Urteil des OLG Frankfurt vom 05.10.2010

OLG Frankfurt: treu und glauben, in ungerechtfertigter weise, rückabwicklung, subjektives recht, billigkeit, verwirkung, verjährungsfrist, rückzahlung, genehmigungsverfahren, wirtschaftsrecht

Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Kartellsenat
Entscheidungsname:
Netznutzungsentgelte
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 U 31/09 (Kart)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 315 Abs 3 BGB, § 812 Abs
1 S 1 BGB, § 23a Abs 5 S 1
EnWG, § 287 Abs 2 ZPO
Leitsatz
1. § 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG schließt in der Beziehung zwischen Netzbetreiber und
Netznutzern eine Rückabwicklung angeblich überhöhter Nutzungsentgelte betreffend
den Zeitraum vom 29.10.2005 bis zur tatsächlichen Entgeltgenehmigung durch die
Regulierungsbehörde aus.
2. Ist die genaue Ermittlung des billigen Netznutzungsentgelts mit einem
Kostenaufwand verbunden, der zu der Höhe des geltend gemachten
Rückforderungsanspruchs außer Verhältnis steht, kann unter Berücksichtigung der
erstmals genehmigten Entgelte als Schätzgrundlage das billige Nutzungsentgelt
gemäß § 287 Abs. 2 ZPO geschätzt werden.
Tenor
Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerin wird das am 1.
April 2009 verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Frankfurt am Main (Az. 3/8 O 147/08) wie folgt abgeändert:
Das billige Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und
Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der
Beklagten durch die ehemalige X - … GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer
Kunden, die sie im Jahre 2005 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und
versorgt hatte, einschließlich der Nutzung der vorgelagerten Netze wird für den
Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 28. Oktober 2005 auf 10.787,42 € festgesetzt.
Die Beklagte wird verurteilt, an die X AG 1.903,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Dezember 2008 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 68% und die Beklagte 32%
zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien bleibt nachgelassen, die
Vollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Gegenseite
vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Zu der Frage, ob § 23a Abs. 5 Satz 1 EnWG für die Zeit ab 29.10.2005
Rückforderungsansprüche von Netznutzern gegen Netzbetreiber ausschließt, wird
die Revision zugelassen.
Gründe
I.
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Die Parteien streiten über die Höhe der für das Jahr 2005 für die Nutzung des
Elektrizitätsversorgungsnetzes der Beklagten zu entrichtenden
Netznutzungsentgelte.
Die Klägerin ist im Jahr 2009 durch Firmenänderung aus der X - … GmbH & Co. KG
(vormals X - … GmbH), einem Stromhandelsunternehmen, hervorgegangen. Das
Stromlieferungsgeschäft ist - ebenfalls im Jahr 2009 - im Wege der Umwandlung
durch Ausgliederung von der X - … GmbH & Co. KG auf die X AG übertragen
worden. Seither betreibt die Klägerin den Prozess in Prozessstandschaft für die X
AG.
Die Klägerin verlangt die Bestimmung eines billigen Netznutzungsentgelts für die
Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten im Jahr 2005 sowie die
Rückzahlung der Differenz zwischen dem vom Gericht bestimmten billigen Entgelt
und den tatsächlichen gezahlten Entgelten.
Die Klägerin hat unter dem Vorbehalt der energie- und kartellrechtlichen
Überprüfung der Entgelte für das Jahr 2005 für die Durchleitung von Strom durch
das Netz der Beklagten insgesamt 16.926,58 € (netto) gezahlt.
Sie ist davon ausgegangen, die von der Beklagten geforderten Netzentgelte seien
um mehr als 30 % überhöht.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Klägerin kein Anspruch nach §
315 Abs. 3 S. 2 BGB auf Bestimmung des billigen Entgelts zustehe. Eine
Billigkeitsprüfung des für 2005 gezahlten Entgelts scheide aus. Zwar sei
§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB analog auch auf die ursprünglichen ab Vertragsschluss
geschuldeten Entgelte anwendbar. Die Geltendmachung der Unbilligkeit dieser
Entgelte sei jedoch infolge des langen Zeitablaufs präkludiert. Da die Entgelte für
2005 niedriger als die ursprünglichen Entgelte seien, könnten auch diese nicht
mehr nach § 315 BGB überprüft werden.
Für die Zeit ab 29.10.2005 schließe § 23a Abs. 5 Satz 1 EnWG eine Rückabwicklung
in der Beziehung zwischen Netzbetreibern und Netznutzern aus.
Soweit die Klägerin sich auf §§ 19 Abs. 4, 20 Abs. 1 GWB, 6 Abs. 1 S. 1 EnWG a. F.
in Verbindung mit § 134 BGB stütze, stehe diese Klagebegründung mit ihrem
Klageantrag nicht im Einklang. Eine Leistungsbestimmung durch das Gericht sei
nicht Rechtsfolge einer kartellrechtlichen oder energierechtlichen Unwirksamkeit
der vereinbarten Entgelte. Zudem habe die Klägerin auch eine
Kartellrechtswidrigkeit der gezahlten Entgelte nicht schlüssig dargetan.
Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe bezüglich
des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Klägerin.
Sie macht geltend, entgegen der Ansicht des Landgerichts sei keine Vereinbarung
über die Höhe des Netznutzungsentgelts getroffen worden. Ihr Recht auf
gerichtliche Bestimmung des billigen Entgeltes könne nicht mit der Begründung
abgelehnt werden, sie habe das Recht nicht innerhalb angemessener Frist
ausgeübt. § 23a Abs. 5 Satz 1 EnWG schließe eine Rückabwicklung in der
Beziehung zwischen Netzbetreibern und Netznutzern nicht aus. Auch ein
kartellrechtlicher Anspruch sei zu bejahen. Im Übrigen wiederholt und vertieft sie
ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Klägerin hat die im Zeitraum vom 1.1.2005 bis 28.10.2005 gezahlten
Netznutzungsentgelte auf 13.794,66 € beziffert, wobei sie die insgesamt im Jahr
2005 gezahlten Entgelte linear verteilt hat (GA 722). In der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat hat sich die Klägerin mit Blick auf Bedenken gegen
eine lineare Berechnung mit einem pauschalen Abzug in Höhe von 8 %
einverstanden erklärt.
Die Klägerin beantragt,
das Gericht möge das billige Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und
Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der
Beklagten durch die ehemalige X - … GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer
Kunden, die sie in dem Jahr 2005 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und
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Kunden, die sie in dem Jahr 2005 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und
versorgt hat, einschließlich der Nutzung der vorgelagerten Netze, bestimmen,
sowie die Beklagte zu verurteilen, die Differenz zwischen den ausweislich der
Auflistung Anlage K1 tatsächlich gezahlten Entgelten für die Netznutzung für das
Jahr 2005 in Höhe von 16.926,58 € (netto) und dem von dem Gericht bestimmten
billigen Entgelt für das Jahr 2005 für die Netznutzung zuzüglich Mehrwertsteuer
und nebst gesetzlicher Rechtshängigkeitszinsen an die X AG zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags
das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden. Sie hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. Soweit die Klägerin sich dagegen wendet, dass ihre auf Bestimmung des billigen
Entgelts für den Zeitraum vom 29. Oktober bis zum 31. Dezember 2005 und auf
Rückgewähr des in dieser Zeit zuviel gezahlten Entgelts gerichtete Klage
abgewiesen wurde, bleibt ihre Berufung ohne Erfolg.
a) Gemäß § 32 Abs. 2 S. 1 StromNEV hatten Betreiber von
Elektrizitätsversorgungsnetzen ihre Netzentgelte spätestens ab dem für sie
maßgeblichen Zeitpunkt am 29.10.2005 (§ 118 Abs. 1 b S. 1 EnWG a. F.) auf der
Grundlage der Stromnetzentgeltverordnung zu bestimmen. Erfolgte die
Antragstellung rechtzeitig, so durfte der jeweilige Netzbetreiber die bis zu diesem
Zeitpunkt geforderten Entgelte in dem Zeitraum zwischen dem erstmaligen
Antrag auf Genehmigung der Entgelte bis zur Entscheidung über die beantragte
Genehmigung beibehalten (§ 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG i. V. m. § 118 Abs. 1 b S. 2
EnWG a. F.).
Eine Rückforderung von Entgelten im Verhältnis zwischen der Klägerin und der
Beklagten ist hinsichtlich des Zeitraums vom 29.10.2005 bis zum 31.12.2005
durch die Regelung des § 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG ausgeschlossen. Nach der
Rechtsprechung des BGH (Beschluss v. 14.08.2008 – KVR 39/07 = ZNER 2008,
217 – Vattenfall) schließt § 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG in der Beziehung zwischen
Netzbetreibern und Netznutzern eine Rückabwicklung bezüglich der angeblich
überhöhten Netznutzungsentgelte betreffend den Zeitraum vom 29.10.2005 bis
zur tatsächlichen Entgeltgenehmigung durch die Regulierungsbehörde aus. Das
gilt gleichermaßen für eine Rückabwicklung auf der Grundlage von
Bereicherungsrecht (§ 812 BGB) wie für eine Rückabwicklung auf der Grundlage
von § 33 i. V. m. §§ 19, 20 GWB. Davon unberührt bleibt, dass der Netzbetreiber
unter dem regulierungsrechtlichen Ordnungsrahmen etwa vereinnahmte
Mehrerlöse nicht behalten darf, sondern einer Mehrerlösabschöpfung ausgesetzt
ist (BGH, Beschluss v. 14.08.2008, a.a.O.; OLG Celle, Urteil v. 17.06.2010 – 13 U
155/09 (Kart), zitiert nach Juris Rn. 62 ff.).
Der Ausgleich des entstandenen Mehrerlöses, den der Netzbetreiber nicht
behalten darf, hat nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs dadurch
stattzufinden, dass er periodenübergreifend abzurechnen und wie sonstige Erlöse
in der nächsten Genehmigungsperiode entgeltmindernd in Ansatz zu bringen hat.
Ergänzend hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass in der Beziehung zwischen
Netzbetreibern und Netznutzern § 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG, auch wenn die Vorschrift
keinen Rechtsgrund dafür schaffe, dass der Netzbetreiber zuviel erhobene
Entgelte endgültig behalten dürfe, eine Rückabwicklung ausschließe. Hierzu heißt
es in der zitierten Entscheidung wörtlich (Rn. 21):
„Theoretisch käme zwar ebenfalls ein Ausgleich in der Weise in Betracht, dass der
Netzbetreiber die Leistungsbeziehungen mit seinen Netznutzern auf der Basis der
niedrigeren, entsprechend der Stromnetzentgeltverordnung gebildeten Entgelte
abrechnen müsste.“
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Wie der Bundesgerichtshof in einer weiteren Entscheidung vom selben Tag näher
begründet hat (BGH, Beschluss v. 14.08.2008 – KVR 27/07 – Engen, dort unter III.),
scheidet diese Möglichkeit aber letztlich aus:
„Aufgrund dieser Regelung, die nach § 118 Abs. 1 b S. 2 EnWG schon für den
ersten Genehmigungsantrag gilt, soll der Netzbetreiber die (noch unter der
Geltung des alten Rechts gebildeten) ursprünglichen Entgelte weiter in Rechnung
stellen dürfen. Damit gewährt die Regelung des § 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG dem
Netzbetreiber ein gewisses Maß an Vertrauensschutz und verhindert so, dass
sämtliche Rechtsbeziehungen des Netzbetreibers mit den Stromversorgern auf
der Grundlage der später genehmigten Preise korrigiert werden müssen (BT-
Drucksache 15/3917 S. 85).“
Der Zweck dieser Regelung würde verfehlt, wenn später – nach Erteilung der
Genehmigung – eine solche rückwirkende Abrechnung erfolgen müsste. Das
Tatbestandsmerkmal des Beibehaltens im Sinne des § 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG
bedeutete nicht, dass der Netzbetreiber die Mehrerlöse, die er gegenüber den
genehmigten Tarifen erzielt hat, endgültig behalten darf. Vielmehr hat eine
periodenübergreifende Abrechnung stattzufinden. Dies kann zwar im Einzelfall zu
Ungleichgewichten führen, weil die Lieferbeziehungen zu den Einzelnetznutzern,
den Stromversorgern, nicht in demselben Umfang auch mit der nächsten
Planperiode fortbestehen müssen. Diese Unterschiede sind hinzunehmen. Insoweit
unterscheidet sich diese Fallgestaltung nicht von anderen Abweichungen, die nach
§ 11 StromNEV periodenübergreifend auszugleichen sind. Unvermeidliche Defizite
in der Deckungsgleichheit von Belasteten und Begünstigten hat der
Verordnungsgeber durch die Regelungen in §§ 9, 11 StromNEV in Kauf genommen
(BGH, ZNER 2008, 217, 219 – Vattenfall).
b) In Anbetracht dieser Rechtsprechung scheiden Ansprüche der Klägerin auf
Überprüfung der von der Beklagten bestimmten Netznutzungsentgelte nach § 315
Abs. 3 BGB und Herausgabe einer sich hieraus ergebenden ungerechtfertigten
Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Altern. 1 BGB ab dem 29.10.2005 aus. In
der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen und vom Bundesverfassungsgericht
(Beschluss v. 21.12.2009, 1 BvR 273/08, RdE 2010, 290) bestätigten Auslegung
enthält das Energie-Wirtschaftsrecht durch die periodenübergreifende Saldierung
nach den §§ 9, 11 StromNEV analog ein spezielles Abwicklungsregime zur
Abschöpfung der von dem Netzbetreiber vereinnahmten Mehrerlöse. § 23 a Abs. 5
S. 1 EnWG schafft daher einen modifiziert fortbestehenden Rechtsgrund, der eine
Bereicherungskondiktion im Verhältnis zwischen Netzbetreiber und Netznutzer
ausschließt (OLG Celle, a.a.O.).
c) Soweit die Klägerin den Vorrang der individuellen Rückabwicklung in ihrer
Leistungsbeziehung zur Beklagten mit einem in § 33 Abs. 2 EnWG zum Ausdruck
kommenden verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken begründet, wonach die
Vorteilsabschöpfung subsidiär gegenüber dem individuellen Ausgleich sei,
verkennt sie die unterschiedlichen Regelungsansätze und -ziele beider
Rechtsinstitute. Die Möglichkeit der Vorteilsabschöpfung nach § 33 EnWG soll
sicherstellen, dass wirtschaftliche Vorteile aufgrund einer schuldhaften
Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften der Abschnitte 2 und 3 des dritten Teils
des EnWG, die darauf gestützten Rechtsverordnungen oder eine auf Grundlage
dieser Vorschriften ergangene Entscheidung der Regulierungsbehörde nicht bei
dem Unternehmen verbleiben, das den Verstoß begangen hat (RegE, BT-
Drucksache 15/3917, S. 64). Um eine Doppelbelastung der Unternehmen zu
verhindern, sieht § 33 Abs. 2 EnWG die Subsidiarität der Vorteilsabschöpfung
gegenüber dem Schadensersatzanspruch (§ 32 EnWG) und der Geldbuße (§ 95
EnWG) vor. Mit dieser Ausgangslage ist die Problematik der von den
Netzbetreibern in der Übergangszeit zwischen Genehmigungsantrag und dessen
Wirksamwerden vereinnahmten Mehrerlöse indes nicht vergleichbar. Die
Netzbetreiber trifft nicht der Vorwurf einer schuldhaften Zuwiderhandlung (vgl.
auch Dederer, NVwZ 2008, 149, 151; Jacobs, RdE 2009, 42, 46). § 23 a Abs. 5 S. 1
EnWG eröffnet ihnen vielmehr die Möglichkeit, in der Übergangsphase ihre
bisherigen Entgelte beizubehalten, um die Rechtsbeziehungen zu den Netznutzern
während dieser Zeit auf eine sichere Grundlage zu stellen, ohne den
Netzbetreibern die Entgelte endgültig zu überlassen. Vor diesem Hintergrund und
im Hinblick darauf, dass der im Rahmen von § 33 Abs. 1 EnWG abgeschöpfte
Betrag der Staatskasse und nicht, wie bei der periodenübergreifenden Saldierung,
den Netznutzern in Form von künftig geringeren Netznutzungsentgelten, und
damit dem Wettbewerb zugute kommt (vgl. Zeidler, RdE 2010, 122, 123), verfolgt
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damit dem Wettbewerb zugute kommt (vgl. Zeidler, RdE 2010, 122, 123), verfolgt
§ 33 Abs. 2 EnWG ein Regelungsziel, das auf die Mehrerlösabschöpfung nicht
übertragbar ist.
Der vom Bundesgerichtshof entwickelte Ansatz, nach dem die Abschöpfung der
erzielten Mehrerlöse in entsprechender Anwendung der §§ 9, 11 StromNEV durch
die Regulierungsbehörde erfolgt, ist dagegen ebenfalls im Energie-Wirtschaftsrecht
angelegt. Zwar dient die in § 11 StromNEV und § 10 GasNEV geregelte
periodenübergreifende Saldierung zunächst dem Zweck, die Differenzen zwischen
prognostizierten und tatsächlichen Absatzmengen nachträglich zu saldieren.
Zugleich kommt darin aber ein für die Netzentgeltregulierung maßgeblicher
Gedanke zum Ausdruck, nämlich der nachträgliche Ausgleich von Abweichungen
zwischen den regulatorisch vorgegebenen Erlösen und den tatsächlich erzielten
Einnahmen, der über das nach § 5 ARegV gebildete Regulierungskonto auch in der
Anreizregulierung fortgeführt wird. Dieses Konzept zum Ausgleich von
Differenzbeträgen in nachfolgenden Kalkulationsperioden ist wegen der
vergleichbaren Interessenlage auf den nicht ausdrücklich geregelten Ausgleich der
von den Netzbetreibern vereinnahmten Mehrerlöse übertragbar.
d) Dem Ausschluss etwaiger die Mehrerlöse betreffender Ansprüche der
Netznutzer steht auch nicht entgegen, dass die Bundesnetzagentur die
Mehrerlöse nicht in der nächsten Genehmigungsperiode, sondern erst im Rahmen
der Anreizregulierung ab dem Jahr 2010 über vier oder neun Jahre gestreckt bei
der Festlegung der Erlösobergrenze entgeltmindernd berücksichtigt. Den
Regelungen der §§ 9, 11 StromNEV ist ein im Netzentgeltregulierungsverfahren
verallgemeinerungsfähiger Rechtsgrundsatz zu entnehmen, der über die
Einrichtung eines Regulierungskontos nach § 5 ARegV auch in der
Anreizregulierung gilt. Zwar kann sich durch die Berücksichtigung der Mehrerlöse
erst zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit von Ungleichgewichten erhöhen,
weil die Lieferbeziehungen zu den einzelnen Netznutzern nicht im gleichen Umfang
während der gesamten zwei Regulierungsperioden fortbestehen müssen. Diese
Ungleichgewichte sind angesichts der Systemumstellung auf die Anreizregulierung
und den damit verbundenen Schwierigkeiten aber noch als gerechtfertigt
anzusehen und damit hinzunehmen. Gerade das von der Klägerin angeführte
Gleichbehandlungsgebot des § 20 Abs. 1 EnWG spricht für die von der
Bundesnetzagentur vertretene Auffassung, freiwillige Rückzahlungen der
Netzbetreiber an den Netznutzer grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Denn
erhielte die Klägerin zum einen das von ihr für die Übergangszeit entrichtete
Netznutzungsentgelt in der Höhe von der Beklagten zurückerstattet, in der es die
materiellen Entgeltmaßstäbe der Stromnetzentgeltforderung übersteigt, und
käme sie zum anderen über die entgeltmindernde Berücksichtigung der
Mehrerlöse bei der Festsetzung der Erlösobergrenzen in den Genuss geringerer
künftiger Netzentgelte, würde sie in ungerechtfertigter Weise doppelt profitieren.
e) Gegen den Ausschluss ihres auf Rückzahlung des unbillig überhöhten
Netznutzungsentgelts gerichteten Anspruchs spricht auch nicht die von der
Bundesnetzagentur teilweise gewählte Vorgehensweise der Mehrerlösabschöpfung
im sogenannten vereinfachten Verfahren. Hier nimmt die Bundesnetzagentur auf
die ermittelten Rohmehrerlöse einen pauschalen Sicherheitsabschlag von einem
Drittel vor, um verbleibenden Berechnungsunsicherheiten (z. B. aufgrund
zwischenzeitlich ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung) Datenlücken etc.
Rechnung zu tragen und damit sicherzustellen, dass der gesamte dem
Netzbetreiber entstandene Mehrerlös abgeschöpft wird. Ob diese Vorgehensweise
der Bundesnetzagentur noch den Vorgaben des Bundesgerichtshofs in seinem
Beschluss vom 14.08.2008 entspricht, braucht hier nicht entschieden zu werden.
Jedenfalls rechtfertigte eine in unzureichendem Umfang vorgenommene
Abschöpfung des Mehrerlöses angesichts des vom Bundesgerichtshof betonten
Regelungszwecks des § 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG, die Rechtsbeziehungen zwischen
Netzbetreibern und Netznutzern für die Übergangsphase zwischen erster
Antragstellung und erster Genehmigung auf eine sichere Grundlage zu stellen,
keine andere zivilrechtliche Beurteilung.
f) Scheidet wegen der gesetzlichen Regelung des § 23 a Abs. 5 S. 1 EnWG eine
Rückabwicklung in der Beziehung zwischen Klägerin und Beklagter für die
Übergangsphase zwischen Antragstellung und Genehmigungserteilung aus,
kommt für diesen Zeitraum auch eine Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB
nicht in Betracht. Denn die Gestaltungsklage auf richterliche
Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB dient der Klägerin als der
der Leistungsbestimmung durch die Beklagte Unterworfenen dazu, ihr subjektives
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der Leistungsbestimmung durch die Beklagte Unterworfenen dazu, ihr subjektives
Recht auf eine vertragserhaltende Regelung geltend zu machen. Vorliegend
besteht aber die Besonderheit, dass die zivilrechtlich der Beklagten zugewiesene
Gestaltungsmacht für die Übergangsphase zwischen Antragstellung und
Entscheidung über die beantragte Entgeltgenehmigung durch § 23 a Abs. 5 S. 1
EnWG dahingehend modifiziert wird, dass im Verhältnis zwischen ihr und ihren
Netznutzern eine nachträgliche Korrektur nicht erfolgen soll. Die Abschöpfung der
von Netzbetreibern rechtsgrundlos vereinnahmten Mehrerlöse findet allein durch
die von der Regulierungsbehörde vorgenommene periodenübergreifende
Saldierung statt, indem die Mehrerlöse bei der Festlegung der Erlösobergrenze in
der Anreizregulierung erlösmindernd in Absatz gebracht werden. Entgegen der
Auffassung der Klägerin verbleibt daneben auch kein Raum für eine weitergehende
Billigkeitskontrolle. Denn die entsprechend den Vorgaben des EnWG und der
Stromnetzentgeltforderung kalkulierten Netzentgelte entsprechen regelmäßig
billigem Ermessen im Sinne des § 315 BGB.
g) Für den Zeitraum zwischen 29. Oktober und 31. Dezember 2005 steht der
Klägerin auch kein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 33 Abs. 1 und 3 GWB i.
V. m. §§ 19 Abs. 4 Nr. 2 und 4, 20 Abs. 1 GWB zu. Unabhängig davon, ob sich die
mit den Anträgen konkret begehrte Leistung überhaupt aus einem
Schadensersatzanspruch nach § 33 Abs. 3 GWB ergeben kann, sind die
vorgenannten Vorschriften des GWB gemäß § 111 Abs. 1 EnWG ausgeschlossen.
Nach § 111 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 EnWG treffen die Vorschriften über die
Netzentgeltregulierung im dritten Teil des EnWG und damit auch § 23 a Abs. 5
Satz 1 EnWG eine abschließende Regelung, die insoweit eine Anwendung der §§
19, 20 und 29 GWB ausschließen. § 111 Abs. 1 EnWG steht nicht im Widerspruch
zu Art. 23 Abs. 11 der Richtlinie 2003/54/EG, wonach Beschwerden nach Art. 5 und
6 die nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
möglichen Rechtsbehelfe unberührt lassen. Damit wird lediglich klargestellt, dass
die in den Absätzen 5 und 6 angesprochenen Beschwerden keinen Wegfall der
bereits bestehenden Rechtsbehelfe nach nationalem Recht zur Folge haben. Diese
Regelung bedeutet hingegen nicht, dass der nationale Gesetzgeber seine bislang
vorgesehenen Rechtsbehelfe künftig in ihrer Ausgestaltung nicht mehr ändern
darf, sofern dies - im Übrigen - dem Gemeinschaftsrecht entspricht. Daran besteht
bei der Regelung des § 111 EnWG keinen Zweifel. Mit dieser und der in § 130 Abs.
3 GWB getroffenen Normierung hat der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen
EnWG und GWB zu Gunsten einer abschließenden Regelung nach dem EnWG für
die Kontrolle von Netzanschluss, Netzzugang sowie diskriminierungsfreier
Netznutzung und einer Konzentration der Netzentgeltregulierung bei den
Regulierungsbehörden ausgestaltet, um eine drohende Doppelzuständigkeit von
Regulierungs- und Kartellbehörden zumindest für das nationale Recht zu
vermeiden (vgl. OLG Celle, a.a.O., Rn. 72 m.w.N.). Zudem ist die darauf erfolgte
Implementierung einer behördlichen und zivilgerichtlichen Missbrauchskontrolle in
den §§ 30 ff. EnWG sowohl in ihrem Eingriffsumfang als auch in ihrer
Eingriffsintensität weitergehend als die ex-post-Befugnisse der §§ 19, 20, 29 GWB
(vgl. OLG Celle, wie vor, m.w.N.). Jedenfalls aber trifft die Beklagte kein
Verschuldensvorwurf, wenn sie ihre bis dahin geforderten Entgelte im Hinblick auf
die Bedingung des § 23 a Abs. 5 S. 1 EuWG über den 28.10.2005 hinaus
beibehalten hat.
2. Die Berufung ist für die im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 28. Oktober 2005
gezahlten Netznutzungsentgelte teilweise begründet.
a) Die von der Klägerin in der Berufungsinstanz vorgenommene Umstellung auf
Leistung an ihre Rechtsnachfolgerin auf dem Geschäftsfeld, in das der
streitgegenständliche Klageanspruch fällt, ist zulässig. Unstreitig ist dieser
Geschäftsbereich im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung gem. § 123 Abs.
3 Nr. 1 UmwG zur Aufnahme auf die X AG im Ausgliederungs- und
Übernahmevertrag vom 31. Juli 2009 übertragen worden. Die beantragte
Umstellung auf Leistung an den Rechtsnachfolger ist keine § 533 ZPO
unterfallende Klageänderung und daher nach § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO auch in der
Berufungsinstanz zulässig (ebenso OLG Celle, Urteil v. 17.06.2010 - 13 U 155/09
(Kart), zitiert nach Juris Rn. 41 m.w.N.).
Der Zahlungsantrag ist trotz fehlender Bezifferung hinreichend bestimmt, weil der
Betrag rechtsgestaltend vom Gericht festzusetzen ist (vgl. Reichold in:
Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 253 Rz. 12 m. w. N.).
Es fehlt auch nicht das Rechtschutzinteresse für eine Billigkeitskontrolle der
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Es fehlt auch nicht das Rechtschutzinteresse für eine Billigkeitskontrolle der
Netznutzungsentgelte wegen Verjährung etwaiger Rückzahlungsansprüche, denn
der Ablauf der am 1.1.2006 beginnenden 3-jährigen Verjährungsfrist für Ansprüche
der Klägerin aus § 812 BGB wurde rechtzeitig durch Klageerhebung am 12.12.2008
gehemmt (§§ 195, 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr.1 BGB).
Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum
28. Oktober 2005 ist auch nicht durch die Regelung der § 23a Abs. 5, § 118 Abs. 1b
EnWG in der Fassung des Gesetzes vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970)
ausgeschlossen, denn diesen Vorschriften kommt keine Rückwirkung auf
zurückliegende Entgeltperioden zu (BGH, Urteil v. 20.07.2010 – EnZR 23/09 –
Stromnetznutzungsentgelt IV, zitiert nach Juris Rn. 11, 17).
b) Das von der Beklagten für den vorgenannten Zeitraum festgesetzte
Netzdurchleitungsentgelt entsprach nicht der Billigkeit nach § 315 Abs. 1 BGB und
war daher gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB durch Urteil auf 10.787,42 € festzusetzen.
Die Klägerin kann daher von der Beklagten nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818
Abs. 2 BGB die Zahlung des von ihr für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 28.
Oktober 2005 zuviel geleisteten Netznutzungsentgelts in Höhe von 1.903,66 € an
die X AG verlangen.
aa) Das Landgericht geht im Ausgangspunkt mit Recht davon aus, dass der
Beklagten ein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt war, von dem sie durch
das Schreiben vom 16.11.2004 (Anlage K 3 - Anlagenband), dem ein Preisblatt
zum Preisstand 01.01.2005 beigefügt war, für das Jahr 2005 auch Gebrauch
gemacht hat.
Die Anwendung des § 315 BGB wird entgegen der Auffassung des Landgerichts
nicht dadurch ausgeschlossen, dass die von der Beklagten für die Zeit ab dem
01.01.2005 festgesetzten Preise im Verhältnis zu den ursprünglichen Preisen
niedriger waren. Denn dies schließt nicht aus, dass für das Jahr 2005 ein noch
niedrigerer Preis der Billigkeit entspricht.
Entgegen der Meinung des Landgerichts ist der ursprüngliche Preis auch nicht als
Sockelbetrag einer Billigkeitskontrolle entzogen. Das Landgericht nimmt zu
Unrecht eine Vereinbarung dieses ursprünglichen Preises infolge Zeitablaufs an.
Die Klägerin hatte sich von Anfang an die Nachprüfung der Entgelthöhe
vorbehalten. Schon deswegen erscheint es nicht tragfähig, den ursprünglichen
Preis als vereinbart anzusehen. Bei einem Netznutzungsvertrag verbleibt es nach
der Rechtsprechung des Kartellsenats des BGH zudem auch dann bei der vollen
Nachprüfung des Entgelts am Maßstab des § 315 BGB, wenn dessen Betrag im
Vertrag genannt oder ein früherer erhöhter Preis von dem Netznutzer nicht
beanstandet worden ist (BGH Urteil v. 04.03.2008 - KZR 29/06,
Stromnetznutzungsentgelt III, zitiert nach Juris Rn. 25). Die Rechtsprechung des
VIII. Zivilsenats des BGH, wonach Tarife eines Gasversorgers, soweit sie
Gegenstand einer vertraglichen Einigung zwischen dem Versorger und dem
Kunden geworden sind, nicht einer umfassenden gerichtlichen Billigkeitskontrolle in
entsprechender Anwendung von § 315 BGB unterliegen (BGH Urteil v. 19.11.2008 -
VIII ZR 138/07, NJW 2009, 502, zitiert nach Juris Rn. 17 ff.), steht dem nicht
entgegen. Sie beruht darauf, dass eine umfassende gerichtliche Kontrolle von
allgemeinen Tarifen eines Gasversorgungsunternehmens der Intention des
Gesetzgebers entgegenlaufe, der eine staatliche Prüfung und Genehmigung dieser
Tarife wiederholt abgelehnt hat (BGH wie vor).
bb) Der Anspruch der Klägerin auf Überprüfung der einseitigen
Leistungsbestimmung ist auch nicht präkludiert. Zwar ergibt sich aus einem Urteil
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (NJW-RR 1999, 379), dass die
gerichtliche Bestimmung einer durch einen Dritten festzusetzenden Leistung nach
§ 319 Abs. 1 Satz 2 BGB binnen angemessener Frist verlangt werden muss.
Ebenso hat das Bundesarbeitsgericht für § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB entschieden
(BAGE 18, 54, 59 = Bl. 812 – 815 d. A.). Ein über den allgemeinen
Rechtsgrundsatz der Verwirkung hinausgehendes besonderes
Beschleunigungsgebot kann man jedoch weder aus § 315 Abs. 3 Satz 2 letzter
Halbsatz BGB ableiten (so aber LG Mainz, Urteil vom 14.9.2007 - 12 HKO 93/06,
WuW/E DE-R 2130; zitiert nach Juris Rn. 77; so wohl auch BAGE 18, 54, 59) noch
besteht Anlass für eine analoge Anwendung der Regelung des § 124 BGB (so aber
OLG Jena, Urteil vom 26.9.2007 - 2 U 227/07, ZNER 2008, 82, zitiert nach Juris Rn.
24).
Maßgeblich bleibt danach, ob die Klägerin ihr Recht aus § 315 Abs. 3 S. 2 BGB
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Maßgeblich bleibt danach, ob die Klägerin ihr Recht aus § 315 Abs. 3 S. 2 BGB
verwirkt hat. Dies ist nicht der Fall. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich ein Schuldner
wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei
objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde
sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete
Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (vgl. etwa BGH WM 1982, 101,
102; NJW 1984, 1684 jeweils m.w.N.). Es fehlt hier an den für die Verwirkung
erforderlichen Zeit- und Umstandsmomenten.
Hinsichtlich der zeitlichen Voraussetzungen der Verwirkung gilt allgemein der
Grundsatz, dass umso seltener Raum für eine Verwirkung sein wird, je kürzer die
Verjährungsfrist ist (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 69. Aufl. (2010), § 242 Rn. 90
m.w.N.). Das Recht auf gerichtliche Bestimmung des billigen Entgelts unterliegt
allerdings nicht der Verjährung. Verjähren kann grundsätzlich nach § 195 BGB nur
das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Anspruch).
Dazu gehören z. B. nicht – allenfalls durch Ausschlussfristen beschränkte –
Gestaltungsrechte (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.o. § 194 Rdn. 3), denen das hier
streitige Recht auf gerichtliche Bestimmung der Leistung sehr ähnlich ist. Dieses
Recht kann nur verwirkt werden (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.o. § 315 Rdn. 17). Der
Verjährung unterliegen allerdings etwaige Rückforderungsansprüche der Klägerin,
die sich aus der Bestimmung des billigen Entgelts ergeben. Für diese gilt die
dreijährige Verjährungsfrist der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB. Vor diesem Hintergrund
erscheint schon der Zeitraum von knapp drei Jahren seit Ablauf des
abzurechnenden Jahres 2005, das heißt vom Anfang des Jahres 2006 bis zur
Klageerhebung nicht ausreichend für die Annahme einer Verwirkung, weil er nicht
länger als die für den Rückzahlungsanspruch geltende kurze dreijährige
Verjährungsfrist der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss
vom 25.4.2007, VI - 2 U (Kart) 9/06, zitiert nach Juris Rz. 10).
Es fehlt darüber hinaus aber auch an jeglichem Umstandsmoment. Denn die
Klägerin hat wiederholt erklärt, dass sie die von der Beklagten verlangten Preise
nur unter Vorbehalt zahle (vgl. auch BGH, Urteil v. 20.07.2010 – EnZR 23/09 –
Stromnetznutzungsentgelt IV, zitiert nach Juris Rn. 23).
cc) Eine neue Bestimmung des billigen Entgelts durch Urteil ist erforderlich, weil
die von der Beklagten getroffene Bestimmung nicht der Billigkeit entspricht (§ 315
Abs. 3 Satz 2 BGB).
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die getroffene Bestimmung der
Billigkeit entspricht, verbleibt auch im Rückforderungsprozess dann bei dem
Netzbetreiber, wenn das geforderte Entgelt vom Nutzer nur unter Vorbehalt
gezahlt worden ist (BGH, Urt. v. 5.7.2005 – X ZR 60/04, NJW 2005, 2919, 2922;
BGH, Urteil v. 20.07.2010 – EnZR 23/09 – Stromnetznutzungsentgelt IV, zitiert
nach Juris Rn. 27) oder wenn es um die Rückforderung von Abschlags- oder
Vorauszahlungen geht. Hier hat die Klägerin nur unter Vorbehalt gezahlt, so dass
die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig ist.
Soweit die Beklagte vorträgt, sie habe ihre Netzentgelte nach den
Preisfindungsprinzipien der Verbändevereinbarung Strom II Plus festgelegt, genügt
dies nicht für die Annahme, dass die Entgeltbestimmung durch die Beklagte der
Billigkeit entspricht. Soweit nach § 6 Abs. 1 Satz 5 EnWG i. d. F. vom 26. August
1998 bei Einhaltung der Verbändevereinbarung Strom II Plus grundsätzlich die
Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet wurde, galt dies nur bis
zum 31. Dezember 2003 (BGHZ 164, 336, 344 - Stromnetznutzungsentgelt I,
BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - KZR 8/05, ZNER 2006, 136, 37 -
Stromnetznutzungsentgelt II). Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof
festgestellt, dass die in § 6 Abs. 1 EnWG i. d. F. vom 20. Mai 2003 genannten
Preisfindungskriterien, die den allgemeinen Maßstab des „billigen Ermessens“
nach § 315 Abs. 1 BGB konkretisieren (BGHZ a. a. O.; BGH, Urteile vom 7. Februar
2006 - KZR 8/05, a. a. O. und vom 4. März 2008 - KZR 29/06, ZNER 2008, 154, 155
- Stromnetznutzungsentgelt III - Tz. 21.), ihrerseits im Lichte der Zielsetzung des §
6 Abs. 1 Satz 4 EnWG auszulegen und anzuwenden sind, eine möglichst sichere,
preisgünstige und umweltverträgliche leitungsgebundene Stromversorgung und
darüber hinaus wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten. Wo sie
Bewertungsspielräume eröffnen, sind sie daher so zu nutzen, dass dem
Gesetzeszweck bestmöglich Rechnung getragen wird (BGHZ 164, 336, 344 f. -
Stromnetznutzungsentgelt I).
Für die Unbilligkeit der von der Beklagten festgelegten Netznutzungsentgelte
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Für die Unbilligkeit der von der Beklagten festgelegten Netznutzungsentgelte
spricht, dass der für die Zeit vom 1.6.2007 bis 30.6.2008 genehmigte
Nettoarbeitspreis für Kleinkunden ohne Leistungsmessung bei 4,8 ct/kWh (GA
79/GA 147) lag und damit gegenüber dem von der Klägerin für 2005 bestimmten
Preis (5,65 ct/kWh – GA 72) um rund 15 % niedriger war. Die Festlegungen der
Regulierungsbehörden im Rahmen der Entgeltgenehmigungsverfahren sind
taugliche Vergleichsparameter. Denn ebenso wie bereits das
Energiewirtschaftsgesetz 1998 bezweckt auch das Energiewirtschaftsgesetz 2005
eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und
umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Strom
und Gas (§ 1 Abs. 1 EnWG 2005). Die Entgelte für den Netzzugang müssen unter
anderem angemessen sein (§ 22 Abs. 1 EnWG 2005) und dürfen keine Kosten oder
Kostenbestandteile enthalten, die sich ihrem Umfang nach im Wettbewerb nicht
einstellen würden (§ 22 Abs. 2 Satz 2 EnWG 2005). Die Ermittlung der Kosten und
der Netzentgelte im Rahmen der Genehmigungsverfahren für das Restjahr 2005
und das Jahr 2006 erfolgte auf der Basis der Daten des letzten abgeschlossenen
Geschäftsjahres (§ 3 Abs. 1 Satz 5 StromNEV), so dass im Hinblick auf die
Antragsfrist des § 118 Abs. 1b Satz 1 EnWG in der Fassung des Gesetzes vom 7.
Juli 2005 (BGBl. I S. 1970) die Daten des Jahres 2004 maßgeblich waren. Aufgrund
dessen haben die Ergebnisse der unmittelbar nach Inkrafttreten des
Energiewirtschaftsgesetzes 2005 und der Stromnetzentgeltverordnung
durchgeführten Genehmigungsverfahren auch für den sich unmittelbar
anschließenden Zeitraum vom 1.1.2005 bis 28.10.2005 Aussagekraft (vgl. BGH,
Urteil v. 20.07.2010 – EnZR 23/09 – Stromnetznutzungsentgelt IV, zitiert nach Juris
Rn. 41-43 für die Jahre 2003 und 2004).
Die Beklagte hat in der Klageerwiderung zu den Grundlagen ihrer Kalkulation näher
vorgetragen (GA 107 ff.). Dieser Vortrag genügt den Anforderungen an die
Darlegungslast zwar noch nicht in allen Einzelheiten. Im Anschluss an ergänzende
Darlegungen zu einzelnen Punkte nach einer Auflage des Gerichts käme aber eine
Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht,
um festzustellen, in welcher Größenordnung die Kalkulation der Beklagten zu
unbilligen Netzentgelten geführt hat.
Gemäß § 287 Abs. 2 ZPO sind jedoch bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten §
287 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO entsprechend anzuwenden, soweit unter den
Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller
hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der
Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen. Dabei
ist auch der mit der Beweisaufnahme verbundene Kostenaufwand zu
berücksichtigen (vgl. BGH, NJW 2005, 2074 m.w.N.). Eine nähere Ermittlung des
Maßes der Unbilligkeit durch Einholung Sachverständigengutachten wäre im
vorliegenden Fall mit einem Kostenaufwand verbunden, der zu der Höhe des
geltend gemachten Rückforderungsanspruchs unter Berücksichtigung der als
Schätzgrundlage vorhandenen Orientierungshilfe außer Verhältnis steht.
Die Klägerin hat die im Zeitraum vom 1.1.2005 bis 28.10.2005 gezahlten
Netznutzungsentgelte auf 13.794,66 € beziffert. Diese Berechnung der Klägerin
berücksichtigt jedoch nicht, dass der Stromverbrauch in den Monaten November
und Dezember typischerweise höher ist als im Jahresdurchschnitt. Dies rechtfertigt
einen pauschalen Abzug von 8 %, mit dem die Klägerin sich einverstanden erklärt
hat, so dass für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 28.10.2005 von gezahlten
Netznutzungsentgelten in Höhe von 12.691,09 € auszugehen ist. Unabhängig vom
Vortrag der Beklagten ist sicher, dass das der Billigkeit entsprechende Entgelt
jedenfalls über Null liegt, schon weil die Beklagte ihrerseits Netzentgelte an die
Übertragungsnetzbetreiber zu zahlen hatte (ebenso OLG München Urteil v.
14.05.2009 - U (K) 3283/08, zitiert nach Juris Rn. 27 ff.). Die Klägerin selbst hat
ihrer Streitwertangabe von 5.900,00 € eine unbillige Überhöhung der
Netznutzungsentgelte im Bereich von 30 % zugrunde gelegt. Nach den
Erfahrungen des Senats in parallel gelagerten Fällen fallen aber für die
Überprüfung der Kalkulation des Netzbetreibers allein Sachverständigenkosten in
der Größenordnung von 12.0000,00 € an.
Wie ausgeführt bilden die Festlegungen der Regulierungsbehörden im Rahmen der
Entgeltgenehmigungsverfahren taugliche Vergleichsparameter für die Beurteilung
der Billigkeit der Netznutzungsentgelte der Beklagten im hier maßgeblichen
Zeitraum. Es ist deshalb auf der Grundlage der erstmals genehmigten Entgelte
gerechtfertigt, durch Kürzung der von der Beklagten festgelegten Entgelte um
15% das der Billigkeit entsprechende Entgelt für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis
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15% das der Billigkeit entsprechende Entgelt für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis
zum 28.10.2005 festzulegen.
Nach alledem ist das durch die ehemalige X - … GmbH & Co. KG zu zahlende
billige Netznutzungsentgelt für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis zum 28.10.2005
auf 10.787,42 € festzusetzen, so dass sich ein Rückforderungsanspruch in Höhe
von 1.903,66 € ergibt.
Der zuerkannte Zinsanspruch ist begründet aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187
Abs. 1 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Die Revision wird wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung sowie zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung gem. § 543 Abs. 2 ZPO zugelassen. Welche
Auswirkungen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. August 2008 auf
die von Netznutzern erhobenen Klage auf Billigkeitskontrolle der von ihnen
geleisteten Netznutzungsentgelte und Rückzahlung etwaig überhöht entrichteter
Entgelte zukommt, die den Zeitraum zwischen erster Antragstellung und
Genehmigung der Entgelte durch die Regulierungsbehörden betreffen, ist für eine
Vielzahl von Fällen von Bedeutung, bislang aber höchstrichterlich noch nicht
geklärt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.