verzugszinsen wird in der Berufung kein
Vortrag gehalten, weshalb daran unter Bezugnahme auf die Gründe der
angefochtenen Entscheidung festzuhalten ist. Deshalb stehen dem Kläger
Verzugszinsen wie erkannt zu, soweit die Klage in der Hauptsache erfolgreich war.
III. Der begründete Anspruch des Klägers ist nicht verjährt. Es ist bereits
ausgeführt, dass es hinsichtlich der Aktivlegitimierung des Klägers nicht auf die im
Termin am 30.03.2006 nochmals erklärte Abtretung seiner Streithelferin
ankommt. Die unter diesem Gesichtspunkt erhobene Einrede der Verjährung greift
daher nicht durch.
Auch im übrigen ist keine Verjährung eingetreten. In Ermangelung abweichender
Sondervorschriften des Seehandelsrechts ist gemäß § 452a I 1 HGB die Frage der
Verjährung nach § 439 HGB zu beurteilen. Dabei kann offen bleiben, ob die
einjährige Regelfrist des § 439 I 1, II 1 HGB eingreift oder die Beklagte wegen
zurechenbarer Leichtfertigkeit die dreijährige Frist nach § 439 I 2, II 1 HGB, jeweils
gerechnet ab Ablieferung im Februar 2003, gegen sich gelten lassen muss.
Nachdem die Klageschrift am 17.12.2003 bei dem Landgericht eingegangen ist
und am 31.01.2004 an die Beklagte zugestellt wurde, kommt Verjährung
offenkundig selbst dann nicht in Betracht, wenn man zugunsten der Beklagten auf
die kürzere Frist des § 439 I 1 HGB abstellen wollte.
IV. Die Nebenentscheidungen ergeben sich wegen der Kosten aus §§ 97 I, 92 II
Nr.2, 101 I ZPO und hinsichtlich des Vollstreckungsausspruchs aus §§ 708 Nr.10,
711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung,
noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 II ZPO.
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens ergibt sich aus § 47 I GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.