Urteil des OLG Frankfurt vom 17.11.2005

OLG Frankfurt: zulässigkeit der auslieferung, vollzug der auslieferung, wiederaufnahme des verfahrens, spanien, nichtigerklärung, haftentschädigung, schmerzensgeld, haftentlassung, verkehrssicherheit

1
2
3
Gericht:
OLG Frankfurt 2.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ausl A 45/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 16 Abs 2 GG, § 79
BVerfGG, § 95 BVerfGG, § 33
IRG, EuHbG
(Fortbestand einer vollzogenen Auslieferung trotz der
späteren Nichtigerklärung des Europäischen
Haftbefehlsgesetzes)
Leitsatz
Die Nichtigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes berührt nicht die bereits
vollzogene Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an einem Mitgliedsstaat der
Europäischen Union.
Tenor
Die Anträge des Verfolgten werden zurückgewiesen.
Gründe
Der Senat hat mit Beschluss vom 18. Mai 2005 die Auslieferung des Verfolgten
nach Spanien wegen der in dem Haftbefehl des Amtsgerichts in Figueres vom 30.
März 2005 (Az.: N 219/2004) bezeichneten Straftaten für zulässig erklärt. Dem
Verfolgten ist vorgeworfen worden, am 1. Juni 2003 auf der Landstraße N II in
Richtung Figueres (Spanien) unter Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug geführt und
dabei mehrfach falsch überholt zu haben. Der Verfolgte ist am 27. Mai 2005 in
Frankfurt am Main den spanischen Behörden übergeben und damit die
Auslieferung vollzogen worden. In Spanien ist der Verfolgte wegen Straftaten
gegen die Verkehrssicherheit und schweren Ungehorsams zu einer Freiheitsstrafe
von 6 Monaten sowie einer Geldstrafe verurteilt worden. Des Weiteren ist gegen
ihn ein Fahrverbot von 1 Jahr und 1 Tag verhängt worden. Nach der Haftentlassung
ist der Verfolgte nach Deutschland zurückgekehrt. Mit Schreiben vom 20. Juli 2005
erhebt er nunmehr Gegenvorstellung gegen den Senatsbeschluss vom 18. Mai
2005 und beantragt Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls, Haftentschädigung
sowie Schmerzensgeld. Unter Berufung auf die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 /2 BvR 2236/04) rügt er
insbesondere die Verletzung des Art. 16 GG. Die Staatsanwaltschaft beim
Oberlandesgericht Frankfurt am Main beantragt, die Anträge des Verfolgten
zurückzuweisen.
Die Gegenvorstellung des Verfolgten gegen den Senatsbeschluss vom 18. Mai
2005 ist als Antrag auf erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der
Auslieferung gemäß § 33 IRG auszulegen. Treten nach der Entscheidung des
Oberlandesgerichts über die Zulässigkeit der Auslieferung Umstände ein, die eine
andere Entscheidung über die Zulässigkeit zu begründen geeignet sind, so
entscheidet das Oberlandesgericht nach dieser Vorschrift erneut über die
Zulässigkeit der Auslieferung. Der Antrag des Verfolgten hat im Ergebnis keinen
Erfolg.
Das Bundesverfassungsgericht hat zeitlich nach der Entscheidung des Senats
über die Zulässigkeit der Auslieferung mit Urteil vom 18. Juli 2005 das Europäische
Haftbefehlsgesetz für nichtig erklärt, so dass bis zum Erlass eines neuen
Umsetzungsgesetzes die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an
einen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht mehr möglich ist. Da die
Auslieferung des Verfolgten bereits vollzogen worden ist, geht es nur noch darum,
4
5
Auslieferung des Verfolgten bereits vollzogen worden ist, geht es nur noch darum,
welche Folgen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für nicht mehr
anfechtbare Entscheidungen hat, die auf dem für nichtig erklärten Gesetz
beruhen. Diese Rechtsfolgen sind in §§ 79, 95 Abs.3 S.3 BVerfGG geregelt. So ist
gemäß § 79 Abs.1 BVerfGG gegen rechtskräftige Strafurteile die Wiederaufnahme
des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung zulässig. Das
kommt in dem vorliegenden Fall jedoch nicht in Betracht. Die Entscheidung des
Senats vom 18. Mai 2005 ist mit einem Strafurteil nicht vergleichbar. Der Senat
hat keine strafrechtliche Verurteilung ausgesprochen, sondern lediglich die
Auslieferung des Verfolgten nach Spanien für zulässig erklärt. Soweit der Verfolgte
in Spanien nach den dort maßgeblichen Gesetzen verurteilt worden ist, beruht dies
nicht auf einem Akt der strafrechtlichen Hoheitsgewalt der Bundesrepublik
Deutschland.
Für alle anderen Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen,
gilt gemäß § 79 Abs.2 BVerfGG, dass sie von der Normverwerfung durch das
Bundesverfassungsgericht unberührt bleiben. Für nicht mehr anfechtbare
Entscheidungen gilt damit kraft Gesetzes eine sog. Fortbestandsgarantie oder ein
Rückabwicklungsverbot (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge,
Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 79 Rdn.44). Das bedeutet für den
vorliegenden Fall, dass eine erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der
Auslieferung nicht in Betracht kommt. Die Zulässigkeitsentscheidung des Senats
vom 18. Mai 2005 ist nach dem Vollzug der Auslieferung nicht mehr anfechtbar.
Kraft Gesetzes ist vom Fortbestand dieser Entscheidung auszugehen. Einer
Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls bedarf es nicht; dieser ist nach Vollzug
der Auslieferung bereits mit Senatsbeschluss vom 1. Juni 2005 aufgehoben
worden.
Die Anträge Verfolgten auf Haftentschädigung und Schmerzensgeld sind ebenfalls
zurückzuweisen. Abgesehen davon, dass das Gesetz über die Entschädigung für
Strafverfolgungsmaßnahmen auf Auslieferungsverfahren grundsätzlich nicht
anwendbar ist (vgl. BGH, NStZ 1985,222) und etwaige Entschädigungsansprüche
nach Art. 5 Abs.5 MRK sowie Schmerzensgeldansprüche im Zivilrechtsweg geltend
zu machen wären (vgl. OLG München, NStZ-RR 1996,125), steht auch das sog.
Konterkarierungsverbot (§ 79 Abs.2 S.4 BVerfGG) sämtlichen
Entschädigungsansprüchen entgegen (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge,
Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 79 Rdn.66 ff.).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.