Urteil des OLG Frankfurt vom 14.03.2017

OLG Frankfurt: getrennt leben, härte, unterhalt, ehescheidung, aufschub, rente, familienrecht, reform, zusage, bankrecht

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UF 14/78
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 628 Abs 1 S 1 Nr 3 ZPO vom
14.06.1976, Art 12 Nr 3 EheRG
1 vom 14.06.1976, Art 20 Abs
1 GG vom 23.05.1949
Orientierungssatz
Ist der Antragsteller eines Scheidungsverfahrens über 80 Jahre alt und leben die
Parteien seit über 20 Jahren getrennt, so können die verfassungsrechtlichen Bedenken
gegen die Durchführung des Versorgungsausgleichs bei Altehen, die Voraussetzungen
für eine Vorabentscheidung nach ZPO § 628 Abs. 1 Nr. 3 begründen.
Tenor
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Amtsgerichts –
Familiengerichts - Frankfurt am Main vom 9.12.1977 in der Fassung des
Berichtigungsbeschlusses vom 19.1.1978 (Az. 35 P 4001/77) wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsrechtszuges zu tragen.
Gründe
Der Antragsteller ist 83 Jahre, die Antragsgegnerin 79 Jahre alt. Sie haben am
….1920 geheiratet und leben seit 1956 getrennt.
Der Antragsteller bezieht eine Rente der X sowie eine Betriebsrente der Y in
Stadt1. Weitere Einkünfte hat der Antragsteller nicht. Die Antragsgegnerin bezieht
keinerlei Rente, da sie nie berufstätig gewesen ist. Der Antragsteller zahlt ihr
regelmäßig als Unterhalt 1/3 seiner Rentenbezüge.
Der Antragsteller hat vorgetragen, er wolle nach der Eherechtsreform nun endlich
geschieden werden, um seine persönlichen Angelegenheiten noch in Ordnung
bringen zu können. Er wolle seine Lebensgefährtin heiraten. Wenn ein
Versorgungsausgleich durchgeführt werden müsse, so solle über die Ehescheidung
vorab entschieden werden.
Der Antragsteller hat seine Bereitschaft erklärt, der Antragsgegnerin die Hälfte
seiner beiden Renten als Unterhalt zu zahlen.
Der Antragsteller hat beantragt,
die zwischen den Parteien geschlossene Ehe zu scheiden.
Die Antragsgegnerin hat zur Ehescheidung keinen Antrag gestellt, jedoch auf der
gleichzeitigen Entscheidung über den Versorgungsausgleich bestanden.
Das Amtsgericht hat die Parteien vernommen; wegen des Ergebnisses der
Verhandlung wird auf die Niederschrift Vom 25.11.1977 (Bl. 45 d.A.) Bezug
genommen.
Das Amtsgericht hat daraufhin am 9.12.1977 die Scheidung der Ehe
ausgesprochen, die Angaben im Urteilstenor zum Ort der Eheschließung jedoch
unter dem 19.1.1978 berichtigt. In den Gründen hat das Amtsgericht ausgeführt,
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unter dem 19.1.1978 berichtigt. In den Gründen hat das Amtsgericht ausgeführt,
dass nach § 628 Abs. 1 Nr. 3 ZPO über den Scheidungsantrag vorab zu
entscheiden sei, obwohl noch keine Entscheidung über den Versorgungsausgleich
gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ergehen könne; die Auskünfte der
Versicherungsträger müssten nämlich noch eingeholt werden. In Anbetracht des
hohen Alters des Antragstellers würde der Aufschub unter Berücksichtigung der
Bedeutung der Folgesachen für ihn eine unzumutbare Härte darstellen, nachdem
die Parteien bereits seit über 20 Jahren getrennt lebten und der Antragsteller seine
persönlichen Angelegenheiten in Ordnung bringen wolle. Dabei sei zu
berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin durch die Bereitschaft des
Antragstellers, die Hälfte seiner Rentenbezüge an die Antragsgegnerin als
Unterhalt zu zahlen, ganz offensichtlich keine Einbußen erleiden werde. Wegen des
Inhalts des Urteils im Übrigen wird auf seinen Wortlaut Bezug genommen.
Gegen das am 14.12.1977 zugestellte Urteil hat die Antragsgegnerin am
11.1.1978 Berufung eingelegt, die sie am gleichen Tage begründet hat.
Die Antragsgegnerin meint, dass in Ansehung einer fast 60 Jahre bestehenden
Ehe selbst in Anbetracht des vorgerückten Alters der Beteiligten nach den engen
Voraussetzungen des § 628 Abs. 1 Nr. 3 ZPO die Feststellungen über den
Versorgungsausgleich zunächst abzuwarten seien.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage mit der Maßgabe
abzuweisen, dass ihr nur in Verbindung mit dem durchzuführenden
Versorgungsausgleich im Verbunde stattgegeben wird, hilfsweise, das Verfahren
an den Familienrichter zurückzuverweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Antragsteller verteidigt das angefochtene Urteil, weist auf seinen schlechten
Gesundheitszustand hin und betont, dass er die Frau noch vor seinem Ableben
heiraten möchte, mit der er seit mehr als 20 Jahren zusammenlebe.
Seine Zusage, der Antragstellerin die Hälfte seiner Renten an Unterhalt zu zahlen,
hat der Antragsteller unter dem 12.1.1978 widerrufen und unter Hinweis auf Art.
12 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und
Familienrechts die Herabsetzung auch des Versorgungsausgleichsanspruches der
Antragsgegnerin beantragt.
Die Auskünfte der beiden Träger der Versorgungslast sind während des
Berufungsrechtsstreits eingegangen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere an sich statthaft sowie form- und
fristgerecht eingelegt sowie begründet worden. In der Sache hat das Rechtsmittel
jedoch keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat mit Recht durch als Teilurteil anzusehende Entscheidung
vom 9.12.1977 auf Scheidung der Ehe der Parteien erkannt, da die Parteien seit
mehr als fünf Jahren getrennt leben (§§ 1565 Abs. 1, 1566 Abs. 2 und 1568 Abs. 2
BGB). Dem Amtsgericht ist auch darin zu folgen, dass über den Scheidungsantrag
vor der Entscheidung über den Versorgungsausgleich entschieden werden konnte
(§ 628 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht dem Scheidungsantrag vor der
Entscheidung über eine Folgesache stattgeben, soweit (im Falle der Nr. 3) die
gleichzeitige Entscheidung über die Folgesache den Scheidungsausspruch so
außergewöhnlich verzögern würde, dass der Aufschub auch unter Berücksichtigung
der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte darstellen würde. Nach
dieser eng auszulegenden Vorschrift sieht der Gesetzgeber selbst also eine
erhebliche Verzögerung des Verfahrens, die durch den Verhandlungs- und
Entscheidungsverbund leicht eintreten kann, noch nicht als unerträgliche
Belastung an (vgl. OLG Hamburg, FamRZ 1978, 42 Nr. 28). Außer der mit einem
jeden Verbundverfahren üblicherweise verknüpften Härte ist mit dem Wort
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jeden Verbundverfahren üblicherweise verknüpften Härte ist mit dem Wort
"unzumutbar" eine Verzögerung angesprochen, die ausnahmsweise hierüber noch
hinausgeht.
Schon die unterschiedliche Gewichtigkeit der verschiedenen in § 621 Abs. 1 ZPO
aufgeführten Familiensachen führt, indessen zu einer jeweils verschiedenen
Beurteilung des Begriffes der Unzumutbarkeit. Die persönliche Situation der
Ehegatten, die eben durch das Verbundurteil einheitlich auf eine neue Basis
gestellt werden soll, wird nämlich durch die einzelnen Folgesachen recht
unterschiedlich berührt. Grundsätzlich sollten daher bei Erlass des
Scheidungsurteils die Unterhalts- und Hausratsansprüche sowie die Beziehungen
der Ehegatten zu ihren gemeinsamen ehelichen Kindern mitgeregelt sein. Die
güterrechtlichen Ansprüche berühren dagegen die aktuelle Lebenssituation der
Parteien zumeist nicht unmittelbar. An die Voraussetzungen, die die Annahme
einer unzumutbaren Härte im Sinne des § 628 Abs. 1 Nr. 3 ZPO . rechtfertigen,
sind danach unterschiedlich strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Kissel, Ehe-
und Ehescheidung, Band 2, S. 183, 184, Rolland, Das neue Ehe- und Familienrecht,
1. Eherechtsreformgesetz, 1977, § 628 ZPO, Rdnr. 8; Ambrock, Ehe- und
Ehescheidung, 1977, § 628 ZPO, Anm. II 3). Nach alledem ist auf den Einzelfall
abzustellen, soll die Ausnahmeregelung flexibel bleiben.
Das hohe Alter des Antragstellers lässt in Verbindung mit dem Umstand, dass die
Parteien seit über 20 Jahren getrennt leben, und dass der Antragsteller vor seinem
Ableben seine langjährige Lebensgefährtin heiraten möchte, ein weiteres
Zuwarten auf den Scheidungsausspruch als unzumutbare Härte im Sinne von §
628 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erscheinen. Die Vorabentscheidung gebietet sich auch mit
Rücksicht darauf, dass sich die Entscheidung über den Scheidungsausspruch im
Verbund mit der Entscheidung über den Versorgungsausgleich im Sinne dieser
Vorschrift "außergewöhnlich verzögern würde“.
Diese außergewöhnliche Verzögerung der Entscheidung im
Versorgungsausgleichsverfahren lässt sich mit Rücksicht auf die bereits
vorliegenden Auskünfte der X und der Y a.G. in Stadt1 nicht mehr schlechthin mit
der üblichen Laufzeit dieser Auskünfte begründen. Es sollte dem Antragsteller
auch nicht zugute kommen, dass er mit seinem Widerruf des
Versorgungsversprechens unter dem 12.1.1978 und der Berufung auf die
Härteklausel des Art. 12 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 des Ersten EheRG -unter Umständen
die Entscheidung über den Versorgungsausgleich erschweren oder gar verzögern
mag. Nachdem in der Zwischenzeit aber auch noch verfassungsrechtliche
Bedenken hinsichtlich des Versorgungsausgleichs bei Altehen aufgetaucht sind
(vgl. OLG Hamm, NJW 1978, 753), bedarf die Entscheidung in dieser
Scheidungsfolgesache in Anbetracht der Umstände des Einzelfalles indessen so
umfangreicher Überlegungen, dass von einer nur normalen Verzögerung der
Entscheidung über den Versorgungsausgleich nicht gesprochen werden kann.
Nach alledem hat das Amtsgericht mit Recht dem Scheidungsantrag vor der
Entscheidung über den Versorgungsausgleich stattgegeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.