Urteil des OLG Frankfurt vom 07.07.2010

OLG Frankfurt: zahlungsunfähigkeit, anschlussberufung, deckung, anfechtung, gläubigerbenachteiligung, verbindlichkeit, form, rückzahlung, verzug, wahrscheinlichkeit

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Gericht:
OLG Frankfurt 4.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 U 21/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 17 InsO, § 129 InsO, §§ 129ff
InsO, § 140 InsO
Zur Feststellung des Benachteiligungsvorsatzes bei
Anfechtung
Tenor
Die Berufung des Klägers sowie die Anschlussberufung des beklagten Landes
gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main – 2. Zivilkammer – vom
11.01.2010 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung aus dem Urteil durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht zuvor das beklagte Land Sicherheit in Höhe von 115 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A.
Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter über das Vermögen des A, Stadt1, das
beklagte Land aus Insolvenzanfechtung auf Rückzahlung von Steuerzahlungen in
Anspruch.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11.01.2010 Bezug
genommen.
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und unter Klageabweisung
im Übrigen das beklagte Land verurteilt, an den Kläger 71.383,55 € nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2005 und
außergerichtlichen Kosten in Höhe von 1.214,96 € nebst Zinsen zu zahlen. Die
Teilstattgabe hat das Landgericht auf den Anfechtungsgrund des § 131 Abs. 1 Nr.
1 und 2 InsO gestützt. Bei den vom Kläger dargelegten Zahlungen innerhalb des
3-Monats-Zeitraums (07.07. – 07.10.2004) sowie den erbrachten Zahlungen nach
Zugang des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 07.10.2004
handele es sich um inkongruente Deckungen im Sinne der genannten Vorschrift.
Es sei ab dem 3. Monat vor dem Eröffnungsantrag auch von der
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auszugehen. Dieser habe zu diesem
Zeitpunkt neben den erheblichen Steuerrückständen noch weitere
Zahlungsrückstände, die er nicht habe befriedigen können, gehabt. Der Anspruch
auf Ersatz der außergerichtlichen Kosten folge aus § 286 BGB.
Die Klageabweisung hat das Landgericht damit begründet, dass vor dem Juli 2004
(zwischen Dezember 2002 und Juni 2004) der Kläger eine Zahlungsunfähigkeit des
Schuldners nicht hinreichend dargetan habe. Da der Geschäftsbetrieb des
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Schuldners nicht hinreichend dargetan habe. Da der Geschäftsbetrieb des
Schuldners stets Gewinne abgeworfen habe und nur wegen des überschwänglichen
privaten Lebenswandels des Schuldners und seiner darauf beruhenden
erheblichen Privatentnahmen das vorhandene liquide Vermögen nicht ausgereicht
habe, sämtliche fälligen Verbindlichkeiten zu befriedigen, könne lediglich von einer
Zahlungsunwilligkeit nicht aber von einer Zahlungsunfähigkeit als dauerndem
Unvermögen, offene Forderungen zu begleichen, ausgegangen werden. Außerdem
lasse sich die für den geltend gemachten Anspruch nach § 133 Abs. 1 InsO
erforderliche Kenntnis des beklagten Landes vom
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht feststellen. Es könne
daher dahingestellt bleiben, ob es sich bei den vom Schuldner an den anwesenden
Vollziehungsbeamten geleisteten Scheck – und Barzahlungen um
Rechtshandlungen im Sinne der §§ 129 ff InsO gehandelt habe.
Gegen diese ihm am 25.01.2010 zugestellte Entscheidung wendet sich der Kläger
mit der am 01.02.2010 eingelegten und mit gleichem Schriftsatz begründeten
Berufung, mit der er seine ursprünglichen Klageanträge weiter verfolgt. Er macht
geltend, dass es sich bei allen angefochtenen Scheckzahlungen, Überweisungen
und Barzahlungen um „Rechtshandlungen“ des Schuldners im Sinne der §§ 129 ff
InsO gehandelt habe. Der Schuldner habe zur Abwendung einer ihm angedrohten,
demnächst erwarteten Vollstreckung bei allen Zahlungen eigenständig,
selbstbestimmt und freiwillig darüber entschieden, ob er sie erbringe oder
verweigere. Da die Konten nicht gepfändet gewesen seien, habe der
Vollziehungsbeamte im Rahmen der Vollstreckung keine Handhabe gehabt, den
Schuldner zu einer Überweisung oder Übergabe eines Schecks zu zwingen. Auch
die Barzahlungen seien Rechtshandlungen des Schuldners. Dass ein Schuldner nur
unter dem Druck der drohenden Zwangsvollstreckung zahle, rechtfertige keine
Gleichsetzung mit Vermögenszugriffen, die durch Vornahme von
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgten.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei der Schuldner schon im Dezember
2002 zahlungsunfähig gewesen. Gerade die Nichtzahlung bzw. schleppenden
Zahlungen von Steuerschulden seien allgemein ein Indiz für die
Zahlungsunfähigkeit. Schon bei Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung am
10.12.2002 bezüglich der Verbindlichkeit über 87.282,48 € mit dem Finanzamt sei
der Schuldner nicht mehr in der Lage gewesen, seine Verbindlichkeiten zu
befriedigen. Außerdem habe der Bundesgerichtshof ein Indiz für die
Zahlungsunfähigkeit - ohne Vorlage einer Liquiditätsbilanz – bereits darin erkannt,
dass zum Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlungen fällige
Verbindlichkeiten bestanden haben, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens
nicht beglichen worden seien. Im Übrigen hätten die bereits zum Zeitpunkt des
Abschlusses des Ratenzahlungsvergleiches am 10.12.2002 bestehenden fälligen
Verbindlichkeiten in einer Gesamthöhe von 206.890,99 € (87.282,48 € Finanzamt,
118.348,51 € Bundesknappschaft, 1.260 € Landeswohlfahrtsverband) weit mehr
als 10 % der Gesamtverbindlichkeiten ausgemacht. Dass der Geschäftsbetrieb
des Schuldners Gewinne erwirtschaftet habe, stehe der Annahme der
Zahlungsunfähigkeit nicht entgegen.
Sein Beweisangebot, den Schuldner zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in
2002 zu hören, habe vom Landgericht auf keinen Fall übergangen werden dürfen.
Das Finanzamt habe entgegen der Annahme des Landgerichts den
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners gekannt. Da sämtliche
Zahlungen im Rahmen bzw. zur Abwendung von
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgt seien, habe das Finanzamt die
Inkongruenz der gewährten Deckung – ein wesentliches Beweisanzeichen –
gekannt. Bereits die Ratenzahlungsvereinbarung vom 10.12.2002 habe dem
Finanzamt die Kenntnis vermittelt, dass der Schuldner nicht innerhalb von 3
Wochen die damals offenen Steuerschuld von 87.282,48 € habe begleichen
können. Ein weiteres Indiz sei, dass ein am 19.08.2003 von einem
Vollziehungsbeamten des Finanzamtes eingezogener Scheck über 16.000 €
mangels Deckung am 21.08.2003 rückbelastet worden sei. Mit den am 15.04.2004
erlangten Barbeträgen seien Einkommenssteuerrückstände aus den Jahren 1999
und 2000 sowie rückständige Umsatzsteuer für das Jahr 2000 getilgt worden.
Das beklagte Land verteidigt unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches
Vorbringen die landgerichtliche Entscheidung und beantragt, die Berufung
zurückzuweisen.
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Mit der binnen verlängerter Berufungserwiderungsfrist erhobenen
Anschlussberufung wendet sich das beklagte Land gegen die Verurteilung zur
Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.214,96 € nebst Zinsen
und beantragt, in Abänderung des Urteils des Landgerichts die Klage auch insoweit
abzuweisen.
Es fehle an den Voraussetzungen des Verzugseintritts. Es habe vor Klageerhebung
keine Kenntnis davon gehabt, dass die im Zeitfenster der letzten 3 Monate vor
Antragstellung bargeldlos geleisteten Zahlungen zu einer
Gläubigerbenachteiligung geführt haben.
Der Kläger beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen und führt in der
Sache aus, dass dem beklagten Land aufgrund der – unstreitig – umfangreichen
außergerichtlichen Korrespondenz im Rahmen der Vergleichsbemühungen
bewusst gewesen sei, dass die hier relevanten Zahlungen des Schuldners zu einer
Gläubigerbenachteiligung geführt haben.
B.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden. In der Sache bleibt das Rechtsmittel aber ohne
Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht die Anfechtungsvoraussetzungen
hinsichtlich der erbrachten Zahlungen außerhalb des 3-Monats-Zeitraums nach §
133 Abs. 1 InsO verneint.
I.
Das Landgericht hat dabei die von den Parteien problematisierte Frage, ob es sich
bei den angefochtenen Zahlungen im Zeitraum vom 20.12.2000 – 30.06.2004 um
„Rechtshandlungen“ im Sinne der §§ 129 ff InsO gehandelt hat, offen lassen
dürfen. Diese Frage bedarf auch in zweiter Instanz keiner abschließenden Klärung.
Zwar stellt sich, da nach unbestritten gebliebenem Vorbringen des Klägers
sämtliche angefochtenen Zahlungen im Rahmen bzw. zur Abwehr von
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erbracht wurden, die Frage, ob diese auf einem
willensgesteuerten Handeln des Schuldners beruhten. Soweit es sich um
Rechtshandlungen im Vorfeld einer erst angedrohten Vollstreckung handelt, ist
diese Frage nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung unter weitgehender
Zustimmung der Literatur (BGH NJW 2010, 1671, 1672 mit weiteren Nachweisen)
zu bejahen. Leistet der Schuldner zur Abwendung einer ihm angedrohten,
demnächst zu erwartenden Vollstreckung, so ist er ohne weiteres noch in der
Lage, über den angeforderten Betrag nach eigenem Belieben zu verfügen. Anstatt
ihn an den Gläubiger zu zahlen, kann er ihn auch selbst verbrauchen, Dritten
zuwenden oder Insolvenzantrag stellen.
Auch nach bereits begonnener Einzelzwangsvollstreckung sind Scheckbegebungen
Rechtshandlungen im Sinne der §§ 129 ff InsO, erfordern diese doch zwingend,
dass der Schuldner noch freien Zugriff auf sein Girokonto hat (BGH, a. a. O., Seite
1673).
Hinsichtlich der erfolgten Barzahlungen am 13.02., 30.03., 15.04. und 27.05.2004
an den Gerichtsvollzieher dürfte nach bisherigem Sach- und Streitstand eine
Rechtshandlung zu verneinen sein. In aller Regel ist davon auszugehen, dass
derartige Zahlungen keine eigenen Rechtshandlungen des Schuldners mehr sind.
Übergibt ein Schuldner dem vollstreckungsbereit anwesenden Gerichtsvollzieher
Bargeld, auf dass dieser andernfalls sogleich zugreifen könnte, liegt kein freier
Willensentschluss zur Leistung mehr vor; vielmehr kommt der Schuldner in einer
solchen Situation nur dem sonst unabwendbaren Zugriff des Gerichtsvollziehers
zuvor. Anderes gilt nur dann, wenn dessen Zugriff mit einiger Wahrscheinlichkeit
tatsächliche Hindernisse – etwa die Verwahrung in einer „schwarzen Kasse“ oder
einem Versteck – entgegen gestanden hätten. Der Vortrag derartiger
Besonderheiten obliegt dem Kläger als Insolvenzverwalter, weil er die
anspruchsbegründenden Voraussetzungen und mithin auch die Rechtshandlungen
des Schuldners darzulegen hat (BGH, a. a. O. Seite 1674).
Der Kläger war auf diesen Gesichtspunkt – mit Gelegenheit zum weiteren Vortrag –
nicht hinzuweisen, weil im vorliegenden Fall die Frage des Vorliegens einer
Rechtshandlung keiner abschließenden Klärung bedarf. Der Anfechtungsanspruch
aus § 133 InsO scheitert hier jedenfalls am fehlenden
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aus § 133 InsO scheitert hier jedenfalls am fehlenden
Gläubigerbenachteilungsvorsatz des Schuldners.
II.
Es lässt sich nicht feststellen, dass der Schuldner sich zumindest die
Benachteiligung der Gläubiger als möglich vorgestellt, sie aber in Kauf genommen
hat, ohne sich durch die Vorstellung dieser Möglichkeit von seinem Handeln
abhalten zu lassen (BGH Z 155, 75, 84 mit weiteren Nachweisen). Zur Feststellung
des Benachteiligungsvorsatzes hat die Rechtsprechung im Laufe der Zeit
bestimmte aus der Lebenserfahrung abgeleitete Grundsätze entwickelt.
1. Von einer inkongruenten Deckung, die regelmäßig ein starkes Beweisanzeichen
für einen Benachteiligungsvorsatz darstellt, kann bezüglich der angefochtenen
Zahlungen vom 20.12.2002 bis 30.06.2004 in Höhe von insgesamt 280.377,37 €
nicht ausgegangen werden. Leistungen, die außerhalb des 3-Monats-Zeitraums
der §§ 130, 131 InsO zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet werden,
sind grundsätzlich als kongruent anzusehen (BGH Z 155, 80, 82; Heidelberger
Kommentar zur Insolvenzordnung (nachfolgend: HK/Kreft, 5. Auflage, § 131 Rn. 9;
Kirchhof in Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage, § 131 Rn. 26, 26 c).
2. Auch sonstige Beweisanzeichen tragen die Feststellung eines
Gläubigerbenachteilungsvorsatzes des Schuldners bereits zum Dezember 2002
nicht.
a) Der Bundesgerichtshof geht in der Regel davon aus, dass der Schuldner die
angefochtene Rechtshandlung mit Benachteilungsvorsatz vorgenommen hat,
wenn er zur Zeit ihrer Wirksamkeit (§ 140 InsO) zahlungsunfähig war (BGH Z 155,
75, 84). Der Schuldner ist nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO zahlungsunfähig, wenn er
nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Dies ist nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anzunehmen, wenn die Liquiditätslücke
des Schuldners 10 % oder mehr beträgt, soweit nicht ausnahmsweise mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass diese Lücke
innerhalb von 3 Wochen (fast) vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern
ein solches Zuwarten zuzumuten ist (BGH Z 163, 134, 142 f). Zur Feststellung der
Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO kann eine
Liquiditätsbilanz aufzustellen sein. Dabei sind die im maßgeblichen Zeitpunkt
verfügbaren und innerhalb von 3 Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung
zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten
(BGH Z 163, 134, 138; HK/Kirchhof, a. a. O. § 17 Rn. 24).
Davon ausgehend fehlt es im vorliegenden Fall für eine so begründete Feststellung
der Zahlungsunfähigkeit bereits an einer Darstellung zur Höhe der fälligen
Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners zu den jeweiligen Zahlungsterminen.
b) Eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu den jeweiligen Leistungsterminen
kann auch aus dem Vortrag, es hätten an diesen Tagen bestimmte
Verbindlichkeiten (Beitragsrückstand Bundesknappschaft 118.348,51 €; Forderung
Landeswohlfahrtsverband Hessen 1.260 €) bestanden, die bis zur
Insolvenzeröffnung nicht mehr bezahlt wurden, nicht hergeleitet werden. Es bedarf
zwar zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit nicht in jedem Fall der Aufstellung
einer Liquiditätsbilanz, in der die verfügbaren und binnen 3 Wochen flüssig zu
machenden Mittel in Beziehung zu dem am selben Stichtag fälligen und
eingeforderten Verbindlichkeiten zu setzen sind. Nach dem eröffneten
Insolvenzverfahren kann bei einer Anfechtung – anders als bei der prospektiven
Frage, ob ein Insolvenzeröffnungsgrund nach § 17 Abs. 1 InsO vorliegt oder ob den
GmbH-Geschäftsführer nach § 64 GmbH-Gesetz die Antragspflicht trifft – der
Nachweis einer Zahlungsunfähigkeit auch in vereinfachter Form geführt werden.
Anders als bei der Entscheidung über die Stellung des Insolvenzantrages oder die
Insolvenzeröffnung, welche eine Prognose über die künftige Begleichung von
Forderungen anstellen muss, kann im Anfechtungsverfahren häufig im Nachhinein
festgestellt werden, ob und was der Schuldner zahlen konnte. Im
Anfechtungsverfahren genügt regelmäßig für den Nachweis der
Zahlungsunfähigkeit die Feststellung, dass zu dem fraglichen Zeitpunkt fällige
Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen
wurden. Allerdings müssen diese Verbindlichkeiten einen wesentlichen Teil der
fälligen Verbindlichkeiten zum Stichtag darstellen (HK/Kreft, a.a.O. § 130 Rn.16).
Um die Wesentlichkeit der offenen, nicht ausgeglichenen Verbindlichkeit feststellen
zu können, bedarf es eines Wissens darüber, wie hoch zu diesem Zeitpunkt die
gesamten Verbindlichkeiten des Schuldners einschließlich der später bezahlten
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gesamten Verbindlichkeiten des Schuldners einschließlich der später bezahlten
waren. Da hierzu jeglicher Vortrag seitens des Klägers fehlt, lässt sich auch auf
diesem Weg die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht feststellen.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus dem
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.10.2006 (IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 ff).
Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung in den Hinweisen an das
Berufungsgericht unter Ziffer II 1.a zwar ausgeführt, dass dann wenn im fraglichen
Zeitpunkt Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr
beglichen worden sind, regelmäßig von einer Zahlungsunfähigkeit zu diesem
Zeitpunkt auszugehen sei; in dieser Entscheidung ist sodann zwar nicht
ausdrücklich hinzugefügt, dass es sich um einen nicht unerheblichen Teil der
Gesamtverbindlichkeiten handeln muss. Dass auch hier nicht eine unterlassene
Begleichung von Verbindlichkeiten in beliebiger Höhe ausreichen kann, ergibt sich
aber zweifelsfrei aus dem Zusammenhang. Im vorangehenden Absatz unter Ziffer
I ist nämlich bereits ausgeführt, dass die Zahlungsunfähigkeit eine Liquiditätslücke
von mindestens 10 % erfordert. In den nachfolgenden Absätzen unter a) und b)
wird ausschließlich die Frage erörtert, wie diese Voraussetzung insbesondere in
Abgrenzung zur Zahlungsstockung festgestellt werden kann. Damit ergibt sich aus
dem Zusammenhang, dass die bis zuletzt nicht bezahlten Verbindlichkeiten
wesentlich sein müssen. Ansonsten würde es an der für den Begriff der
Zahlungsunfähigkeit gebotenen Untergrenze fehlen (Senat, Urteil vom
03.02.2010, 4 U 184/09).
c) Die Zahlungsunfähigkeit wird entgegen der Auffassung des Klägers nicht durch
den Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung am 10.12.2007 betreffend die
Forderung gegenüber dem Finanzamt in Höhe von 87.282,48 € indiziert.
Grundsätzlich kann einer Stundungsbitte zwar die Erklärung des Schuldners
entnommen werden, eine fällige Verbindlichkeit nicht begleichen zu können
(HK/Kirchhof, a. a. O. § 17 Rn. 30; BGH ZIP 2001, 2097, 2098). Im vorliegenden Fall
war der Antrag auf Stundung aber bereits am 09.12.2002 noch vor Fälligkeit der
Hauptschuld gestellt worden. Da diesem Antrag bereits mit Verfügung vom
10.12.2002 stattgegeben wurde, fehlte es bereits an der Fälligkeit der Forderung.
Es lässt sich im übrigen auch hinsichtlich dieser gestundeten Forderung nicht
feststellen, ob es sich um einen erheblichen Teil der Verbindlichkeiten des
Schuldners gehandelt hat.
d) Schließlich kann auch in der Nichtzahlung bzw. schleppenden Zahlung von
Steuerschulden über einen längeren Zeitraum kein durchschlagendes Indiz für die
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erkannt werden. Im vorliegenden Fall ist
bereits unklar, für welche Zeiträume Steuerrückstände aufgelaufen waren und
wann diese mit welchen Zahlungen ausgeglichen wurden. Dies ist zur Beurteilung
der Indizwirkung von Bedeutung, weil Rückstände für kürzere Zeit in der Regel nicht
für sich allein als Indiz für die Zahlungsunfähigkeit ausreichen – lediglich in
Verbindung mit anderen Indizien eine Zahlungsunfähigkeit ergeben können
(HK/Kirchhof, a. a. O. § 14 Rn. 19). Unabhängig davon ist die Indizwirkung von
fortlaufend neuen Steuerrückständen über die Dauer von 1 ½ Jahren für die
hinreichende Überzeugung von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hier nicht
ausreichend, weil eine Reihe von weiteren Umständen die Indizwirkung schmälert.
So erfolgten fast alle Scheckzahlungen und die Überweisung von einem
„Habenkonto“ des Schuldners.
Außerdem kam es erst zur Zahlungseinstellung, nachdem im Oktober 2004 ein
Hauptauftraggeber des Schuldners mit der Folge eines 80-prozentigen
Umsatzrückgangs weggefallen war. Weiterhin hat das beklagte Land „lediglich“
13.895,84 € zur Insolvenztabelle angemeldet. Es ist daher davon auszugehen,
dass trotz fortwährend schleppender Zahlungen größere Steuerrückstände nicht
aufgelaufen waren.
e) Den weiteren vom Kläger aufgelisteten Rückständen aus dem Jahr 2002 (Blatt
119, 120 d. A.) fehlt jede indizielle Aussagekraft. Die einzelnen aufgeführten
Beitrags- und Zahlungsrückstände lassen keinerlei zwingende Schlussfolgerungen
auf die Zahlungsfähigkeit des Schuldners zu.
Fehlt es nach alledem bereits an einer schlüssigen Darlegung des
Gläubigerbenachteilungsvorsatzes des Schuldners hat das Landgericht zu Recht
davon abgesehen, dem Beweisangebot des Klägers aus der mündlichen
Verhandlung vom 05.10.2009 – ungeachtet der weiteren Problematik der
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Verhandlung vom 05.10.2009 – ungeachtet der weiteren Problematik der
hinreichenden Substantiierung der Beweisbehauptung – zu entsprechen und den
Schuldner zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen im Jahr 2002 zu hören.
C.
Die Anschlussberufung des beklagten Landes ist zulässig, insbesondere in der Frist
des § 524 Abs. 2 ZPO erhoben worden, bleibt in der Sache aber ebenfalls ohne
Erfolg. Das Land ist aus Verzug gemäß den §§ 280 Abs. 2, 286 BGB dem Kläger
zur Erstattung der ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten in Höhe von
1.214,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 07.10.2008 verpflichtet.
Das beklagte Land hat sich entgegen seiner mit der Anschlussberufung
vorgetragenen Auffassung mit der Rückzahlung der mit Erfolg angefochtenen
Zahlungen während des 3-Monats-Zeitraums der §§ 130, 131 InsO in Verzug
befunden. Unstreitig hat der anwaltlich vertretene Kläger vor der Klageerhebung
mit dem beklagten Land umfangreich im Rahmen von Vergleichsverhandlungen
korrespondiert. Die Behauptung des beklagten Landes, erst mit der Klage von der
eingetretenen Gläubigerbenachteiligung erfahren zu haben, ist unerheblich. Da es
sich bei den mit Erfolg angefochtenen und durch das Landgericht zuerkannten
Zahlungen in Höhe von 71.383,55 € um eine inkongruente Deckung im Sinne des
§ 131 Abs. 1 InsO gehandelt hat, wird die Kenntnis des beklagten Landes von der
Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners vermutet. Diese tatsächliche
Vermutung ist von dem beklagten Land nicht widerlegt worden.
Der Höhe nach ist der zuerkannte Anspruch begründet. Bereits eine !0/10
Geschäftsgebühr aus dem Wert von 71.383 € beträgt 1.200 €. Hierzu addieren
sich die vom Kläger unwidersprochen vorgetragenen weiteren Kosten in Form der
Auslagenpauschale in Höhe von 20 €, des Abwesenheitsgeldes für den 28.05.2008
in Höhe von 20 € und 19,08 € Fahrkosten für die Fahrt X – Y – X.
Hierauf sind – wie zuerkannt – gemäß § 291 BGB ab 08.10.2008 Prozesszinsen zu
erbringen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Eine Zulassung der Revision war nicht geboten, weil weder die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder die
Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgericht erfordert (§ 543
Abs. 2 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.