Urteil des OLG Frankfurt vom 17.07.2002
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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 U 70/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO
(Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Auffällige
Häufung von Mängeln im Anwaltsbüro)
Leitsatz
Eine auffällige Häufung von Mängeln im Zusammenhang mit der Wahrung einer
Rechtsmittelbegründungsfrist führt zur Ablehnung der Wiedereinsetzung.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen. Die Berufung
des Klägers gegen das am 27.02.2002 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main wird auf seine Kosten verworfen.
Gründe
I.
Das Landgericht Frankfurt am Main hat durch am 27.02.2002 verkündetes Urteil
die vom Kläger gegen den Beklagten erhobene Klage abgewiesen. Gegen das ihm
am 2 19.03.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.04.2002 Berufung
eingelegt und zugleich beantragt, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen
Entscheidung eines nach seiner Sicht vorgreiflichen Verfahrens vor dem
Sozialgericht Frankfurt am Main gemäß § 148 ZPO auszusetzen. Die Nachricht
über das Eingangsdatum der Berufungsschrift ist am 24.04.2002 an den
Prozessbevollmächtigten des Klägers abgesandt worden (Bl. 219 d.A.). Gemäß
Verfügung vom 26.04.2002, die am gleichen Tage abgesandt wurde, wurde der
Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hingewiesen, dass über den gestellten
Aussetzungsantrag erst nach Ablauf der der Gegenseite gesetzten Frist zur
Stellungnahme entschieden werden könne. Die Stellungnahmen der Beklagten
sowie von deren Prozessbevollmächtigten zur Frage der Aussetzung des
Rechtsstreits vom 10.05.2002 bzw. 16.05.2002 wurden am 21.05.2002 an den
Prozessbevollmächtigten des Klägers abgesandt. Am 23.05.2002 kündigte der
Prozessbevollmächtigte des Klägers der Senatsvorsitzenden fernmündlich an,
einen Wiedereinsetzungsantrag wegen der Versäumung der
Berufungsbegründungsfrist stellen zu wollen. Der angekündigte
Wiedereinsetzungsantrag ist am 04.06.2002 bei Gericht eingegangen (Bl. 275 ff.
d.A.). Auf telefonischen Hinweis der Senatsvorsitzenden vom 05.06.2002 hat der
Prozessbevollmächtigte des Klägers an diesem Tage auch die
Berufungsbegründung eingereicht. Der Kläger begründet das
Wiedereinsetzungsgesuch damit, dass die Versäumung der Berufungsfrist auf
einem Versehen der berufserfahrenen und zuverlässigen Anwaltsgehilfen seines
Prozessbevollmächtigten beruhe. Dieser habe am 19.04.2002 seine geschulte und
zuverlässige Bürokraft, Herrn S., angewiesen, die Berufungsbegründungsfrist als
Endfrist auf dem 21.05.2002 (weil 2 Monate nach der Zustellung des Urteils am
19.03.2002, also am 19.05.2002, Sonntag gewesen sei und am 21.05.2002
Pfingstmontag gewesen sei) sowie als Vorfrist auf den 14.05.2002 im
Fristenkalender zu notieren. Der Mitarbeiter S., dem die Führung des
Fristenkalenders und die Kontrolle der Fristen obliege, habe jedoch weisungswidrig
die Endfrist auf den 20.05.2002 und die Vorfrist auf den 13.05.2002 im
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die Endfrist auf den 20.05.2002 und die Vorfrist auf den 13.05.2002 im
Fristenkalender eingetragen. Am 13.05.2002 - dem Datum der im Fristenkalender
eingetragenen Vorfrist - sei die Handakte dem Prozessbevollmächtigten des
Klägers von der hierfür zuständigen Bürokraft W. nicht vorgelegt worden. Die
Vorfrist sei im Fristenkalender als erledigt abgehakt worden. Am 3 21.05.2002 -
Dienstag nach Pfingsten - habe der Büromitarbeiter S. nicht bemerkt, dass die von
ihm unter dem 20.05.2002 eingetragene Endfrist nicht gelöscht worden sei. Der
Fristablauf sei erst am Donnerstag, den 23.05.2002 bemerkt worden, als die
Sache im normalen Geschäftslauf bearbeitet werden sollte. Das Büropersonal des
Prozessbevollmächtigten sei jahrelang ständig geschult und überwacht worden.
Zur Glaubhaftmachung bezieht sich der Kläger auf eidesstattliche Versicherungen
seines Prozessbevollmächtigten sowie dessen Büromitarbeitern S. und W. (Bl. 285
- 290 d.A.).
II.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht begründet. Dem Kläger kann eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur
Berufungsbegründung nicht gewährt werden, da seinen Prozessbevollmächtigten
an der Fristversäumung ein Verschulden trifft, das sich der Kläger gemäß § 85 Abs.
2 ZPO zurechnen lassen muss. Zwar kann ein Rechtsanwalt minder bedeutsame
Aufgaben, z.B. das Führen eines Fristenkalenders, seinen gut ausgebildeten, als
zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen. Ist
die Fristversäumung dann allein auf das Verschulden eines Anwaltsgehilfen
zurückzuführen, ist das für die Partei als unverschuldet im Sinne von § 233 ZPO
anzusehen. Ergibt sich in einem Anwaltsbüro dagegen eine auffällige Häufung von
Mängeln im Zusammenhang mit der Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist,
so rechtfertigen sich hieraus entweder Bedenken gegen die ordnungsmäßige
Ausbildung und Überwachung des Personals oder Schlüsse auf die
Unvollständigkeit der organisatorischen Anweisungen des Anwalts (BGH,
Beschluss vom 18.12.1997 - III ZB 41/97 -, BGHR ZPO § 233 Büropersonal 11;
Beschluss vom 19.06.1996 - XII ZR 279/95 - BGHR ZPO § 233 Büropersonal 9; BGH
VersR 1985, 270). Solche Bedenken bestehen auch hier und sind durch den
vorgetragenen Geschehensablauf nicht ausgeräumt. 4 Ein erheblicher Fehler bei
der Behandlung der Angelegenheit besteht darin, dass der Büromitarbeiter S.
weisungswidrig die Endfrist für die Berufungsbegründung auf den 20.05.2002 (der
im Fristenkalender nicht als gesetzlicher Feiertag gekennzeichnet war) und die
Vorfrist auf den 13.05.2002 eintrug. Zwar liegt die eingetragene Endfrist einen Tag
vor dem tatsächlichen Ablauf der Berufungsbegründungsfrist. Das eigenmächtige
Abweichen des Büromitarbeiters S. von der ihm erteilten Weisung begründete
jedoch die Gefahr, dass die im Kalender eingetragene Endfrist gerade deshalb
unbeachtet bleiben konnte, weil dieser Tag ein gesetzlicher Feiertag war. Ein
weiterer Fehler bei der Überwachung der Berufungsbegründungsfrist liegt darin,
dass auf die Nachricht der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts vom
24.04.2002 über das Eingangsdatum der Berufungsschrift die Eintragung der
Berufungsbegründungs- und der Vorfrist nicht überprüft wurden. Für die gebotene
Überprüfung dieser Fristen (BGH VersR 1985, 270) ist aus dem Sachvortrag des
Klägers nichts ersichtlich. Fehlerhaft ist sodann am 13.05.2002 - dem Tag, auf den
die Vorfrist im Fristenkalender eingetragen war - die Handakte dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht von der hierfür zuständigen
Mitarbeiterin W. vorgelegt worden. Überdies ist auch noch die Vorfrist im Kalender
als gewahrt abgehakt worden. Schließlich hat der Büromitarbeiter S. bei der
Fristenkontrolle am 21.05.2002 - dem Tag, an welchem die Begründungsfrist ablief
- nicht bemerkt, dass die unter dem 20.05.2002 von ihm eingetragene Endfrist
nicht gelöscht war. An diesem Tage hätte noch fristgerecht eine Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist beantragt werden können. Diese Häufung von
Versäumnissen im Zusammenhang mit der Wahrung der
Berufungsbegründungsfrist führt zu dem Schluss, dass es sich bei dem Personal
des Prozessbevollmächtigten des Klägers - entgegen dessen Erklärung - nicht um
gut ausgebildete, als zuverlässig erprobte und sorgfältig überwachte Angestellte
handelt oder dass die organisatorischen Anweisungen des
Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht ausreichten, um solche Versäumnisse
bei der Fristeinhaltung zu verhindern. In beiden Fällen ist ihm dies als Verschulden
anzulasten. Danach ist der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet.
III.
Die Berufung des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet
wurde. Da das erstinstanzliche Urteil dem Kläger am 19.03.2002 zugestellt wurde,
wurde. Da das erstinstanzliche Urteil dem Kläger am 19.03.2002 zugestellt wurde,
endete die Frist für die Berufungsbegründung von 2 Monaten ab Zustellung des
Urteils (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F.) mit Ablauf des 21.05.2002 (Dienstag nach
Pfingsten). Die erst am 05.06.2002 eingegangene Berufungsbegründung ist
danach verfristet. Nach § 97 Abs. 1 ZPO hat der Kläger die Kosten der erfolglosen
Berufung zu tragen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.