Urteil des OLG Frankfurt vom 14.03.2017

OLG Frankfurt: wiedereinsetzung in den vorigen stand, elterliche gewalt, verschulden, zustellung, auszahlung, verfügung, arbeitsrecht, berufungsfrist, bereicherung, unterhaltspflichtiger

1
2
3
4
5
Gericht:
OLG Frankfurt
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UF 196/78
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 233 ZPO vom 03.12.1976, §
85 Abs 2 ZPO vom
03.12.1976, § 23b Abs 1 S 2
Nr 5 GVG vom 14.06.1976, §
119 Abs 1 Nr 1 GVG vom
14.06.1976, § 119 Abs 1 Nr 2
GVG vom 14.06.1976
Orientierungssatz
1. Es gereicht einem Rechtsanwalt zum Verschulden, wenn er mit der Einlegung der
Berufung in einer Familiensache bei dem OLG wartet, bis die Berufungskammer des LG
über seine bereits dort eingelegte Berufung gegen eine Entscheidung der allgemeinen
Prozessabteilung des AG in dieser Sache entschieden hat.
2. Zur Zuständigkeit und zur Rechtsmittelzuständigkeit, falls ein Elternteil vom anderen
Elternteil die Herausgabe angeblich zu Unrecht empfangenen Kindergeldes begehrt.
Tenor
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der
Frist zur Einlegung der Berufung beim Oberlandesgericht wird als unzulässig
verworfen.
Die zugleich eingelegte Berufung der Klägerin wird ebenfalls als unzulässig
verworfen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Gründe
Die Klägerin hat gegen den Beklagten bei der allgemeinen Prozessabteilung des
Amtsgerichts (C-Sache) Klage auf Zahlung von 1.770,— DM mit der Begründung
erhoben, der Beklagte habe in der Zeit von Juli 1974 bis Oktober 1976 das
staatliche Kindergeld bezogen, obwohl sie - die Klägerin - die beiden 1958 und
1960 geborenen Kinder allein betreut habe und ihr am 12.11.1975 die elterliche
Gewalt für die Kinder übertragen worden sei. Ihr stehe deshalb aus dem
Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung oder des familienrechtlichen
Ausgleichs die Hälfte des Kindergeldes zu.
Mit Urteil vom 16.12.1977 (Bl. 48 ff. d. A.), auf das Bezug genommen wird, hat das
Amtsgericht die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 16.1.1978 rechtzeitig beim Landgericht in
Frankfurt a. M. Berufung eingelegt.
Mit Verfügung des Vorsitzenden der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts
vom 21.2.1978, wurde der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf
hingewiesen, dass wegen der Zuständigkeit der Berufungskammer Zweifel
bestünden, da es sich möglicherweise um eine Familiensache im Sinne von § 23 b
Nr. 5 GVG handele. Der Klägerin werde daher anheimgestellt, vorsorglich das
Oberlandesgericht unter Beantragung der Wiedereinsetzung (Hinweis auf § 234
ZPO) anzurufen.
In seiner Berufungsbegründung vom 27.2.1978 hielt der Prozessbevollmächtigte
5
6
7
8
9
10
11
12
13
In seiner Berufungsbegründung vom 27.2.1978 hielt der Prozessbevollmächtigte
der Klägerin an seiner Auffassung, dass für den Klageanspruch nicht das
Familiengericht zuständig sei, fest (Bl. 71 d.A.) und lehnte es ausdrücklich ab, das
Oberlandesgericht anzurufen.
Durch das am 5.6.1978 verkündete und der Klägerin am 14.6.1978 zugestellte
Urteil (Bl. 99 ff. d.A.), auf das ebenfalls verwiesen wird, hat die Berufungskammer
des Landgerichts die Berufung der Klägerin verworfen mit der Begründung, bei
dem Streit um die Anrechnung oder Auszahlung des Kindergeldes handele es sich
um eine Familiensache, so dass zur Entscheidung über die Berufung seit dem
1.7.1977 nicht mehr das Landgericht, sondern das Oberlandesgericht zuständig
sei, gleichgültig, ob im ersten Rechtszuge ein Familiengericht oder die allgemeine
Zivilprozessabteilung des Amtsgerichts entschieden habe.
In ihrem Wiedereinsetzungsgesuch macht die Klägerin geltend, erst mit der
Zustellung des Urteils der Berufungskammer des Landgerichts sei für sie die nach
dem 1.7.1977 bestehende Unklarheit über die Rechtslage und den Instanzenzug
für das Rechtsmittel beseitigt worden. Bis dahin habe ihr Prozessbevollmächtigter
ohne Verschulden davon ausgehen können, dass das Landgericht für die
Entscheidung zuständig sei.
Die zweiwöchige Frist für den am 27.6.1978 bei Gericht eingegangenen
Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin ist nur dann gewahrt, wenn man mit ihr
davon ausgeht, dass sie bis zu der am 14.6.1978 erfolgten Zustellung des Urteils
des Landgerichts ohne Verschulden verhindert war, die Frist zur Einlegung der
Berufung beim Oberlandesgericht einzuhalten (§ 233 n.F. ZPO). Dabei ist das
Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin dem eigenen Verschulden
der Klägerin gleichzusetzen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
Der Auffassung der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten kann jedoch nicht
gefolgt werden.
Der Senat gesteht dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zwar zu, dass er
sich in den seit Inkrafttreten des 1. EheRG heftig umstrittenen Fragen, bei welchem
Gericht eine Berufung einzulegen sei und ob es sich um eine Familiensache
handele, nicht mit der von seiner Ansicht abweichenden Verfügung des
Vorsitzenden der Berufungskammer und auch nicht mit abweichenden
Entscheidungen von Oberlandesgerichten zufrieden zu geben brauchte. In solchen
Fällen bedarf es vielmehr einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Klärung
der Rechtsfragen. Bis zu einer solchen Klärung kann es dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht zum Vorwurf gereichen, dass er die
Zuständigkeitsfrage unzutreffend beurteilt und daher die Berufungsfrist versäumt
hat (BGH in VersR 1978, 446, 447 = FamRZ 1978, 231, 232).
Jedoch waren die hier zu beurteilenden Rechtsfragen lange vor dem 27.6.1978
durch die Veröffentlichte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geklärt, so
dass die Klägerin die zweiwöchige Frist des § 234 ZPO auf jeden Fall versäumt hat.
Bereits mit seinem Beschluss vom 25.1.1978 hat der Bundesgerichtshof
entschieden, dass in Familiensachen im Sinne von § 23 b Abs. 1 Nr. 5 und 6 GVG
aufgrund der Neufassung des §119 Abs. 1 Nr. 1 GVG in den Fällen, in denen das
amtsgerichtliche Urteil vor dem 1.7.1977 ergangen ist, für die nach dem 30.6.1977
eingelegte Berufung das Oberlandesgericht zuständig ist. Darüber hinaus hat der
Bundesgerichtshof mit seinem Beschluss vom gleichen Tage (25.1.1978)
entschieden, dass dies aus den in jener Entscheidung genannten Gründen um so
mehr in den Fällen gelte, in denen die Entscheidung des Amtsgerichts erst nach
dem 30.6.1977 ergangen ist Dabei sei es unerheblich, ob das Familiengericht oder
die allgemeine Prozessabteilung des Amtsgerichts entschieden ha be. Die erstere
Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist in VersR 1978, 376, 377 (erschienen
am 20.4.1978) sowie in der FamRZ 1978, 227 (Aprilheft, verfügbar Ende April
1978) und die letztere Entscheidung in VersR 1978, 446, 447 (erschienen am
10.5.1978) sowie in der FamRZ 1978, 231, 232 (Aprilheft, verfügbar Ende April
1978) veröffentlicht worden. Damit hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
spätestens seit Mitte Mai 1978 wissen können, dass nach Ansicht des
Bundesgerichtshofes die Berufung in Familiensachen an das Oberlandesgericht zu
richten war, gleichgültig, ob vor oder nach dem 1.7.1977 eine allgemeine
Prozessabteilung des Amtsgerichts entschieden hatte.
Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätte es aber spätestens seit diesem
Zeitpunkt auch bekannt sein können, dass der Streit um die Anrechnung oder
14
15
16
Zeitpunkt auch bekannt sein können, dass der Streit um die Anrechnung oder
Auszahlung des Kindergeldes im Verhältnis der Ehegatten zueinander eine
Familiensache im Sinne von § 23 b Abs. 1 Nr. 5 und 6 GVG ist. Nach diesen
Bestimmungen sind Streitigkeiten, die die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber
einem ehelichen Kinde oder die durch die Ehe begründete gesetzliche
Unterhaltspflicht betreffen , Familiensachen. Der Bundesgerichtshof hatte bereits
in seinem Urteil vom 15.4.1977 (FamRZ 1977, 461, 462) ausgeführt, dass es sich
bei dem Kindergeld um für den Unterhalt des Sohnes gezahlte staatliche
Zuschüsse handele, die für denselben Zweck bestimmt seien wie die seitens des
Klägers an die Beklagte gezahlten Unterhaltsbeträge. In seinem Urteil vom
21.12.1977 (FamRZ 1978, 177 bis 179) hat der Bundesgerichtshof weiter
ausgeführt, das staatliche Kindergeld habe den Zweck, die Unterhaltslast von
Familien mit Kindern zu erleichtern. Die öffentlichrechtliche Regelung über die
Gewährung des Kindergeldes lasse die zivilrechtliche Unterhaltspflicht unberührt.
Durch die Gewährung des Kindergeldes werde der Unterhaltsanspruch der Kinder
nicht erhöht, da das Kindergeld den Zweck habe, die Unterhaltspflicht des oder der
Unterhaltspflichtigen zu erleichtern. Da mit dem Kindergeld die Unterhaltslast im
ganzen, also die Unterhaltslast aller Unterhaltspflichtigen erleichtert werden solle,
müsse das Kindergeld unterhaltsrechtlich , wenn mehrere Personen
unterhaltspflichtig seien, ohne Rücksicht darauf, wer öffentlichrechtlich als
Empfangsberechtigter bestimmt sei und wem das Kindergeld ausgezahlt werde,
allen Unterhaltspflichtiger zugute kommen. Es müsse daher unter den
Unterhaltspflichtigen ein Ausgleich stattfinden, wobei es im Allgemeinen
angemessen sein werde, den Ausgleich entsprechend den Anteilen der
Unterhaltspflichtigen an der Erfüllung der Unterhaltspflicht vorzunehmen. Dabei
seien die finanziellen Leistungen des Klägers und die Betreuung der Kinder durch
die Beklagte - im entschiedenen Falle - als gleichwertig anzusehen. Diese
Ausführungen des Bundesgerichtshofes zeigen eindeutig, dass der Ausgleich
zwischen den Unterhaltspflichtigen die Unterhaltspflicht betrifft und
unterhaltsrechtlich vorzunehmen ist. Diese Erkenntnis hatte sich der Klägerin und
ihrem Prozessbevollmächtigten aufdrängen müssen, zumal letzterer selbst bereits
in seinem Schriftsatz vom 28.2.1978 (Bl. 78 ff. d.A.) auf die genannte
Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 21.12.1977 Bezug genommen und
ein am 23.2.1978 erschienenes Exemplar des „Eildienstes: Bundesgerichtliche
Entscheidungen“ beigefügt hatte (Bl. 81 ff. d.A.), in welchem diese Entscheidung
auf Seite 67 ff. ebenfalls abgedruckt ist. Dass dieser Entscheidung des
Bundesgerichtshofes Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts aus der
Zeit vor dem 1.7.1977 zugrunde lagen, ist dabei unerheblich. Die Entscheidung
lässt nämlich in der Sache keinen Zweifel aufkommen, dass Streitigkeiten dieser
Art die zivilrechtliche Unterhaltspflicht betreffen. Damit aber sind sie nach dem
1.7.1977 Familiensachen geworden.
Somit mussten die Klägerin und deren Prozessbevollmächtigter bereits lange vor
dem 14.6.1978 erkennen, dass nicht das Landgericht, sondern das
Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Berufung zuständig war. Sie hätten
daher innerhalb von zwei Wochen nach Veröffentlichung der letzten der oben
genannten BGH-Entscheidungen das Wiedereinsetzungsgesuch beim
Oberlandesgericht stellen und zugleich die Berufung erneut einlegen müssen.
Dabei kann es offenbleiben, ob die Klägerin die beim Landgericht anhängige
Berufung hätte zurücknehmen müssen. Zur Fristwahrung wäre jedenfalls die
Einlegung einer unbedingten (also nicht von der Entscheidung des Landgerichts
abhängig gemachten) Berufung nebst Wiedereinsetzungsgesuch beim
Oberlandesgericht bereits vor Verkündung der Entscheidung des Landgerichts
über die dort anhängige Berufung möglich gewesen.
Da das Wiedereinsetzungsgesuch keinen Erfolg hat, ist zugleich auch die erneut
eingelegte Berufung wegen Fristversäumung als unzulässig zu verwerfen (§ 519 b
ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 238 Abs. 4 und 97 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.