Urteil des OLG Frankfurt vom 20.01.2011

OLG Frankfurt: anwendbares recht, funktionelle zuständigkeit, rechtliches gehör, freiwillige gerichtsbarkeit, präsidium, leistungsklage, rechtssicherheit, akte, anhörung, aktienrecht

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Gericht:
OLG Frankfurt 11.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 AR 16/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 17a Abs 6 GVG, § 16
SpruchG, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO
Gesellschaftrechtliches Spruchverfahren: Anwendbares
Recht bei Erhebung einer nachfolgenden Leistungsklage
vor Inkrafttreten der neuen Regelungen; gerichtliche
Zuständigkeitsbestimmung bei Kompetenzkonflikten
zwischen verschiedenen Spruchkörpern des gleichen
Gerichts
Leitsatz
1.§ 16 SpruchG ist auch anwendbar, wenn das der Leistungsklage zugrunde liegende
Spruchverfahren noch nach altem Recht durchgeführt wurde.
2. Im Verhältnis zwischen einer "allgemeinen" Kammer für Handelssachen und der nach
§ 16 SpruchG berufenen Kammer gilt § 17 a GVG entsprechend. Im Falle eines
Kompetenzkonfliktes ist § 36 Absatz 1 Nr. 6 ZPO anwendbar.
Tenor
Die 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt a.M. ist für die
Entscheidung des Rechtsstreits zuständig.
Gründe
I.
Die Klägerinnen begehren von der Beklagten auf der Grundlage eines im Jahre
1988 abgeschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen
der X AG und der Beklagten Abfindungen für von ihnen gehaltene X-Aktien.
Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag war Gegenstand eines
Spruchverfahrens, das ab dem Jahre 1989 vor der 3. Kammer für Handelssachen
des Landgerichts Frankfurt a.M. geführt worden war (Az. 3-03 O 11/89) und im
Jahre 2009 durch Beschluss des OLG Frankfurt a.M. rechtskräftig abgeschlossen
wurde.
Die Klägerinnen haben die vorliegende Klage im August 2010 beim LG Frankfurt
a.M. eingereicht, wobei sie diese ausdrücklich an die 3. Kammer für
Handelssachen adressiert haben. Die Klage wurde gleichwohl bei der 5. Kammer
für Handelssachen eingetragen, die nach der Geschäftsverteilung des
Landgerichts für das Jahr 2010 für Spruchverfahren zuständig ist. Der Vorsitzende
der 5. Kammer für Handelssachen hat die Sache unter Hinweis auf § 16 SpruchG
dem Vorsitzenden der 3. Kammer für Handelssachen vorgelegt (Bl. 37 d.A.), der
jedoch die Übernahme abgelehnt hat (Bl 38 d.A.).
Die 5. Kammer für Handelssachen hat sich daraufhin nach Anhörung der Parteien
mit Beschluss vom 27.9.2010 für funktionell unzuständig erklärt und den
Rechtsstreit in analoger Anwendung von § 17a GVG an die 3. Kammer für
Handelssachen verwiesen (Bl. 56 ff d.A.). Zur Begründung wurde ausgeführt, nach
§§ 16 SpruchG sei die ausschließliche funktionelle Zuständigkeit der 3. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Frankfurt a.M. gegeben, weil diese das
vorangegangene Spruchverfahren erstinstanzlich entschieden hatte. Die
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vorangegangene Spruchverfahren erstinstanzlich entschieden hatte. Die
Klägerinnen machten ihre Ansprüche aufgrund der im Spruchverfahren
festgesetzten Umtauschrelation geltend.
Es sei der ausdrückliche gesetzgeberische Wille gewesen, dass für Folgeverfahren
derselbe Spruchkörper, d.h. die konkrete Kammer, die mit dem Spruchverfahren
befasst war, zuständig sein solle. Da der vorliegende Rechtsstreit nach
Inkrafttreten des Spruchverfahrensgesetzes anhängig geworden sei, gelte für ihn
auch die Regelung des § 16 SpruchG.
Die 3. Kammer für Handelssachen hat mit Beschluss vom 29.10.2010 die
Übernahme abgelehnt und die Sache dem Senat zur Zuständigkeitsbestimmung
vorgelegt (Bl. 101 d.A.). Es liege kein Fall des § 17a GVG vor. Soweit § 16 SpruchG
überhaupt für Altverfahren anwendbar sei, ergebe sich hieraus allenfalls die
Zuständigkeit allgemein der Kammer für Handelssachen, während die konkrete
Zuständigkeit durch die Geschäftsverteilung bestimmt werde. Die Erwägung, dass
die besonderen Kenntnisse des Spruchverfahrens auch der Folgeentscheidung
zugute kommen sollten, greife schon deshalb nicht, weil der seinerzeitige
Spruchkörper in seiner personellen Zusammensetzung nicht mehr existiere.
II.
1) Das angerufene Oberlandesgericht ist in entsprechender Anwendung des § 36
Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung über den Zuständigkeitskonflikt berufen.
a) Zwar sind Kompetenzkonflikte zwischen verschiedenen Spruchkörpern innerhalb
eines Gerichts grundsätzlich nach § 21e GVG durch das Präsidium dieses Gerichts
zu klären. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Zuständigkeit eines Spruchkörpers
gesetzlich geregelt ist, wie etwa bezüglich der Abgrenzung der Zuständigkeit
zwischen allgemeiner Zivilkammer und Kammer für Handelssachen gemäß §§ 93 ff
GVG, oder im Verhältnis zwischen der allgemeinen Abteilung des Amtsgericht und
dem Familiengericht. Diese Fälle sind der Regelungsbefugnis des Präsidiums
entzogen. Zur Lösung eines entsprechenden Kompetenzkonfliktes ist hier im
Interesse der Rechtssicherheit und im Interesse der Parteien an einer schnellen
Entscheidung über die Zuständigkeit das Verfahren nach § 36 Nr. 6 ZPO
entsprechend anwendbar ((BGHZ 71, 264 = NJW 1978, 1531; Zöller-Vollkommer,
28. Aufl., § 36 ZPO Rdnr. 29, je m.w.Nw; OLG Frankfurt OLGReport 2005, 527; KG
NJW-RR 2008, 1023).
b) Auch durch § 16 SpruchG, auf den sich die 5. Kammer für Handelssachen zur
Begründung ihrer Unzuständigkeit stützt, wird die Zuständigkeit nicht nur eines
bestimmten Gerichts, sondern auch eines bestimmten Spruchkörpers innerhalb
dieses Gerichts unmittelbar durch das Gesetz geregelt, so dass auch insoweit
nicht das Präsidium zur Entscheidung berufen ist.
Die 5. Kammer für Handelssachen hat deshalb zu Recht das Verfahren nicht dem
Präsidium des Landgerichts vorgelegt, sondern in entsprechender Anwendung des
§ 17a GVG an die nach ihrer Auffassung zuständige 3. Kammer für Handelssachen
verwiesen.
Die Anwendbarkeit von § 17a GVG, der nach dem Wortlaut seiner ursprünglichen
Fassung lediglich Streitigkeiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs betraf, im
Verhältnis zwischen ordentlicher streitiger und freiwilliger Gerichtsbarkeit ist
nunmehr in § 17a Abs. 6 GVG auch gesetzlich ausdrücklich geregelt worden;
bereits vorher war die entsprechende Anwendbarkeit im Verhältnis streitige /
freiwillige Gerichtsbarkeit sowie zwischen sonstigen Gerichten bzw.
Gerichtsabteilungen mit besonderen Verfahrensordnung allgemein anerkannt (vgl.
Zöller-Lückemann, ZPO, 28. Aufl., vor § 17 GVG Rdrn. 11 mit zahlreichen weiteren
Nachweisen).
c) Zwar ist eine Verweisung nach § 17a GVG – anders als eine Verweisung nach §
281 ZPO oder § 102 GVG - mit sofortiger Beschwerde anfechtbar (§ 17a Abs. 4
Satz 3 GVG), so dass insoweit für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs.
1 Nr. 6 ZPO grundsätzlich kein Raum ist (BGH NJW 2002, 2474; vgl. auch Zöller-
Lückemann, aaO, Rdnr. 9)). Im vorliegenden Fall kommt eine Beschwerde jedoch
nicht in Betracht, denn die verweisende 5. Kammer für Handelssachen hat mit der
Verweisung dem bereits in der Klageschrift gestellten Antrag der Klägerseite
entsprochen; auch die Beklagte hält die Zuständigkeit der 3. Kammer für
Handelssachen für gegeben. Da diese Kammer die Übernahme des Rechtsstreits
verweigert hat, entspricht die Zulassung eines Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6
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verweigert hat, entspricht die Zulassung eines Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (vgl. Zöller-Vollkommer, § 36 ZPO
Rdnr. 31).
2) a) Die 3. Kammer für Handelssachen ist bereits deshalb zur Entscheidung über
die Klage zuständig, weil der Verweisungsbeschluss der 5. Kammer für
Handelssachen nach § 17a Abs. 2 Satz 3, Abs. 6 GVG bindend ist. Ob die
Bindungswirkung entsprechend den von der Rechtsprechung zu § 281 Abs. 2 Satz
4 ZPO entwickelten Grundsätzen ausnahmsweise entfällt, wenn der Beschluss
willkürlich ist oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen ist, kann hier
offen bleiben, da diese Voraussetzungen hier offensichtlich nicht vorliegen. Die 5.
Kammer für Handelssachen hat beiden Parteien rechtliches Gehör gewährt; sie hat
ihre Entscheidung auch ausführlich begründet.
b) Der Verweisungsbeschluss ist im Übrigen auch inhaltlich richtig. Wie die 5.
Kammer für Handelssachen zutreffend dargelegt hat, entsprach es dem Willen des
Gesetzgebers, dass Leistungsklagen in der Folge eines Spruchverfahrens vor der
konkreten Kammer des erstinstanzlichen Gerichts verhandelt werden, die auch
das Spruchverfahren entschieden hat. Der Zusatz „der gleiche Spruchkörper“
wurde auf Antrag des Bundesrates in § 16 SpruchG aufgenommen, damit die im
Spruchverfahren gewonnenen Erkenntnisse möglichst umfassend verwendet
werden könnten, da ansonsten der mit der Konzentrationswirkung des § 16
SpruchG verfolgte Zweck verloren sei (BT-Drucks. 15/371, S. 26). Darauf, ob dieser
Zweck im konkreten Einzelfall wegen eines zwischenzeitlich eingetretenen
Wechsels in der Besetzung des Spruchkörpers möglicherweise nicht erreicht wird,
kann es im Interesse der Rechtssicherheit und nach dem Wortlaut des Gesetzes
nicht ankommen.
§ 16 SpruchG ist auch im vorliegenden Fall bereits anwendbar, obwohl das
Spruchverfahren selbst noch nach altem Recht durchgeführt worden war.
Zwar scheint der Wortlaut des § 16 SpruchG, wonach die Zuständigkeit des
Gerichts und des Spruchkörpers bestimmt wird, „der gemäß § 2 mit dem
Verfahren zuletzt inhaltlich befasst war“, dafür zu sprechen, dass diese Vorschrift
bei Spruchverfahren, die vor Inkrafttreten des Gesetzes eingeleitet worden waren,
nicht anwendbar sein könnte, weil in diesen Fällen das Gericht des
Spruchverfahrens naturgemäß nicht „nach § 2 SpruchG“ mit der Sache befasst
war. Diese Auslegung erscheint jedoch nicht zwingend.
Denn die Erwägungen, die zu der Konzentration von Folgeverfahren auf den
inhaltlich bereits mit der Sache befassten Spruchkörper geführt haben, treffen auf
die Fälle, in denen das Spruchverfahren – wie hier - noch vor Inkrafttreten des
Spruchverfahrensgesetzes eingeleitet worden war, in gleicher Weise zu. Im Übrigen
ergibt entspricht es der Intention des Gesetzgebers, den als zweckmäßig und
sachgerecht angesehenen neuen Regelungen so früh wie möglich Geltung zu
verschaffen. So wurde etwa auch die Übergangsregelung des § 17 SpruchG auf
Antrag des Bundesrates dahingehend geändert, dass Beschwerden, die nach
Inkrafttreten des Gesetzes eingelegt würden, bereits nach den Vorschriften des
SpruchG zu behandeln seien, auch wenn das erstinstanzliche Verfahren noch nach
altem Recht geführt worden war (BT-Drucks 15/371 S. 26).
Deshalb ist es für die Anwendbarkeit des § 16 SpruchG ausreichend, wenn die
entsprechende Leistungsklage nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben wurde (so
auch Weingärtner in: Heidel, Aktienrecht, 2. Aufl., § 16 SpruchG Rdnr. 6; Rosskopf
in: Kölner Kommentar zum SpruchG, § 16 Rdrn. 12; LG Düsseldorf, Beschlüsse
vom 8.10.2008, 31 O 73/08 (AktE) und 33 O 38/04 – zitiert nach juris; Meilicke,
NZG 2004, 547, 550).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.