Urteil des OLG Frankfurt vom 30.11.2005
OLG Frankfurt: getrennt lebende ehefrau, obliegenheit, leistungsfähigkeit, unterhalt, sozialhilfe, stadt, selbstbehalt, minderjähriger, arbeitsförderung, rechtshängigkeit
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Gericht:
OLG Frankfurt 2.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 UF 166/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 1361 BGB
(Trennungsunterhaltsanspruch: Obliegenheit des
Unterhaltsschuldners zur Einleitung eines
Privatinsolvenzverfahrens zur Verbesserung seiner
Leistungsfähigkeit)
Leitsatz
Zur Frage, ob der Unterhaltsschuldner berechtigt ist, sein Einkommen um Raten für die
Tilgung eines ehebedingten Kredits zu bereinigen, oder ob er gehalten ist, zur
Ermöglichung höherer Unterhaltsleistungen ein Privatinsolvenzverfahren einzuleiten
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 07.04.2005 verkündete Urteil des
Amtsgerichts – Familiengericht – Kassel abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, für die Klägerin Unterhalt in Höhe von jeweils
monatlich 440 € für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.06.2005 und von 466 € für die
Zeit vom 01.07.2005 bis 23.08.2005 zu zahlen, und zwar den Unterhalt für die Zeit
vom 01.01. bis 31.12.2004 an die Stadt A (Sozialamt), für den Anschlusszeitraum
an die Arbeitsförderung A GmbH, beides .., A.
Von den Kosten des ersten Rechtszugs haben der Beklagte 2/3, die Klägerin 1/3 zu
tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zu 3/4, der
Klägerin zu 1/4 zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe der jeweils beizutreibenden Beträge abwenden, wenn
nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Zugunsten des Beklagten wird die Revision zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien, deren am ...1972 geschlossene Ehe mit Urteil vom ...2005,
rechtskräftig durch beiderseitigen Rechtsmittelverzicht am selben Tag, geschieden
ist, streiten um Trennungsunterhalt. In einem vorausgegangenen Verfahren hat
die Stadt A – Sozialamt – als Träger der Sozialhilfe kraft übergegangenen Rechts
für die Klägerin Trennungsunterhalt für den Zeitraum vom 01.02.2003 bis zum
02.07.2003, dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des hier gegenständlichen
Verfahrens, Unterhalt geltend gemacht, der ihr mit inzwischen rechtskräftigem
Urteil vom 28.08.2003 in Höhe von monatlich 298,80 € zugesprochen worden ist.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Urteils in den beigezogenen und
zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten des
Vorprozesses (540 F 1321/03) Bezug genommen.
Im gegenwärtigen Verfahren verfolgt die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch ab
dem genannten Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in eigenem Namen weiter,
erstinstanzlich zuletzt gerichtet auf rückständigen Unterhalt für die Zeit von Januar
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erstinstanzlich zuletzt gerichtet auf rückständigen Unterhalt für die Zeit von Januar
bis Mai 2003 in Höhe von 734,16 € nebst Zinsen, von Juni bis November 2003 von
monatlich 128,36 € und ab 01.12.2003 von monatlich 728,30 €.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der Sachdarstellung im Einzelnen
Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht der Klage nur in Höhe von monatlich
96 € ab Mai 2005, dem Monat nach der letzten mündlichen Verhandlung,
stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Für die Zeit bis zur mündlichen
Verhandlung am 07.04.2004, diesen Monat eingeschlossen, sei die Klägerin nicht
aktiv legitimiert, nachdem die Ansprüche auf die Träger der Sozialhilfe
übergegangen seien. Eine Rückabtretung sei nicht vorgetragen. Für den
Anschlusszeitraum hat es das zuvor schwankende Einkommen auf monatlich
1.345 € (zusammengesetzt aus einer BfA-Rente von 1.008,47 € und einer VBL
Rente von 336,42 €) festgestellt und hiervon von der unstreitigen Kreditbelastung
des Beklagten in Höhe von monatlich 544 € einen Teilbetrag von 408 € als auf die
Ehezeit entfallend und damit eheprägend abgezogen. Von dem verbleibenden
Nettoeinkommen von 936 € hat es der Klägerin den über dem ihm notwendig
verbleibenden Selbstbehalt von 840 € liegenden Betrag zugesprochen.
Gegen dieses Urteil, soweit die Klage abgewiesen worden ist, richtet sich die
Berufung der Klägerin, zunächst im Wesentlichen mit ihren erstinstanzlichen
Anträgen, jedoch mit der Maßgabe, dass die Unterhaltsbeträge bis einschließlich
31.12.2004 an die Stadt A und für den Anschlusszeitraum an die Arbeitsförderung
A GmbH (…) zu zahlen seien. Sie rügt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, dass das
Amtsgericht sie nicht auf die fehlende Aktivlegitimation hingewiesen habe. In
diesem Fall hätte sie, wie jetzt mit der Berufung, ihre Anträge umgestellt. In der
Sache beanstandet sie, dass das Amtsgericht das Einkommen des Beklagten um
Kreditbelastungen bereinigt habe. Insoweit habe ihn die Obliegenheit getroffen,
Privatinsolvenz anzumelden und die Bedienung der Kredite einzustellen. In diesem
Fall wäre er für den geforderten Unterhalt leistungsfähig.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
nach und im Umfang bewilligter Prozesskostenhilfe unter Zurücknahme ihrer
Berufung im Übrigen, wie erkannt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt der Verfahrensrüge entgegen; gegenüber der anwaltlich vertretenen
Klägerin habe es keines Hinweises wegen ihrer Antragstellung bedurft.
In der Sache hält er eine Obliegenheit zur Einleitung eines
Privatinsolvenzverfahrens nicht für gegeben. Eine solche sei in der bisherigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung nur gegenüber dem Unterhaltsanspruch
minderjähriger Kinder anerkannt worden. Für den hier verfahrensgegenständlichen
Ehegattenunterhalt sei die Rechtslage aber eine andere, da dieser Anspruch unter
Berücksichtigung von Verpflichtungen gegenüber Dritten zu bestimmen sei.
II. Die Berufung hat in dem zuletzt verfolgten Umfang Erfolg.
Der Unterhaltsanspruch der Klägerin als getrennt lebende Ehefrau ist dem Grunde
nach außer Streit (§ 1361 BGB). Nicht angegriffen und damit der Beurteilung des
Senats zugrunde liegend sind die Einkommensverhältnisse des Beklagten aus
Rentenbezug in Höhe von 1.345 €. Soweit die Klägerin in der
Berufungsbegründung insoweit Zweifel geäußert und aus der zeitlichen
Überschneidung verschiedener Einkünfte ein höheres Einkommen vermutet hat,
betrifft dies nicht mehr den jetzt noch streitigen Zeitraum ab Januar 2004.
Nicht angefochten und damit unstreitig gestellt ist die Feststellung des
Amtsgerichts, dass die Klägerin, die nach einer Knieoperation mit teilweiser
Erwerbsminderung im Geringverdienerbereich berufstätig war, nach Verlust ihrer
letzten Arbeitsstelle wegen Betriebsaufgabe im September 2004 keine
Erwerbseinkünfte mehr bezieht. Sie bezieht seither Sozialhilfe, seit Anfang 2005
Arbeitslosengeld II, jeweils in einer die Klageforderung übersteigenden Höhe. Im
Berufungsrechtszug hat die Klägerin, veranlasst durch einen entsprechenden
Hinweis in dem PKH Beschluss des Senats vom 05.09.2005, auf eine erfolgte
Überleitung von Unterhaltsansprüchen gemäß § 33 SGB II (mit Bescheid der AFK
vom 26.07.2005, Anlage zum Schriftsatz vom 12.10.2005, Bl. 53 d. A.)
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vom 26.07.2005, Anlage zum Schriftsatz vom 12.10.2005, Bl. 53 d. A.)
hingewiesen, was inzwischen unstreitig gestellt ist.
Der Streit der Parteien geht allein um die Frage, inwieweit der Beklagte berechtigt
ist, sein Einkommen entsprechend den Ausführungen des angefochtenen Urteils
um Raten für die Tilgung eines ehebedingten Kredits in Höhe von (anteilig) 408 €
monatlich zu bereinigen, oder gehalten ist, zur Ermöglichung höherer
Unterhaltsleistungen ein Privatinsolvenzverfahren einzuleiten. Letzteres hat der
Bundesgerichtshof in seiner grundlegenden Entscheidung vom 23.02.2005
(FamRZ 2005, 608 = MDR 2005, 812) jedenfalls im Verhältnis zu den
Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder bejaht, sofern dies im Rahmen einer
Gesamtabwägung dem Unterhaltsschuldner zumutbar ist. Dies ist der Fall, wenn
die Leistungsfähigkeit durch die Kreditbedienung erheblich eingeschränkt ist, so
dass keine oder nur sehr geringe Unterhaltsleistungen möglich sind, die Belastung
wegen der Höhe des Kredits erhebliche Zeit andauert, mit einer
Restschuldbefreiung zu rechnen ist und nicht besondere Umstände etwa
betreffend die Schutzwürdigkeit des Gläubigers entgegenstehen. Diese
Voraussetzungen liegen hier vor, da der Beklagte nach den rechnerisch nicht
beanstandeten Feststellungen des Amtsgerichts nur zu geringen
Unterhaltsleistungen imstande ist, die Belastungen wegen der Höhe der Schuld in
der Größenordnung von 25.000 € noch einige Jahre andauern würden und im Falle
eines Insolvenzverfahrens mit einer Restschuldbefreiung zu rechnen ist.
Die danach offene Rechtsfrage, inwieweit diese Grundsätze auch im Verhältnis zu
dem getrennt lebenden Ehegatten anwendbar sind, bejaht der Senat mit der
Klägerin, jedoch mit nachfolgender Modifikation, die sich hier nicht auswirkt.
In der Tat bestehen Bedenken, eine Obliegenheit zur Einleitung eines
Privatinsolvenzverfahrens zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit anzunehmen,
wenn Verbindlichkeiten mit ihren Lasten - wie hier - bereits die ehelichen
Lebensverhältnisse geprägt haben. Inwieweit danach solche eheprägenden
Belastungen im Rahmen der Bedarfsbestimmung heranzuziehen sind, ist danach
zweifelhaft. Dies kann hier jedoch auf sich beruhen, da es hier nicht um die Höhe
des eheprägenden Bedarfs der Klägerin geht, sondern um die Leistungsfähigkeit
des Beklagten, hier definiert durch die Wahrung des notwendigen Selbstbehalts. Im
Streitzeitraum beträgt das eheprägende Einkommen der Parteien, errechnet aus
dem Renteneinkommen des Beklagten nach Abzug des eheprägenden Teils der
Belastungen, wie dargestellt 935 €. Daraus errechnet sich der der Klägerin
zustehende Halbanteil mit (rund) 468 € und damit mehr als die Klageforderung.
Der weit dahinter zurückbleibende Verurteilungsbetrag gründet darauf, dass der
Beklagte unter Wahrung seines Selbstbehalts diesen Betrag nicht zu leisten
vermag.
Jedenfalls insoweit obliegt es ihm, entsprechend dem für minderjährige Kinder
entwickelten Grundsatz auch gegenüber der unterhaltsbedürftigen getrennt
lebenden Ehefrau seine Leistungsfähigkeit durch Einleitung eines
Privatinsolvenzverfahrens zu Lasten der Drittgläubiger zu verbessern. Der Senat
folgt insoweit der Rechtsauffassung des OLG Koblenz (FamRZ 2004, 823 f.), das
die Obliegenheit zur Einleitung eines Privatinsolvenzverfahrens auch im Verhältnis
zum Ehegatten bejaht hat, ohne diese Frage allerdings näher zu thematisieren.
Die zuerkannten Beträge errechnen sich danach aus der Differenz zwischen dem
(seit 01.07.2005 erhöhten) pfändungsfreien Betrag und dem jeweiligen ihm
notwendig verbleibenden Selbstbehalt von 840 € bis 30.06.2005 und von da ab
890 €.
Der Senat hat jedoch zur Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage, inwieweit eine
Obliegenheit zur Einleitung eines Privatinsolvenzverfahrens auch gegenüber dem
(hier) getrennt lebenden Ehegatten besteht, die Revision zugelassen. Diese
Begründung beinhaltet keine Beschränkung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO, hinsichtlich des zurückgenommenen
Teils der Berufung unter Einbeziehung von § 269 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.