Urteil des OLG Frankfurt vom 05.11.2008

OLG Frankfurt: versicherer, sachverständigenkosten, verkehrsunfall, verdacht, aufwand, unkosten, dokumentation, entschädigung, überholen, sicherheit

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Gericht:
OLG Frankfurt 18.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
18 W 359/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 91 ZPO
Kosten des Rechtsstreits: Anspruch eines KFZ-
Haftpflichtversicherers auf Erstattung von vor einer
Klageandrohung veranlassten Gutachterkosten
Leitsatz
Die Aufwendungen eines Kraftfahrzeugpflichtversicherers für die noch vor
Klageandrohung erfolgte Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung des
Unfallhergangs können Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO
sein, wenn der Gutachtenauftrag erteilt wird.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss
des Landgerichts Gießen vom 25. Juni 2008 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Aufgrund des Beschlusses des Landgerichts Gießen vom 20. Mai 2008 sind von
dem Kläger an Kosten 6.477,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.493,05 EUR seit dem 2. Mai 2008
und aus 3.984,43 EUR seit dem 19. Mai 2008 an die Beklagte zu erstatten.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Beschwerdewert beträgt 3.984,43 EUR.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist statthaft (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567
Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§§ 567 Abs. 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO). Auch in der
Sache selbst hat das Rechtsmittel Erfolg.
Zu Unrecht hat das Landgericht die von der Beklagten angemeldeten Kosten für
ein von ihr vorprozessual zur Aufklärung des Unfallhergangs eingeholtes
Sachverständigengutachten nicht als erstattungsfähig anerkannt. Tatsächlich
handelt es sich bei der von dem Sachverständigen SV1 unter dem 16. Januar 2007
in Rechnung gestellten Vergütung in Höhe von 3.984,43 EUR um notwendige
Kosten des Rechtsstreits, die gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähig sind.
1. Richtig ist allerdings, dass die Kosten für ein vorprozessual eingeholtes
Privatgutachten nur ausnahmsweise als „Kosten des Rechtsstreits“ im Sinne von §
91 Abs. 1 Satz 1 ZPO angesehen werden können. Insoweit genügt es nicht, wenn
das Gutachten irgendwann in einem Rechtsstreit verwendet wird, sondern das
Gutachten muss sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade mit
Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden sein. Deshalb
sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit
einigermaßen konkret abzeichnet, regelmäßig nicht erstattungsfähig. Damit soll
verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder
prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess
verteuert. Die Partei hat dabei grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre
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verteuert. Die Partei hat dabei grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre
Ersatzberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch
entstehenden Aufwand selbst zu tragen. Deshalb genügt die Vorlage eines in
diesem Zusammenhang erstellten Gutachtens allein grundsätzlich nicht. Die
Tätigkeit des Privatsachverständigen muss vielmehr in unmittelbarer Beziehung zu
dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit stehen (BGH, NJW 2003, 1398, 1399;
NJW 2006, 2415; NJW 2008, 1597, 1598).
Unmittelbar prozessbezogen ist die Tätigkeit eines Privatsachverständigen
regelmäßig dann, wenn das Gutachten erst nach einer vom Gegner
ausgesprochenen Klageandrohung in Auftrag gegeben (BGH, NJW 2003, 1398,
1399) oder fertig gestellt (BGH, NJW 2006, 2415, 2416) wurde. Die
Prozessbezogenheit kann aber auch dann zu bejahen sein, wenn ein auf
Entschädigung in Anspruch genommener Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer noch
vor einer Klageandrohung ein Sachverständigengutachten einholt, weil er aufgrund
konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte den nahe liegenden Verdacht hegt, dass er
Opfer eines Versicherungsbetrugs werden soll (OLG Hamm, ZfSch 2003, 145).
Besteht hinreichender Anlass für die Vermutung eines unlauteren
Zusammenwirkens zwischen den am – angeblichen – Verkehrsunfall unmittelbar
Beteiligten, muss der Versicherer, der eine Regulierung ablehnt, in aller Regel mit
einer Klage rechnen, da die Gegenseite die ihr vermeintlich günstige
Beweisposition ausnutzen möchte. Dies gilt umso mehr, wenn der geschilderte
Unfallhergang scheinbar ganz eindeutig für ein Alleinverschulden des
Versicherungsnehmers bzw. des Mitversicherten spricht (OLG Koblenz, NJW-RR
2004, 286; OLG Rostock, MDR 2005, 754).
So liegen die Dinge im vorliegenden Fall. Wie sich aus dem mit der
Klageerwiderung vorgelegten unfallanalytischen Gutachten des Sachverständigen
SV1 ergibt, hat die Beklagte den Gutachtenauftrag deshalb erteilt, weil die ihr
gegenüber von dem Kläger und von dem Fahrer des versicherten Fahrzeugs, dem
Zeugen Z1, abgegebene Unfallschilderung nicht nur den Aussagen der weiteren
polizeilich vernommenen Zeugen, sondern auch ihren eigenen in den
Ermittlungsakten dokumentierten Angaben am Unfallort widersprach. Wie der
Polizeibeamte Z2 bei seiner Vernehmung durch das Landgericht nochmals
bestätigt hat, hatte der Zeuge Z1 am Unfallort angegeben, das Klägerfahrzeug sei
bei dem Versuch, rechts zu überholen, ins Schleudern geraten. Dies habe, so der
Polizeibeamte Z2, den Schilderungen der übrigen Unfallzeugen entsprochen. In
den später eingegangenen Unfallbögen hätten der Kläger und der Zeuge Z1 den
Unfallhergang dann jedoch völlig anders dargestellt, nämlich dahin, dass der Unfall
von dem Zeugen Z1 verschuldet worden sei. Hierüber sei er, der Zeuge Z2, sehr
verwundert gewesen. Auch gegenüber der Beklagten haben der Kläger und der
Zeuge Z1 behauptet, der Unfall sei auf einen Anstoß des versicherten
Kraftfahrzeugs gegen das Klägerfahrzeug zurückzuführen, obwohl von einem
solchen Anstoß am Unfallort nicht die Rede gewesen war. Die Beklagte musste
deshalb annehmen, dass der Kläger beabsichtigte, ihr gegenüber in kollusivem
Zusammenwirken mit dem Zeugen Z1 einen tatsächlich nicht gegebenen
Schadensersatzanspruch zu realisieren. Da sich der Kläger auf das ihm günstige
Zeugnis des anderen – angeblich – Unfallbeteiligten stützen konnte, musste die
Beklagte zugleich damit rechnen, dass der Kläger versuchen würde, seine –
vermeintlich – günstige Beweisposition auszunutzen und den geltend gemachten
Anspruch notfalls im Wege der Klage durchzusetzen, wie dies später auch
tatsächlich geschehen ist. Die Beklagte war daher zur Wahrung ihrer eigenen
Belange gehalten, den von ihr gehegten Betrugsverdacht durch die Einholung
eines Privatgutachtens zu erhärten und damit zugleich die vorhandenen Beweise
zu sichern. In einem derartigen Fall ist die Prozessbezogenheit der für das
Gutachten verauslagten Kosten ausnahmsweise zu bejahen. Unerheblich ist dabei,
dass die Klage erst zehn Monate nach Beauftragung des Sachverständigen und
acht Monate nach Fertigstellung des Privatgutachtens erhoben worden ist. Dieser
zeitliche Ablauf ist schon deshalb unbeachtlich, weil ansonsten ein ursprünglich zur
alsbaldigen Klageerhebung entschlossener Versicherungsbetrüger es in der Hand
hätte, durch zwischenzeitliches Zuwarten dem Privatgutachten des Versicherers
die Prozessbezogenheit zu nehmen (OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 286; OLG
Rostock, MDR 2005, 754).
2. Die Beauftragung des Sachverständigen SV1 durch die Beklagte war auch zur
zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig. Die Beurteilung dieser Frage
hat sich daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig
denkende Partei diese die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich
ansehen durfte. Dabei darf die Partei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange
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ansehen durfte. Dabei darf die Partei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange
erforderlichen Schritte ergreifen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt eine
Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens dann in Betracht, wenn die Partei
infolge fehlender Sachkenntnisse nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der
Lage ist (BGH, NJW 2003, 1398, 1399 m. w. Nachw.). Im vorliegenden Fall hatte die
Beklagte aus den dargestellten Gründen konkreten Anlass, an der
Unfallschilderung des Klägers und des Zeugen Z1 zu zweifeln. In solchen Fällen, in
denen ein Versicherungsbetrug ernsthaft in Betracht kommt, gestaltet sich für den
Versicherer der Nachweis eines versuchten Versicherungsbetrugs
erfahrungsgemäß schwierig. Der Versicherer wird in der Regel selbst nicht die
Sachkenntnis besitzen, die erforderlich ist, um eine Verursachung der geltend
gemachten Schäden durch den Unfall mit hinreichender Sicherheit und
Überzeugungskraft auszuschließen oder den ihr präsentierten Unfallhergang zu
widerlegen. Er bedarf daher regelmäßig sachverständiger Hilfe, um den zur
Rechtsverteidigung erforderlichen Vortrag halten zu können, und kann deshalb
nicht darauf verwiesen werden, zunächst die Einholung eines
Sachverständigengutachtens durch das Gericht abzuwarten. Jedenfalls ist es in
einem solchen Fall zweckmäßig, wenn die Partei sich sachkundig beraten lässt,
ehe sie vorträgt (BGH, NJW 2006, 2415, 2416).
3. Da der Kläger gegen die Höhe der geltend gemachten Sachverständigenkosten
keine Einwendungen erhoben hat, waren diese unter Abänderung des angefochten
Beschlusses antragsgemäß festzusetzen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Beschwerdewert
entspricht den angemeldeten Sachverständigenkosten. Die Rechtsbeschwerde war
nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.