Urteil des OLG Frankfurt vom 17.03.2011

OLG Frankfurt: gemeinde, gehweg, leistungsfähigkeit, satzung, anmerkung, fahrbahn, anhörung, anknüpfung, haus, zugang

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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 U 210/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, § 10 Abs 3 S
1 StrG HE, § 10 Abs 4 StrG HE
Streupflicht des Anliegers an Überwegen
Leitsatz
Zum Umfang der auf den Anlieger übertragenen Streupflicht an Überwegen
Anmerkung
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 17.06.2010 verkündete Urteil der 4.
Zivilkammer des Landgerichts Gießen wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Klage gegen die nunmehr alleinige
Beklagte 2) (im Folgenden Beklagte) wegen des bedauerlichen Unfalls ist zwar
nicht mit der vom Landgericht gegebenen rechtlichen Begründung abzuweisen,
hat jedoch bei der gebotenen differenzierten Betrachtungsweise der örtlichen
Situation aus anderen Gründen keinen Erfolg haben. Denn die Erwägung, dass sich
der Inhalt der der Beklagten als Anliegerin übertragenen Streupflicht nicht auf den
Bereich bezieht, in dem die Klägerin nach ihrer nunmehr bei ihrer persönlichen
Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 17.06.2010 gegebenen Darstellung
zu Fall gekommen sei, ist im Ergebnis rechtlich zutreffend.
a) Gem. § 10 Abs. 3 HStrG umfasst die Reinigungspflicht der Gemeinde auch die
Verpflichtung, die Gehwege und Überwege für Fußgänger zu streuen. Diese
Verpflichtung ist durch die Satzung über die Straßenreinigung der Gemeinde O1
vom 20.11.2001 wirksam auf die Anlieger übertragen worden, jedenfalls in dem
Umfang, in dem für eine Gemeinde selbst eine Streupflicht besteht (vgl. OLG
Dresden, Urt. v. 19.04.2000, VersR 2001, 868 [juris Rn. 41]). Zu den „Überwegen“
sind nicht nur solche zu rechnen, die besonders markiert sind, also sog.
Zebrastreifen (OLG Hamm, Urt. v. 21.12.1977, VersR 1978, 950).
b) Allerdings beschränkt sich die Streupflicht der Gemeinde - selbst wenn insoweit
in § 10 Abs. 3 HStrG eine Anknüpfung an die Leistungsfähigkeit wie in § 10 Abs. 4
HStrG für Straßen fehlt - auch bei Überwegen für Fußgänger auf belebte, über die
Fahrbahn führende unentbehrliche Überwege; diese Einschränkung folgt aus dem
Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit der Gemeinden, da ansonsten die
Gemeinden verpflichtet wären, vorrangig Fußgängerüberwege abzustreuen, was
auf eine Benachteiligung des Fahrzeugverkehrs gegenüber Fußgängern hinausliefe
(BGH, Urt. v. 20.12.1990, VersR 1991, 665 [juris Rn. 13, 18]; Senat, Urt. v.
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(BGH, Urt. v. 20.12.1990, VersR 1991, 665 [juris Rn. 13, 18]; Senat, Urt. v.
24.09.1987, NJW-RR 1988, 154; OLG Hamm, a.a.O.). Es kommt deshalb rechtlich in
Betracht, dass die Beklagte trotz der dem Wortlaut nach möglicherweise
weitergehenden Fassung der Satzung nicht verpflichtet war, auch einen Überweg
unter Einschluss des zu streuen.
c) Demgegenüber wird man als Inhalt der Streupflicht eines
Anliegers auch anzusehen haben, dass der Bereich in der eines
Gehwegs der Streupflicht unterliegt, den ein Fußgänger bei der Überquerung einer
Straße zwangsläufig benutzen muss, weil dieser Bereich gleichsam als Teil des
Überwegs anzusehen und es dem Anlieger zumutbar ist, diesen abzustreuen. Es
kommt deshalb - um dies anschaulich zu machen - eine Verpflichtung der
Beklagten in Betracht, am „oberen Ende“ der Verbindungsstraße in der Fluchtlinie
der A-Straße den Gehweg an der Stelle bis an der Rand zu streuen, wo dies auf der
von ihr mit der Berufungserwiderung vorgelegten Skizze blau eingezeichnet ist.
d) Anders dürfte sich dies jedoch an der Stelle verhalten, an welcher die Klägerin
nach ihrem Sachvortrag gestürzt ist. Hier besteht nämlich eine Besonderheit, die
Veranlassung gibt, ausnahmsweise an dieser Stelle keinen „Überweg“
anzunehmen. Denn aus den bei den Akten befindlichen Fotografien und der
erwähnten Skizze ergibt sich, dass sich der Gehweg auf der B-Straße vor dem
Haus Nr. … auf der anderen Seite der B-Straße nicht fortsetzt, sondern sich dort
Rasen befindet; es wird also an dieser Stelle kein „Überweg“ für Fußgänger
benötigt, welche nach Überquerung der Verbindungsstraße die B-Straße entlang
gehen würden. Zwar ist ausweislich der bei den Akten befindlichen Fotografien und
entsprechend der erwähnten Skizze der Gehweg an der Verbindungsstraße auf der
Seite des Grundstücks A-Straße … bis in die Höhe des auf der anderen
Straßenseite befindlichen Verkehrsschilds ausgebaut. Hier befindet sich aber
augenscheinlich kein Zugang zu einem Grundstück, so dass auch insoweit kein
Fußgängerverkehr zu erwarten steht, der typischerweise einen „Überweg“ in Höhe
des Verkehrsschildes benutzen muss. Auch die Klägerin hat in Höhe des
Verkehrsschildes nicht einen „Überweg“ benutzt, sondern sie hat den
Straßenkörper benutzt und sich dann entschieden, den Gehweg in Höhe des
Verkehrsschildes zu betreten. Dies ergibt sich aus der erwähnten Skizze, von der
die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.12.2010, S. 1, bestätigt hat, dass der von ihr
zurückgelegte Weg richtig eingetragen ist.
2. Die Beklagte war demnach unter Zugrundelegung der vorangehenden
rechtlichen Erwägungen nicht verpflichtet, an der Stelle, welche die Klägerin
nunmehr als Unfallstelle angibt, zu streuen. Daher haftet die Beklagte bereits aus
Rechtsgründen nicht wegen Verletzung der Streupflicht auf Schadensersatz. Eine
Beweisaufnahme über die Behauptung der Klägerin, sie sei an dem Verkehrsschild
gestürzt, ist daher rechtlich nicht angezeigt. Es kommt daher für eine etwaige
Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) auch nicht darauf an, ob mit dieser Bezeichnung
des Unfallorts vereinbar ist, dass die Klägerin in der Klageschrift angegeben hatte,
sie sei „auf einer Eisplatte direkt vor der Bushaltestelle“ gestürzt, und die
Klageerweiterung vom 02.02.2010 davon spricht, die Klägerin sei „an der
Bushaltestelle“ gestürzt, was beides mit der der Krankenversicherung vorgelegten
Zeichnung der Unfallstelle überstimmt.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen
Erfolg hat (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine
grundsätzliche Bedeutung; auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts
nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.