Urteil des OLG Frankfurt vom 05.05.2008

OLG Frankfurt: ausschluss, vergabeverfahren, aufschiebende wirkung, rüge, hessen, unverzüglich, abgabe, datum, ausschreibung, vergütung

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Gericht:
OLG Frankfurt
Vergabesenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 Verg 1/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 25 Nr 1 Abs 2a VOL A
Öffentliche Auftragsvergabe: Ausschluss eines Angebotes
wegen Unvollständigkeit
Tenor
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung
der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des
Landes Hessen bei dem Regierungspräsidium , Darmstadt vom 31.3.2008 (Az.: 69
d-VK-09/2008) wird abgelehnt.
Die Entscheidung über die im Verfahren nach § 118 GWB entstandenen
Mehrkosten bleibt der Hauptsacheentscheidung vorbehalten.
Die Beschwerdeführerin wird aufgefordert, bis spätestens 20.05.2008 mitzuteilen,
ob sie die sofortige Beschwerde aufrecht erhält.
Die Beteiligten werden ferner aufgefordert, bis ebenfalls 20.05.2008 mitzuteilen,
ob in der Hauptsache ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin schrieb im Offenen Verfahren nach VOL/A das Abschleppen
von zugelassenen Fahrzeugen aller Art bis einschließlich 3,5 t sowie die sichere
Verwahrung, die Herausgabe an die Berechtigten und ggf. das Ermöglichen von
Versteigerungen auf dem Verwahrplatz für die Dauer von 35 Monaten aus. Die
Aufteilung des Auftrags in fünf Lose war gemäß der Bekanntmachung vorgesehen.
Die Lose bezogen sich auf Abschiebvorgänge in bestimmten Stadtteilen.
Angebote konnten für ein oder mehrere Lose abgegeben werden. Einziges
Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis.
Die Antragsgegnerin übersandte mit Schreiben vom 03.09.2007 die
Angebotsunterlagen an die Antragstellerin. Mit Schreiben vom 13.09.2007 rügte
diese im Einzelnen aus ihrer Sicht bestehende Unklarheiten in den
Ausschreibungsunterlagen. Unter anderem meinte die Antragstellern, die Angabe
des einzigen Zuschlagskriteriums „Niedrigster Preis" sei unzulässig, die Vorgabe,
für bestimmte Stornofahrten und für Fahrten mit ergebnisloser Abfahrt solle keine
Vergütung erfolgen, verstoße gegen die gesetzlichen Vorgaben. Unzulässig sei
ferner, dass für die ersten 24 Stunden kein Standgeld erhoben werden könne. Die
Antragstellerin war schließlich der Auffassung, dass die Antragsgegnerin eine neue
Ausschreibung durchführen müsse.
Die Beigeladene richtete unter dem Datum 04.10.2007 ein Schreiben an die
Antragsgegnerin, in den? sie ebenfalls Rügen erhob und bestimmte Fragen stellte.
Auf die Rügen der Antragstellerin und der Beigeladenen antwortete die
Antragsgegnerin mit Schreiben vom 10.12.2007. Sie listete die Rügen in Form von
Fragen auf und beantwortete diese. Einigen Rügen der Antragstellerin half sie nicht
ab. Anderen half sie dadurch ab, dass sie die Ausschreibungsunterlagen
überarbeitet hatte. Die neuen Unterlagen - die durch grünes Papier
gekennzeichnet waren - übersandte sie an alle Bewerber. Die Antragsgegnerin
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gekennzeichnet waren - übersandte sie an alle Bewerber. Die Antragsgegnerin
verlängerte die Angebotsfrist und passte die Zustellungs- und Bindefrist sowie die
Vertragslaufzeit an.
Mit Schreiben vom 20.12.2007 teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit,
dass sie ihre Rügen in den Punkten aufrechterhalte, bezüglich derer die
Antragsgegnerin keine Änderung oder Anpassung in den
Ausschreibungsunterlagen vorgenommen hatte. Dies gelte insbesondere für die
Stornofahrten, die Sicherheitsleistung, die Leerfahrten generell und die
Regelungen zu einer Versteigerung.
Der Vergabevermerk der Antragsgegnerin ohne Datum enthält in Anlage 7 eine
Zusammenstellung der Angebote. Dort (Bl. 496 Vergabeakte) ist zu dem Angebot
der Beigeladenen unter „Bemerkungen" aufgeführt:
„Blatt 2 u. 3 (S. 6 u. 7) d. Angebotes fehlen, zusätzl. rechtsverbindl. Erklär, d. Mitgl.
d. Arbeitsgemeinschaft (2 S.), unverschlossene Urkalkulation,
Kopien Gewerbeanmeld. u. Handelsregister d.|
GmbH fehlen, zusätzl. Bietererklärungen z. Selbstauskunft (8 S.) u. jeweils
Nachweise d. Berufsgenossenschaft."
In der Anlage zu dem Vergabevermerk „Wertung der Angebote" sind
Anmerkungen zu den eingegangenen Angeboten enthalten. Dort heißt es u. a.:
„Die Auswertung des Angebotes hat ergeben, dass die
(Antragstellerin) nicht die Gewähr für eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung für
alle Lose bietet. Im Hinblick auf das der (Antragstellerin) zur Ausführung des
Auftrags zur Verfügung stehenden Personals und des vorhandenen Fuhrparks ist
davon auszugehen, dass die Leistungsfähigkeit nur für einen Teil der Lose reicht."
Die Antragstellerin gab ihr Angebot für alle fünf Lose unter dem Datum 04.01.2008
ab. Die Beigeladene reichte ebenfalls ein Angebot für alle fünf Lose ein. Ein dritter
Bieter gab ein Angebot für Los 2 ab. Am 12.02.2008 versandte die
Antragsgegnerin die Mitteilung gemäß § 13 VgV. Sie teilte der Antragstellerin mit,
dass ihr Angebot aus preislichen Gründen nicht berücksichtigt werden könne und
der Auftrag an die Beigeladene erteilt werden solle.
Am 18.02.2008 reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag ein. Danach
rügte sie am selben Tag gegenüber der Antragsgegnerin die vorgesehene
Vergabe, wobei sie nochmals bereits zuvor erhobene Rügen von
Verfahrensverstößen wiederholte. Ferner ergänzte sie die Rüge, indem sie
mitteilte, dass sie über Abstellplätze verfüge, aufgrund derer die schnellste und
wirtschaftlichste Anfahrt und Lagerung abgeschleppter Fahrzeuge gewährleistet
sei.
Mit E-Mail vom 4.3.2008 übersandte die Beigeladene der Antragsgegnerin die
fehlenden Seiten 6 und 7 des Angebotes, jeweils unterzeichnet durch die einzelnen
Mitglieder der Beigeladenen, und ein Schreiben vom 4.3.2008 als pdf-Dateien. Im
Schreiben vom 4.3.2008 vertritt sie die Ansicht, das Fehlen der Formblätter führe
nicht zum Ausschluss der Beigeladenen.
Die Antragstellerin hat vorgetragen, es sei unzulässig, dass die Antragsgegnerin
nach Änderung der Ausschreibungsunterlagen das laufende Vergabeverfahren
fortgeführt habe, ohne ein neues Verfahren einzuleiten. Ferner verletze die
Vorgabe eines einzigen Zuschlagskriteriums, nämlich des niedrigsten Preises, ihre
Rechte, da nach § 97 Abs. 5 GWB auf das wirtschaftlichste Angebot der Zuschlag
zu erteilen sei. Die Freistellung der Antragsgegnerin von jeglicher Haftung, die in
den Verdingungsunterlagen vorgesehen sei, sei rechtswidrig. Die fehlende
Vergütung für Stornofahrten sei unzulässig. Genauso verhalte es sich mit der
Regelung, dass auch bei ergebnislosen Anfahrten keine Vergütung erfolge. Die
Vorgabe, dass für die ersten 24 Stunden kein Standgeld erhoben werden könne,
sei ebenfalls rechtswidrig. Weitere, bereits in ihrer Rüge vom September 2007
genannte, von der Antragsgegnerin nicht geänderte Punkte seien ebenfalls
rechtswidrig.
Ihre Leistungsfähigkeit im Hinblick auf das Volumen der abzuschleppenden
Fahrzeuge sei gegeben. Hieran bestünden keine Zweifel.
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Die Tatsache, dass sie in der Ausschreibung ein Angebot abgegeben habe,
bedeute nicht, dass sie die zuvor erhobenen Rügen habe fallen lassen wollen. Sie
habe vielmehr die Rügen, denen nicht abgeholfen wurde, aufrechterhalten.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. den vorgeschlagenen Zuschlag an die Firma
nicht zu erteilen,
2. den Zuschlag an die Antragstellerin zu erteilen,
3. hilfsweise die Unwirksamkeit eines schon erfolgten Zuschlags
festzustellen,
4. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren fortzusetzen,
5. hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren neu
durchzuführen,
6. hilfsweise das Angebot der Antragstellerin nicht aus den bisherigen Gründen
auszuschließen,
8. eine einstweilige Regelung mit aufschiebender Wirkung zu erlassen,
9. die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Bevollmächtigten für notwendig zu
erklären.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
die Anträge, als auch die Hilfsanträge der Antragstellerin vom 18.02.2008,
zurückzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt, da sie mit ihren
Rügen vom 13.09.2007 präkludiert sei. Die Präklusion ergebe sich daraus, dass die
Antragstellerin ihr Angebot auf der Grundlage der überarbeiteten
Ausschreibungsunterlagen abgegeben habe. Die Abgabe des Angebotes stehe im
Widerspruch zu ihrem Schreiben vom 20.12.2007. Wäre es ihr tatsächlich nicht
möglich gewesen, ein Angebot zu erstellen, hätte sie unverzüglich ein
Nachprüfungsverfahren einleiten müssen.
Die Antragstellern sei auch bezüglich ihrer erneuten Rügen vom 18.02.2008
präkludiert. Sie habe der Antragsgegnerin keine Möglichkeit gelassen, auf die darin
erhobenen Rügen angemessen zu reagieren.
Die Antragstellerin sei im Gegensatz zu der Beigeladenen zur Ausführung aller
Lose nur bedingt geeignet. Sowohl hinsichtlich ihres Fuhrparks als auch der Anzahl
der zur Abschleppung geeigneten Fahrzeuge sei die Leistungsfähigkeit bei
Übernahme aller Lose zu verneinen. Dies gelte auch für die von der Antragstellerin
zur Verfügung gestellten Verwahrflächen, die keine Gewähr für die
ordnungsgemäße Verwahrung der abzuschleppenden Fahrzeuge bei einer
Übertragung aller Lose böten.
Die Antragstellerin sei durch die Überarbeitung der Ausschreibungsunterlagen und
deren Einführung im laufenden Verfahren nicht in ihren Rechten verletzt worden.
Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass damit den Fragen und Rügen der
Bieter Rechnung getragen und die Frist zur Abgabe der Angebote verlängert
worden sei. Die Überarbeitung der Unterlagen sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu
dem es allen Bietern noch möglich gewesen sei, die geänderten Unterlagen für
ihre Angebote noch angemessen zu nutzen, zu bewerten und eine Kalkulation
durchzuführen.
Im Übrigen hat die Antragsgegnerin zu den einzelnen von der Antragstellern für
rechtswidrig gehaltenen Punkten Stellung genommen und sie zurückgewiesen.
Die Beigeladene hat beantragt,
1. die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 107 ff. GWB als
unzulässig, jedenfalls als unbegründet durch die Vergabekammer des
Landes Hessen zurückzuverweisen,
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2. den vorgesehenen Zuschlag an die die weitergehenden Anträge 1 bis 8 der
Antragstellerin zurückzuweisen,
3. der Beigeladenen die notwendigen Rechtsanwaltskosten, die entstanden
sind, aufgrund der Teilnahme am hiesigen Verfahren zu ersetzen und die
Beauftragung eines rechtlichen Beistandes als notwendig festzustellen.
Die Beigeladene ist der Auffassung, dass die Antragstellerin sich mit der
Vorgehensweise der Antragsgegnerin einverstanden erklärt habe, indem sie ein
Angebot abgegeben habe. Sie habe sich somit rügelos auf die Änderung der
Ausschreibungsunterlagen eingelassen.
Sie hat geltend gemacht, die Antragstellerin habe nicht unverzüglich nach Erhalt
des Schreibens nach § 13 VgV gerügt, dass der Zuschlag auf das Angebot der
Beigeladenen erfolgen solle.
Im Übrigen seien die einzelnen von der Antragstellerin aufgeführten und von ihr als
vergaberechtswidrig gerügten Punkte nicht rechtswidrig.
Die Vergabekammer hat durch Beschluss vom 31.3.2008 die Antragsgegnerin
verpflichtet, die Wertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der
Vergabekammer unter Ausschluss des Angebots der Beigeladenen neu
vorzunehmen. Das Angebot der Beigeladenen sei gemäß §§ 25 Nr. 1 Abs. 2a, 21
Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL/A bei der Wertung auszuschließen, weil die Blätter 2 und 3
neben der rechtsverbindlichen Unterschrift der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft
sowie weitere Unterlagen fehlten. Die Wertung des Angebots der Antragstellerin
sei bezüglich der Eignung nicht vollständig abgeschlossen worden, weil eine
Prüfung, ob die Antragstellerin für die Durchführung einzelner Lose geeignet ist,
nicht erfolgt sei.
Gegen diesen ihr am 4.4.2008 zugestellten Beschluss wendet sich die Beigeladene
mit ihrer am 10.4.2008 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sie
macht geltend, die Vergabekammer habe ohne einen entsprechenden Antrag die
Beigeladene nicht ausschließen dürfen. Die Voraussetzungen für einen Ausschluss
der Beigeladenen lägen auch nicht vor. Die Antragstellerin sei mangels
rechtzeitiger Rüge auch nicht befugt gewesen die Nachprüfung zu beantragen, so
dass das Nachprüfungsverfahren unzulässig sei.
Die Beigeladene beantragt,
1. die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen bei dem
Regierungspräsidium Darmstadt vom 4.4.2008 Aktenzeichen 69 d-VK-09/2008
aufzuheben,
2. die Vergabestelle zu verpflichten, dem Angebot der Beigeladenen und
Beschwerdeführerin wie durch die Vergabestelle beabsichtigt den Zuschlag zu
erteilen,
3. die Vergabekammer anzuweisen, dass sie im vorliegenden Fall unzuständig
ist, weil keine Rügebefugnis bestand, hilfsweise die Vergabekammer zu
verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen
Gerichts über die Sache erneut zu entscheiden/
4. die Hinzuziehung eines . Prozessbevollmächtigten durch die
Beschwerdeführerin für notwendig zu erklären und
5. der Beschwerdegegnerin bzw. der Vergabekammer die Kosten des
Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen aufzuerlegen,
sowie
6. gem. § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB die aufschiebende Wirkung der sofortigen
Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 22.4.2008 Bezug genommen auf ihre
Stellungnahme vom 5.3.2008 in dem Verfahren vor der Vergabekammer und
einen Ausdruck der ihr von der Beigeladenen mit E-Mail vom 4.3.2008
übersandten pdf-Dateien zur Akte gereicht.
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten und den
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Ergänzend wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten und den
Inhalt der Vergabeakte.
II.
1. Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung, der allein
Gegenstand des vorliegenden Beschlusses ist, ist abzulehnen, weil die sofortige
Beschwerde aller Voraussicht nach unbegründet ist und keine Aussicht auf Erfolg
hat (§ 118 Abs. 2 S. 1 GWB).
Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Beigeladener, der nach der
Entscheidung der Vergabekammer im weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen
sein soll, berechtigt ist, einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden
Wirkung gem. § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zu steifen, wird in der Kommentarliteratur
wie in der Rechtsprechung weiterhin unterschiedlich gesehen. Teilweise wird die
Antragsbefugnis im Interesse eines effizienten Rechtschutzes generell bejaht
(jurisPK -VergR/Summa, § 118 GWB Rn. 37 unter Hinweis auf OLG Jena, Beschl. v.
22.04.2004 -6 Verg 2/04; OLG Koblenz, Beschl. v. 29.08.2003 -1 Verg 7/03; ebenso
schon Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 30.10.2001, 6 Verg 3/01,
VergabeR 2002, 104; OLG Naumburg, VergabeR 2007, 554; OLG Saarbrücken
Beschl. v. 30.07.2007 - 1 Verg 3/07).
Nach anderer Auffassung ist der Antrag des auszuschließenden Bieters unzulässig
(OLG Celle, VergabeR 2007, 554; OLG Düsseldorf NZBau 2005, 520), es sei denn,
der Beigeladene hat keine rechtliche Möglichkeit mehr, den Zuschlag durch einen
eigenen Nachprüfungsantrag zu unterbinden, weil der Zuschlag unmittelbar auf
das Angebot der Antragstellerin erteilt werden kann (OLG Düsseldorf, VergabeR
2007, 662; Hunger in : Kulartz/Kus/Portz, Komm, zum GWB -Vergaberecht, § 118
Rn. 29 f).
Der Senat neigt dazu, einem beigeladenen Bieter in entsprechender Anwendung
von § 118 Abs. 1 S. 2 GWB die Antragsbefugnis zuzubilligen, wenn er
beschwerdebefugt ist und anderenfalls die Möglichkeit bestünde, dass die
Vergabestelle durch Zuschlagserteilung vollendete Tatsachen schafft, ohne dass
hier abschließend entschieden werden muss, ob ein Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz
3 GWB' in diesen Fällen generell oder nur unter einschränkenden Voraussetzungen
zulässig ist. Denn jedenfalls ist der Antrag im zu entscheidenden Fall unbegründet.
2. Die Vergabekammer hat zu Recht das Nachprüfungsverfahren für zulässig
gehalten und gemein.t, das Angebot der Beigeladenen sei zwingend
auszuschließen.
Das Nachprüfungsverfahren ist zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Ihre
Rüge vom 13.9.2007 war unverzüglich, das heißt im Sinne der Definition des § 121
Abs. 1 Satz 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern erfolgt. Für den Regelfall ist dem
Antragsteller hierfür eine Frist von bis zu einer Woche als Obergrenze
einzuräumen, wobei Abweichungen sich aus besonderen Umständen bezüglich der
Interessen des Auftraggebers und der Verhältnisse des Einzelfalls ergeben und zu
einer Obergrenze von zwei Wochen führen können.
Danach hat die Vergabekammer mit zutreffender Begründung das Vorliegen einer
rechtzeitigen Rüge bejaht. Für den von der Beigeladenen behaupteten Fristbeginn
schon am 3.9.2007 wegen Abholung der Unterlagen ergeben sich keine
Anhaltspunkte aus der Vergabeakte.
Ebenfalls mit zutreffender Begründung hat die Vergabekammer in der Abgabe des
Angebots durch die Antragstellerin keinen Verzicht auf die Rüge gesehen. Die
Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 10.12.2007 die durch die Rügen der
Antragstellerin aufgeworfenen Fragen beantwortet und diese zum Anlass einer
teilweisen Änderung der Verdingungsunterlagen genommen, die den Bietern zur
Abgabe ihrer Angebote mit übersandt wurden. Mit Schreiben vom 20.12.2007 hat
der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin erklärt, diese halte an ihren
bisherigen Beanstandungen fest, soweit die Antragsgegnerin nicht abgeholfen
habe, und gerügt, die Ausschreibung hätte im Hinblick auf die Vielzahl der
Änderungen neu durchgeführt werden müssen.
Damit blieb es jedenfalls bei den schon im September 2007 rechtzeitig erhobenen
Rügen. Die Antragstellerin war nicht gehalten, statt einer Angebotsabgabe
unverzüglich ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Die Zulässigkeit des
Nachprüfungsantrags hängt regelmäßig nicht davon ab, dass der Antrag innerhalb
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Nachprüfungsantrags hängt regelmäßig nicht davon ab, dass der Antrag innerhalb
einer bestimmten Frist nach Zurückweisung der erhobenen Rügen gestellt wird
(OLG Dresden, Beschl. v. 24.01.2008, WVerg 10/07, m.w.N. zitiert nach Juris Rn.
14). Der Antragstellerin kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sie
überhaupt ein Angebot abgegeben hat. Auf die zutreffenden Ausführungen der
Vergabekammer unter II 6. des angegriffenen Beschlusses kann zur Vermeidung
von Wiederholungen verwiesen werden.
Der von der Vergabekammer der Antragsgegnerin aufgegebene Ausschluss des
Angebots der Beschwerdeführerin nach § 25 Nr. 1 Abs. 2 lit. a) VOL/A ist rechtens.
Das Angebot enthält entgegen § 21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL/A nicht die geforderten
Angaben und Erklärungen.
Unstreitig waren dem Angebot der Beigeladenen die Blätter 2 und 3 (Seiten 6 und
7 der Angebotsunterlagen) nicht beigefügt. Der Formularteil dieser Seiten ist zwar
durchgestrichen, doch enthält die Seite 7 im Anschluss an den Formularteil unter
den Ziffern 1 bis 4 mehrere Erklärungen des Bieters zu dem Angebot zugrunde
liegenden Bedingungen, Geltung der Preisverordnung sowie vorgesehene
Erklärungen zur wirtschaftlichen Situation und Zuverlässigkeit der Bieter. Diese
Erklärungen sollten von der auf der nachfolgenden Seite 8 vorgesehenen
Unterschrift gedeckt sein. Ausdrücklich heißt es dort, „wird dieses
Angebotsschreiben nicht unterschrieben, wird das Angebot ausgeschlossen".
Diese Unvollständigkeit führt zwingend zum Ausschluss des Angebots der
Beschwerdeführerin. Ein transparentes, auf Gleichbehandlung aller Bieter
gerichtetes Vergabeverfahren ist nur zu erreichen, wenn lediglich die Angebote
gewertet werden, die in jeder sich aus den Verdingungsunterlagen ergebenden
Hinsicht ohne weiteres miteinander vergleichbar sind. Um in die Wertung zu
gelangen, müssen daher im Angebot alle Angaben und Erklärungen, so wie in den
Ausschreibungsunterlagen gefordert, vollständig und zutreffend enthalten sein. Da
der öffentliche Auftraggeber sich dem Gleichbehandlungsgebot unterworfen hat,
darf er auch nur vollständige Angebote werten. Unvollständige Angebote sind von
der Wertung auszuschließen, ohne dass dem öffentlichen Auftraggeber bei
Vorliegen des Ausschlusstatbestands das Recht zu einer wie auch immer
gearteten großzügigen Handhabe zustünde. Diese Grundsätze hat die
Rechtsprechung des BGH zwar in Vergabeverfahren nach der VOB/A entwickelt,
deren entsprechende Wertungsvorschrift des § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b) i. V. m. § 21
Nr. 1 Abs. 1 VOB/A einen Angebotsausschluss zwingend („ausgeschlossen
werden") vorsieht, wohingegen § 25 Nr. 1 Abs. 2 lit. a VOL/A den Ausschluss •eines
unvollständigen Angebots in das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers stellt
(„können ausgeschlossen werden"). Das Gleichbehandlungsgebot gemäß § 97
Abs. 2 GWB gilt jedoch für alle dem 4. Teil des GWB unterfallenden
Leistungsbeschaffungen, so dass die darauf aufbauenden Grundsätze der
Rechtsprechung auch auf entsprechende Vergabeverfahren nach der VOL/A
anzuwenden sind. Danach kann pflichtgemäße Ausübung des dort eingeräumten
Ermessens nur bedeuten, dass Angebote, welche die geforderten Angaben und
Erklärungen nicht oder nicht vollständig enthalten, grundsätzlich von der Wertung
auszuschließen sind (vgl. OLG Koblenz, NZBau 2006, 667 zitiert nach Juris Rn. 30
m.w.N.; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 26. 9. 2006, X ZB 14/06, NZBau
2006, 800, 802).
Im vorliegenden Fall ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass nicht nur
irgendwelche Anlagen von mehr oder weniger wettbewerblicher Relevanz fehlten,
sondern das Angebotsschreiben als solches, in dem Regelungen, die
Vertragsinhalt werden sollten, vorgesehen waren, unvollständig abgegeben wurde.
Da das (vollständige) Angebotsschreiben damit nicht unterschrieben war, musste
die Antragsgegnerin das Angebot ausschließen.
Die Frage nach einer fehlerfreien Ermessensausübung stellt sich daher nicht. Ob
trotz einer unvollständigen Erklärung ein Spielraum zur Ausübung des
Ausschlussermessens dann erhalten bleibt, wenn die fehlenden Angaben ohne
Wettbewerbsrelevanz sind oder gewisse „Bagatellschwellen" nicht überschreiten,
kann dahinstehen, denn zum einen hatte die Antragsgegnerin ihr Ermessen durch
die erwähnte Erklärung bereits in bestimmter Weise ausgeübt, so dass der
notwendige Ausschluss aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz folgt, zum anderen
waren die auf Seite 7 der Angebotsunterlagen enthaltenen Erklärungen, etwa
unter Ziffer 4 über die Solvenz und die Zuverlässigkeit und die pflichtgemäße
Zahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen auch keineswegs von nur
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Zahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen auch keineswegs von nur
untergeordneter Bedeutung für die Vergabeentscheidung.
Eine Verletzung des Transparenzgebots mit der Begründung, wegen der
Durchstreichungen des Formularteils sei nicht hinreichend erkennbar gewesen,
dass die Seiten 6 und 7 abzugeben sind, kann die Beschwerdeführerin nicht
geltend machen. Die nach dem Formularteil aufgeführten Erklärungen nehmen
fast die Hälfte der Seite ein, so dass bei der gebotenen Sorgfalt unschwer
erkennbar war, dass diese Seite nicht bedeutungslos war. Das Gebot, die Seiten 6
und 7 abzugeben, ergab sich für die Beschwerdeführerin im Übrigen .bereits aus §
21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL/A, der die Vorlage geforderter Bieterangaben mit dem
Angebot zwingend vorschreibt („müssen"). Allein aufgrund des zwingenden
Charakters dieses Gebots musste der Beschwerdeführerin klar sein, dass bei
dessen Nichtbefolgung ein Wertungsausschluss droht.
§ 24 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A erklärt Verhandlungen über Änderungen der Angebote
ausdrücklich für unstatthaft, weshalb Nachverhandlungen mit dem Ziel der
Herstellung der Wertungsfähigkeit durch nachträgliche Angebotsergänzungen
nicht gestattet sind und damit durch die Nachreichung der Seiten 6 und 7 durch
das E-Mail vom 4.3.2008 eine Heilung nicht bewirkt werden konnte.
Die Vergabekammer war im Rahmen des im Nachprüfungsverfahren geltenden
Untersuchungsgrundsatzes (§110 GWB) berechtigt, das unvollständige Angebot
von Amts wegen aufzugreifen und die Entscheidung darauf zu stützen. Zwar
können über die Reichweite und Grenzen der Amtsermittlung im
Nachprüfungsverfahren im Einzelnen unterschiedliche Auffassungen bestehen.
Ohne entsprechenden Sachvortrag muss die Vergabekammer zwar grundsätzlich
nur ermitteln, was sich ihr aufdrängt (Summa, a.a.O., § 110 Rn. 8). Schwere
Vergaberechtsverstöße können jedoch auch ohne ausdrückliche Beanstandung
aufgegriffen werden, wenn sie aufgrund des zur Prüfung gestellten Sachverhalts
offenkundig sind (Summa, a.a.O., § 110 Rn. 18, 19; Maier in: Kulartz/Kus/Portz,
a.a.O., §110 Rn. 6).
Eines entsprechenden ausdrücklichen Antrags eines Beteiligten bedurfte es
insofern nicht, denn der Antrag der Antragstellerin zu Ziffer 1, der Beigeladenen
nicht den Zuschlag zu erteilen, umfasst den Ausschluss des Angebots der
Beigeladenen.
Soweit die Beigeladene ihrerseits im Rahmen des Beschwerdeverfahrens Rügen
gegen die Art und Weise der, Durchführung des Vergabeverfahrens erhebt,
insbesondere eine unzulässige Parallelausschreibung und missverständliche
Ausschreibungsunterlagen beanstandet, ist sie mangels rechtzeitiger Rüge und
der Gefahr eines drohenden Schadens präkludiert (§§ 107 Abs. 2 und 3 GWB). Ein
zwingend auszuschließender Bieter kann nicht darlegen, ihm drohe durch die
gerügten Verstöße ein Schaden im weiteren Vergabeverfahren.
Ob es sich bei der Entscheidung der Vergabekammer um eine
Überraschungsentscheidung handelte - was im Hinblick darauf, dass die
Beigeladene schon vor der Verhandlung der Vergabekammer Kenntnis von der
Unvollständigkeit ihrer Angebotsunterlagen hatte und die fehlenden Seiten
nachträglich der Antragsgegnerin zum Zwecke der Vervollständigung vorgelegt
hat, zweifelhaft erscheinen könnte -, kann dahin stehen. Jedenfalls hat die
Beigeladene im Beschwerdeverfahren nichts vorgetragen, was Anlass zu einer
Abänderung der Entscheidung der Vergabekammer geben könnte.
Die sofortige Beschwerde hat danach keine Aussicht auf Erfolg; der Antrag auf
einstweiligen Rechtsschutz nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB war zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die durch den Antrag nach § 118 GWB verursachten
Mehrkosten trifft der Senat in ständiger Rechtsprechung mit der
Hauptsacheentscheidung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.