Urteil des OLG Frankfurt vom 26.07.2005

OLG Frankfurt: arbeitslosigkeit, anschlussberufung, volljährigkeit, vollzeitbeschäftigung, abschlag, schmerzensgeld, arbeitsmarkt, fahrtkosten, unterhaltsbeitrag, auflage

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Gericht:
OLG Frankfurt 17.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
17 U 18/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 844 Abs 2 BGB, § 9a EStG
(Schadensersatz bei Tötung eines Unterhaltspflichtigen:
Pauschalabzug für die Ersparnis berufsbedingter
Aufwendungen; Haushaltsführungsschaden bei einem
Alleinverdiener; Unwägbarkeitsabschlag wegen zu
erwartender zeitweiliger Arbeitslosigkeit)
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Unterhaltsansprüche der Kläger, Ehefrau und
minderjährige Kinder eines getöteten Beteiligten eines vom Beklagten zu 1)
verschuldeten Verkehrsunfalls, das Fahrzeug des Beklagten zu 1) war bei der
Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.
Hinsichtlich des zugrunde liegenden Sachverhalts kann vollumfänglich auf den
Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom
17. Dezember 2004 (Bl. 269 - 277 d. A.) verwiesen werden, dies gilt insbesondere
hinsichtlich der Lebensdaten des Getöteten und der Kläger, seinen und deren
aufenthaltsrechtlichen Status sowie den beruflichen Stand und Werdegang des
Getöteten. Dabei hat die Klägerin zu 1) als Ehefrau des Getöteten Zahlung der
aufgelaufenen und Feststellung der zukünftigen Unterhaltsansprüche bis zum
voraussichtlichen Eintritt des Getöteten in die Rente sowie die Feststellung der
Unterhalts-Schadensersatzpflicht über diesen Zeitpunkt hinaus bis zum
voraussichtlichen Todesdatum begehrt, die Kläger zu 2) - 4) begehrten als Kinder
jeweils Zahlung der aufgelaufenen und Feststellung der zukünftigen
Unterhaltsansprüche bis zum Eintritt der jeweiligen Volljährigkeit sowie die
Feststellung der Unterhalts-Schadensersatzpflicht über diesen Zeitpunkt hinaus.
Letztendlich begehrten die Kläger noch die diesbezügliche Freistellung von der
Steuerpflicht.
Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme die Zahlungs- und
Feststellungsansprüche der Kläger bis zum voraussichtlichen Eintritt des
Getöteten in die Rente und die Zahlungsansprüche und Feststellungsansprüche
der Kläger zu 2) - 4) bis zum Eintritt der Volljährigkeit sowie die entsprechende
Freistellung von der Steuerverpflichtung allesamt gekürzt in der Höhe
zugesprochen, die weitergehenden Feststellungsansprüche wurden abgewiesen.
Hinsichtlich der Begründungen der Berechnungen und Absetzungen ist
gleichermaßen auf das angefochtene Urteil zu verweisen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Kläger vom 25. Januar 2005,
eingegangen am gleichen Tage (Bl. 298 d. A.) sowie die unselbständige
Anschlussberufung der Beklagten vom 23. Mai 2005, eingegangen am 24. Mai
2005.
Die Kläger begründen ihre Berufung, mit der sie die ursprünglichen Anträge
weiterverfolgen, zunächst im Hinblick auf die Feststellungsanträge mit der Ansicht,
dass auch nach dem projizierten Renteneintritt des Getöteten der Klägerin zu 1)
noch Unterhaltsansprüche zustünden, gleichermaßen gelte dies für die Kläger zu
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noch Unterhaltsansprüche zustünden, gleichermaßen gelte dies für die Kläger zu
2) - 4) nach dem Eintritt der Volljährigkeit aufgrund Ausbildung, Studium oder
ähnlichem.
Der vom Landgericht vorgenommene Unwägbarkeitsabschlag wegen der
Unsicherheit des Besitzes eines Arbeitsplatzes von 10 % wird gerügt, wie auch der
Abschlag von 5 % für ersparte berufsbedingte Aufwendungen im Falle der
Arbeitslosigkeit. Der geltend gemachte Haushaltsführungsschaden sei
anzusetzen.
Schließlich sei der vom Landgericht vorgenommene Abzug von EUR 5.000,00 zu
Unrecht erfolgt, da vorgerichtlich seitens der Beklagten zu 2) nur DM 5.000,00
gezahlt worden seien.
Die Kläger machen erstmalig in der Berufungsinstanz einen
Schmerzensgeldanspruch in Höhe von EUR 2.556,46 geltend.
Die Beklagten verfolgen im Wege der Anschlussberufung ebenfalls ihr
ursprüngliches Ziel der vollständigen Klageabweisung, hierbei wird vorgetragen,
dass die Zusprechung einer Unterhaltsleistung über den März 2004 hinaus nicht
gerechtfertigt sei, da der Getötete zu diesem Zeitpunkt entlassen worden wäre.
Hinsichtlich des in 2. Instanz erstmalig geltend gemachten Anspruchs auf
Schmerzensgeld wird die Einrede der Verjährung erhoben.
Die Kläger beantragen nunmehr
1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 17.
Dezember 2004, Az 4 O 158/03 nach den erstinstanzlichen Schlussanträgen zu
erkennen;
2. zusätzlich die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger ein
angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber EUR 2.500,- nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen
1. die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn
vom 17. Dezember 2004, Az 4 O 158/03 zurückzuweisen;
2. die mit der Berufung erweiterte Klage unter dem Antrag zu Nr. 2 im Schriftsatz
vom 23. Februar 2005 zurückzuweisen;
3. auf die Anschlussberufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts Limburg a.
d. Lahn vom 17. Dezember 2004, Az. 4 O 158/03 in Ziffer 1, 3 und 5 abzuändern.
Die Klagen der Klägerin zu 1) (im Urteil tenoriert unter Ziffer 1 und 5) sowie die
Klagen der Kläger zu 2), 3) und 4) (im Urteil tenoriert unter Ziffer 3 und 5) auf
Zahlung einer monatlichen Geldrente und auf Feststellung der Verpflichtung auf
Ersatz von etwaigen Steuern werden für die Zeiträume ab dem 1. April 2004
abgewiesen.
II.
Die Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Zunächst sind die vom Landgericht vorgenommenen Feststellungen, denen
zufolge der Getötete ab dem 1. Mai 2000 bei der Fa. „...“ eine
Vollzeitbeschäftigung zu einem Bruttogehalt von EUR 2.474,65 (DM 4.840,00)
einschließlich Weihnachtsgeld in Höhe von 75 % und Urlaubsgeld in Höhe von 55 %
erhalten hätte, zugrunde zu legen, da diese weder auf einer Rechtsverletzung
beruhen, noch konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder
Vollständigkeit begründen, §§ 513, 529 ZPO. Diese Feststellungen wurden von den
Berufungen nicht angegriffen.
Gleichermaßen gilt dies für die Berechnung und Aufteilung der Fixkosten.
Damit ergibt sich für die Zeit zunächst bis zum 31. Dezember 2003 ein Netto-
Einkommen des Getöteten in Höhe von EUR 1.932,53.
Hiervon hat das Landgericht in Ergebnis zu Recht für diese Zeit einen Abschlag
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Hiervon hat das Landgericht in Ergebnis zu Recht für diese Zeit einen Abschlag
von 5 % für berufsbedingte Aufwendungen vorgenommen. Da davon auszugehen
ist, dass der Getötete ab dem 1. Mai 2000 eine Vollzeitstelle bei der Fa. „...“
erhalten hätte, ist auch ein Abzug für berufsbedingte Aufwendungen
vorzunehmen. Der Getötete hätte in diesem Fall Kosten für die Fahrt zum Betrieb
oder Kosten für Berufskleidung etc. gehabt, die das ihm und damit auch seinen
Unterhaltsverpflichteten zur Verfügung stehende Einkommen gemindert hätte
(siehe dazu grundsätzlich die unterhaltsrechtlichen Hinweise des OLG Stuttgart,
NJW 1985, 310).
Der Einwand der Kläger, die Fahrtkosten seien auch unter Berücksichtigung der für
die Fahrtkosten zu erhaltenden Steuervorteile nicht in erheblicher Größe
entstanden, da der Getötete unmittelbar neben der seinerzeitigen Baustelle
gewohnt habe, ist zum einen hinsichtlich der letzteren Angabe neuer, in der
Berufungsinstanz gemäß §§ 531 ZPO nicht zu berücksichtigender Vortrag, es
erscheint aber auch darüber hinaus nicht sachgerecht, da der Betrieb der Fa. „...“
sich in O1 befindet und es gerichtsbekannt ist, dass gerade Bauunternehmen vor
der Arbeitsaufnahme an der konkreten Baustelle noch Tätigkeiten im Bereich des
Unternehmenssitzes bzw. eines Lagers fordern. Auch unter Berücksichtigung der
Steuervorteile durch den Werbungskostenpauschbetrag für Arbeitnehmer gemäß §
9 a EStG, der unabhängig von einem Nachweis der Fahrtkosten angesetzt wird, ist
ein auf der Grundlage von § 287 ZPO zu ermittelnder pauschaler Abzug von 5 %
angemessen, dieser beträgt in absoluten Zahlen EUR 96,63.
Das Landgericht hat sodann auch richtigerweise für diese Zeit die
Berücksichtigung eines Haushaltsführungsschadens abgelehnt. Die Erwägungen
des Landgerichts, auf die hierbei Bezug genommen wird, sind in Gänze richtig.
Zwar kann ein Haushaltsführungsschaden auch bestehen, wenn der Partner einer
Berufstätigkeit nachgeht (siehe OLG Frankfurt, Urteil vom 2. Juli 1980, VersR 80,
1122). Dies setzt aber voraus, dass der berufstätige Partner diese Hausarbeit als
Unterhaltsbeitrag erbringt (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1992, NJW 1993, 124, 125
m.w.N.; Palandt-Heinrichs, BGB, 64. Auflage, vor § 249 Rdnr. 42;
Ermann/Schiemann, BGB, 11. Auflage, § 845 Rdnr. 11). Wenn der alleine voll
berufstätige Ehepartner im Haushalt Leistungen erbringt, ist regelmäßig davon
auszugehen, dass dies freiwillig geschieht und nicht aufgrund seiner
Unterhaltsverpflichtung (siehe OLG Oldenburg, Urteil vom 20. Dezember 1982,
VersR 1983, 890).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem erstinstanzlichen Vortrag der
Kläger. Die Kläger haben zwar vorgetragen, wie die Arbeitsaufteilung im Haushalt
bis zum Tode des Ehegatten und Vater geregelt war, nicht aber, welche Arbeiten
der Getötete nach seiner Einstellung in die Vollzeitbeschäftigung bei der Fa. „...“
dann noch als Unterhaltsbeitrag zu leisten gehabt hätte.
Dass es - wegen des Todes des Ehegatten und Vaters - noch nicht zu konkreten
Absprachen über die zukünftige Haushaltsführung zwischen den Beteiligten
gekommen war, kann nicht dazu führen, dass das Gericht jetzt eine ohne jede
weitere Grundlage anzusetzende Schätzung vornehmen könnte. Die von den
Klägern angeführten Verrichtungen, die der Getötete auch nach dem Eintritt in
eine Vollzeitbeschäftigung noch hätte wahrnehmen wollen, wurden bestritten - und
entsprechend auch im erstinstanzlichen Urteil im streitigen Klägervorbringen
dargestellt - und nicht unter Beweis gestellt.
Ob diese Tätigkeiten vom Getöteten wirklich vorgenommen worden wären, kann
aber dahingestellt bleiben, denn es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass
der Getötete gegenüber seiner nicht berufstätigen Frau und den Kindern eine
Verpflichtung zur unterhaltsrechtlichen Haushaltsmithilfe hatte. Dabei darf nicht
außer Acht bleiben, dass die beiden älteren Kinder zum Zeitpunkt des Unfalls
bereits schulpflichtig waren, das älteste Kind sogar bereits im Alter des Besuchs
einer weiterführenden Schule war.
Damit hat - allerdings wohl mit einem Rundungsfehler - das Landgericht die
Unterhaltsbeiträge für die Zeit der Vollbeschäftigung ab dem 1. Mai 2000 richtig
berechnet mit EUR 577,20 für die Klägerin zu 1) und EUR 277,84 jeweils für die
Kläger zu 2), 3) und 4). Auf die insoweit richtigen und insoweit auch nicht
angegriffenen Berechnungen des Landgerichts im Urteil wird verwiesen.
Diese Unterhaltsansprüche wurden von den Klägern für die Zeit ab dem 1. April
2003 geltend gemacht, ab diesem Termin waren sie daher zuzusprechen.
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Damit errechnet sich ein aufgelaufener Unterhaltsanspruch für die Klägerin zu 1) in
Höhe von EUR 20.202,00 für die dem Klageantrag zu 2 zugrunde liegenden
Zeitraum vom 1. Mai 2000 bis zum März 2003 einschließlich (35 Monate). Das
Landgericht ist hierbei irrtümlich von 36 Monaten ausgegangen.
Hiervon ist der Betrag von EUR 2.556,46 abzuziehen, die Beklagte zu 2) hat
vorgerichtlich einen Betrag in Höhe von DM 5.000,- (nicht EUR 5.000,-, wie vom
Landgericht irrtümlich berechnet, vgl. aber den Tatbestand des angefochtenen
Urteils) an die Klägerin zu 1) gezahlt. Entsprechend der Tilgungsbestimmung durch
die Beklagte zu 2) im Schriftsatz vom 20. August 2003 war dieser vorgerichtlich
gezahlte Betrag auf den Unterhaltsanspruch der Klägerin zu 1) anzurechnen.
Damit ergibt sich ein aufgelaufener Unterhaltsanspruch für diese Zeit von EUR
17.645,54.
Für die Kläger zu 2), 3) und 4) errechnet sich hierbei ein aufgelaufener
Unterhaltsanspruch in Höhe von jeweils EUR 9.724,40 für den Zeitraum vom 1. Mai
2000 bis März 2003 (35 Monate).
Für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. März 2004 war mit der Berufung
von den Beträgen für den vorherigen Zeitraum auszugehen. Ein Ansatz eines
Unwägbarkeitsabschlags für diese Zeit ist nicht sachgerecht, da die
Arbeitslosigkeit erst ab dem März/April 2004 drohte. Die sonstigen Erwägungen
der Berufung für diesen Zeitraum greifen aus den dargestellten Gründen nicht
durch. Eine Herabsetzung dieser Beträge ist nicht möglich, denn die
Anschlussberufung umfasst den für diesen Zeitraum ausgeurteilten
Unterhaltsbeitrag nicht, das Gericht ist insoweit an den durch die
Berufungsanträge vorgegebenen Prüfungsumfang gebunden, § 528 ZPO.
Die Anschlussberufung ist zulässig, aber nur zu einem Teil begründet.
Für die Zeit ab dem 1. April 2004 hat das Landgericht zu Recht eine
Neuberechnung vorgenommen, da nach der Beweisaufnahme zu diesem
Zeitpunkt eine Arbeitslosigkeit des Getöteten anzunehmen war. Das Landgericht
hat dabei aber gleichermaßen zu Recht und entgegen der Ansicht der
Anschlussberufung den Unterhaltsanspruch der Kläger nicht komplett entfallen
lassen, sondern hat ausgehend vom seitherigen Gehalt einen
Unwägbarkeitsabschlag vorgenommen.
Dies ist nicht zu beanstanden.
Das Gericht hat in den Fällen des § 844 Abs. 2 BGB eine Prognose aufzustellen,
wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen den Unterhaltsberechtigten und dem
Unterhaltspflichtigen bei Unterstellung seines Fortlebens nach dem Unfall
entwickelt hätten (siehe BGH, Urteil vom 27. Januar 2004, NZV 2004, 291; Urteil
vom 24. April 1990, NJW-RR 1990, 962;).
Dabei muss es unter Anwendung des Maßstabes des § 287 ZPO eine
vorausschauende Betrachtung vornehmen, in die es alle voraussehbaren
Veränderungen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten und der
hypothetischen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, wäre er noch am
Leben, mit einzubeziehen hat (BGH, NZV 2004, aaO; NJW-RR 1990, aaO).
Dabei sind Unsicherheiten über die Bemessungsfaktoren im Rahmen des nach §
287 ZPO zulässigen im Schätzungsergebnis zu verarbeiten, dabei können
grundsätzlich auch Abschläge vorgenommen werden, die Einschätzung des
Gerichts darf nur nicht „in der Luft schweben“ (BGH NJW-RR 1990, 962, 963).
Dabei rechtfertigt eine zeitlich begrenzte Arbeitslosigkeit grundsätzlich nicht ohne
weiteres die Prognose, dass der Unterhaltsverpflichtete aufgrund dessen
überhaupt keine Einkünfte mehr bis zum Eintritt in das Rentenalter erzielen würde
(siehe zu einem ähnlichen, allerdings nicht identischen Fall BGH, Urteil vom 17.
Januar 1995, VersR 1995, 422, 424). Dies kann grundsätzlich bei einem
Unterhaltsverpflichteten, der nach einer Zeit der projizierten Vollzeitbeschäftigung
in eine gleichermaßen projizierte Arbeitslosigkeit geraten würde, nicht anders zu
werten sein. Dies könnte nur dann gelten, wenn eine Prognose belastungsfähig mit
Angabe der entsprechenden Gründe erstellt werden könnte, dass der Getötete für
die gesamte restliche Zeit seines Erwerbsfähigenalters keine Stelle mehr finden
würde.
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Das Gericht ist in diesen Fällen gehalten, in seine Prognoseentscheidung durch
entsprechende Abschläge Zeiten der drohenden oder auch möglichen
Arbeitslosigkeit mit einzubeziehen.
Die Prognoseentscheidung des Landgerichts ist als Ausübung des richterlichen
Ermessens nicht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen, sondern auch darauf, ob
die Lösung des erstinstanzlichen Gerichts überzeugt (siehe hierzu den
Prüfungsmaßstab bei der Auslegung von Verträgen, BGH, Urteil vom 14. Juli 2004,
MDR 2004, 1434, 1435).
Das Oberlandesgericht ist nach sorgfältiger Abwägung der Umstände der
Auffassung, dass der vom Landgericht vorgenommene Abschlag von 10 % zwar
vertretbar, nicht aber überzeugend.
Ein Unwägbarkeitsabschlag von 20 % erscheint für die Zeit ab dem 1. April 2004
als sachgerecht. Dabei ist die notwendige Prognose auf der Grundlage der
allgemeinen, aber auch der persönlichen Situation des Getöteten zu erstellen
(siehe dazu BGH VersR 1995, 422, 424).
Sicherlich spricht für die Fähigkeiten des Getöteten, auf dem deutschen
Arbeitsmarkt einen auskömmlichen Arbeitsplatz mit mindestens dem seitherigen
Gehalt erhalten zu können, sein noch junges Alter, seine Erfahrung und vor allem
auch die Flexibilität, die er bereits in seinem vorherigen Erwerbsleben an den Tag
legte.
Allerdings sind auch die gesamtwirtschaftlichen Gegebenheiten zu beachten,
ausgehend von der auch dem Gericht bekannten derzeitigen Situation am
Arbeitsmarkt stellt sich die Stellensituation gerade im Baubereich als für
Arbeitssuchende nicht befriedigend dar. Auch weitergehend ist im Segment der
Niedrig-Verdienst-Berufe für ungelernte Kräfte nur schwer eine Vermittlung in den
Arbeitsmarkt zu erreichen, wobei diese Sachlage sich aller Voraussicht nach nicht
wesentlich ändern wird.
Das Gericht hält daher einen Unwägbarkeitsabschlag von 20 % ab dem 1. April
2004 für sachgerecht, darin enthalten sind weiterhin auch etwaige arbeitsbedingte
Aufwendungen für die Zeiten der Wiederbeschäftigung wie auch ein etwaiger
Haushaltsführungsschaden in den Zeiten der Arbeitslosigkeit.
Für die Zeit nach dem 1. April 2004 ergibt sich daher für die Klägerin zu 1)
folgende Berechnung:
Netto-Einkommen wie vorher: EUR 1.932,53Abzüglich 20 % Unwägbarkeit EUR
386,51Ergibt EUR 1.546,02Abzüglich Fixkosten EUR 585,34Ergibt EUR
960,68Davon 27 % EUR 259,38Z zuzüglich anteilige Fixkosten (27/66) EUR
239,46Gesamt EUR 498,84
Für die Kläger zu 2), 3) und 4) ergibt sich folgende Berechnung:
Netto-Einkommen wie vorher: EUR 1.932,53Abzüglich 20 % Unwägbarkeit EUR
386,51Ergibt EUR 1.546,02Abzüglich Fixkosten EUR 585,34Ergibt EUR
960,68Davon 13 % EUR 124,89Zuzüglich anteilige Fixkosten (13/66) EUR
115,29Gesamt EUR 240,18.
Sollten sich erhebliche Veränderungen der Grundlagen dieser Berechnung
ergeben (so z.B. eine Erwerbstätigkeit der Klägerin zu 1) steht den Parteien der
Weg des § 323 ZPO offen.
Im übrigen konnte die Anschlussberufung nicht zum Erfolg führen.
Die Gegebenheiten rund um die projizierte Arbeitslosigkeit sind im
Unwägbarkeitsabschlag enthalten.
Die Feststellungsanträge sind begründet.
Solange der entstandene oder noch entstehende Schaden nicht oder nicht voll
beziffert werden kann, ist eine Feststellungsklage zulässig (BGH, Beschluss vom 4.
April 1952, NJW 1952, 740; MünchKomm/Wagner, BGB, 4. Auflage, § 844 Rdnr. 85).
Eine Bezifferung kann dann nicht vorgenommen werden, wenn die mutmaßliche
Weiterentwicklung sich noch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit übersehen
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Weiterentwicklung sich noch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit übersehen
lässt. Allerdings wird eine Prognoseentscheidung nur dann nicht ausreichend und
damit ein Feststellungsinteresse zu bejahen sein, wenn wesentliche Änderungen
zu erwarten sind, die bei der Festlegung der Unterhaltsrente nach Dauer und Höhe
nicht berechenbar oder abschätzbar wären (siehe auch BGH, Urteil vom 22. Juni
1956, NJW 1956, 1479; OLG Köln, Urteil vom 17. Februar 1989, VersR 1990, 1285).
Ausgehend von der derzeitigen Unsicherheit im Hinblick auf die gesetzliche
Rentenversicherung, lassen sich belastungsfähige Prognosen hierbei nicht wagen.
Es ist in keiner Weise zum heutigen Zeitpunkt auch nur ansatzweise errechenbar,
welche Rentenerträge der Getötete ab dem Jahre 2034 erhalten hätte, es ist nicht
einmal ansatzweise planbar, mit welchem prozentualen Anteil des Einkommens
ein Rentner dann rechnen kann, wobei ebenfalls nicht klar erscheint, ob zu diesem
Zeitpunkt die Rente auf das letzte Nettoeinkommen bezogen wird oder andere
Parameter eine Rolle spielen.
Unter diesen Umständen erscheint es als nicht sachgerecht, die Klägerin zu 1) auf
eine Prognose mit der Möglichkeit der Abänderung gemäß § 323 ZPO zu
verweisen, vielmehr ist unter diesen Gesichtspunkten ein Feststellungsinteresse zu
bejahen.
Hinsichtlich des Feststellungsinteresses der Kläger zu 2), 3) und 4) ist ein
Feststellungsinteresse für Unterhaltsansprüche nach dem Zeitpunkt des
Erreichens der Volljährigkeit bereits deshalb zu bejahen, da die Unterhaltsleistung
des Getöteten zu diesem Zeitpunkt zwar regelmäßig endet, es aber doch
durchaus realistische Abläufe gibt, die eine weitergehende Unterhaltsverpflichtung
begründen können (BGH NJW 1952, 740, 741; BGH Urteil vom 13. Oktober 1954,
VersR 1955, 86; BGH, Urteil vom 15. März 1983, NJW 1983, 2197). Hierzu zählt
sicherlich eine Ausbildung oder ein Studium, welches auch nach dem Eintritt der
Volljährigkeit die Unterhaltspflicht nicht entfallen lässt.
Der erstmalig mit der Berufung geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch ist
verjährt. Dieser Anspruch auf Schmerzensgeld für das Ereignis vom 28. April 2000
verjährt nach altem Recht gemäß § 852 BGB a. F. innerhalb von drei Jahren seit
Kenntniserlangung des Schadens und der ersatzpflichtigen Person. Auf der
Grundlage des übereinstimmenden Vortrags wäre damit von einer Verjährung am
28. April 2003 auszugehen. Das neue, ab dem 1. Januar 2002 geltende Recht
würde eine längere Verjährung vorsehen (§ 199 BGB), daher sind die kürzeren
Verjährungsfristen des alten Rechts anzuwenden (Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB). Die
Klage wurde am 22. April 2003 eingereicht und würde damit als Hemmung der
Verjährung gemäß § 204 BGB n.F. wirken. Der Schmerzensgeldantrag wurde
allerdings nicht bereits mit der ursprünglichen Klage geltend gemacht, sondern
erstmals im Rahmen des Schriftsatzes vom 6. November 2003 (Bl. 108 d. A.) und
damit nach Ende der Verjährungsfrist erwähnt. Eine Hemmung der Verjährung ist
damit nicht eingetreten. Die Hemmung durch Klageerhebung gemäß § 204 BGB
bezieht sich nur auf die eingeklagten Schadensersatzforderungen, nicht jedoch auf
andere, nicht eingeklagte Schadensfolgen (BGH Urteil vom 19. November 1997,
NJW 1998, 1303; 1304/1305Palandt/Heinrichs, § 204 Rdnr. 15). Dies ist auch nicht
im Angesicht der Feststellungsanträge anders zu beurteilen, da diese sich
ausdrücklich auf „Unterhaltsansprüche“ beziehen. Vergleichsverhandlungen
(Hemmung gemäß § 203 BGB) sind nicht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt § 97 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO: Die Revision war nicht zuzulassen,
da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts
oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichtes erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.