Urteil des OLG Frankfurt vom 16.11.2004

OLG Frankfurt: widerklage, aufrechnung, gefahr, pachtvertrag, vorfrage, erlass, behandlung, autobahnraststätte, quelle, dokumentation

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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 U 27/04 (Kart)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 301 ZPO
(Unzulässigkeit eines Teilurteils: Aufrechnungsforderungen
zugleich Gegenstand der Widerklage)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten werden das Teilurteil der 11. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16.01.2004 und das
zugrundeliegende Verfahren aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten
Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens
bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Klägerin errichtet und verpachtet bundesweit Tank- und Rastanlagen an den
Bundesautobahnen. Die Beklagten waren Pächter der Autobahnraststätte A. Sie
haben seit September 2000 keine Fixpacht und keine Gebühren für die
Systemführung an die Klägerin bezahlt. Wegen dieses Zahlungsrückstandes hat
die Klägerin den Pachtvertrag mit Schreiben vom 25.11.2002 außerordentlich zum
30.11.2002 gekündigt und Zahlungs- sowie Räumungsklage erhoben, die in beiden
Instanzen Erfolg hatte (Senatsurteil vom 10.02.2004 – 11 U 27/03 (Kart)). Die von
den Beklagten mit der Widerklage geltend gemachten Zahlungs- und
Auskunftsansprüche hatten nach jener Entscheidung keinen Erfolg.
Im vorliegenden Rechtsstreit macht die Klägerin rückständige Pachtzinsen ab
01.01.2002 geltend. Die Beklagten haben erstinstanzlich mit
Schadensersatzansprüchen die Aufrechnung erklärt, die ihnen gegen die Klägerin
nach ihrer Auffassung wegen Verletzung der Pflicht zur Gewährung von
Konkurrenzschutz in dieser Zeit zustehen sollen. Mit Schriftsatz vom 15.01.2004,
der im Original in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am
16.01.2004 vorgelegt wurde, haben die Beklagten auch im vorliegenden
Rechtsstreit eine Widerklage erhoben, mit der sie im Wege der Stufenklage den
Ersatz des von ihnen seit 01.01.2002 (vermeintlich) erlittenen Schadens verlangen
und ihre bisherigen, im Rahmen der Aufrechnung geltend gemachten Argumente
wiederholen und vertiefen.
Das Landgericht hat der Klage mit dem angegriffenen Teilurteil vom 16.01.2004
stattgegeben. Es hat gemeint, eine sittenwidrige Überhöhung der Pacht- und
Systemgebühren hätten die Beklagten nicht schlüssig vorgetragen. Auf eine
Minderung der Pacht- und Systemgebühren wegen Nichtgewährung des
vertragsimmanenten Konkurrenzschutzes könnten sie sich nicht berufen, da
etwaige Gewährleistungsrechte verwirkt seien. Die Aufrechnung mit
Schadensersatzansprüchen sei ihnen wegen des wirksamen
Aufrechnungsverbotes und des Ausschlusses des Zurückbehaltungsrechtes
versagt.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
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Sie beantragen,
das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16.01.2004
abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Das vom Landgericht erlassene Teilurteil ist unzulässig. Ungeschriebene
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Teilurteils ist die Widerspruchsfreiheit
zum Schlussurteil. Die Entscheidung über den Teil des Rechtsstreits muss
unabhängig davon sein, wie das Schlussurteil über den Rest des noch anhängigen
Streitgegenstandes entscheidet. Es darf nicht die Gefahr bestehen, dass es im
Teil- und Schlussurteil zu widersprüchlichen Entscheidungen kommt. In die
Beurteilung der Widerspruchsfreiheit ist die Möglichkeit einer abweichenden
Entscheidung im Instanzenzug einzubeziehen (Zöller/Vollkommer, ZPO, § 301, Rn.
7). Danach liegt ein Fall der Widerspruchsfreiheit hier nicht vor. Ein Teilurteil über
die Klage, der gegenüber mit durch (Eventual-) Widerklage geltend gemachten
Forderungen aufgerechnet wird, ist unzulässig (BGH NJW-RR 94, 380; OLG
Düsseldorf, NJW-RR 95, 575). Die zur Aufrechnung gestellten und die mit der
Widerklage geltend gemachten Ansprüche sind im Wesentlichen identisch. Deshalb
ist nicht auszuschließen, dass in einer höheren Instanz das Aufrechnungsverbot für
nicht durchgreifend erachtet wird und die im Wege der Aufrechnung geltend
gemachten Schadensersatzansprüche für das Jahr 2002 Erfolg haben könnten,
während hinsichtlich derselben Ansprüche im Rahmen der Widerklage eine
abweichende Entscheidung in der unteren Instanz ergeht. Nicht auszuschließen ist
aber auch, dass bei Zubilligung der Ansprüche die Klageforderung in der
Berufungsinstanz infolge der wirksamen Aufrechnung abgewiesen und die Klägerin
im Rahmen der Widerklage (nochmals) zur Zahlung verurteilt würde.
Daran ändert auch nichts, dass die Beklagten mit der Widerklage zunächst
Auskunftsansprüche und erst im Rahmen des Antrags zu Stufe 3 Schadensersatz
geltend machen. Denn schon beim Auskunftsanspruch kommt es darauf an, ob
den Beklagten dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch zustehen kann und
die Wahrscheinlichkeit für einen Schaden besteht. Damit ist die Frage des
Bestehens von Schadensersatzansprüchen im Jahre 2002 zumindest eine sich in
beiden Verfahren stellende gemeinsame Vorfrage, so dass auch aus diesem
Grunde der Erlass eines Teilurteils nicht zulässig war, weil die Gefahr
widersprechender Entscheidungen über eine gemeinsame Vorfrage besteht (vgl.
hierzu Senatsurteil vom 25.05.2004 – 11 U (Kart) 54/03 = OLGR 04, 361).
Der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen lässt sich auch nicht dadurch
begegnen, dass der Senat rechtskräftig über die Berufung entscheidet, weil ein
abweichendes Urteil in der Revisionsinstanz nicht ausgeschlossen werden könnte.
An der Unzulässigkeit des Teilurteils ändert es auch nichts, dass der
Beklagtenvertreter die Widerklage erst einen Tag vor dem Termin zur mündlichen
Verhandlung in der ersten Instanz anhängig gemacht hat. Grundsätzlich kann eine
Widerklage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erhoben werden (BGH
NJW 00, 2513; OLG Hamburg, MDR 95, 526). Auch § 282 ZPO gilt nicht für den
Klage- und Widerklageantrag. Neue Sachanträge können nicht als verspätet
zurückgewiesen, ihre Behandlung kann allenfalls (bei Möglichkeit eines Teilurteils)
zurückgestellt werden (Zöller/Greger, ZPO, § 282, Rn. 2 a).
Ein Teilurteil über den Klageanspruch konnte auch nicht deshalb ergehen, weil die
Widerklage auf Vortrag beruht, der bei der Entscheidung über den Klageanspruch
als verspätet zurückzuweisen wäre, wenn die Widerklage nicht erhoben worden
wäre (BGH NJW 86, 2257; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 33 Rn. 9).
Allerdings wird die Auffassung vertreten, dass eine rechtsmissbräuchliche
Widerklage ein Teilurteil über die Klage nicht verhindere (LG Gießen NJW-RR 03,
381). Von Rechtsmissbrauch ist vorliegend jedoch nicht auszugehen.
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Dem Beklagtenvertreter ist zuzugestehen, dass er insbesondere durch das
Senatsurteil vom 02.12.2003 in einer Parallelsache (11 U 34/03) und das Urteil der
7. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim vom 19.12.2003 (GA 669) erkennen
musste, dass mehrere Gerichte seine Auffassung von der Unwirksamkeit des
Aufrechnungsverbotes im Pachtvertrag nicht teilten, so dass die von ihm bislang
zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen der Beklagten nur noch im Wege
einer Widerklage im vorliegenden Rechtsstreit eingebracht werden konnten. Bei
dieser Sachlage kann der Senat offenlassen, ob der Rechtsauffassung des
Landgerichts Gießen zu folgen wäre und die Gefahr widersprüchlicher
Entscheidungen bei festgestellter missbräuchlicher Erhebung eine Widerklage im
Interesse einer alsbaldigen Entscheidung in Kauf genommen werden könnte.
Der Senat hat zwar erwogen, den noch in der ersten Instanz verbliebenen Teil des
Rechtsstreits in die Berufungsinstanz „hochzuziehen“ und gemeinsam mit dem
bereits hier angefallenen Teil zu verhandeln und zu entscheiden. Gemäß § 538
Abs. 2 Nr. 7 ZPO kann das Berufungsgericht bei Erlass eines unzulässigen
Teilurteils durch die erste Instanz die Sache unter Aufhebung des Urteils und des
Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn eine
Partei die Zurückverweisung beantragt. Darüber hinaus bedarf es in diesem Fall
eines Antrages nicht. Nachdem sich in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat beide Parteien für eine Zurückverweisung der Sache ausgesprochen haben,
sieht der Senat von einem Heraufziehen des noch in der ersten Instanz
anhängigen Teils ab, zumal in der Widerklagebegründung der bisherige
Sachvortrag der Beklagten vertieft und erweitert wird, so dass es sachgerecht
erscheint, die Verhandlung und Entscheidung über diesen Streitstoff nicht auf eine
Tatsacheninstanz zu beschränken.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und des erstinstanzlichen Urteils werden
niedergeschlagen (§ 8 GKG a. F.).
Im Übrigen war die Kostenentscheidung dem erstinstanzlichen Schlussurteil
vorzubehalten.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.