Urteil des OLG Frankfurt vom 09.02.2007

OLG Frankfurt: urlaub, fristlose entlassung, fristlose kündigung, geschäftsführer, auskunft, verzicht, aufrechnung, beendigung, anstellungsverhältnis, hessen

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Gericht:
OLG Frankfurt 24.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 U 185/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 145 BGB, § 7 Abs 4 BUrlG
(GmbH-Geschäftsführer: Urlaubsabgeltung nach fristloser
Kündigung)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts
Darmstadt vom 29.06.2006 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.287,76 Euro nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2003 zu zahlen,
davon 9.902,76 Euro nur Zug um Zug gegen Auskunft über die Einnahmen und
Ausgaben aus der "Alukasse" (Verwertung von Aluminiumabfällen).
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der ersten Instanz zu 47 %, die Kosten des
Rechtsmittels zu 37 % zu tragen.
Die Beklagte hat die Kosten der ersten Instanz zu 53 %, die Kosten des
Rechtsmittels zu 63 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1.
Der Kläger war Geschäftsführer der Beklagten. Im Anstellungsvertrag vom
05.05./09.05.1994 heißt es unter anderem:
Im Manteltarifvertrag für kaufmännische und technische Angestellte der
Druckindustrie in Hessen ist unter anderem das Folgende geregelt:
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Die Beklagte kündigte das Anstellungsverhältnis zum Kläger unter dem
09.01.2003 fristlos und erteilte ihm Hausverbot. Grundlage dieser Kündigung
waren Unterschlagungen, derer sich der Kläger – unstreitig – schuldig gemacht
hatte.
Der Kläger begehrt Zahlung anteiligen Gehalts für den Monat Januar 2003,
Urlaubsabgeltung und Urlaubsgeld für das Kalenderjahr 2002. Das Landgericht hat
ihm restliches Gehalt, Urlaubsabgeltung und Urlaubsgeld zugesprochen, hierbei
aber – auch aufgrund einer von Beklagtenseite erklärten Aufrechnung – Abstriche
der Höhe nach gemacht, die Beklagte wegen eines Teilbetrages auch nur Zug um
Zug gegen Erteilung einer Auskunft verurteilt.
Wegen der vom Landgericht gefundenen Gründe und der seiner Entscheidung
zugrunde gelegten tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil vom
29.06.2006 verwiesen.
Mit der Berufung trägt die Beklagte vor, Urlaubsabgeltung und Urlaubsgeld
stünden dem Kläger schon deshalb nicht zu, weil er seinen auf das Kalenderjahr
2002 entfallenden Urlaub innerhalb dieses Kalenderjahres hätte geltend machen
müssen. Die Gewährung von Urlaubsgeld sei ohnehin im Falle berechtigter
fristloser Kündigung seitens der Arbeitgeberin ausgeschlossen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom
29.06.2006, Aktenzeichen 4 O 1/06, die Klage kostenpflichtig zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin (B GmbH)gegen das
Urteil des Landgerichts Darmstadt – Az.: 4 O 1/06 – vom 29.06.2006 wird
zurückgewiesen.
Wegen des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vor
dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
2.
Die Berufung ist nur insoweit begründet, als es den – durch berechtigte fristlose
Kündigung entfallenen – Anspruch des Klägers auf Gewährung von Urlaubsgeld
betrifft.
a)
Anteiliges Gehalt für den Monat Januar 2003 kann der Kläger ganz so
beanspruchen, wie das Landgericht es ihm zugesprochen hat. Im Ansatz unstreitig
ist der rechnerische Ausgangspunkt, nämlich die rechnerische Höhe anteiligen
Gehalts in Höhe von 2.188,88 Euro. Von diesem Betrag hat das Landgericht auf
der Grundlage der von Beklagtenseite erklärten Aufrechnung Gegenforderungen in
Höhe von insgesamt 1.803,88 Euro abgesetzt; auch dies ist nicht – mehr – streitig.
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Landgericht zu Recht eine weitere
Gegenforderung in Höhe von 385,00 Euro unberücksichtigt gelassen. Zu dieser
tatbestandlich streitigen Forderung – angeblich betrügerische Abrechnung privater
Aufwendungen "Seminar Restaurant A" – hat das Landgericht zu Recht einen
endgültigen Verzicht der Beklagten auf das ursprünglich zu diesem Punkt
eingeführte Beweismittel angenommen. In Übereinstimmung mit dem vom
Landgericht gefundenen Verständnis entnimmt auch das Berufungsgericht der im
nachgelassenen Schriftsatz vom 08.06.2006 enthaltenen Passage "behält sich die
Beklagte vor, zur Vermeidung einer Beweisaufnahme diesen Betrag nicht mehr
streitig zu stellen", dass damit über den Wortlaut hinaus aus
prozessökonomischen Gründen ein endgültiger Verzicht auf eine Beweiserhebung
zu diesem vergleichsweise niedrigen Betrag erklärt werden sollte.
b)
Urlaubsgeld für das Kalenderjahr 2002 konnte der Kläger nicht beanspruchen.
Nach § 10 Nr. 4 Abs. 1 des Manteltarifvertrages darf "das … Urlaubsgeld …
einbehalten werden, wenn das Ausscheiden … aufgrund einer berechtigten
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einbehalten werden, wenn das Ausscheiden … aufgrund einer berechtigten
fristlosen Entlassung durch den Arbeitgeber erfolgt". Diese für das
Anstellungsverhältnis zum Kläger an sich nicht einschlägige tarifvertragliche
Regelung war durch die zu § 6 des Anstellungsvertrages vom 05./09.05.1994
getroffene Vereinbarung in das dienstvertragliche Verhältnis der Parteien
einbezogen worden; die Beklagte war "Arbeitgeberin" im Sinne dieser Regelung,
und es handelte sich unstreitig auch um eine "berechtigte fristlose Entlassung".
c)
Urlaubsabgeltung steht dem Kläger hingegen im begehrten Umfange zu. Er hatte
in dem bei Zugang der Kündigung gerade abgelaufenen Kalenderjahr einen Teil
des ihm zustehenden Urlaubs noch nicht genommen, und dies eröffnete den
Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG. Nach dieser Regelung ist Urlaub, der
wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr
gewährt werden kann, abzugelten. Ohne dass es dafür weiterer Handlungen des
Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers bedürfte1, wird der noch nicht erfüllte
Urlaubsanspruch in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt.
Dem Kläger stand bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein noch nicht erfüllter
Urlaubsanspruch zu. Wie unstreitig ist, hatte er im gerade abgelaufenen
Kalenderjahr 2002 von den ihm an sich vertraglich (§ 6 des Anstellungsvertrages i.
V. m. § 9 Ziffer 4 des Manteltarifvertrages) zugebilligten 30 Urlaubstagen 24 noch
nicht genommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten war sein
Urlaubsanspruch nicht mit dem "urlaubstechnisch" fruchtlosen Ablauf des
Kalenderjahres entfallen. Denn der anstellungsvertragliche Urlaubanspruch konnte
über das Kalenderjahr hinaus bis zum 31. März des Folgejahres – hier also des
Jahres 2003 – geltend gemacht werden. So ergab es sich ohne weiteres im
Umkehrschluss aus der anknüpfend an § 6 des Anstellungsvertrages im Verhältnis
der Parteien anzuwendenden tarifvertraglichen Regelung des § 9 Nr. 10 "Urlaub
oder Urlaubsteile, die nicht bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres geltend
gemacht wurden, werden nicht gewährt."
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger seinen Urlaubsanspruch
nicht deshalb verloren, weil er Urlaub nicht beansprucht hätte. Aus dem soeben
Ausgeführten ergibt sich unmittelbar, dass ein Verlust des Urlaubsanspruchs in
zeitlicher Hinsicht noch nicht eingetreten war, dass der Kläger also seinen
gesamten rechnerischen Urlaubsanspruch von 24 Arbeitstagen noch innerhalb des
nach § 6 des Anstellungsvertrages i. V. m. § 9 Nr. 10 des Manteltarifvertrages
verbleibenden Zeitraums hätte geltend machen können. In sachlicher Hinsicht
verlor der Kläger den Urlaubsanspruch nicht dadurch, dass er ihn nach Zugang der
Kündigung nicht mehr geltend machte. Denn nunmehr hätte die Beklagte ihm gar
keinen Urlaub mehr gewähren können, da das Arbeitsverhältnis erloschen war; ein
Urlaubsantrag wäre nicht einmal inhaltslose Förmlichkeit gewesen, hätte vielmehr
jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt – Grundlage der Urlaubsgewährung kann nur
ein bestehendes Arbeits- oder Dienst-Verhältnis sein.
Schließlich – und entgegen der Auffassung der Beklagten – fehlte es der
Anwendung des § 7 Abs. 4 BUrlG auch nicht deshalb an der tatbestandlichen
Grundlage, weil der 1 BAG AP Nr. 29 zu § 7 BUrlG Kläger nicht Arbeitnehmer war.
Denn die Parteien haben ihr Rechtsverhältnis, soweit es den Urlaubsanspruch des
Klägers betraf, mit der zu § 6 des Anstellungsvertrages getroffenen Regelung im
Rechtsverhältnis des Arbeitgebers zum Arbeitnehmer gleichgestellt. § 9 des
Manteltarifvertrages setzt die Rechtsfigur der Urlaubsabgeltung ausdrücklich
voraus, regelt aber ihre Voraussetzungen nicht positiv (§ 9 Ziffer 6 des
Manteltarifvertrages). Die Einbeziehung der manteltarifvertraglichen Regelungen in
das Anstellungsverhältnisses bedingte deshalb zwingend die Einbeziehung auch
der Regelung, die dem manteltariflichen Bezug auf eine Urlaubsabgeltung
zugrunde liegt, und dies ist § 7 Abs. 4 BUrlG.
Der Höhe nach – rechnerisch – ist die Urlaubsabgeltung für das Jahr 2002 mit
9.902,76 Euro unumstritten.
d)
Die Verurteilung der Beklagten ist aber anknüpfend an das von ihr geltend
gemachte Zurückbehaltungsrecht Zug um Zug gegen Erteilung einer Auskunft zur
Verwendung der Erlöse aus der "Alukasse" einzuschränken. Die vom Landgericht
zur Entstehung des Zurückbehaltungsrechts angestellten Erwägungen sind in der
Berufungsinstanz nicht angegriffen worden, auch sachlich offensichtlich richtig.
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Berufungsinstanz nicht angegriffen worden, auch sachlich offensichtlich richtig.
Soweit das Landgericht die Reichweite des Zurückbehaltungsrechts allerdings auf
einen Teilanspruch eingrenzt, folgt das Berufungsgericht dem nicht. Die Beklagte
hat eine Beschränkung nicht ausgesprochen, und angesichts des wirtschaftlichen
Gewichts der Auskunft ist eine Beschränkung unterhalb des auszuurteilenden
Betrages auch nicht angebracht.
3.
Das Berufungsgericht erachtet die gesetzlichen Voraussetzungen einer Zulassung
der Revision für nicht gegeben.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.