Urteil des OLG Frankfurt vom 17.01.2003

OLG Frankfurt: vergleich, wider besseres wissen, arglistige täuschung, absicht, rücktritt, anfang, anfechtung, prozessökonomie, vertragserfüllung, lieferung

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Gericht:
OLG Frankfurt 25.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
25 U 29/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 123 BGB
Prozessvergleich: Arglistanfechtung wegen Täuschung
über die Erfüllungsbereitschaft
Leitsatz
Zur Frage, ob ein Prozessvergleich mit der Begründung, die andere Partei habe den
Vergleich von Anfang nicht erfüllen wollen, wegen arglistiger Täuschung angefochten
werden kann.
Tenor
Der Rechtsstreit ist durch den Vergleich vom 07.06.2002 beendet.
Die Kläger haben die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Das Landgericht hat die Beklagte auf Wandelungsklage zur Zurückzahlung des
Kaufpreises von 8.691,96 Euro für ein von einem tragbaren Rechner (Laptop)
gesteuertes Lackiersystem, Zug um Zug gegen Rückgabe dieses Lackiersystems,
verurteilt. Mit ihrer Berufung hat die Beklagte Klageabweisung begehrt, die Kläger
haben das angefochtene Urteil verteidigt. Im Termin vom 07.06.2002 haben die
Parteien einen Vergleich geschlossen, in dem sie sich auf eine Minderung einigten,
die Beklagte hatte bis zum 15.07.2002 einen Minderungsbetrag von 1.750 Euro an
die Kläger zu zahlen und anstelle des ursprünglichen Laptops, der im Termin
zurückgegeben wurde, einen anderen gebrauchten Laptop nebst Software zu
liefern. Wegen der Einzelheiten und des weiteren Vergleichsinhaltes wird auf das
Sitzungsprotokoll vom 07.06.2002 (Bl. 144 - 147 d. A.) Bezug genommen. Mit
Schreiben vom16.07.2002 (Bl. 175 d. A.) ließen die Kläger die Erfüllung des
Vergleiches bis zum24.07.2002 anmahnen und drohten Vollstreckung nach
Fristablauf an. Sie ließen dann auch in der Zeit bis zum 05.08.2002 den
Zahlungsanspruch vollstrecken und forderten mit Schreiben vom 06.08.2002 (Bl.
157 d. A.) Erfüllung des Vergleiches bis zum 15.08.2002. Mit Schreiben vom
13.08.2002 (Bl. 176 d. A.) ließen sie Zahlung restlicher 10 Euro
Gerichtsvollzieherkosten bis 22.08.2002 anmahnen. Mit Anwaltsschreiben vom
27.08.2002 (Bl. 182/183 d. A.) erklärten die Kläger die Anfechtung des
Prozessvergleichs wegen arglistiger Täuschung über die Leistungsbereitschaft
sowie vorsorglich und hilfsweise den Rücktritt vom Vergleich wegen nicht
vertragsgemäß erbrachter Leistung. Dieses Schreiben wurde am 28.08.2002 der
Beklagten zugestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorerwähnten Schreiben
Bezug genommen. Ende August 2002 übersandte die Beklagte den Klägern ein
Paket mit einem Laptop, und zwar nach ihrer Behauptung vor, nach Behauptung
der Kläger nach Erhalt des Schreibens vom 27.08.2002. Die Beklagte erklärte das
Hinausschiebender weiteren Vergleichserfüllung unter anderem damit, dass ihr
zunächst eine Rechnung mit Mehrwertsteuerausweis hinsichtlich der Zahlung von
1.750 Euro auszustellen sei. Die Kläger behaupten, die Beklagte sei zwar
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1.750 Euro auszustellen sei. Die Kläger behaupten, die Beklagte sei zwar
leistungsfähig gewesen, sie habe nämlich sowohl den Geldbetrag des
Zahlungsanspruchs als auch einen erfüllungsgeeigneten Laptop zur Verfügung
gehabt. Die Beklagte sei jedoch von Anfang an leistungsunwillig, also fest
entschlossen gewesen, den Vergleich nicht zu erfüllen. Sie habe nur mit dem
Vergleichsabschluss den Prozess kurzfristig beenden wollen. Die Kläger sind der
Auffassung, für die Anfechtung des Prozessvergleichs genüge es bereits, dass die
Beklagte die Erfüllung bis zur Erteilung eines Mehrwertsteuerausweises verweigert
habe, ein solcher stehe ihr nämlich nicht zu. Hätten die Kläger die Absicht, ohne
Mehrwertsteuerausweis nicht zu liefern, gekannt, so hätten sie den Vergleich nicht
abgeschlossen. Im übrigen meinen die Kläger, sie seien jedenfalls nach § 323 n. F.
BGB wirksam wegen der nicht rechtzeitigen Lieferung vom Vergleich
zurückgetreten.
Die Kläger begehren Fortsetzung des Rechtsstreits und beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Verfahren durch den Vergleich vom 07.06.2002
abgeschlossen ist, hilfsweise, das Urteil des Landgerichts Kassel, Az. 11 O
4058/01, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Über die zur Sache gestellten Berufungsanträge ist nicht mehr zu entscheiden,
denn der Rechtsstreit ist durch den Vergleich beendet. Dies ist, da eine Partei
Fortsetzung des Rechtsstreits begehrt hat, durch Urteil festzustellen. Bei dem
Vergleich vom 07.06.2002 handelt es sich um einen Prozessvergleich, der den
Rechtsstreit insgesamt beendet hat. Dies wird von den Parteien im Ausgangspunkt
nicht angegriffen. Die erklärte Anfechtung hat den Vergleich nicht vernichtet, denn
ein Anfechtungsgrund ist nicht feststellbar. Zwar kann ein Prozessvergleich, wenn
er anfechtbar ist, mit der Wirkung des § 142 BGB angefochten werden mit der
weiteren Folge, dass er in diesem Fall auch nicht zur Beendigung des Rechtsstreits
geführt hat. Jedoch ist eine Anfechtbarkeit nach § 123 BGB wegen arglistiger
Täuschung, die nach dem Vorbringen der Parteien allein in Betracht kommt, nicht
feststellbar. Die Kläger behaupten, die Beklagte habe den Vergleich von Anfang an
keinesfalls erfüllen wollen. Unabhängig von der Frage, ob dies für eine
Anfechtbarkeit ausreicht, können die Kläger ersichtlich diese von der Beklagten
bestrittene subjektive Tatsache der Leistungsunwilligkeit weder unmittelbar noch
durch Indizien beweisen. Insbesondere besteht kein Erfahrungssatz dahingehend,
dass eine leistungswillige Partei stets sofort leiste. Es kann verschiedene Anlässe
für das Hinausschieben der Leistung geben. Hier kommt es auch nach dem
Vortrag der Kläger in Betracht, dass die Beklagte tatsächlich ernsthaft glaubte, nur
gegen Erteilung einer Rechnung mit Mehrwertsteuerausweis zur Leistung
verpflichtet zu sein. Die Absicht, nur gegen einen Mehrsteuerausweis zu liefern,
reicht zur Arglistanfechtung aber nicht aus. Arglist setzt Vorsatz voraus, wobei
unter Umständen die Absicht, den zu schließenden Vertrag nicht ordnungsgemäß
zu erfüllen, zur Annahme der Arglist genügen kann. Nicht jedoch genügt, dass
nach zwar unbegründeter, aber gutgläubiger Meinung Handlungen als erlaubt
angesehen werden. Fahrlässiges Nichterkennen der Vertragspflichten reicht zur
Annahme einer Arglist nicht aus, BGH LM § 123 BGB Nr. 12. Es kommt daher nicht
darauf an, ob der Beklagten ein Mehrwertsteuerausweis zusteht oder nicht. Wenn
die Beklagte rechtsirrig, aber gutgläubig annahm, ihre Leistungen bis zur Erteilung
eines Mehrwertsteuerausweises zurückhalten zu können, so ist eine arglistige
Täuschung ausgeschlossen. Aus dem Vorbringen der Parteien ergibt sich nichts
dafür, dass die Beklagte etwa wider besseres Wissen einen
Mehrwertsteuerausweisgefordert hätte. Im übrigen fehlt es auch an der Kausalität
einer etwaigen Täuschung über die Erfüllungsbereitschaft für den
Vergleichsabschluss durch die Kläger. Die bloße Absicht, nicht zu erfüllen, ist
nämlich nicht stets ausreichende Grundlage für eine ursächliche Täuschung,
sondern nur unter besonderen Umständen, vgl. BGH a. a. O. und RGZ104, 2. Ohne
besondere Umstände ist demgegenüber der durch den Vertrag begründete
Rechtszwang dasjenige, was der Erwartung der künftigen Vertragserfüllung allein
den festen Hintergrund verleiht, während die innere Absicht des rechtlichen
Gebundenen, seiner Verpflichtung nachzukommen, in jedem Zeitpunkt wechseln
kann und deshalb keine geeignete Unterlage für die Entschließungen seines
Mitkontrahenten abgibt. In der Regel darf daher nicht angenommen werden, dass
Rücksichten auf die bloße Absicht des Vertragsgegners, seine Vertragspflichten zu
erfüllen oder nicht zu erfüllen, für den Vertragsschluss maßgebend hätten sein
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erfüllen oder nicht zu erfüllen, für den Vertragsschluss maßgebend hätten sein
können, sodass eine Täuschung über das Vorhandensein dieser Absicht Betrug
sein könnte, RGZ 48, 282 (284 f.). Mit anderen Worten ist für den Abschluss eines
(im Fall des Reichsgerichts) schuldrechtlichen Vertrags nicht das Vertrauen darauf
maßgeblich, der Vertragspartner werde in jedem Fall freiwillig erfüllen, sondern die
Gewissheit, die Vertragserfüllung einklagen zu können, wenn der Vertragspartner
nicht freiwillig erfüllt. Dieser Gedankengang gilt erst recht für den hier vorliegenden
Fall eines vollstreckbaren gerichtlichen Vergleiches. Auch hier wird die den
Vergleich schließende Partei zwar hoffen, die Gegenseite werde den Vergleich
freiwillig erfüllen, ausschlaggebend für den Abschluss des Vergleichs wird aber die
Möglichkeit sein, die im Vergleich titulierte Forderung ohne weiteres vollstrecken zu
können, wie es die Kläger hinsichtlich des Zahlungsanspruchs getan haben und wie
sie es hinsichtlich der Lieferung des Laptops ebenfalls hätten tun können. Die
geschuldete Leistung ist auch insoweit im Vergleich durchaus vollstreckungsfähig
bezeichnet, zumal zwischen den Parteien darüber, was insoweit zu liefern war,
überhaupt kein Streit besteht. Die Frage, ob die Kläger nach § 323 n. F. oder § 326
a. F. BGB vom Vergleich zurückgetreten sind, ist hier nicht zu prüfen. Nur die
vorstehend erörterte Frage der Nichtigkeit des Vergleichs ist in Fortsetzung des
bisherigen Rechtsstreits nachzuprüfen, im Falle des Rücktritts vom Vergleich nach
§ 326 BGB kann der Rechtsstreit dagegen nicht weitergeführt werden. Ein auf §§
325, 326 BGB gestützter Rücktritt von einem gerichtlichen Vergleich kann nichts
daran ändern, dass der Rechtsstreit endgültig beendet ist. Auch wenn sich der
Rücktritt als gerechtfertigt erweist, kann der Rechtsstreit nicht weitergeführt
werden, BGHZ 16, 388 (393), BGHZ 41, 310, ebenso Wolfsteiner in Münchener
Kommentar zur ZPO, § 794 Rndr. 66, Pecher in Münchener Kommentar zum BGB,
3. Aufl., § 779 Rdnr. 90. Die vom BGH in der grundlegenden Entscheidung BGHZ
16, 388 aufgeführten Gründe sind nach wie vor zutreffend, es ist nicht ersichtlich,
wodurch diese Entscheidung - wie die Kläger meinen – überholt sein sollte. Die
Rechtsprechung folgt dieser Entscheidung nach wie vor, vgl. z. B. BayObLG NJW -
RR 1999, 1613. Die abweichende Auffassung des OLG Hamburg, NJW 1975, 225,
die allein auf die Prozessökonomie abstellt, ist in der zivilgerichtlichen
Rechtsprechung ersichtlich vereinzelt geblieben. Ihr ist ebenso wenig zu folgen wie
der Auffassung von Stöber in Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 794 Rdnr. 15a, man müsse
der Prozessökonomie gegenüber theoretischen Erwägungen den Vorrang geben.
Aus den vom BGH dargestellten Gründen ist es dogmatisch nicht zu begründen,
dass bei einem Rücktritt vom Vergleich die Prozessbeendigungswirkung wegfallen
sollte. Hieran vermag das Argument der Prozessökonomie nichts zu ändern. Es
bleibt daher dabei, dass der Vergleich vom 07.06.2002 den vorliegenden
Rechtsstreitbeendet hat.
Die weiteren Kosten des Rechtsstreits trägt entsprechend § 91ZPO derjenige, der
sich ohne Erfolg auf die Unwirksamkeit des Vergleichs beruft(Baumbach-
Hartmann, ZPO, 61. Aufl., Anhang zu § 307 Rdnr. 39), also hier die Kläger. Die
Revision ist nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Die Sache hat keine
grundsätzliche Bedeutung, sie wirft nämlich keine klärungsbedürftigen
Rechtsfragen auf, denn die Rechtsfragen sind im Sinne der zitierten
Rechtsprechung bereits geklärt Die Rechtsprechung von BGH und BayObLG, der
sich der Senat anschließt, bietet auch hinreichende Orientierungshilfe, so dass
eine Revisionsentscheidung auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wird (vgl. zu den
entsprechenden Voraussetzungen BGH NJW 2002, 2957 und 3029).Der Ausspruch
zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, § 26 Nr. 8
EGZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.