Urteil des OLG Frankfurt vom 08.07.2003
OLG Frankfurt: wiedereinsetzung in den vorigen stand, verschulden, ausbildung, akte, fristablauf, berufungsschrift, dokumentation, quelle, zivilprozessrecht, zustellung
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Gericht:
OLG Frankfurt 4.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 U 74/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, §
234 ZPO, § 520 Abs 2 S 1
ZPO, § 522 ZPO
(Organisationsverschulden des Berufungsanwalts bei
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Übertragung
der Fristennotierung auf eine Auszubildende)
Tenor
Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Beklagten vom 10. April 2003 gegen das am 10. März 2003
verkündete Urteil des Landgerichts Wiesbaden wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zur Last.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 7.178,69 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Beklagte wendet sich mit seiner rechtzeitig eingelegten Berufung gegen das
ihm am 13. März 2003 zugestellte Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 10.
März 2003. Nachdem in der bis zum 13. Mai 2003 laufenden
Berufungsbegründungsfrist keine Berufungsbegründung eingegangen war, ist der
Beklagtenvertreter mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 20. Mai 2003
darauf hingewiesen worden, dass die Verwerfung der Berufung als unzulässig
beabsichtigt sei. Daraufhin hat der Beklagte mit am 26. Mai 2003 eingegangenem
Schriftsatz vom 23. Mai 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sowie eine Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages hat der Beklagtenvertreter
ausgeführt, dass die Berufungsschrift am 10. April 2003 bei Gericht eingegangen
sei und er insoweit die bei ihm seit 10. Juli 2002 in der Ausbildung zur
Rechtsanwaltsgehilfin befindliche Jennifer H. angewiesen habe, die "Einspruchsfrist"
im Fristenkalender und in der Akte zu notieren. Er habe den Fristablauf auf den
8.5.2003 verfügt. Tatsächlicher Fristablauf sei der 10.5.2003 gewesen. Wie auch
sonst üblich habe er eine Vorfrist auf den 25.4.2003 notiert. Beide Fristen habe
Frau H. zwar auf der Handakte notiert. Sie habe es aber versäumt, die beiden
Fristen in den Fristenkalender zu übertragen, so dass die Akte weder zur Vorfrist
noch zur Frist vorgelegt worden sei. Bislang habe sich Frau H. als äußerst
pflichtbewusst und zuverlässig erwiesen. Die Überwachung sei in den ersten sechs
Monaten ihrer Ausbildung mit Hilfe einer erfahrenen Rechtsanwalts- und
Notargehilfin erfolgt. Seit Februar 2003 habe Frau H. selbstständig Wiedervorlagen
und Fristen notiert, die regelmäßig vom Unterzeichner überprüft worden und
bisher fehlerlos gewesen seien.
Frau H. hat dies mit ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 26.5.2003 bestätigt
und darin ergänzend versichert, aus von ihr nicht mehr zu erklärenden Gründen
habe sie es versäumt, die Fristen auch in den Fristenkalender zu notieren.
Üblicherweise notiere sie sich Fristen und Vorfristen zusätzlich auf einem
gesonderten Zettel und trage diese dann in den Terminkalender ein.
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Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil
der Beklagte sie nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet
hat und auch nicht rechtzeitig vorher eine Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist beantragt hat.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der
Berufungsbegründungsfrist kann dem Beklagten nicht gewährt werden, weil er
nicht ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Dabei
beruht die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hier auf einem
Verschulden des Prozessbevollmächtigten, das sich der Beklagte gemäß § 85 Abs.
2 ZPO zurechnen lassen muss. Zur Fristversäumung ist es gekommen, weil die
Frist trotz mündlicher Anweisung versehentlich nicht im Fristenkalender notiert
worden sei. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob ein Verschulden nicht bereits
darin liegt, dass die nach der Zivilprozessreform mit der Zustellung des Urteils
beginnende Berufungsbegründungsfrist nicht bereits zu diesem frühestmöglichen
Zeitpunkt festgehalten worden ist (vgl. zu diesem Erfordernis BGH NJW 2003, 435
und 1815, 1816, NJW 1996, 1900 und NJW 1992, 574), sondern - wie nach früherem
Recht üblich - erst mit der Eingangsbestätigung der Berufung.
Unabhängig hiervon liegt ein Organisationsverschulden in der Kanzlei des
Beklagtenvertreters nämlich bereits in der Übertragung der Fristeneintragung auf
eine Auszubildende zur Rechtsanwaltsgehilfin, die sich zudem noch im ersten
Ausbildungsjahr befindet. Der Fehler, der der Auszubildenden Frau H. unterlaufen
ist, kann auf mangelnde praktische Erfahrung zurückgeführt werden. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt,
darf ein Rechtsanwalt mit der Notierung und Überwachung der Fristen
grundsätzlich nur voll ausgebildetes und sorgfältig überwachtes Personal betrauen,
keinesfalls hingegen noch auszubildende Kräfte (BGH, 12. Zivilsenat, Beschluss
vom 15.11.2000, FuR 2001, 273 ff. mit weiteren Nachweisen, vgl. auch BGH NJW
2000, 3649 f.). Soweit es der Bundesgerichtshof (12. Zivilsenat a.a.O.)
dahinstehen lässt, ob im Einzelfall bei Personalmangel eine Ausnahme von diesem
Grundsatz zugelassen werden kann, wenn sichergestellt wird, dass dann alle von
Auszubildenden eingetragenen Fristen anhand der Akten auf ihre Richtigkeit
überprüft werden, sind diese Voraussetzungen hier weder nach der anwaltlichen
Erklärung noch nach der eidesstattlichen Versicherung der Auszubildenden erfüllt.
Lediglich "regelmäßige" Überprüfungen des Anwalts genügen diesen
Anforderungen nicht, wie der vorliegende Fall gerade zeigt. Wenn nämlich alle von
ihr eingetragenen Fristen anhand der Akten nochmals von ihm kontrolliert worden
wären, hätte auffallen müssen, dass sie die hier maßgebliche
Berufungsbegründungsfrist nicht in den Fristenkalender übertragen hat und sich
auch kein Erledigungsvermerk auf der Handakte befindet. Ob allerdings in der
Kanzlei des Beklagtenvertreters nach jeder Eintragung in den Fristenkalender auch
noch ein solcher Erledigungsvermerk auf der Handakte angebracht wird, was nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls erforderlich ist (BGH NJW
2003, 1815, 1816 mit weiteren Nachweisen), ergibt sich weder aus den
Erklärungen des Beklagtenvertreters noch aus der eidesstattlichen Versicherung
der Auszubildenden. Daher ist ein weiteres Organisationsverschulden nicht
ausgeschlossen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.