Urteil des OLG Frankfurt vom 31.01.2006
OLG Frankfurt: internationale zuständigkeit, juristische person, erfüllungsort, lieferung, vollstreckung, ware, spanien, zustellung, bankrecht, cisg
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Gericht:
OLG Frankfurt 16.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
16 U 103/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 5 EGV 44/2001, Art 60 Abs
1 EGV 44/2001
(Internationale Zuständigkeit: Schadensersatz wegen
Lieferung mangelhafter Rohrheizkörper eines
Unternehmens mit Fabriksitz in Spanien)
Leitsatz
Zur Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 5 in Verbindungmit Art. 60 (1) EuGVVO
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Limburg vom 22. Juli
2005, Az. 2 O 443/04, aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Limburg das
auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben wird, zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die
Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrags leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin bezog von der Beklagten Rohrheizkörper. Auf den Bestellungen wurde
als Lieferadresse das Werk der Klägerin in O1 angegeben. Entsprechend waren die
Bestätigungen der Beklagten mit „AO1“ gekennzeichnet. Am 17.11.1999
schlossen die Parteien eine Qualitätssicherungsvereinbarung (Bl. 33), die u.a. für
jeden berechtigten Reklamationsfall einen Pauschalpreis von 300,- DM vorsieht.
Auf dieser Grundlage begehrt die Klägerin Schadensersatz, da es seit Ende 1999
zu erheblichen Qualitätsproblemen gekommen sei.
Das Landgericht hat die Klage wegen Fehlens seiner internationalen Zuständigkeit
als unzulässig abgewiesen. Grundlage für die Rechtsbeziehungen der Parteien sei
das UN-Kaufrecht. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung läge nicht vor. Nach
Art. 31 CISG sei der Erfüllungsort der Fabriksitz der Beklagten und damit Spanien.
Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug
genommen (Bl. 535 / 536 d.A.).
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie führt unter anderem aus,
dass Art. 5 Nr. 1 b) EuGVVO anwendbar sei mit der Folge der internationalen
Zuständigkeit des LG Limburg.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Limburg vom 22.
Juli 2005, Az. 2 O 443/04, zu verurteilen, an sie 161.887,13 € nebst Zinsen in Höhe
von 8 % - Punkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.
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Hilfsweise beantragt sie,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LG Limburg
zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die Berufung ist mit dem Hilfsantrag begründet.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts Limburg ist es international zuständig.
Nach dem insoweit anzuwendenden Art 5 iVm Art. 60 (1) a EuGVVO kann eine
Gesellschaft / juristische Person, die ihren satzungsmäßigen Sitz im Hoheitsgebiet
eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, und
zwar, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des
Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt
worden ist oder zu erfüllen wäre (Art. 5 Nr. 1 a); dabei ist der Erfüllungsort im Fall
des Verkaufs beweglicher Sachen der Ort, an dem sie nach dem Vertrag geliefert
worden sind bzw. hätten geliefert werden müssen (Art. 5 Nr. 1 b).
1. Vorliegend findet Art. 5 Nr. 1 b) EuGVVO Anwendung.
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen Lieferung mangelhafter
Rohrheizkörper geltend. Damit handelt es sich um Ansprüche aus einem Vertrag;
Sekundäransprüche aus der Verletzung eines Vertrags haben nämlich
vertraglichen Charakter im Sinne dieser Vorschrift (Baumbach / Lauterbach /
Albers / Hartmann, ZPO, 62. A., Art. 5 EuGVVO Rn. 4). Darüber hinaus geht es
auch um den Verkauf beweglicher Sachen, da die Klägerin bei der Beklagten
Rohrheizkörper bezogen hat. Soweit die Beklagte diesbezüglich der Auffassung ist,
sie schulde aufgrund der Qualitätsvereinbarung im Wesentlichen eine
Dienstleistung – nämlich die Sicherstellung und Überwachung der Produktqualität –
kann dem nicht gefolgt werden. Schwerpunkt der Rechtsbeziehungen zwischen
den Parteien ist die Lieferung von Rohrheizkörpern durch die Beklagte an die
Klägerin. Die Qualitätssicherungsvereinbarung stellt keinen davon losgelösten,
eigenständigen Vertrag dar. Vielmehr konkretisiert er lediglich die Rechte und
Pflichten der Parteien im Hinblick auf die „allgemeinen Garantien und
Gewährleistungen“.
2. Erfüllungsort ist demnach der Ort, an dem die Rohrheizkörper nach dem Vertrag
geliefert worden sind. Dabei kommt es entgegen der Auffassung des Landgerichts
nicht auf den Erfüllungsort an, der dem auf den Vertrag anzuwendenden
materiellen Recht zu entnehmen wäre. Vielmehr enthält Art. 5 Nr. 1 b EuGVVO –
im Gegensatz zu Nr. 1 a - eine autonome Bestimmung des Erfüllungsorts ohne
Rückgriff auf das anwendbare materielle Recht: Der Erfüllungsort ist nach rein
faktischen Kriterien der Ort, an den die Ware geliefert worden ist (Zöller / Geimer,
25. Auflage, Anh I (EuGVVO) Art. 5 Rn. 3 und 4; Baumbach / Lauterbach / Albers /
Hartmann, a.a.O. Rn. 7 und 10; vgl. auch Bundesratsdrucksache 534/99 S. 6 und
14).Demnach ist O1 Erfüllungsort, da sowohl nach den Bestellungen als auch den
Auftragsbestätigungen die Ware dorthin zu liefern war und die Lieferungen auch an
diesen Ort erfolgten.
Folglich konnte die Klägerin die Beklagte nach Art. 5 iVm Art. 60 (1) a EuGVVO vor
dem Landgericht Limburg als dem für O1 zuständigen Landgericht verklagen.
Da durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden
wurde und die Klägerin die Zurückverweisung beantragt hat – ein Hilfsantrag reicht
insoweit aus (vgl. Zöller / Gummer / Heßler, a.a.O., § 538 ZPO Rn. 56) – wird das
Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, um den
Parteien hinsichtlich der Sachfragen die erste Instanz zu erhalten.
III.
Die Kostenentscheidung ist dem erstinstanzlichen Urteil vorbehalten.
21 Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 i.V.m. § 711
ZPO (vgl. Zöller / Herget, a.a.O., § 708 ZPO Rn. 12).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.