Urteil des OLG Frankfurt vom 03.11.2009

OLG Frankfurt: freiwillige gerichtsbarkeit, unterbringung, gefahr, hessen, sicherstellung, verzicht, sicherungsverwahrung, zahl, vergewaltigung, entlassung

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Gericht:
OLG Frankfurt 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 W 330/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15a Abs 1 S 1 SOG HE, §
15a Abs 4 S 3 SOG HE, § 15
Abs 5 S 6 SOG HE
(Gefahrenabwehr: Höchstzeitraum für die Verlängerung
einer Telekommunikationsüberwachung in Hessen;
Unterbrechung der Anzahl durch kurzfristige Unterbringung
des Betroffenen; Überwachung zum Zweck der
vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten)
Leitsatz
1. Bei der Telekommunikationsüberwachung nach § 15a HSOG sind mehr als drei
Verlängerungen nicht zulässig.
2. Die vor einer kurzfristigen Unterbringung des Betroffenen angeordneten
Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen zählen bei der Zahl der
Verlängerungen für weitere Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen mit.
3. § 15a HSOG dient nicht zur Bekämpfung von Straftaten im Vorfeld einer konkreten
Gefahr.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Geschäftswert: 3.000,00 €
Gründe
I.
Das Amtsgericht Offenbach hat durch Beschluss vom 31.10.2009 die Anträge des
Polizeipräsidiums O1 vom 29.10.2009, die gem. § 15a HSOG angeordnete
Telekommunikationsüberwachung für die Dauer von bis zu drei Monaten zu
verlängern, zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner
Beschwerde vom 03.11.2009, der das Amtsgericht nicht abgeholfen, sondern die
Akten mit den polizeilichen Erkenntnissen und den zuvor in dieser Sache
ergangenen Beschlüssen des Amtsgerichts und des Landgerichts Darmstadt dem
Oberlandesgericht durch besonderen Wachtmeister vorgelegt hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angegriffenen Beschluss und die
eingelegte Beschwerde sowie sämtliche Anlagen verwiesen.
II.
Der Senat bejaht seine Zuständigkeit für die Entscheidung über die Beschwerde.
Nach § 15a Abs. 4 HSOG i. V. m. § 39 Abs. 1 HSOG richtet sich dieses Verfahren
nach den Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit. Dieses Gesetz ist jedoch für Verfahren, die ab dem 01.09.2009
begonnen haben, infolge des FGG-Reformgesetz nicht mehr in Kraft (Art. 112
FamFG) und insoweit durch das FamFG abgelöst. Ein Verlängerungsantrag ist kein
Altfall i.S.v. Art. 111 FamFG mit der Folge, dass auch die vor dem 01.09.2009
bestehende Beschwerdezuständigkeit des Landgerichts nicht mehr gegeben ist.
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bestehende Beschwerdezuständigkeit des Landgerichts nicht mehr gegeben ist.
Es handelt sich somit um eine unbeabsichtigte Regelungslücke, die durch die
entsprechende Anwendung der an die Stelle des FGG getretenen Vorschriften
auszufüllen ist.
Der Senat sieht davon ab, die durch den erstinstanzlichen Richter verfügte Vorlage
an den Senat aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzugeben, weil
das Amtsgericht keinen Abhilfebeschluss nach § 68 Abs. 1 S. 1 FamFG erlassen
hat, denn das Beschwerdevorbringen enthält im Ergebnis keinen wesentlichen
neuen Vortrag oder neue Rechtsausführungen (zum Erfordernis der
Nichtabhilfeentscheidung: Keidel/ Sternal, FamFG, 16 Aufl. § 68 Rn 9 - 34).
Die Beschwerde ist zulässig aber nicht begründet. § 15a HSOG gestattet die
Telekommunikationsüberwachung durch richterliche Anordnung, wenn dies zur
Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person
unerlässlich ist. Diese Maßnahme ist nach § 15a Abs. 4 S. 3 HSOG i.V.m. § 15 Abs.
5 S. 6 HSOG auf höchstens drei Monate zu befristen, wobei eine dreimalige
Verlängerung um jeweils höchstens drei Monate zulässig ist, soweit die
Voraussetzungen fortbestehen.
Diese Verlängerungsmöglichkeiten hat der Antragsteller bereits ausgeschöpft, wie
schon das Amtsgericht zu Recht ausgeführt hat, denn der Antragsteller hat
folgende gerichtlichen Überwachungsanordnungen nach dem HSOG hinsichtlich
des Betroffenen erwirkt:
Zuerst hat das Amtsgericht Hanau durch Beschluss vom 05.12.2008 (52 Gs
97/08) eine Telekommunikationsüberwachungsanordnung gem. § 15a HSOG bis
zum 04.01.2009 erlassen. Als Grund ist im Beschluss angeführt, der Betroffene
werde am 10.oder 12.12.2008 aus der Strafhaft nach der Endzeitverbüßung seiner
Strafe wegen Vergewaltigung entlassen. Die Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung sei vom Landgericht in Hanau durch Urteil vom 13.11.2008
aus Rechtsgründen abgelehnt worden, die Entscheidung sei aber noch nicht
rechtskräftig. Aus dem Urteil in Verbindung mit den Darlegungen der vor Gericht
angehörten Gutachter bestehe jedoch eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür,
dass der Betroffene nach seiner Entlassung ein Verbrechen der Vergewaltigung
oder der sexuellen Nötigung begehen werde. Die Anordnung sei zum Schutz der
etwa betroffenen Frauen unerlässlich.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Hanau vom 11.12.2008 (52 Gs 97/08) ist die
Telekommunikationsanordnung auf einen Mobilfunkanschluss, der der
Kriminalpolizei nachträglich bekannt geworden ist, für den nämlichen Zeitraum
erweitert worden. Mit Beschluss vom 15.12.2008 hat das Amtsgericht Hanau für
die Dauer von drei Wochen zusätzlich die Sicherstellung von Postsendungen
angeordnet, die der Betroffene an weibliche Personen adressiert hat.
Wiederum durch Beschluss des Amtsgerichts Hanau vom 22.12.2008 (52 Gs
97/08) ist die Telekommunikationsüberwachungsanordnung bis zum 31.01.2009
verlängert und darüber hinaus die Sicherstellung von Postsendungen angeordnet
worden, die der Betroffene an weibliche Personen adressiert hat bzw. von
weiblichen Personen erhält.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Hanau vom 20.01.2009 (52 Gs 97/08) sind
diese Maßnahmen bis zum 15.02.2009 verlängert worden.
Am 03.02.2009 hat der entscheidende Richter beim Amtsgericht Hanau dem
Antragsteller auf dessen Antrag vom 28.01.2009, mit dem er u. a. die
Sicherstellung von Adressbüchern des Betroffenen beantragt hatte, mitgeteilt,
dass er mit der Einlieferung des Betroffenen in das PKH das unter 52 Gs 97/09
geführte Verfahren als beendet angesehen habe. Die vorausgegangenen
Entscheidungen habe er nur wegen der zeitlichen Nähe zum landgerichtlichen
Urteil erlassen. Weitere Anträge seien an das örtlich zuständige Amtsgericht in
Offenbach zu richten.
Durch Beschluss vom 04.05.2009 des Amtsgerichts Offenbach (20 Gs 34/09)
wurde die Telekommunikationsüberwachung für den Festnetzanschluss bis zum
18.05.2009 angeordnet. Dabei hat der Richter unter Verweisung auf das in einem
psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 28.10.2008 festgestellte hohe
Rückfallrisiko des Betroffenen und den Umstand, dass der Betroffene bis zum
29.04. 2009 untergebracht war, ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass sich
beim Betroffenen ein „Triebstau“ entwickelt habe und er sich in unmittelbar
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beim Betroffenen ein „Triebstau“ entwickelt habe und er sich in unmittelbar
bevorstehender Zeit besonders intensiv um Sexualkontakte bemühen werde, die
sexuelle Gewalttaten als wahrscheinlich erscheinen ließen.
Den Verlängerungsantrag des Antragstellers vom 13.05.2009, nunmehr wieder
den Festanschluss und einen Mobilfunkanschluss betreffend, hat das Amtsgericht
Offenbach mit Beschluss vom 13.05.2009 (20 Gs 93/09) zurückgewiesen. Auf die
dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht
Darmstadt durch Beschluss vom 19.05.2009 (5 T 246/09) die Entscheidung des
Amtsgerichts abgeändert und die Telekommunikationsüberwachungsanordnung
befristet bis zum 03.08.2009 erlassen.
Durch Beschluss vom 30.07.2009 hat das Amtsgericht Offenbach (20 Gs 128/09)
den erneuten Verlängerungsantrag des Antragstellers vom 29.07.2009
zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers
hatte wiederum Erfolg. Das Landgericht Darmstadt hat durch Beschluss vom
06.08.2009 (5 T 396/09) den amtsgerichtlichen Beschluss abgeändert und die
beantragte Überwachungsmaßnahme bis zum 02.11.2009 angeordnet.
Mit diesen Anordnungen sind alle Verlängerungsmöglichkeiten verbraucht. Eine
weitere Verlängerung ist nach § 15a HSOG nicht möglich und zwar ganz
unabhängig davon, ob ein Anordnungsgrund gegeben ist oder nicht, bzw. wie man
die Gefährdungssituation im Übrigen beurteilt. Die seit Dezember 2008
angeordneten Überwachungsmaßnahmen haben mit der Unterbringung des
Betroffenen in der Zeit vom 22.01.2009 bis 28.04.2009 in der A- Klinik in O2
aufgrund eines Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Gelnhausen kein Ende
gefunden. Die Unterbringung hat lediglich die Telekommunikationsüberwachung
durch einen noch intensiveren staatlichen Eingriff in die Freiheitsrechte des
Betroffenen überflüssig gemacht und zwar aufgrund von Verdachtsmomenten, die
überdies nicht zu einer Verurteilung, sondern zu einem Freispruch geführt haben.
Die Verlängerungsmöglichkeiten für Überwachungsmaßnahmen sind Eingriffe in
die grundgesetzlich geschützten Freiheitsrechte. § 15a HSOG stellt eine Regelung
zur Abwendung ganz konkreter Gefahren dar. Als Ausnahmeregelung verbietet
sich auch für die Verlängerungsmöglichkeiten jede ausweitende Interpretation. Der
Gesetzgeber hat die Verlängerungsmöglichkeiten auf drei beschränkt, was in
Verbindung mit der Dreimonatshöchstfrist einem Rahmen von einem Jahr
gleichkommt und zwar unabhängig davon, ob der jeweilige Höchstzeitraum von
drei Monaten ausgeschöpft ist oder nicht. Selbst wenn in einem Fall dieser
Zeitraum jeweils ausgeschöpft worden und ein Ende der Gefahrenlage binnen
Jahresfrist nicht eingetreten wäre, könnten weitere Überwachungsanordnungen auf
diese Regelung nicht gestützt werden. Ebenso wäre es, wenn nur kurzfristige
Anordnungen erlassen worden wären, die Dreimonatsfrist also jeweils nicht
ausgeschöpft worden wäre und die Gefahrenlage sich nachträglich weiter
zugespitzt hätte. Das Gesetz sieht auch keine Möglichkeit für die Polizei vor, den
Zeitrahmen bzw. die Zahl der Verlängerungsmöglichkeiten durch zeitweisen
Verzicht auf die Stellung eines Antrags zu erweitern. Im Gegenteil: Wäre der
Verzicht auf die Überwachungsmaßnahme bei gleicher Gefahrenlage zeitweise
möglich, so müsste dies denknotwendig zu Zweifeln wenigstens an der
Unerlässlichkeit der Maßnahme führen.
Die Frage, wie viele Verlängerungen vorliegen, kann daher nur unter
Berücksichtigung des natürlichen Sachzusammenhangs beantwortet werden.
Abzustellen ist auf den konkreten Anlass, der zu den beantragten Maßnahmen
geführt hat. Dies ist hier in mehrfacher Folge die Gefährlichkeit des Betroffenen
aufgrund seiner sexuellen Neigungen in Verbindung mit seiner
Persönlichkeitsstruktur gewesen und zwar vor dem Hintergrund, dass eine
Sicherungsverwahrung aus Rechtsgründen nicht (mehr) möglich war, was auch
vom Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 22.04.2009 (2 StR 21/09) bestätigt
worden ist.
Die Unterbringungsanordnung des Amtsgerichts Gelnhausen vom 21.01.2009
(1101 Js 1027/09) und den diese bestätigenden Beschluss des Landgerichts Hanau
vom 19.02.2009 (2 KLs 1101 Js 1027/09) hat das Oberlandesgericht - 1. Strafsenat
- durch Beschluss vom 28.04.2009 (3 Ws 24/09) mangels Vorliegen der
Voraussetzungen nach §§ 63 StGB, 126a StPO aufgehoben. Anlass für die
Unterbringung war nach Aktenlage ein körperlicher Übergriff des Betroffenen auf
seinen Vater. Das entsprechende Strafverfahren endete mit einem
freisprechenden Urteil vom 11.05.2009. Diese Unterbringung des Betroffenen ist
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freisprechenden Urteil vom 11.05.2009. Diese Unterbringung des Betroffenen ist
nicht geeignet, den Sachzusammenhang zu den früheren Anordnungen zu
unterbrechen mit der Folge, dass die volle Anzahl von Verlängerungsmöglichkeiten
wie bei einer Erstanordnung wieder zur Verfügung steht. Deswegen war der die
weitere Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung ablehnende
amtsgerichtliche Beschluss zu bestätigen.
Das Amtsgericht hat darüber hinaus auch verneint, dass eine gegenwärtige Gefahr
vorliegt, wie sie § 15a HSOG für eine Telekommunikationsüberwachung
voraussetzt. Diese Frage braucht hier nicht mehr abschließend geprüft und
entschieden werden, da die Anordnung schon aus den genannten formalen
Gründen nicht mehr möglich ist. Wegen der Beschwerderügen des Antragstellers
bemerkt der Senat lediglich, dass Zweifel bestehen, ob vorliegend von einer
gegenwärtigen Gefahr i. S. der Eingriffsvoraussetzung des § 15a HSOG
gesprochen werden kann. Der Gesetzgeber hat die Eingriffsvoraussetzungen im
Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE
113, 348 ff) bewusst eng gefasst. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass mit §
15a HSOG nicht die Datenerhebung durch Telekommunikationsüberwachung zum
Zwecke der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten geregelt werde, sondern es
handele sich um Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben bei akuten
Gefahren, z.B. in Fällen der Entführung, der Geiselnahme sowie bei Gefahr der
Selbsttötung, die nicht auf einen freien Entschluss zurückzuführen sei. Die
Telekommunikationsüberwachung solle lediglich der Abwehr unmittelbar
bevorstehender Gefahren für bestimmte hochwertige Rechtsgüter dienen, wobei
die Maßnahme unerlässlich sein müsse. Eine Überwachung zur Bekämpfung von
Straftaten im Vorfeld einer konkreten Gefahr solle es in Hessen nicht geben
(Landtagsdrucksache 16/2352, S. 118).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 39 I HSOG, 84 FamFG. Die
Wertfestsetzung beruht auf § 30 II KostO.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen
nicht erfüllt sind (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FamFG). Es handelt sich um eine nur auf
Landesrecht beruhende Überwachungsmaßnahme. Die Anwendung eines
Landesgesetzes konnte nach den früheren Regeln der freiwilligen Gerichtsbarkeit
(§ 28 FGG) nicht zur Überprüfung durch den Bundesgerichtshof gestellt werden
(Keidel/ Kuntze/ Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 28 Rn 15). Eine
Erweiterung der Möglichkeit der Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Landesrechts
ist nicht erfolgt. Für die Rechtsbeschwerde nach neuem Recht gelten die §§ 547,
556 und 560 ZPO entsprechend und damit über § 560 ZPO auch § 545 ZPO.
Hierzu hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine Revision zum
Bundesgerichtshof nicht auf eine Verletzung einer Vorschrift gestützt werden kann,
die sich nicht über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt (BGH,
Beschluss vom 02.12.2008, X ZR 80/07, zitiert nach juris).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.