Urteil des OLG Frankfurt vom 20.12.2007
OLG Frankfurt: internet, urheberrechtsverletzung, einstweilige verfügung, adresse, computer, zugang, störer, anschluss, glaubhaftmachung, haushalt
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Gericht:
OLG Frankfurt 11.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 W 58/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 85 Abs 1 UrhG, § 97 UrhG
(Urheberrechtsverletzung durch Musiktauschbörsen im
Internet: Überwachungspflicht eines
Internetanschlussinhabers hinsichtlich des
Nutzungsverhaltens von Familienangehörigen)
Leitsatz
Auch wenn Urheberrechtsverletzungen im Internet häufig vorkommen und darüber in
den Medien umfangreich berichtet wird, ist der Inhaber eines Internetanschlusses nicht
ohne weitere Anhaltspunkte für eine zu erwartende Rechtsverletzung verpflichtet, seine
Familienangehörigen bei der Nutzung seines Anschlusses zu überwachen.
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin gegen den Beschluss des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 30.08.2007 – Az.: 2/3 O 172/07 – wird
zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Beschwerdewert: 5.200,-- EUR.
Gründe
I. Die Verfügungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) hat den Verfügungsbeklagten
(nachfolgend: Beklagter) als Störer wegen einer Urheberrechtsverletzung in
Anspruch genommen.
Die Klägerin hat behauptet, am 18.09.2006 ab 11:50:25 Uhr seien unter der IP-
Adresse … insgesamt 290 Audiodateien im mp3-Format illegal im Internet
verfügbar gemacht worden. Unter den 290 Audiodateien hätten sich auch die
Musikaufnahmen „…“, „…“ und „…“ der Künstlergruppe A befunden. An diesen
Musiktiteln habe sie aufgrund eines am 13.10. 2003 geschlossenen exklusiven
Vertrages mit der Künstlergruppe A die ausschließlichen Verwertungsrechte der
ausübenden Künstler erworben. Zudem habe sie Verwertungsrechte als
Tonträgerhersteller.
Zum Zeitpunkt des Downloads sei die genannte IP-Adresse dem Computer des
Beklagten zugeteilt gewesen. Dies ergebe sich aus Auskünften der B AG sowie des
Provider C AG gegenüber der Staatsanwaltschaft Aurich in einem Strafverfahren
gegen den Beklagten wegen Urheberrechtsverletzung (Bl. 22 - 24 d. A.).
Auf Antrag der Klägerin hat das Landgericht durch eine im Beschlusswege
ergangene einstweilige Verfügung vom 11.04.2007 dem Beklagten untersagt, die
oben genannten Musikaufnahmen der Künstlergruppe A auf einem Computer zum
Abruf durch andere Teilnehmer von Filesharing-Systemen bereitzustellen und
damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dagegen hat der Beklagte
Widerspruch erhoben.
Der Beklagte hat u. a. behauptet, weder er noch seine im Haushalt lebenden
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Der Beklagte hat u. a. behauptet, weder er noch seine im Haushalt lebenden
Familienangehörigen hätten am 18.9.2006 einen der drei Songs der Gruppe A
heruntergeladen oder anderen Benutzern zugänglich gemacht. Er selbst sei bei
der Feuerwehr in O1 beschäftigt und habe zu der fraglichen Zeit seinen Dienst
verrichtet. Auch seine Ehefrau sei berufstätig und am 18.09.2006 im Dienst
gewesen. Seine volljährige Tochter sei gleichfalls berufstätig und habe an diesem
Tag gearbeitet. Die minderjährige Tochter sei noch schulpflichtig und zu dieser Zeit
in der Schule gewesen. Eine Nutzung des Computers durch diese drei Personen
scheide auch deshalb aus, weil er seinen Internetzugang durch ein eigenes
Passwort geschützt habe, das den übrigen Personen in seinem Haushalt nicht
bekannt sei. Ferner hat er sich darauf berufen, seine minderjährige Tochter und
seine volljährige Tochter stets eindringlich darauf hingewiesen zu haben, keine
widerrechtlichen Nutzungen in Form von Urheberrechtsverletzungen oder
ähnlichen Verstößen im Internet vorzunehmen.
Wegen der Verdachts einer gleich liegenden Urheberrechtsverletzung wurde gegen
den Beklagten ein weiteres Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft Aurich
geführt, das zum Gegenstand hatte, dass am 20.10.2006 mit der IP-Nummer …
insgesamt 547 Audiodateien rechtswidrig über das Internet öffentlich zugänglich
gemacht worden seien. Auch in dieser Strafsache erteilten die B AG und der
Internetprovider C AG der Staatsanwaltschaft die Auskunft, dass die IP-Nummer
dem Beklagten zugeordnet gewesen sei. Bei einer Vernehmung in der
vorgenannten Strafsache gab der Beklagte an, er habe vier Kinder im Alter von 17
bis 31 Jahren. Jedes seiner Kinder habe noch Zugang zum Elternhaus. Im Haushalt
wohnten nur noch die 14jährige Tochter und der 27jährige Sohn. Zum Computer
der Beklagten habe jeder Zugang.
In der Widerspruchsverhandlung hat der Beklagte ohne Anerkennung einer
Rechtspflicht eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Daraufhin
haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Durch
den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Kosten des Eilverfahrens
der Klägerin auferlegt und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe nicht
glaubhaft gemacht, dass die Musikaufnahmen „…“ und „…“ zum Download zur
Verfügung gestanden hätten und dass die fragliche IP-Adresse zum Zeitpunkt der
rechtsverletzenden Handlung dem Internetanschluss des Beklagten zugeordnet
gewesen sei. Gegen den am 03.09.2007 zugestellten Beschluss hat die Klägerin
am 10.9.2007 sofortige Beschwerde eingelegt.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt worden.
Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu
Recht die Kosten des Eilverfahrens der Klägerin auferlegt.
Nachdem die Parteien das Eilverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt
haben, ist über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und
Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 91a ZPO). Dies führt hier
dazu, dass die Kosten der Klägerin aufzuerlegen sind. Es fehlt an einem
Verfügungsanspruch aus § 97 UrhG.
Die Klägerin ist allerdings aktivlegitimiert. Sie hat durch eidesstattliche
Versicherung ihres Justitiars, Herrn D, glaubhaft gemacht, dass sie
Tonträgerhersteller der im Verfügungsantrag genannten Musiktitel ist. Aufgrund
dessen ist ihr gemäß § 85 Abs. 1 UrhG das ausschließliche Recht vorbehalten, die
Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen.
Die Klägerin hat ferner glaubhaft gemacht, dass die IP-Adresse … am 18.09.2006
um 11:50 Uhr dem Internetanschluss des Beklagten zugeordnet war. Mit seiner
gegenteiligen Entscheidung hat das Landgericht die Beweislage nicht
ausgeschöpft. Es trifft zwar zu, dass die Mitteilungen der B AG und der C AG
gegenüber der Staatsanwaltschaft Aurich nur in Kopie vorgelegt worden sind. Zur
Glaubhaftmachung im Sinne von § 294 ZPO können jedoch auch schriftliche
Erklärungen von Zeugen, unbeglaubigte Kopien oder Urkundenabschriften
verwertet werden (Zöller/Geimer/Greger, ZPO, 26. Auflage, § 294 Rdn. 5).
Abgesehen davon ist auch als unstreitige Indiztatsache heranzuziehen, dass
Mitarbeiter der beiden Unternehmen gegenüber der Staatsanwaltschaft die von
der Klägerin vorgetragenen Auskünfte erteilt haben. Es ist nicht ersichtlich, dass
diese Mitarbeiter andere Erkenntnisse hatten, als sie gegenüber der
Staatsanwaltschaft angegeben haben (vgl. LG Hamburg CR 2006, 780. 781). Der
Glaubhaftmachung durch die Klägerin steht ferner nicht entgegen, dass es gemäß
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Glaubhaftmachung durch die Klägerin steht ferner nicht entgegen, dass es gemäß
dem Vortrag des Beklagten möglich ist, sich innerhalb weniger Stunden eine
andere IP-Adresse zuzulegen. Denn die Klägerin hat in gleicher Weise glaubhaft
gemacht, dass am 20.10.2006 ein gleichartiger Urheberrechtsverstoß unter einer
IP-Adresse begangen wurde, die wiederum dem Anschluss des Beklagten
zugeordnet war. Angesichts dessen ist es auszuschließen, dass der Beklagte
zweimal innerhalb kurzer Zeit das Opfer einer derartigen Manipulation geworden
sein soll.
Die Klägerin hat jedoch die Passivlegitimation des Beklagten nicht glaubhaft
machen können.
Dass der Beklagte das in Rede stehende Filesharing am 18.09.2006 eigenhändig
begangen habe, lässt sich nicht mit genügender Sicherheit feststellen. Der
Beklagte behauptet, zur Tatzeit seinen Dienst als Feuerwehrmann ausgeübt zu
haben. Diese Einlassung ist nicht nur naheliegend, sondern von der Klägerin auch
in keiner Weise widerlegt. Dem Verletzten obliegt jedoch die Glaubhaftmachung
dafür, dass der in Anspruch Genommene die Tat auch begangen hat.
Die Klägerin hat aber auch nicht glaubhaft gemacht, dass der Beklagte in
sonstiger Weise als Störer für die Urheberrechtsverletzung haftet. Zwar kann als
Störer für eine Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen
werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich
und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt. Ein solcher
Beitrag kann vom Beklagten dadurch geleistet worden sein, dass er dem Täter
seinen Computer und damit den Zugang zum Internet zur Verfügung gestellt hat.
Allerdings setzt die Haftung desjenigen, der selbst weder Täter noch Teilnehmer
der Verletzung ist, voraus, dass er Prüfungspflichten verletzt hat. Andernfalls
würde die Störerhaftung in nicht hinnehmbarer Weise auf Dritte erstreckt, die die
rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben. (BGHZ 158,
236, 251 – Internet-Versteigerung I; WRP 2007, 964, 968 – Internet-Versteigerung
II).
Der Umfang der Prüfungspflicht richtet sich danach, inwieweit dem als Störer in
Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist.
Überlässt der Inhaber eines Internetanschlusses diesen dritten Personen, kann ihn
die Pflicht treffen, diese Nutzer zu instruieren und zu überwachen, sofern damit zu
rechnen ist, dass der Nutzer eine Urheberrechtsverletzung begehen könnte. Eine
Pflicht, die Benutzung seines Internetanschlusses zu überwachen oder
gegebenenfalls zu verhindern, besteht jedoch nur, wenn der Anschlussinhaber
konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass der Nutzer den Anschluss zu
Rechtsverletzungen missbrauchen wird. Solche Anhaltspunkte bestehen deshalb
grundsätzlich nicht, solange dem Anschlussinhaber keine früheren Verletzungen
dieser Art durch den Nutzer oder andere Hinweise auf eine Verletzungsabsicht
bekannt sind oder hätten bekannt sein können. Der Senat hat bereits
entschieden, dass der Ehemann seiner Ehefrau, solange er keine konkreten
Anhaltspunkte für Rechtsverletzungen hat, seinen Account für den Handel auf
einer Verkaufsplattform überlassen kann, ohne die Ehefrau ständig überwachen zu
müssen (Urteil vom 16.05.2006 – 11 U 45/05, Seite 10 des Urteilsumdrucks, nicht
rechtskräftig). Das gleiche gilt für die Zurverfügungstellung des
Internetanschlusses und ebenso wie gegenüber dem Ehegatten im Verhältnis des
Anschlussinhabers zu seinen Kindern. Auch wenn Urheberrechtsverletzungen im
Internet häufig vorkommen und darüber in den Medien umfangreich berichtet wird,
hat ein Anschlussinhaber nicht bereits deshalb einen Anlass, ihm nahestehende
Personen wie enge Familienangehörige bei der Benutzung seines Anschlusses zu
überwachen (LG Mannheim, MMR 2007, 267, 268 mit zustimmender Anmerkung
von Solmecke; 459, 460; anderer Ansicht LG Hamburg, CR 2006, 780, 781 und
MMR 2007, 131, 132). Im Übrigen trifft den Anschlussinhaber, der wegen einer
Urheberrechtsverletzung in Anspruch genommen wird, eine sekundäre
Darlegungslast zur Angabe der Person, die seiner Kenntnis nach den Verstoß über
seinen Anschluss begangen hat. Der Beklagte ist dieser Darlegungslast jedoch
nachgekommen. Er hatte angegeben, dass ihm nicht bekannt sei, dass eines
seiner Familienmitglieder den behaupteten Verstoß begangen habe. Der Beklagte
hat ferner bezüglich der in seiner Familien lebenden Angehörigen begründet,
weshalb diese nach seiner Kenntnis den Rechtsverstoß nicht begangen haben
können. Seine Darlegung erscheint erschöpfend; sie ist keineswegs fernliegend,
zumal er andererseits eingeräumt hat, dass seine Ehefrau und seine Kinder mit
eigenen Passwörtern Zugang zum Internet haben.
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Nach dem oben Ausgeführten kann zwar nicht ausgeschlossen werden, sondern
liegt es vielmehr nahe, dass sich eines der Familienmitglieder des Beklagten an
dem streitgegenständlichen urheberrechtswidrigen Filesharing beteiligt hat. Da die
Klägerin jedoch keine derartigen oder ähnlichen Rechtsverstöße vortragen kann,
die vor dem 18.09.2006 mit Hilfe des Computers des Beklagten begangen wurden,
traf den Beklagten bezüglich keines seiner Familienmitglieder eine
Überwachungspflicht. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine außerhalb
der Familie stehende Person den Internetzugang des Beklagten zu der
Rechtsverletzung benutzt hat, denen gegenüber der Beklagte von vornherein
misstrauisch hätte sein müssen (siehe dazu LG Mannheim, MMR 2007, 537). Auch
die Benutzung eines ungeschützten W-LAN durch Dritte steht vorliegend nicht in
Rede (dazu etwa LG Hamburg, MMR 2006, 763; LG Mannheim, MMR 2007, 537).
Eine Instruktionspflicht dahin, dass mit seinem Internetanschluss keine
Urheberrechtsverletzungen begangen werden, traf den Beklagten gegenüber
seinen volljährigen Familienangehörigen nicht. Der Beklagte kann, sofern nicht
besondere Umstände dafür Anlass bieten, ohne weiteres davon ausgehen, dass
erwachsenen Personen bekannt ist, dass sie derartige Rechtsverletzungen nicht
begehen dürfen (LG Mannheim, MMR 2007, 267, 268). Soweit eine
Belehrungspflicht gegenüber seiner minderjährigen Tochter bestanden hat, ist der
Beklagte dieser Pflicht nachgekommen. Er hat unbestritten vorgetragen, dass er
diese stets eindringlich darauf hingewiesen habe, keine
Urheberrechtsverletzungen oder ähnliche Verstöße im Internet vorzunehmen.
Da das Rechtsmittel erfolglos bleibt, hat die Klägerin die Kosten zu tragen (§ 97
ZPO).Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist in entsprechender Anwendung der
§§ 542 Abs. 2, 574 Abs. 1 Satz 2 ZPO ausgeschlossen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.