Urteil des OLG Frankfurt vom 27.06.2007

OLG Frankfurt: unabhängigkeit, verschulden, darlehensvertrag, widerrufsrecht, verbraucher, quelle, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, dokumentation, zwangsvollstreckung

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Gericht:
OLG Frankfurt 9.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 W 16/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 563 Abs 2 ZPO
(Zivilprozeßrecht: Grenzen richterlicher Unabhängigkeit
nach Beschwerdeentscheidung; Bindung des Gerichts an
die Rechtsaufassung des Beschwerdegerichts)
Leitsatz
Die richterliche Unabhängigkeit findet ihre Grenze in der Bindung des Richters an das
Gesetz. Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache hat das erstinstanzliche
Gericht gemäß § 563 Abs. 2 ZPO, der bei Zurückverweisung durch das
Beschwerdegericht entsprechende Anwendung findet, die rechtliche Beurteilung, die der
Aufhebung zugrunde gelegen hat, auch seine Entscheidung zugrunde zu legen. Diese
Bindung an die zurückweisende Entscheidung besteht sogar bei verfassungsrechtlichen
Bedenken des Berufungsgerichts (zuletzt BGH, Urteil vom 21.11.2006 - XI ZR 347/05)
und erst recht, wenn keine vom Rechtsmittelgericht nicht bereits berücksichtigten
Umstände zur Begründung der Entscheidung herangezogen werden.
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 28.12.2006 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsteller zu tragen;
außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Antragsteller begehren Prozesskostenhilfe für eine Vollstreckungsgegenklage.
Sie haben zu Steuersparzwecken zwei Eigentumswohnungen erworben und zur
Sicherung der Darlehen, mit denen sie den Kaufpreis finanzierten, Grundschulden
bestellt. Aus diesen betreibt die Antragsgegnerin zu 3) die Zwangsvollstreckung.
Den Beschluss des Landgerichts vom 18.7.2006, mit dem der Antrag auf
Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen worden war, hat der Senat mit
Beschluss vom 2.11.2006 abgeändert und das Landgericht angewiesen, bei der
neuen Entscheidung zu berücksichtigen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Mit Beschluss vom 28.12.2006 hat das Landgericht die Prozesskostenhilfe erneut
mangels Erfolgsaussicht versagt und zur Begründung ausgeführt, es sehe sich zur
Gewährung nicht in der Lage, falls das OLG dies anders sehe, möge es den
entsprechenden Beschluss selbst erlassen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsteller.
Diese ist zulässig, insbesondere an sich statthaft (§§ 567 I Nr. 1, 127 II 2 ZPO)
sowie form und fristgerecht eingelegt worden (§§ 569, 127 II 3 ZPO). Sie hat in der
Sache indes keinen Erfolg, weil das Landgericht die Erfolgsaussicht der
beabsichtigten Klage im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.
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Die Missachtung der Senatsentscheidung vom 2.11.2006 ist grob rechtswidrig. Die
richterliche Unabhängigkeit findet ihre Grenze in der Bindung des Richters an das
Gesetz. Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache hat das
erstinstanzliche Gericht gemäß § 563 Abs. 2 ZPO, der bei Zurückverweisung durch
das Beschwerdegericht entsprechende Anwendung findet, die rechtliche
Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegen hat, auch seiner Entscheidung
zugrunde zu legen. Diese Bindung an die zurückweisende Entscheidung besteht
sogar bei verfassungsrechtlichen Bedenken des Berufungsgerichts (zuletzt BGH,
Urt. v. 21.11.2006 - XI ZR 347/05) und erst recht, wenn – wie hier – keine vom
Rechtsmittelgericht nicht bereits berücksichtigten Umstände zur Begründung der
Entscheidung herangezogen werden.
Dass die angefochtene Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis dennoch
Bestand hat, beruht darauf, dass die Klage aufgrund der – vom Landgericht nicht
berücksichtigten - neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des
Senats tatsächlich keine Aussicht auf Erfolg hat.
Der Vortrag der Antragsteller lässt die zwischenzeitlich konkretisierten
Voraussetzungen des im Senatsbeschluss vom 2.11.2006 dargelegten Anspruchs
auf Schadensersatz wegen Verletzung der Pflicht zur Aufklärung über das
Widerrufsrecht nach dem Haustürwiderrufsgesetz nicht ansatzweise erkennen.
Weder das für den Anspruch erforderliche Verschulden der Bank noch die
Ursächlichkeit der fehlenden Belehrung für den Abschluss des Kaufvertrags sind
dargetan.
Ein Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Widerrufsbelehrung gemäß § 2
HWiG setzt ein Verschulden des Unternehmers voraus. Für eine ausnahmsweise
verschuldensunabhängige Haftung nach § 276 Abs. 1 BGB a.F. fehlt es daran, dass
"ein anderes bestimmt war“. Erst recht kommt die Annahme einer
Gefährdungshaftung nicht in Betracht (BGH, Urt. v. 19.9.2006 – XI ZR 204/04;
BGH, Urt. v. 24.10.2006 XI ZR 265/03; BGH, Urt. v. 19.12.2006 XI ZR 401/03; BGH,
Urt. v. 17.4.2007 XI ZR 130/05; OLG Karlsruhe WM 07, 16, 19).Das Verschulden der
Bank wird zwar nach § 280 Abs. 1 S.2 BGB vermutet, der Bank steht es aber frei,
es zu widerlegen, insbesondere durch einen unverschuldeten Verbotsirrtum, der
hier – wie in den vergleichbaren Fällen auch - naheliegt, weil zumindest vor
Bekanntwerden der Heininger-Entscheidung mit einer Pflicht zur Belehrung nach
dem Haustürwiderrufsgesetz im Darlehensvertrag nicht gerechnet werden musste.
Die Schadensursächlichkeit des Unterlassens einer ordnungsgemäßen
Widerrufsbelehrung ist vorliegend zwar nicht deswegen von vornherein
ausgeschlossen, weil der Verbraucher den Wohnungskaufvertrag bereits vor
Abschluss des Darlehensvertrages abgeschlossen oder er eine ihn bindende
Kaufvertragserklärung abgegeben hatte und der Verbraucher es auch bei
Belehrung nicht hätte vermeiden können, sich den Anlagerisiken auszusetzen
(OLG Frankfurt, Beschl. v. 22.2.2006 – 9 W 5/06 = BKR 06, 156, 157; BGH, Urt. v.
16.5.2006 – XI ZR 6/04; BGH, Urt. v. 19.9.2006 – XI ZR 204/04; BGH, Urt. v.
19.9.2006 – XI ZR 242/05; BGH, Urt. v. 26.9.2006 – XI ZR 283/03; BGH, Urt. v.
26.9.2006 XI ZR 358/04; BGH, Urt. v. 24.10.2006 XI ZR 265/03; BGH, Urt. v.
19.12.2006 – XI ZR 374/04; BGH, Urt. v. 19.12.2006 XI ZR 41/03 und XI ZR 192/04;
BGH, Urt. v. 17.4.2007 XI ZR 130/05). Auch bei der hier gegebenen zeitlichen
Abfolge der Vertragserklärungen muss der Darlehensnehmer indes konkret
darlegen und beweisen, dass der Belehrungsverstoß für den Schaden ursächlich
geworden ist, d.h. dass er den Darlehensvertrag bei ordnungsgemäßer Belehrung
tatsächlich widerrufen hätte. Dafür spricht keine tatsächliche Vermutung, denn
eine solche Vermutung setzt voraus, dass es für ihn bei Belehrung über das
Widerrufsrecht damals nur eine bestimmte Möglichkeit der Reaktion gegeben
hätte. Davon könnte nur ausgegangen werden, wenn die Risiken der Anlage
innerhalb der einwöchigen Widerrufsfrist erkannt worden wären (BGH, Urt. v.
19.9.2006 – XI ZR 204/04; BGH, Urt. v. 24.10.2006 XI ZR 265/03; BGH, Urt. v.
19.12.2006 XI ZR 401/03; BGH, Urt. v. 17.4.2007 XI ZR 130/05; OLG Karlsruhe WM
07, 16, 19; OLG München ZIP 07, 267, 268). Dass dies bei den Antragstellern der
Fall sein könnte, ist nicht ersichtlich.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsteller zu tragen, da ihr
Rechtsmittel in vollem Umfang ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 I ZPO).Eine
Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt nicht in Betracht, da die
Voraussetzungen des § 574 II ZPO nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.