Urteil des OLG Frankfurt vom 30.08.2000
OLG Frankfurt: treu und glauben, bad, versicherer, klinik, zusage, kur, versicherungsrecht, versicherungsschutz, krankenversicherung, versicherungsnehmer
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Gericht:
OLG Frankfurt 7.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 U 201/99
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 5 MB/KK, § 5 Abs 1
Buchst d MB/KK, § 3 AGBG, § 9
AGBG, § 242 BGB
(Krankenversicherung: Wirksamkeit der Klausel über die
Behandlung in einer gemischten Anstalt; Zusage einer
nachträglichen Prüfung des Leistungsanspruchs)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 22. Oktober 1999 - Aktenzeichen 2/21 0 97199 - wird auf
seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger ist mit 12.172,79 DM beschwert.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das
Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat unstreitig eine
"gemischte" Klinikanstalt aufgesucht, also eine Einrichtung, in der sowohl Kur- oder
Sanatoriumsbehandlungen als auch Krankenhausbehandlungen durchgeführt
werden. Da er diese Einrichtung ohne Zustimmung der Beklagten aufgesucht hat,
schuldet diese nach § 4 Abs. 5 der zwischen den Parteien vereinbarten MB/KK76
keine Versicherungsleistungen. § 4 Abs. 5 MB/KK ist nach allgemeiner Auffassung
als Risikobegrenzung (OLG Köln RuS 1993, 231 bei juris; Prölss-Martin VVG, 26.
Aufl., Rn 36 zu § 4 MB/KK) zu werten. Die Vorschrift ist vor dem Hintergrund zu
sehen, dass nach § 5 Abs. 1 lit. d MB/KK Kur- oder Sanatoriumsbehandlungen nicht
unter den Versicherungsschutz fallen. Gerade dann, wenn der
Versicherungsnehmer in einer Mischklinik aufgenommen wird, ist die Abgrenzung
im Einzelfall, ob dort eine solche Kur- oder Sanatoriumsbehandlung oder eine
unter den Versicherungsschutz fallende Heilbehandlung erfolgt, regelmäßig mit
erheblichen Überprüfungsschwierigkeiten und Beurteilungsrisiken verbunden.
Angesichts dessen wäre selbst ein völliger Ausschluss des Versicherungsschutzes
in den Versicherungsbedingungen für die Behandlung in solchen Einrichtungen
nicht unbillig und ist es damit nicht zu beanstanden, dass es dem Versicherer
durch § 4 Abs. 5 MB/KK freigestellt bleibt, ob er die Kosten für einen Aufenthalt in
einer Mischklinik übernimmt oder nicht (OLG Köln RuS 1992, 388 bei juris). Aus
diesem Grund bestehen auch gegen die Gültigkeit der Klausel keine Bedenken aus
dem Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter den
Gesichtspunkten einer unzulässigen Überraschung (§ 3 AGBG) bzw. einer
unangemessenen Benachteiligung (§ 9 AGBG, vgl. zuletzt OLG Frankfurt OLGR
1998, 116 bei juris- OLG Oldenburg NJW-RR 1998, 894- OLG Nürnberg NJW-RR 1995,
1055 bei juris).
Allerdings hat die Beklagte dem Kläger in ihrem Schreiben vom 5. August 1998
mitgeteilt, sie wolle den Leistungsanspruch in einer gemischten Klinik in jedem
Einzelfall prüfen, aus den bisher eingereichten Unterlagen könne sie die
Notwendigkeit einer Behandlung in der Fachklinik Bad H. nicht erkennen sie
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Notwendigkeit einer Behandlung in der Fachklinik Bad H. nicht erkennen sie
benötige zwar weitere Angaben, es genüge ihr aber auch, wenn der Kläger ihr nach
Behandlung eine Kopie des Entlassungsberichtes zuschicke. Mit diesem Schreiben
hat die Beklagte unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass sie zu einer
nachträglichen Prüfung bereit ist und dass für ihre Entscheidung die medizinische
Notwendigkeit der Behandlung maßgeblich sein soll. An dieser Erklärung muss sich
die Beklagte nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) festhalten lassen. Damit ist es
ihr zum einen verwehrt, die Verweigerung der Kostenerstattung darauf zu stützen,
dass sie ihre Zustimmung nicht bereits vor Behandlungsbeginn gegeben hat.
Indem sie zum anderen zugesagt hat, in eine Prüfung einzutreten und sich für ihre
Entscheidung an der Frage der medizinischen Notwendigkeit zu orientieren, hat sie
darüber hinaus auf das ihr ansonsten zustehende freie Ermessen verzichtet.
Deshalb ist der Kläger als Versicherungsnehmer nicht gehalten, zuerst auf eine
vorherige Zustimmung zu klagen, sondern kann wie hier vorliegend auch nach
Behandlungsabschluss noch die Klinikkosten geltend machen. Die Beklagte als
Versicherung kann sich demgegenüber nicht auf die fehlende Zustimmung
berufen, wenn sie diese hätte erteilen müssen.
Die Frage, ob die Beklagte ihre Zustimmung hätte erteilen müssen, richtet sich
zunächst danach, ob sie mit ihrem Schreiben vom 5. August 1998 auf den ihr von
der Bestimmung des § 4 Abs. 5 MB/KK eingeräumten Ermessensspielraum
vollständig verzichtet hat oder ob sie ihren Ermessensspielraum lediglich
beschränkt hat und zwar dahin, dass sie die in Aussicht gestellten
Versicherungsleistungen nur bei vernünftigen Zweifeln an der medizinischen
Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung verweigern kann. Hätte die Beklagte
ausdrücklich zugesagt, die Behandlungskosten zu übernehmen, wenn die
medizinische Notwendigkeit fest steht, so wäre eine weitgehende Selbstbindung
eingetreten und ggf. die Beurteilung des Versicherers durch Sachverständige
inhaltlich in vollem Umfang zu überprüfen. Eine derartige endgültige Zusage ist
dem Schreiben der Beklagten vom 5. August 1998 jedoch nicht zu entnehmen. In
ihm wird dem Kläger lediglich eine weitere Prüfung in Aussicht gestellt. Ein solches
Verhalten aber ist dahin zu werten, dass der Versicherer die Beurteilung, der
Notwendigkeit der Behandlung weiter seine Einschätzung überantwortet wissen will
(OLG Köln RuS 1986, 321; 1989, 199 bei Juris; Versicherungsrecht 1983, 117;
Prölss-Martin, VVG, 26. Aufl. Rn. Nr. 29 zu § 4 MB/KK). Dies ist insbesondere vor
dem bereits angesprochenen Hintergrund zu sehen, dass § 4 Abs. 5 MB/KK dazu
dient, den Versicherer dem Risiko zu entziehen, komplizierte Abgrenzungsfragen
mit hohem Aufwand, ggf. sogar mit gerichtlicher Hilfe zu klären. Für ihn besteht
keine Notwendigkeit und kein Anlass, sich diesen Vorteils zu begeben (OLG Hamm
Versicherungsrecht 1982, 137). Hinzu kommt, dass die Beklagte in dem
genannten Schreiben nicht nur allein von einer zu prüfenden medizinischen
Notwendigkeit für die Behandlung gesprochen, sondern ausdrücklich erklärt hat,
dass nach den vorliegenden Unterlagen keine medizinische Notwendigkeit gerade
für eine Behandlung in der Fachklinik Bad H. zu erkennen ist. Dass es die Beklagte
als medizinisch notwendig ansehen könne, ihn gerade in der gemischten Klinik Bad
H. behandeln zu lassen, konnte dieser schwerlich annehmen. Es war mithin für ihn
zu erkennen, dass die Entscheidung der Beklagten ein gewisses Wohlwollen /
Ermessen voraussetzen würde.
Die Beklagte hat ihr gebundenes Ermessen bei der Frage, ob sie dem Kläger
Versicherungsschutz gewährt, sachgerecht ausgeübt. Ihre Entscheidung, keine
Leistungen zu gewähren ist nicht zu beanstanden, weil zumindest vernünftige
Zweifel an der medizinischen Notwendigkeit einer stationären Behandlung
bestehen. Gegen die Beklagte könne zwar auf den ersten Blick sprechen, dass sie
in früheren Jahren bei im wesentlichen gleichen Krankenbild und
Behandlungsumfang ihre Zustimmung jeweils erteilt hat. Allgemein wird aber in
einem solchen Verhalten des Versicherers keine Zusage gesehen bzw. daraus
keine Verpflichtung abgeleitet, sich in Zukunft ebenso zu verhalten (OLG Köln RuS
1998, 478 bei juris; OLG Nürnberg NJW-RR 1995, 1055 bei juris; OLG Hamm RuS
1994, 229 bei juris; LG Trier, RuS 1999, 341 bei juris, LG Osnabrück, RuS 1999, 340
bei juris; Prölss-Martin a.a.0. Rn 30 zu 4 MB/KK m.w.N.). Die Beklagte hat auch im
vorliegenden Fall keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Vielmehr war dem
Kläger, wie seine Anfragen nach der "notwendigen" Kostenzusage zeigen, das
Erfordernis der Zustimmung des Versicherers für den streitbefangenen
Klinikaufenthalt bewusst. Darüber hinaus hatte die Beklagte ausdrücklich darauf
hingewiesen, jeden Einzelfall gesondert zu prüfen. Der Kläger musste sich mithin
darauf einstellen, dass sie bei einem Grenzfall allein aufgrund "besserer"
Erkenntnis zu anderen Ergebnissen gelangt. Gerade wenn nämlich ohne
wesentliche Besserung des Krankenbildes über Jahre hinweg die gleichen
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wesentliche Besserung des Krankenbildes über Jahre hinweg die gleichen
Behandlungen in Anspruch genommen werden, legt dies den Schluss nahe, dass
nicht eine stationäre Heilmaßnahme, sondern als Kurbehandlung die allgemeine
Stärkung und Kräftigung und Erholung bezweckt wird. Nachhaltig gegen die
Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung spricht jedenfalls, dass
der Kläger nach dem von ihm vorgelegten Entlassungsbericht sich unmittelbar vor
dem Aufenthalt in der Fachklinik Bad H. in einem anderen Krankenhaus hat wegen
einer akuten Erkrankung behandeln lassen. Nach Abschluss dieses stationären
Krankenhausaufenthalts ist aber für eine erneute Notwendigkeit zur stationären
Behandlung nichts ersichtlich.
Darüber hinaus können alle Therapieformen und Medikamentierungen, die in dem
Entlassungsbericht der Fachklinik Bad H. aufgeführt werden, jeweils für sich
genommen, ambulant erfolgen, wie der Kläger selbst letztlich nicht abstreitet.
Danach ist die Entscheidung der Beklagten nachzuvollziehen und nicht als
willkürlich zu verwerfen. Da nur ihr Ermessensgebrauch zu überprüfen ist, kann die
weitergehende Frage, ob ihre Beurteilung im Ergebnis einer Prüfung durch einen
Sachverständigen stand halten würde, offen bleiben. Entscheidend ist, dass ihre
Beurteilung zumindest vertretbar erscheint. Weiterhin kann der Beklagten nicht
vorgehalten werden, sie habe ihre Entscheidung über die erbetene Kostenzusage
über Gebühr verzögert bzw. durch ihr Schreiben dem Kläger die Möglichkeit
genommen, vor Behandlungsbeginn in der Fachklinik Bad H. die Frage der
Erstattungsfähigkeit verbindlich zu klären. Auf alle Anfragen des Klägers hat die
Beklagte nämlich jeweils innerhalb weniger Tage geantwortet, während der Kläger
seinerseits auf die von der Beklagten gestellten sachbezogenen und
verständlichen Fragen ohne erkennbaren Grund nicht eingegangen ist. In ihrem
Schreiben vom 5. August 1998 hat die Beklagte zudem weiterhin an die
Beantwortung ihrer Fragen erinnert und lediglich erklärt, es würde ihr ausreichen,
wenn der Kläger die Unterlagen erst nach dem Klinikaufenthalt einreiche. Mithin
war dieser nicht gehindert, die Frage der Erstattungsfähigkeit rechtzeitig zu klären.
Schließlich sind zwar weitere Umstände denkbar, die es dem Versicherer nach
Treu und Glauben verwehren können sich auf das Zustimmungserfordernis des § 4
Abs. 5 MB zu berufen. Das wird etwa bei einer Einlieferung in eine Klinik aufgrund
eines Notfalles bejaht oder wenn der Behandlungszweck ausnahmsweise nur in der
betreffenden Klinik erreicht werden kann (vergl. Prölss-Martin a. a. Ort der Rn. 33).
Für derartige oder vergleichbare Sachlagen ist jedoch nichts vorgetragen oder
ersichtlich. Die Berufung ist mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen. Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt nach §§
708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Wert der Beschwer entspricht dem Betrag der
zurückgewiesenen Forderung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.