Urteil des OLG Frankfurt vom 14.03.2017

OLG Frankfurt: kontrolle, aushändigung, brief, post, kenntnisnahme, unverzüglich, allgemeinverfügung, missbrauch, unterlassen, form

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 599-615/04
StVollz, 3 Ws
599/04 (StVollz), 3
Ws 600/04
(StVollz), 3 Ws
601/04 (StVollz), 3
Ws 602/04
(StVollz)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 29 Abs 1 S 1 StVollzG, § 30
Abs 2 StVollzG
(Strafvollzug: Grenzen der Kontrolle von Verteidigerpost
auf unzulässige Einlagen)
Tenor
1. Der angefochtene Beschluss wird auf die Rechtsbeschwerde in Ziff. 2, 7, 8,
11,12,17 dahingehend abgeändert, dass er folgende Fassung erhält:
Die Justizvollzugsanstalt wird - unter Zurückweisung des weitergehenden
Antrags des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung - verpflichtet, es künftig zu
unterlassen, ordnungsgemäße Verteidigerpost des Antragstellers den in ihrer
Allgemeinverfügung vom 11.11.2003 aufgeführten Kontrollmaßnahmen zu
unterwerfen, sie hat diese vielmehr unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Senats unverzüglich auszuhändigen.
2. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde verworfen.
3. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen des Gefangenen fallen der Staatskasse zur Last.
4. Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 1.000.- €
festgesetzt.
5. Auf die einfache Beschwerde wird Ziff. 19 des angefochtenen Beschlusses
aufgehoben.
Gründe
Mit Allgemeinverfügung vom 4.7.2003 regelte die Justizvollzugsanstalt die
Eingangskontrolle bei Verteidigerpost wie folgt:
"...
2. Der Bereichsleiter oder der/die Stationsbedienstete begibt sich mit dem
ungeöffneten Schreiben zu dem Adressaten/Gefangenen und befragt diesen, ob er
bereit ist, den Umschlag im Beisein des/der Bediensteten zu öffnen und durch
Hochhalten bzw. Ausschütteln des Inhalts nachzuweisen, dass sich außer dem
Verteidigerschreiben keine (unzulässigen) Einlagen darin befinden.
Im Falle des Einverständnisses des Gefangenen wird entsprechend
verfahren, wobei durch ausreichenden Abstand zwischen dem/der Bediensteten
und dem Gefangenen sichergestellt sein muss, dass dem/der Bedienstete keine
Möglichkeit hat, von dem Inhalt bzw. Text des Verteidigerschreibens Kenntnis zu
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Möglichkeit hat, von dem Inhalt bzw. Text des Verteidigerschreibens Kenntnis zu
nehmen.
a. Im Falle der Weigerung des Gefangenen ist die Verteidigerpost
unverzüglich an die Poststelle zurückzugeben.
b. Die Poststelle nimmt umgehend telefonischen Kontakt mit dem Büro der
Rechtsanwaltskanzlei auf und erkundigt sich, ob und wann das Schreiben dort
abgesandt wurde. Sollte diese Auskunft nicht sofort erteilt werden können, hat
der/die Mitarbeiter der Poststelle unter Hinweis darauf, dass das Schreiben
andernfalls unausgehändigt zurückgesandt werden würde, um umgehenden
Rückruf zu bitten.
c. Wird die Absendung des Verteidigerschreibens innerhalb der normalen
Postlaufzeit bestätigt, vermerkt der Mitarbeiter der Poststelle dies und den Namen
derjenigen Person, von der er die Bestätigung erhalten hat, auf einem
gesonderten Blatt und leitet dieses mit dem Verteidigerschreiben an den
zuständigen Bereichsleiter weiter. Erhält der Mitarbeiter der Poststelle innerhalb
eines Tages keine Absendebestätigung des Rechtsanwaltsbüros oder ergibt sich,
dass das Schreiben vor der üblichen Postlaufzeit abgesandt wurde, ergänzt er das
anliegende Begleitschreiben und sendet dieses mit dem Schreiben des
Verteidigers an diesen zurück ..."
Auf der Grundlage dieser Allgemeinverfügung kontrollierte die Anstalt auf der
Vorder- und Rückseite durch einen Stempelaufdruck als „Verteidigerpost“
gekennzeichnete Briefe der Rechtsanwälte A und C, die durch
Vollmachtshinterlegung als Verteidiger des Gefangenen registriert sind.
Namentlich händigte sie einen am 9.10.2003 eingegangenen Brief des
Rechtsanwalts A dem Gefangenen, der sich bei früheren Schreiben der Anwälte
geweigert hatte, diese zu öffnen und auszuschütteln, erst aus, nachdem dessen
Kanzlei auf telefonische Rückfrage erklärt hatte, dass das Schreiben von dort
stammte.
Am 11.11.2003 erhielt die Allgemeinverfügung folgende Fassung:
"...
2. Der Bereichsleiter oder sein Vertreter bestellt zum Zwecke der
Aushändigung der Verteidigerpost den Empfänger (Gefangenen) in den Raum ...
(Station ...), wo im Abstand von mindestens 5 Metern auf dem Boden zwei Punkte
markiert sind. Dort befragt er den Adressaten/Gefangenen, ob dieser bereit ist,
den Umschlag in seinem Beisein zu öffnen und durch Hochhalten und
Ausschütteln des Inhalts nachzuweisen, dass sich außer dem Verteidigerschreiben
keine (unzulässigen) Einlagen darin befinden. Hierbei ist der Gefangene darauf
hinzuweisen, dass sich beide Personen bei diesem Vorgang auf den markierten
Stellen befinden werden, wodurch aufgrund des Abstandes sichergestellt ist, dass
der Bereichsleiter bzw. sein Vertreter keine Möglichkeit haben, von dem Text des
Verteidigerschreibens auch nur bruchstückhaft Kenntnis zu nehmen.
a) Im Falle des Einverständnisses des Gefangenen wird entsprechend
verfahren.
b) Im Falle der Weigerung des Gefangenen ist die Verteidigerpost
unverzüglich an die Poststelle zurückzugeben.
c) Die Poststelle nimmt umgehend telefonischen Kontakt mit dem Büro der
Rechtsanwaltskanzlei auf und erkundigt sich, ob und wann das Schreiben dort
abgesandt wurde. Sollte diese Auskunft nicht sofort erteilt werden können, hat
der/die Mitarbeiter/in in der Poststelle unter Hinweis darauf, dass das Schreiben
andernfalls unausgehändigt zurückgesandt werden würde, um umgehenden
Rückruf zu bitten.
Wird die Absendung des Verteidigerschreibens innerhalb der normalen
Postlaufzeit bestätigt, vermerkt der Mitarbeiter der Poststelle dies und den Namen
derjenigen Person, von der er die Bestätigung erhalten hat, auf einem
gesonderten Blatt und leitet dieses mit dem Verteidigerschreiben wieder an den
zuständigen Bereichsleiter. Erhält der Mitarbeiter der Poststelle innerhalb eines
Tages keine Absendebestätigung des Rechtsanwaltsbüros oder ergibt sich, dass
das Schreiben vor der üblichen Postlaufzeit abgesandt wurde, ergänzt er das
anliegende Begleitschreiben und sendet dieses mit dem Schreiben des
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anliegende Begleitschreiben und sendet dieses mit dem Schreiben des
Verteidigers an diesen zurück.“
Am 10.12.2003 ging ein in vorbeschriebener Weise gekennzeichneter
Verteidigerbrief des Rechtsanwaltes A für den Antragsteller ein. Er wurde in den
vorbezeichneten Raum gerufen und aufgefordert, im Beisein des Bereichsleiters
den Brief zu öffnen, auszuschütteln und den Umschlag zur Sichtkontrolle zu
übergeben. Nach Weigerung des Gefangenen wurde ihm der Brief nicht
ausgehändigt, sondern erst am 11.12.2003 übergeben.
Die Durchführung der Kontrolle sowie die hierdurch bewirkte Verzögerung bei der
Aushändigung der erwähnten sowie weiterer Schreiben seiner Verteidiger hat der
Gefangene mit seinen Anträgen auf gerichtliche Entscheidung beanstandet. Die
Kammer hat im angefochtenen Beschluss nach Auslegung und teilweiser
Umformulierung dieser Anträge u.a. erkannt:
Auf diese Aussprüche beschränkt hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt form- und
fristgerecht „Rechtsbeschwerde“ eingelegt und diese in gleicher Weise mit der
Sachrüge begründet. Das Rechtsmittel ist - soweit es sich gegen Ziffer 19 richtet -
gemäß §§ 120 I StVollzG, 300 StPO als Beschwerde auszulegen (vgl. nachfolgend
II).
I.
Die Rechtsbeschwerde erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des §
116 I StVollzG. Denn die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist, soweit
sie beim Senat angefallen ist, sowohl zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung als auch zur Fortbildung des Rechts erforderlich.
Das Rechtsmittel hat nur zum geringen Teil Erfolg.
Die Kammer hat die Anträge Ziffer 2, 7, 8, 11,12,17 zutreffend als vorbeugende
Unterlassungsbegehren ausgelegt, die wegen Wiederholungsgefahr zulässig sind
StVollzG, 4. Aufl., § 109 Rn 31>. Diese Gefahr ergibt sich schon daraus, dass die
Kontrollpraxis durch die Anstalt als rechtlich zulässig verteidigt wird .
Ob die Anstalt darüber hinaus an dieser Praxis trotz entgegen stehender
Eilanordnungen der Kammer festgehalten hat, worauf diese im angefochtenen
Beschluss maßgeblich abhebt, kann mithin dahin stehen. Die
Fortsetzungsfeststellungsanträge sind - soweit sie beim Senat angefallen sind -
aus dem gleichen Grunde, nämlich Bestehen von Wiederholungsgefahr, zulässig.
Die Anträge erweisen sich nach Überprüfung des angefochtenen Beschlusses
durch das Rechtsbeschwerdegericht auf sachlich-rechtliche Fehler auch - bezüglich
des Unterlassungsbegehrens allerdings nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfange - als begründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats
SH 1979, 46 ff.>, der sich die übrigen Obergerichte - jedenfalls in
Strafvollzugssachen
NStZ 1982, 260> - angeschlossen haben
Karlsruhe, StV 1987, 259; OLG Stuttgart, NStZ 1983, 384 und NStZ 1991, 359
sowie OLG Bamberg, MDR 1992, 507>, und der die Literatur ganz überwiegend
gefolgt ist
zur Gegenmeinung>, ist nach § 29 I 1 StVollzG jede Überwachung der
Verteidigerpost, d.h. jede Kontrolle des gedanklichen Inhalts der Sendung
unzulässig
StV 1987, 259 [260]; s. auch Joester/Wagner, in: AK-StVollzG, § 29 Rn 8>. Denn
Sinn und Zweck des Überwachungsverbotes in § 29 I 1 StVollzG ist es, den
unbefangenen Verkehr zwischen Gefangenen und seinem Verteidiger, d.h. ihren
freien, vor jeder auch nur bloßen Möglichkeit einer Kenntnisnahme des
Kommunikationsinhaltes durch Dritte
geschützten Gedankenaustausch auf schriftlichem Wege zu gewährleisten
OLG Stuttgart ebenda>. Verboten ist deshalb jedes - auch nur teilweises - Öffnen
der Verteidigersendung, wenn nicht gänzlich auszuschließen ist, dass der
Kontrollierende hierdurch bewusst oder unbewusst auch nur Bruchstücke des
Textes wahrnehmen kann, so dass selbst die (teilweise) Öffnung der
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Textes wahrnehmen kann, so dass selbst die (teilweise) Öffnung der
Verteidigerpost zur bloßen Feststellung der Absenderidentität oder die Kontrolle
des Inhalt der Sendung in Form einer groben Sichtung und eines Durchblätterns
der Schriftunterlagen von dem Kontrollverbot umfasst ist
1991, 359 [360]; OLG Koblenz, NStZ 1986, 332; OLG Karlsruhe, NStZ 1987, 259;
OLG Bamberg, MDR 1992, 507>. Dabei macht es keinen Unterschied, vom wem
der Brief geöffnet und die Schriftunterlagen „ausgeschüttelt“ werden. Auch wenn
der Gefangene selbst im Beisein eines Beamten seine Verteidigerpost öffnen und
„ausschütteln“ soll, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beamte
bewusst oder unbewusst Bruchstücke des Inhaltes wahrnehmen kann, ist eine
derartige Kontrollmaßnahme unzulässig
898/3 [StVollz])>. Dies gilt auch dann, wenn die Kontrollmaßnahmen mit
Zustimmung des Gefangenen erfolgt
Saarbrücken, ZfStrVo 2003, 376 m.w.N.>. Zulässig ist hingegen eine Prüfung, ob
überhaupt Verteidigerpost vorliegt, also auf die Absenderidentität, die sich auf nur
äußere Merkmale beschränkt
NStZ 1991, 359 [360])>.
Andererseits ist entgegen der Ansicht der Kammer, nicht jedwede Sichtkontrolle
der Verteidigerpost ausgeschlossen. Die Sendung des Verteidigers darf auf
unerlaubte Einlagen in einer Weise überprüft werden, bei der eine - auch nur
bruchstückhafte - Kenntnisnahme des gedanklichen Inhaltes ausgeschlossen ist
Saarbrücken, ZfStrVo 2003, 376, 377>. Geschützt und von der Kontrolle
ausgenommen nach § 29 I StVollzG ist nämlich nur der Schriftwechsel des
Gefangenen mit seinem Verteidiger. Hierunter sind lediglich die Bestandteile einer
(Post)Sendung - gleichgültig ob sie nun als Brief, Päckchen oder Paket zu
qualifizieren sind - die den Gedankenaustausch zwischen Gefangenen und
Verteidiger betreffen, zu verstehen
§ 29 Rn 15a>. Beilagen sind also dann Bestandteil der Verteidigerpost, wenn sie
sich als untrennbarer Teil dieses Gedankenaustausches darstellen
ZfStrVo SH 1979, 46, ZfStrVo 1993, 118; OLG Nürnberg, ZfStrVo 1997, 372>, also
vom Verteidigungszweck getragen sind
[260].>. Diese Grundsätze schließen zwar aus, die Verteidigerpost daraufhin zu
überprüfen, ob sie neben dem eigentlichen Schriftsatz unzulässige (i.e. vom
Verteidigungszweck nicht umfasste) sonstige schriftliche oder bildliche Unterlagen
enthält. Denn eine solche Überprüfung ist nur durch partielle Kenntnisnahme
deren Inhalts möglich
332>.
Eine Kontrolle auf andere Beilagen als schriftliche Unterlagen, Fotokopien oder
Bilder - z.B. auf Rauschgift oder Geldscheine - schließt § 29 StVollzG hingegen
nicht per se aus. Aus diesem Grunde hat es der Senat
Ws 512/03> für zulässig erachtet, eine Briefsendung des Verteidigers zu röntgen.
Aber auch ein Öffnen der Verteidigerpost durch den Gefangenen zu diesem
letztgenannten Zwecke ist nicht in jedem Falle unzulässig. Sie darf durchgeführt
werden, wenn wirklich jede Möglichkeit der auch nur bruchstückhaften
Kenntnisnahme vom Inhalt der Briefsendung (einschließlich der
Verteidigungszwecken dienenden Beilagen) ausgeschlossen ist, wobei allerdings
ein bloßes Verbot der Vollzugsbehörde an den kontrollierenden Beamten, vom
gedanklichen Inhalt Kenntnis zu nehmen, nicht ausreicht
1979, 46; OLG Karlsruhe, StV 1987, 259 [260]>. Ob es sich bei dieser zulässigen
Öffnung der Verteidigerpost zur Kontrolle auf unzulässige Beilagen im obigen
Sinne nur um eine theoretische (i.e. rein ideell vorstellbare) oder auch praktisch
realisierbare Möglichkeit handelt, hat der Senat hier nicht zu entscheiden. Er hat
sich vielmehr auf die Überprüfung bei ihm konkret zur Entscheidung angefallener
Kontrollpraktiken der Anstalt zu beschränken.
Die bei den verfahrensgegenständlichen Kontrollen der Verteidigerpost des
Antragstellers angewandte, auf den Allgemeinverfügungen vom 4.7.2003 bzw.
11.11.2003 beruhende Kontrollpraxis der Anstalt erweist sich jedoch auch auf der
Basis der soeben dargestellten Rechtsprechung des Senats als rechtswidrig. Es ist
bereits nicht zulässig, generell und unterschiedslos die Aushändigung jeder
eingehenden Post des Verteidigers davon abhängig zu machen, dass der
Gefangene sie öffnet und „ausschüttelt“ oder aber dass die Absenderidentität
durch gesonderte telefonische Nachfrage bestätigt wird (nachfolgend 1).
Außerdem gewährleistet der von der Anstalt praktizierte und dem Gefangenen
abverlangte Modus des Öffnens der Post nicht, dass eine unbefugte
Kenntnisnahme der kontrollierenden Beamten von deren gedanklichen Inhalt
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Kenntnisnahme der kontrollierenden Beamten von deren gedanklichen Inhalt
ausgeschlossen ist (nachfolgend 2). Dies rechtfertigt den Ausspruch des
vorbeugenden Unterlassungsbegehrens im tenorierten Umfange und führt dazu,
dass die Kammer denjenigen Feststellungsbegehren des Gefangenen, die auf
Grund der beschränkten Rechtsmitteleinlegung beim Senat angefallen sind, zu
Recht entsprochen hat (nachfolgend 3).
1.
Dass sich die Prüfung, ob es sich bei der eingehenden Post um Verteidigerpost
handelt und keine unzulässigen Beilagen enthält, grundsätzlich auf äußere
Merkmale beschränken muss
254 [255]; OLG Stuttgart, NStZ 1991, 359 [360]>, bedeutet nicht, dass sich die
Vollzugsbehörde nur auf den äußeren Schein - etwa die Absenderangabe eines
Verteidigers - verlassen müsste
v. 10.8.2004 - 3 Ws 662-663/04 [StVollz]>. Vielmehr muss sich der Verteidiger als
solcher gegenüber der Anstalt durch die Vollmacht des Gefangenen oder seine
Bestellungsanordnung durch das Gericht ausgewiesen haben. Er ist überdies
gehalten, die Verteidigerpost ausreichend zu kennzeichnen. Hierzu gehört nicht
nur, dass er im sichtbaren Adressfeld des Briefes seine Absenderadresse
wiedergibt. Vielmehr ist auch der Umschlag selbst als Verteidigerpost zu
kennzeichnen. Erreicht die Anstalt ein Brief ohne ausreichende Kennzeichnung des
Umschlages oder bestehen sonst begründete Zweifel an dem Vorliegen von
Verteidigerpost, so kann die Anstalt beim Verteidiger Rückfrage halten und wenn
keine ausreichende Abklärung erfolgt, die Sendung an den Absender
zurücksenden , OLG Koblenz NStZ
1986,312>.
Umgekehrt ist - mit Blick auf den von Verfassungs wegen garantierten Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit - das in § 29 StVollzG niedergelegte Recht des
Gefangenen auf unbehinderten und unbefangenen Schriftverkehr mit seinem
Verteidiger verletzt,
wenn die Kontrolle der Absenderidentität über das hierfür erforderliche Maß
hinausgeht, also ohne zureichende Gründe - d.h. einen konkreten Anhalt dafür,
dass die Sendung nicht vom Verteidiger stammt oder unzulässige Einlagen enthält
- die Aushändigung der Post von deren „Ausschütteln“ und im Falle der Weigerung
des Gefangenen einer telefonischen Nachfrage beim Verteidiger abhängig
gemacht bzw. die Sendung zurückgeschickt wird. Denn dem Gesetzgeber war
bekannt, dass das Verbot der inhaltlichen Kontrolle der Verteidigerpost Gefahren
eines Missbrauchs in sich birgt. Er hat diese indes bewusst in Kauf genommen
, um jeder
Beeinträchtigung des zwischen dem Gefangenen und seinem Verteidiger
bestehenden besonderen Vertrauens vorzubeugen. Zielsetzung des § 29 I 1
StVollzG ist nämlich - wie diejenige des § 148 I StPO
NJW 1977, 2172; Laufhütte, In. KK-StPO, 4. Aufl., § -StPO, 5. Aufl. § 148 Rn 4> - die
„völlig freie Verteidigung“ zu gewährleisten, die von jeder Behinderung oder
Erschwerung freigestellt und in deren Rahmen der Anwalt wegen seiner Integrität
als Organ der Rechtspflege jeder Beschränkung enthoben ist
für die vergleichbare Vorschrift des Art. 6 I Buchst. B und c MRK EGMR, EuGRZ
1986, 276>. Eine Beeinträchtigung der freien Verteidigung und des
Vertrauensverhältnisses zum Mandaten ist indes bereits zu besorgen, wenn ohne
besonderen Anlass auch ausreichend und ordnungsgemäß gekennzeichnete Post
eines bei der Anstalt vorschriftsmäßig gemeldeten Verteidigers der Kontrolle
unterworfen wird. Sie bringt nämlich aus der - für eine Störung des
Vertrauensverhältnisses allein maßgeblichen - Sicht des Gefangenen und des
Verteidigers Misstrauen der Anstalt auch gegenüber dem Verteidiger zum
Ausdruck. Ganz abgesehen davon können gerade bei intensivem
Gedankenaustausch zwischen Verteidiger und Gefangenen, also regem
Schriftwechsel, häufige telefonische Nachfragen, für die der Verteidiger keine
Veranlassung gegeben hat, beim diesem zumindest das Gefühl, über die Gebühr
belästigt zu werden, auslösen. Nur bei begründeten Zweifeln an der
Absenderidentität und einem begründeten Verdacht eines Missbrauchs - z.B. wenn
der Aufgabeort der Sendung weit vom Büro des Verteidigers entfernt liegt oder der
Anstalt Hinweise auf einen Missbrauch bekannt geworden sind - ist hingegen dem
vom den Vollzugsbehörden ins Feld geführten öffentliche Sicherheitsinteresse der
Vorrang einzuräumen, nämlich jedenfalls in Anstalten der Sicherheitsstufe I dem
Einschmuggeln gefährlicher Einlagen, namentlich Rauschgift, vorzubeugen.
Diesem Abwägungsergebnis zwischen dem Interesse des Gefangenen am Schutz
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Diesem Abwägungsergebnis zwischen dem Interesse des Gefangenen am Schutz
des Vertrauensverhältnisses zu seinem Verteidiger und dem Sicherheitsinteresse
steht auch nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung der Obergerichte
zuletzt OLG Karlsruhe, NStZ 2004, 517 m.w.N.>, der sich auch der Senat
angeschlossenen hat , in Anstalten der höchsten
Sicherheitsstufe auch die eingehende Gerichts- und Behördenpost zumindest
einer Sichtkontrolle auf die Wahrhaftigkeit des Absenders zulässig ist. Denn zum
einen unterliegt diese Post § 29 III StVollzG, ist also von der Kontrolle gerade nicht
gesetzlich ausgenommen
Gerichtspost derjenigen des Verteidigers gleichzustellen, wurde nicht verwirklicht,
vgl. Joester/Wegner, StVollzG, 4. Aufl., § 29 Rn 10>, zum anderen besteht zwischen
Behörden bzw. Gerichten und dem Gefangenen nicht das für das Kontrollverbot
konstituierende besondere Vertrauensverhältnis.
Dass der erforderliche begründete Zweifel an der Absenderidentität oder der
begründete Verdacht des Missbrauchs im Falle der am 9.10.2003, und 10.12.2003
kontrollierten Verteidigerbriefe ebenso fehlte wie bei den vorangegangenen,
vielmehr die Anstalt ausnahmslos alle eingehenden ordnungsgemäß
gekennzeichneten Sendungen der registrierten Verteidiger des Antragstellers
nach Maßgabe ihrer Allgemeinverfügungen kontrolliert hat, ist für den Senat durch
die Kammer bindend festgestellt.
2.
Die auf den Allgemeinverfügungen vom 4.7.2003 und 11.11.2003 beruhende
Praxis des Aufforderns zum „Ausschütteln“ von Verteidigerpost gewährleistet
zudem nicht, dass jede Möglichkeit, dass der Kontrollierende vom gedanklichen
Inhalt der dem Schutzzweck des § 29 I StVollzG unterliegenden Schriftstücke keine
Kenntnis erlangt, ausgeschlossen ist. Vom Verbot einer inhaltlichen Kontrolle sind
nicht nur der jeweils versandte Schriftsatz des Verteidigers selbst, sondern - wie
bereits dargelegt - auch sämtliche dem Verteidigungszweck getragenen sonstigen
Beilagen umfasst. Es erscheint bereits zweifelhaft - was die Kammer offengelassen
hat, wogegen indes die von ihr durchgeführte Augenscheineinnahme und
Beteiligung auch eines Vertreters der Aufsichtsbehörde spricht -, dass ein Abstand
von 5 Metern zwischen kontrollierenden Beamten und die Methode des
„Ausschüttelns“ sicher ausschließt, dass der Beamte auch nur Bruchstücke des
Textes des in der Hand des Gefangenen befindlichen Schriftsatzes selbst bewusst
oder unbewusst aufnehmen kann, jedenfalls bei Verwendung größerer Schrifttypen
als etwa „Arial 11“. Nicht auszuschließen ist zumindest, dass mit dem Schriftsatz
nicht fest verbundene, dem Gedankenaustausch dienende Anlagen, z.B.
Fotokopien, Bilder, handschriftliche Notizen des Anwalts oder eines Mitarbeiters
des Büros pp. sich bei Schütteln lösen und dann als solche vom Beamten bei
seinem Bemühen festzustellen, ob es sich um unzulässige Beilagen handelt,
zumindest teilweise auch inhaltlich wahr- und aufgenommen werden. Die Kontrolle
solcher Anlagen schließen die Allgemeinverfügungen gerade nicht aus. Vielmehr
beziehen sie das Kontrollverbot ausdrücklich nur auf den Schriftsatz selbst (in der
Nomenklatur der Verfügungen „Verteidigerschreiben“) Eine Bewertung, ob eine
Anlage der Verteidigung dient oder nicht, lässt sich indes ohne nähere
Kenntnisnahme vom Inhalt gar nicht vornehmen lässt
1979, 46; OLG Karlsruhe, StV 1987, 259 (260)>. Dies gilt umso mehr, als die
Verteidigungsstrategie dem kontrollierenden Beamten nicht bekannt ist und auch
nicht bekannt sein darf. Letztere Erwägung lässt ein Verbot, bestimmte Anlagen
von einer „Nachschau“ auszunehmen, weitgehend illusorisch erscheinen
OLG Karlsruhe aaO>. Dies anzumerken, erlaubt sich der Senat vorsorglich mit
Blick auf die mehrfachen, letztlich fehlgeschlagenen Versuche der
Vollzugsbehörden, mit ihrer Kontrollpraxis die Grenzen des nach Rechtsprechung
Zulässigen auszuloten, statt zum jahrzehntelangen praktizierten und vom Senat
auch gebilligten Usus, nur in wirklichen Zweifelfällen Rückfrage beim Verteidiger zu
halten, zurückzukehren oder aber die im Saarland praktizierte Methode
hierzu OLG Saarbrücken, ZfStrVo 2003, 376> zu übernehmen.
Dass diese soeben dargestellte Gefahr des Verstoßes gegen § 29 I 1 StVollzG
durch unzulässige inhaltliche Kontrolle von Anlagen zu Schriftsätzen des
Verteidigers nicht nur theoretischer Natur ist, zeigen nicht zuletzt die
Ausführungen des Anstaltsleiters in der Rechtsbeschwerde überdeutlich. Dort wird
zur Begründung der Notwendigkeit der Kontrolle durch „Ausschütteln“ u.a. darauf
hingewiesen, dass einem „echten Verteidigerbrief“ ein handschriftlicher, in
ausländischer Sprache verfasster Brief eines Angehörigen des Gefangenen
beigefügt gewesen sei, wie bei der Kontrolle nach Maßgabe der
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beigefügt gewesen sei, wie bei der Kontrolle nach Maßgabe der
Allgemeinverfügungen offenbar geworden sei. Genauso gut hätte es sich bei der
inkriminierten Anlage indes um eine handschriftliche Notiz des Verteidigers
handeln können. Festgestellt werden könnte dies nur eine verbotene inhaltliche
Kontrolle.
3.
Nach alledem verstieß die ausnahmslose, nämlich nicht durch konkrete
Anhaltspunkte für einen Missbrauch gedeckte und die Gefahr einer zumindest
bruchstückhaften Wahrnehmung eines geschützten gedanklichen Inhalts der
Verteidigerpost begründende Aufforderung an den Gefangenen, die
verfahrensgegenständlichen Briefe nach Maßgabe der Allgemeinverfügungen
„auszuschütteln“, gegen § 29 I StVollzG. Dass er das Ausschütteln verweigern
konnte, ändert an der Rechtswidrigkeit der Praxis nichts. Entgegen der Ansicht der
Vollzugsbehörde und des Hessischen Ministeriums der Justiz wird durch die
Weigerungsmöglichkeit der in dem aufforderungsgemäßen Ausschütteln liegende
Verzicht auf das Kontrollverbot des § 29 I StVollzG nicht zu einem „freiwilligen“. Er
wird nämlich nur zur Vermeidung einer - durch die dann erforderlich werdende
Nachfrage - Verzögerung des Aushändigung erklärt, welche sich nach den
Feststellungen der Kammer auf den der Kontrolle nachfolgenden Tag verschiebt.
Zudem ist nicht von der Hand zu weisen, dass derjenige Gefangene, der das
Ausschütteln verweigert, in den Verdacht gerät, etwas zu verbergen zu haben, was
negative Auswirkungen im Vollzugsalltag haben kann.
War danach die Aufforderung an den Antragsteller zum „Ausschütteln“
rechtswidrig, so war auch die allein an die Verweigerung des „Ausschüttelns“ und
nicht an begründete Zweifel an der Absenderidentität bzw. an konkrete
Anhaltspunkte für eine Missbrauch der Verteidigerpost zur Übermittlung
unzulässiger Einlagen geknüpfte telefonische Nachfrage beim Verteidiger
rechtswidrig. Ferner führte dieses Procedere dazu, dass die Verteidigerpost nicht
unverzüglich i.S. des § 30 II StVollzG ausgehändigt wurde. Völlig zu Recht führt die
Kammer aus, dass jede durch eine rechtswidrige Kontrolle bewirkte Verzögerung
der Aushändigung von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist und schon deswegen
dem Unverzüglichkeitsgebot widerspricht.
Demzufolge waren die in der Rechtsbeschwerdeinstanz angefallenen
Feststellungsbegehren auch nach der Rechtsauffassung des Senats begründet, so
dass die Rechtsbeschwerde des Anstaltsleiters insoweit zu verwerfen war.
Hingegen war der angefochtene Beschluss im Ausspruch bezüglich des
vorbeugenden Unterlassungsantrags - wie geschehen - enger zu fassen. Zur
Verdeutlichung sei die Rechtsauffassung des Senats, die dieser zu Grunde liegt,
nochmals zusammengefasst:
- Zum einen ist nicht jede künftige Kontrolle der Verteidigerpost an den
Gefangenen unzulässig, sondern lediglich diejenige, die nach Maßgabe der obigen
Ausführungen nicht durch begründete Zweifel an der Absenderidentität und/oder
für einen Missbrauch der Verteidigerpost gedeckt ist.
- Ferner ist auch nicht jede (nur denkbare) Form des Öffnens der
Verteidigerpost bei Vorliegen begründeter Zweifel rechtswidrig. Vielmehr ist
diejenige zulässig, die nach Maßgabe der obigen Ausführungen die Gefahr
ausschließt, dass der Kontrollbeamte bewusst oder unbewusst auch eine, wenn
auch nur geringfügige Inhaltskontrolle wahrnimmt.
- Schließlich kann nicht eine lediglich vorstellbare zukünftige Kontrollpraxis
der Anstalt, sondern nur eine sich aus deren bisherigen Vorgehensweise konkret
abzeichnende Gegenstand eines vorbeugenden Unterlassungsbegehrens sein.
- Gleichzeitig war klarzustellen, dass nicht jede Verzögerung der
Aushändigung der Verteidigerpost, die durch ihre Kontrolle eintritt, zu unterlassen
ist, sondern nur diejenige, die durch eine nach der dargestellten Auffassung des
Senats unzulässige Kontrolle eintritt.
Durch den nur geringfügigen Erfolg der Rechtsbeschwerde war eine Auferlegung
von Kosten auf den Antragsteller nicht veranlasst (§§ 120 I StVollzG, 473 III StPO).
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Gegen die Anordnung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (Ziff. 19 des
angefochtenen Beschlusses) ist die einfache Beschwerde eröffnet, wie der Senat
durch Beschluss vom 22.10.2004 - 3 Ws 928/04 (StVollz) klargestellt hat. Die
Anordnung war aufzuheben, weil .der Senat auch unter Berücksichtigung der
Ausführungen im angefochtenen Beschluss und des Gefangenen in einer
Beschwerdeerwiderung an seiner in ständiger Rechtsprechung vertretenen
Auffassung festhält, dass die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die
Vollzugsbehörde zur Durchsetzung der Entscheidung der
Strafvollstreckungskammer mangels einer gesetzlichen Regelung, insbesondere
Nichtanwendbarkeit der Vorschriften der §§ 170, 172 VwGO unzulässig ist
NStZ 1983, 335, Beschl. 22.10.2004-3 Ws 928/04 (StVollz) mzwN>.
Eine Kostenentscheidung war insoweit nicht veranlasst, weil das Kostenverzeichnis
in Strafvollzugssachen Gebühren nur für die Zurückweisung und die Rücknahme
von Rechtsbeschwerden nicht aber für die Bescheidung von Beschwerden vorsieht
.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.