Urteil des OLG Frankfurt vom 29.05.2008

OLG Frankfurt: billigkeit, steigerung, daten, meinung, unterliegen, offenlegung, lieferant, form, rechtsgrundlage, baurecht

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Gericht:
OLG Frankfurt 15.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 U 47/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 AVBGasV, § 315 Abs 3
BGB
Gaspreiserhöhung: (Un-)Zulässigkeit der Tariferhöhung bei
gestiegenen Bezugskosten
Leitsatz
1. Zur Zulässigkeit von Gaspreiserhöhungen
2. Tariferhöhungen unterliegen zwar der Billigkeitskontrolle nach § 315 III BGB. Es
entspricht aber grundsätzlich der Billigkeit, wenn lediglich gestiegene Bezugskosten
weitergegeben werden.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 5. Februar 2007 verkündete Urteil der
6. Zivilkammer des Landgerichts Kassel abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tra-gen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich gegen eine Erhöhung des Erdgaspreises durch die
Beklagte zum 1. August 2005.
Der Kläger ist seit 1983 Kunde der Beklagten, einer örtlichen Erdgaslieferantin.
Grundlage der Beziehungen zwischen den Parteien ist ein „Sonder-Gaslieferungs-
vertrag“ vom 24. Oktober / 20. Dezember 1983, auf dessen Inhalt Bezug
genommen wird (Bd. II Bl. 82 d. A.). Mit Schreiben vom 21. Juli 2005 informierte die
Beklagte den Kläger über eine Erhöhung des Erdgaspreises ab dem 1. August
2005 um 0,64 Cent/KWh. Die Preisänderung wurde außerdem in der örtlichen
Presse und im Internet bekannt gegeben. Der Kläger widersprach der
Preiserhöhung und zahlte den Erhöhungsbetrag unter Vorbehalt der
Rückforderung. Vorangegangene Preisänderungen hatte er jeweils hingenommen.
Der Kläger verlangt Rückzahlung der bei Unwirksamkeit der Preiserhöhung zu viel
gezahlten Beträge und Feststellung, dass die Erhöhung der Tarife unbillig und
unwirksam ist.
Die Klägerin hat die Tariferhöhung unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des
Wirtschaftsprüfers A vom 12. August 2005 (Bd. I Bl. 43 ff. d. A.) mit
Kostensteigerungen des von ihr bezogenen Gases im Jahr 2005 begründet, die
nicht einmal vollständig weitergegeben worden seien.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird ergänzend
Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Preiserhöhung als unbillig im
Sinne von § 315 BGB angesehen, weil die Beklagte die die Preiserhöhung
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Sinne von § 315 BGB angesehen, weil die Beklagte die die Preiserhöhung
rechtfertigenden Umstände nicht ausreichend dargelegt habe. Die Stellungnahme
des Wirtschaftsprüfers A beruhe zum Teil auf einer unzulässigen Prognose,
nämlich einer geschätzten Steigerung der Gasbezugspreise im IV. Quartal 2005.
Davon abgesehen habe die Beklagte ihre sonstigen allgemeinen und besonderen
Kosten nicht dargetan, insbesondere bleibe offen, ob die Erhöhung der
Bezugspreise nicht durch Einsparungen in anderen Sektoren hätte kompensiert
werden können.
Gegen das ihr am 14. Februar 2007 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit
ihrer am 2. März 2007 eingelegten und nach entsprechender Verlängerung am 14.
Mai 2007 begründeten Berufung.
Sie macht geltend: Rechtsgrundlage für die Gaspreiserhöhung sei § 4 AVBGasV. §
315 BGB sei nicht anzuwenden. Das Landgericht habe zu Unrecht eine
Offenlegung der Kosten-Preiskalkulation gefordert. Es habe auch rechtsfehlerhaft
keine konkreten Hinweise erteilt, dass das Vorbringen der Beklagten zu den
Bezugskostensteigerungen unzureichend sei. Die Beklagte behauptet, gestützt
auf ein Schreiben der B AG vom 21. März 2007 (Bd. II Bl. 153 d. A.), die
Bezugskosten bei diesem Lieferanten seien in der Zeit vom 1. Oktober 2004 bis 1.
Oktober 2005 um insgesamt 0,9095 Cent/KWh erhöht worden. Der weitere
Lieferant C AG habe in demselben Zeitraum eine Erhöhung um 0,8907 Cent/KWh
vorgenommen. Im selben Zeitraum wurde – unstreitig – der Gaspreis der
Beklagten um insgesamt 0,75 Cent/KWh (netto) erhöht, nämlich zum 1. Januar
2005 um 0,2 Cent/KWh und zum 1. August 2005 um 0,55 Cent/KWh. Die
Bezugskostensteigerung habe in anderen Bereichen nicht aufgefangen werden
können. Unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Wirtschaftsprüfers D der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft X vom 19. Dezember 2007 (Bd. II Bl. 222 ff. d. A.)
behauptet sie einen Rückgang der weiteren allgemeinen Kosten im maßgeblichen
Zeitraum um 665.600 Euro, was bezogen auf die Erdgasabgabemenge eine
Einsparung von 0,0299 Cent/KWh ergebe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des am 5. Februar 2007 verkündeten Urteils des
Landgerichts Kassel abzuweisen,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, die Beklagte sei mit
neuem Vorbringen in der Berufungsinstanz ausgeschlossen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die Berufung der Beklagten ist statthaft und auch im Übrigen zulässig,
insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat auch
in der Sache Erfolg, weil dem Kläger keine Rückzahlungsansprüche zustehen und
die Unwirksamkeit der Tariferhöhung nicht festzustellen ist. Vielmehr hat die
Beklagte den vom Kläger zu zahlenden Gaspreis ab dem 1. August 2005 wirksam
erhöht.
Grundlage der Tarifpreiserhöhung durch die Beklagte ist § 4 Abs. 1, 2 der hier noch
anzuwendenden Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung
von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I Seite 676, AVBGasV). Diese
Allgemeinen Versorgungsbedingungen gelten kraft Gesetzes für das
Vertragsverhältnis zwischen den Parteien (§ 1 AVBGasV), weil der Kläger trotz der
insofern missverständlichen Bezeichnung als „Sonder-Gaslieferungsvertrag“ so
genannter Tarifkunde ist und zwischen den Parteien keine besonderen
Bedingungen vereinbart sind. Das haben die Parteien in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat am 22. November 2007 übereinstimmend
klargestellt.
Durch das nach Erlass der angefochtenen Entscheidung ergangene Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 2007 (NJW 2007, 2540) sind die rechtlichten
Vorgaben, unter denen eine Gaspreiserhöhung zulässig ist, geklärt.
Tariferhöhungen unterliegen danach zwar der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3
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Tariferhöhungen unterliegen danach zwar der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3
BGB. Es entspricht aber grundsätzlich der Billigkeit, wenn lediglich gestiegene
Bezugskosten weitergegeben werden, sofern die Steigerung nicht durch
rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wurde. Da der Kläger
Tarifkunde ist, stellt sich die bei Verträgen mit Sondervertragskunden, für die die
AVBGasV nicht Kraft Gesetzes gelten, zu entscheidende Frage der Wirksamkeit
von Preisänderungsklauseln (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 29. April 2008, KZR 2/07).
Bei Beachtung der vorstehend dargelegten Grundsätze ist die
Erdgaspreiserhöhung der Beklagten zum 1. August 2005 um 0,64 Cent/KWh brutto
nicht zu beanstanden, weil die Beklagte das ihr eingeräumte
Leistungsbestimmungsrecht nach billigem Ermessen ausgeübt hat.
Die Beklagte hat, vom Kläger unbeanstandet, vorgetragen, dass sich die Preise für
das von ihr bezogene Gas im Zeitraum 1. Oktober 2004 bis 1. Oktober 2005 um
0,8907 Cent/KWh bzw. um 0,9095 Cent/KWh (jeweils netto) erhöht hatten. Der
Senat kann dahinstehen lassen, ob die Klägerin Preiserhöhungen zum 1. Oktober
2005 einbeziehen durfte. Denn auch ohne diese Erhöhungen um 0,0946 Cent/KWh
bzw. 0,1134 Cent/KWh verbleibt eine Preissteigerung von jeweils 0,7961 Cent/KWh.
Diese Preiserhöhungen liegen mithin für sich betrachtet über den zum 1. Januar
2005 und 1. August 2005 vorgenommenen Tarifpreiserhöhungen der Beklagten
von 0,75 Cent/KWh (netto).
Die Beklagte war nicht in der Lage, den Preisanstieg durch rückläufige Kosten in
anderen Bereichen auch nur in nennenswertem Umfang auszugleichen. Aus der
Stellungnahme des Wirtschaftsprüfers D vom 19. Dezember 2005, deren
inhaltliche Richtigkeit der Kläger nicht in Zweifel gezogen hat, ergibt sich, dass die
Kosten der Beklagten auf der Grundlage der geprüften und mit uneingeschränkten
Bestätigungsvermerken versehenen Jahresabschlüsse zum 31. Dezember 2004
und 31. Dezember 2005 von 7.961.600 Euro im Jahr 2004 auf 7.296.000 Euro
zurückgegangen sind, mithin um 665.600 Euro. Bezogen auf die
Erdgasabgabemenge ergibt das 0,0299 Cent/KWh. Die bereits dargestellte
Bezugskostensteigerung von 0,7961 Cent/KWh konnte deshalb nur in Höhe von
0,0299 Cent/KWh durch Einsparungen ausgeglichen werden. Danach verbleibt eine
Kostenerhöhung für die Beklagte von 0,7662 Cent/KWh, die über den in diesem
Zeitraum vorgenommenen Tarifpreiserhöhungen um insgesamt 0,75 Cent/KWh
liegt. Es kann deshalb für die Entscheidung dahinstehen, ob die Einsparung von
Kosten in anderen Bereichen deshalb niedriger ist als 665.600 Euro, weil im
Jahresabschluss 2005 zwei einmalige Effekte enthalten sind, die nicht dauerhaft zu
Kostenverminderungen geführt haben.
Entgegen der Meinung des Klägers ist die Vorgehensweise zur Darlegung von
Kosteneinsparungen nicht zu beanstanden, obgleich die Kostensituation in den
Jahren 2004 und 2005 insgesamt untersucht wurde und nicht lediglich im Zeitraum
der dargestellten Bezugskostensteigerungen vom 1. Oktober 2004 bis 1. Oktober
2005 oder gar nur bis zum 1. August 2005. Allerdings kann ein Kostenvergleich
anhand der Jahresabschlüsse 2004 und 2005 zur Zeit der Tarifpreiserhöhung zum
1. August 2005 nicht Grundlage der Kalkulation der Beklagten gewesen sein.
Vielmehr wird die Beklagte jeweils bei Steigerungen ihres Bezugspreises
Überlegungen anstellen, ob und in welchem Umfang die Bezugskostensteigerung
an die Kunden weiterzugeben ist. Dabei muss sie – jedenfalls nach der neuen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs prüfen, ob auf eine Tarifpreiserhöhung
ganz oder teilweise im Hinblick auf die Kosten- und Ertragssituation des
Unternehmens verzichtet werden kann. Anhand der ihr zum jeweiligen Zeitpunkt
vorliegenden Daten hat die Beklagte sodann eine Entscheidung zu treffen und eine
vorzunehmende Tarifpreiserhöhung gegebenenfalls mit diesem Datenmaterial zu
begründen. Die Situation im vorliegenden Rechtsstreit ist eine andere. Die
nachträgliche Überprüfung der Billigkeit einer Tarifpreiserhöhung erlaubt es ohne
weiteres, in Gestalt von Jahresabschlüssen vorliegendes konkretes und
aussagekräftiges Datenmaterial zu verwerten und anhand dieser Daten die
Billigkeit der Tarifpreiserhöhung einer Beurteilung zu unterziehen.
Entgegen der Meinung des Klägers ist auch die Vorgehensweise der Beklagten,
Kostensteigerungen und Kosteneinsparungen je Kilowattstunde zu berechnen,
nicht zu beanstanden, weil darin die genaueste Berechnungsart liegt. Es bedarf
keiner Darlegung angekaufter Gasmengen oder irgendwelcher Ausgangspreise,
weil prozentualer Berechnungen jedenfalls nicht genauer sind, als ein Abstellen auf
Preisänderungen je Kilowattstunden.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die maßgeblichen Rechtsfragen bereits
durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 2007 geklärt sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.