Urteil des OLG Frankfurt vom 25.09.2006

OLG Frankfurt: grundsatz der gleichbehandlung, anzeige, quote, vollstreckung, massekosten, gebühr, verfügung, form, quelle, fälligkeit

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Gericht:
OLG Frankfurt 10.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 U 79/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 208 Abs 1 S 2 InsO, § 209
Abs 1 Nr 2 InsO, § 210 InsO
(Anzeige der Masseunzulänglichkeit: Ansetzung und
Vollstreckung von danach entstehenden Gerichtskosten;
Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger)
Tenor
Auf die Erinnerung des Klägers wird der Kostenansatz des Oberlandesgerichts
Frankfurt am Main vom 9.2.2006 – Rechnung Kassenzeichen ... – aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass eine Kostenschuld des Klägers in Höhe von 28.112,00
Euro gegenüber der Gerichtskasse besteht.
Gründe
I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter. Er hat gegen die Beklagten zu 1) bis 3) Klage
erhoben und gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Gießen form-
und fristgerecht Berufung eingelegt. Nach Begründung der Berufung hat er die
Berufung gegen den Beklagten zu 1) zurückgenommen. Mit den Beklagten zu 2)
und 3) hat er eine vergleichsweise Regelung getroffen. Das Oberlandesgericht hat
unter dem 9.2.2006 gemäß KV Nr. 1222 Nr. 1 die Gerichtskosten berechnet und
durch Verfügung vom 21.3.2006 (Bl. 458 d.A.) festgestellt, dass die
Kostenrechnung vom 9.2.2006 auch für die Gebühr nach Vergleichsschluss gemäß
KV Nr. 1222 Nr. 3 gilt, da diese identisch ist. Der Kläger hat die bereits zuvor
gegen den Kostenansatz erhobene Erinnerung aufrechterhalten und beruft sich
darauf, dass er bereits unter dem 6.5.2002 die drohende Masseunzulänglichkeit
gemäß § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO angezeigt und diese unter dem 23.3.2006
gegenüber dem Insolvenzgericht wiederholt habe. Die vorhandene Insolvenzmasse
reiche zur Befriedigung der Gerichtskasse als Neumassegläubiger nicht aus.
Selbst unter Berücksichtigung der Vergleichssumme im vorliegenden Rechtsstreit
seien die Massekosten, insbesondere die Gesamtvergütung des
Insolvenzverwalters nicht in vollem Umfang gedeckt. Es stünden noch Forderungen
aus, die zum Teil gerichtlich und außergerichtlich beigetrieben würden. Ob diese in
einem Umfang von 153.941,00 Euro zur Befriedigung restlicher
Neugläubigerforderungen ganz oder teilweise herangezogen werden könnten, sei
bisher offen. Der Kläger hat im einzelnen dargelegt und auch durch Kontoumsätze
und Aktenvermerkte dargelegt, dass eine Masseunzulänglichkeit auch hinsichtlich
der Neumassegläubiger besteht und die Höhe einer Quote bisher nicht angegeben
werden kann.
Das Oberlandesgericht (Kostenbeamtin) hat der Erinnerung nicht abgeholfen und
sie dem Bezirksrevisor vorgelegt. Dieser hat dahingehend Stellung genommen,
dass ein Vollstreckungsverbot gemäß § 210 InsO nicht vorliege, da es sich bei den
angesetzten Gerichtskosten um Masseverbindlichkeiten handele, die nach der
Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden seien. Die angesetzten
Gerichtskosten seien bereits am 18.5.2005 mit der Einlegung der Berufung fällig
geworden. Durch die teilweise Berufungsrücknahme und den Vergleichsabschluss
sei lediglich eine Ermäßigung eingetreten. An der Fälligkeit der Kosten ändere sich
nichts. Die Wirkung des § 210 InsO werde gemäß § 208 InsO bereits durch die
Anzeige der voraussichtlichen Masseunzulänglichkeit ausgelöst, so dass die
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Anzeige der voraussichtlichen Masseunzulänglichkeit ausgelöst, so dass die
Anzeige der tatsächlichen Masseunzulänglichkeit dem gleichstehe. Die
Gerichtskostenschuld gehöre also zu den Neumasseverbindlichkeiten, die nicht
unter das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO fielen.
II.
Die Erinnerung ist das statthafte Rechtsmittel, sie ist auch im übrigen zulässig.
Einwendungen gegen die Beitreibung der Gerichtskosten sind gemäß § 8
Justizbeitreibungsordnung vom Schuldner gerichtlich nach den Vorschriften über
die Erinnerungen gegen den Kostenansatz geltend zu machen. Das Verfahren
richtet sich folglich nach § 66 GKG. Danach entscheidet über die Erinnerung das
Gericht, bei dem die Kosten angesetzt sind, über die für das Berufungsverfahren
anzusetzenden Kosten folglich das Berufungsgericht.
Die mit der Erinnerung geltend gemachten Einwendungen gegen den
Kostenansatz sind begründet.
Dem Bezirksrevisor ist zwar zuzustimmen, dass die Gerichtskosten zu den
Masseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO gehören. Als solche werden
sie vom Vollstreckungsverbot des § 210 InsO nicht erfasst.
Es kommt vorliegend auch nicht darauf an, dass der Kläger eine erneute
Masseunzulänglichkeitsanzeige abgegeben hat. Wie das Oberlandesgericht
Frankfurt im Beschluss vom 25.11.2003 (25 W 60/03) ausführlich dargelegt hat,
kennt das Gesetz nur die Unterscheidung zwischen alten Masseverbindlichkeiten
und Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 InsO, wobei lediglich die
Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO von dem
Vollstreckungsverbot des § 210 InsO erfasst sind.
Die Fälle der Anzeige der voraussichtlichen Masseunzulänglichkeit und der Anzeige
der tatsächlich eingetretenen Masseunzulänglichkeit stehen dabei gleich. Es gibt
auch keine Regelung, wonach der Insolvenzverwalter mehrfach die
Masseunzulänglichkeit nacheinander anzeigen und dadurch die entstandene
Privilegierung der unter § 209 InsO fallenden Neumasseschulden wieder beseitigen
könnte. Da das Gesetz dem Insolvenzverwalter ermöglicht, durch die allein von
seinem Willen abhängende – vom Insolvenzgericht also nicht auf seine sachliche
Richtigkeit nachprüfbare – Anzeige der Masseunzulänglichkeit Neumassegläubiger
zu privilegieren und sie auf diese Weise überhaupt erst als Geschäftspartner im
Rahmen der Abwicklung der Insolvenz zu gewinnen, kann es nicht im Belieben des
Insolvenzverwalters stehen, durch eine Reihe von Anzeigen innerhalb der
Neumassegläubiger wiederum neue Massegläubiger gegenüber den früheren
Neumassegläubigern zu privilegieren und so praktisch frühere Neumassegläubiger
in schlechtere Befriedigungsränge zu drängen, sie also de facto zu
Altmassegläubigern zu degradieren.
Um diese Frage geht es vorliegend aber nicht. Der Kläger beruft sich nicht auf das
Vollstreckungsverbot nach § 210 InsO, sondern darauf, dass bei weiterer
Masseunzulänglichkeit die Forderungen der Neumassegläubiger gleichmäßig
behandelt werden müssen. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 03, 2456) ist
es auch in den Fällen der erneuten Masseunzulänglichkeit gegenüber den
Neumassegläubigern geboten, auf eine entsprechende Einwendung des
Insolvenzverwalters hin nur noch die Feststellungsklage zuzulassen. Denn wie in
den Fällen des § 208 InsO kann der Insolvenzverwalter die Erfüllung von
Neumasseverbindlichkeiten verweigern, sobald sich herausstellt, dass die
verfügbare Insolvenzmasse nicht zur vollen Befriedigung aller Neumassegläubiger
ausreicht. Für diese greift ebenfalls wieder der Grundsatz der Gleichbehandlung
aller Gläubiger im Insolvenzverfahren. § 209 InsO ordnet für Altgläubiger an, dass
sie nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu befriedigen sind. Das gilt sinngemäß
auch, wenn nicht mehr alle Forderungen der Neumassegläubiger voll zu
berichtigen sind. Dann ist ein Vorrang schnellerer Neumassegläubiger, welche
Vollstreckungsmaßnahmen durchführen und hierdurch die auf andere
Neumassegläubiger entfallende Quote weiter verringern, zu vermeiden.
Der Insolvenzverwalter kann in diesem Fall nicht mehr uneingeschränkt zur
Leistung verurteilt werden; das Bestehen der Forderung der Neumassegläubiger
ist - jedenfalls wenn eine auf sie entfallende Quote noch nicht feststeht - gerichtlich
nur noch festzustellen (vgl. BGH NJW 03, 2456 m.w.N.).
Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Erkenntnisverfahren selbst, sondern
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Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Erkenntnisverfahren selbst, sondern
auch für den daraus resultierenden Kostenansatz. Auch die Gerichtskasse kann im
Insolvenzverfahren nicht vorrangig vorgehen oder vollstrecken, sie muss sich
ebenso wie die anderen Neumassegläubiger bei Vorliegen einer
Masseunzulänglichkeit auf die auf sie entfallende Quote verweisen lassen (vgl. nur
Thüringer Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 3.9.2004, Az.: 8 TA 67/04;
Beschluss vom 6.1.2005, Az.: 1 SA 43/02 m.w.N.).
Auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in der Entscheidung vom
25.11.2003 (25 W 60/03) festgestellt, dass mit dem Bundesgerichtshof davon
auszugehen sei, dass alle Neumassegläubiger nach dem in § 1 InsO
niedergelegten Grundsatz gemeinschaftlich und gleichmäßig befriedigt werden
müssen, was bei Unzulänglichkeit der Masse die volle Befriedigung aller
Neumassegläubiger ausschließt. Die Neumassegläubiger könnten dann nur
quotenmäßig befriedigt werden, auch nicht im Wege der Einzelvollstreckung gegen
die Masse vorgehen und seien auf Feststellungsanträge im Erkenntnisverfahren
beschränkt. Dies setze aber voraus, dass die Unzulänglichkeit der Masse für die
Befriedigung aller Neumassegläubiger vom Insolvenzverwalter im Einzelnen
dargelegt und bewiesen werde. Es sei also die mindestens drohende
Unzulänglichkeit des für Neumasseverbindlichkeiten gebildeten, abgesonderten
Massebestandteiles konkret darzustellen und zu belegen.
Daran fehlte es in dem der genannten Entscheidung zugrunde liegenden Fall.
Vorliegend hat der Kläger allerdings im einzelnen dargelegt, wie sich das
Massevermögen entwickelt, welche Forderungen geltend gemacht werden können,
welche Verwaltervergütung offen steht und warum bisher eine Quote nicht
festgestellt werden kann. Dies ist als ausreichend im Sinne der Rechtsprechung
des BGH anzusehen, zumal die Angaben glaubhaft gemacht sind und keinerlei
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen.
Mithin kann der Kostenansatz nicht als Vollstreckungsgrundlage gelten. Die
Kostenschuld war entsprechend einem Feststellungsurteil im Erkenntnisverfahren
im Beschlusswege festzustellen, so dass sie im Insolvenzverteilungsverfahren
berücksichtigt werden kann.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.