Urteil des OLG Frankfurt vom 14.09.1999

OLG Frankfurt: warschauer abkommen, grobe fahrlässigkeit, anwendung des rechts, transportrecht, gefahr, luftverkehr, kalifornien, kontrolle, zumutbarkeit, währung

Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 30/97
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 18 Abs 1 LuftRAbk 1929,
Art 22 LuftRAbk 1929, Art 25
LuftRAbk 1929, Art 28 Abs 2
LuftRAbk 1929, Art 25
LuftRAbk 1955
Haftung des Luftfrachtführers im Luftverkehr zwischen den
USA und der Bundesrepublik: Darlegungslast hinsichtlich
der Entlastung von grobem Organisationsverschulden beim
Frachtgutverlust
Leit- oder Orientierungssatz
1. Für eine entgeltliche internationale Güterbeförderung im Luftverkehr zwischen den
Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland ist das WA 1929 (juris:
LuftRAbk 1929) anwendbar, da die Vereinigten Staaten dem WA 1955 nicht beigetreten
sind.
2. Die im nationalen Transportrecht anerkannten Darlegungsgrundsätze zum Vortrag
groben Verschuldens des Haftpflichtigen gelten auch im Bereich des WA 1929. Jedoch
enthält das WA 1929 keine dem WA 1955 Art 25 entsprechende Formulierung ("wenn
nachgewiesen wird"). Damit unterfällt die Darlegungslast jedenfalls im Bereich des WA
1929 dem Prozeßrechtsvorbehalt in WA 1929 Art 28 Abs 2. Einer Gefahr, daß die
begrenzte Haftung nach WA 1929 Art 22 oder WA 1955 durch die
Einlassungsobliegenheit abgeschafft werden könnte, kann durch eine angemessene
Ausgestaltung der Voraussetzungen vorgebeugt werden. Dieser Gefahr wird begegnet,
wenn zunächst zur Einlassungsobliegenheit die Möglichkeit und Zumutbarkeit ihrer
Erfüllung wertend beurteilt wird und in einem zweiten Schritt erwogen wird, ob sich aus
der Nichterfüllung im Einzelfall auf das geforderte besondere Verschulden schließen
läßt.
3. Der Luftfrachtführer muß nicht nur zur zeitlichen, örtlichen und personellen
Eingrenzung des Verlustes von Transportgutes vortragen, sondern auch zur
Handhabung der konkreten Sendung. Dazu gehört auch, daß er vortragen muß,
welches Ordnungssystem in dem speziellen Bereich bestand und welche Vorkehrungen
er gegen eine Verstapelung getroffen hat.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 27.1.1997 verkündete Urteil der 1.
Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 224.337,68 DM nebst 5 % Zinsen
seit 20.10.1995 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die
Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 300.000,--
DM abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet. Die Sicherheiten können durch selbstschuldnerische,
unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland als Zoll- und Steuerbürge
zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.
Der Wert der Beschwer für die Beklagte beträgt 224.337,68 DM.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Schadensersatz für den Verlust eines Sendungsteils im
internationalen Luftfrachtverkehr.
Die Bianco ... in Kalifornien/USA veräußerte der ... in Hamburg
Datenverarbeitungszubehör gemäß ihrer Rechnung vom 24.8.1995, auf die zu den
Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 8 d.A.). Mit der Besorgung der aus neun
Frachtstücken bestehenden Sendung beauftragte sie einen kalifornischen
Spediteur, nämlich die ... die die Sendung der Empfangsspediteurin ... GmbH in
Hamburg überstellen sollte. Auf den Hausfrachtbrief der ... wird zu den
Einzelheiten verwiesen (Bl. 86 d.A.). Die ... beauftragte die Beklagte mit dem
Lufttransport von Los Angeles/Kalifornien nach Hamburg und übergab der
Beklagten die Frachtstücke. Dazu wurde ein Luftfrachtbrief durch die Beklagte
ausgestellt, der -- wie vor dem Senat unstreitig wurde -- auf die Anwendbarkeit des
Warschauer Abkommens hinwies. Zu den Einzelheiten des Luftfrachtbriefs wird auf
diesen Bezug genommen (Bl. 5 d.A.). Von den neun Frachtstücken mit einem --
bestrittenen -- Gewicht von 747 kg wurden nur sieben Frachtstücke mit einem
Gewicht von 547 kg (vgl. Anlage K3 zur Klageschrift, Bl. 10 d.A.) in Hamburg an die
... GmbH ausgeliefert. Die Beklagte bestätigte den Verlust von zwei Frachtstücken
am 28.12.1995.
Die ... GmbH und die ... GmbH traten ihre Ansprüche aus dem Verlust an die
Klägerin ab.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Beklagten obliege es, den Verlustvorfall
darzustellen, damit sie den Nachweis eines groben Verschuldens führen könne,
der die unbegrenzte Haftung der Beklagten ermögliche. Dem sei die Beklagte
nicht nachgekommen. Die in den Positionen 1, 2 und 7 der Warenrechnung vom
24.8.1995 beschriebenen Waren mit einem unstreitigen Wert von 151.600,00 US$
seien in den verlorenen Frachtstücken enthalten gewesen (Zeuge ...). Nur die in
den übrigen Rechnungspositionen beschriebenen Waren seien bei der ... GmbH
und der ABC Computer Handels GmbH angekommen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 224.337,68 DM nebst 5 % Zinsen hieraus
seit 20.10.1995 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, die Sendung sei -- aufgeteilt in acht Frachtstücke und
ein Frachtstück -- in verschiedenen Transportcontainern vollständig auf dem John-
F.-Kennedy Flughafen in New York angekommen. Der Verlust der zwei Frachtstücke
beruhe auf einem Diebstahl in dem Bereich, der zur Zusammenstellung der
Ladung der Flugzeuge diene, der sogenannten Build up area. Dies müsse am
30.8.1995 oder 1.9.1995 erfolgt sein. Dieser Bereich sei ausreichend gesichert und
überwacht. Zu den diesbezüglichen Einzelheiten des bestrittenen
Beklagtenvortrags wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 19.9.1996, Seite 7,
8 (Bl. 62, 63 d.A.) und vom 2.12.1996 (ohne Seitenzahlen, Bl. 116-120 d.A.)
verwiesen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie habe ausreichend zum
Abhandenkommen der Frachtstücke vorgetragen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Beklagte ihren
Einlassungsobliegenheiten genügt, die Klägerin aber die grobe Fahrlässigkeit nicht
dargelegt und unter Beweis gestellt habe. Die Klägerin sei auch beweisfällig dazu
geblieben, daß die als Verlust berechneten Waren in den verlorenen Frachtstücken
enthalten gewesen seien. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen
Parteivorbringens und der Entscheidungsgründe wird auf das am 27.1.1997
verkündete Urteil verwiesen (Bl. 158-165 d.A.).
Gegen das am 28.1.1997 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin,
die am 12.2.1997 einschließlich ihrer Begründung bei Gericht eingegangen ist.
Die Klägerin stellt klar daß sie in erster Linie abgetretene Ansprüche der ... GmbH
geltend mache, mit denen diese einen Schaden der ... GmbH liquidiere, hilfsweise
an sie abgetretene Ansprüche der ... GmbH. Die Beklagte habe ihrer
Darlegungslast nicht genügt, weil sie nicht auf die konkrete Sendung bezogene
Sicherungen vorgetragen habe. Die allgemeinen Vorkehrungen seien zudem
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Sicherungen vorgetragen habe. Die allgemeinen Vorkehrungen seien zudem
bestritten gewesen. In dem nachgelassenen Schriftsatz vom 23.6.1999 hat sie
behauptet, der Verlust könne nur auf einem Diebstahl beruhen, zu dessen
Vorbeugung der Vortrag der Beklagten nicht ausreiche. Zur Höhe hat sie die
Ansicht vertreten, daß der Inhalt der verlorenen Frachtstücke aus der
Warenrechnung und den bei der ... GmbH und der Endempfängerin
angekommenen Waren folge. Das Landgericht hätte anderenfalls den Zeugen ...
hören müssen, der bei der Verpackung anwesend gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die
Klägerin 224.337,68 DM nebst 5 % Zinsen hieraus seit 20.10.1995 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte behauptet nun, der Verlust beruhe auf einer Verstapelung des
Sendungsteils. Die zwei Frachtstücke seien entweder auf der "Build up area"
zurückgeblieben und dort aus der Kontrolle geraten (Bl. 217 d.A.) oder verstapelt
worden (Bl. 218 d.A.). Ansonsten wiederholt die Beklagte ihr erstinstanzliches
Vorbringen zu Sicherungsmaßnahmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird
auf die Schriftsätze der Klägerin vom 12.2.1997 (Bl. 175-180 d.A.), 8.1.1998 (Bl.
221-224 d.A.), 14.7.1998 (Bl. 303-305 d.A.) und 23.6.1999 (Bl. 342-345 d.A.) sowie
die Schriftsätze der Beklagten vom 14.11.1997 (Bl. 209-220 d.A.) und 15.6.1999
(Bl. 319-323 d.A.) verwiesen. Die Parteien haben im Senatstermin unstreitig
gestellt, daß eine Leistung in deutscher Währung erfolgen könne und 151.600,00
US$ dabei 224.337,68 DM entsprechen sollen.
Es ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung des Zeugen von der ... GmbH.
Auf das Protokoll des Amtsgerichts Hamburg-Bergedorf vom 9.9.1998 (Bl. 301
d.A.) wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden.
Der Klägerin steht der Klageanspruch aus abgetretenem Recht der ... GmbH zu.
Die Abtretung ist als Rechtstatsache zwischen den Parteien unstreitig geblieben.
Der Anspruch ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 3 des
Warschauer Abkommens in der ursprünglichen Fassung (im folgenden: WA 1929).
Das WA 1929 ist anwendbar, weil die ... mit der Beklagten eine entgeltliche
internationale Güterbeförderung im Luftverkehr vereinbarte und Abgangsort -- Los
Angeles -- und Bestimmungsort -- Hamburg -- im Gebiet vertragsschließender
Staaten liegen. Die Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschland sind
Vertragsstaaten des WA 1929. Dem Abkommen von 1955 traten die Vereinigten
Staaten von Amerika nämlich nicht bei (vgl. Koller, Transportrecht, 3. Aufl., WA
1929 Art. 1 Rz. 3).
Die Beklagte hat als Luftfrachtführerin gemäß Art. 18 Abs. 1 WA 1929 den
Verlustschaden zu den zwei Frachtstücken zu ersetzen, weil dieser während der
Luftbeförderung eingetreten ist. Die Beklagte nahm die Frachtstücke in Los
Angeles in ihre Obhut (Art. 18 Abs. 2 WA 1929) und vermochte sie nicht
auszuhändigen.
Die ... war als Zedentin aktivlegitimiert gemäß Art. 13 Abs. 3 WA 1929, weil sie als
Adressatin Empfängerin im Sinne des Art. 13 Abs. 1 WA 1929 war (vgl. Koller, wie
oben, Art. 13 WA 1955 Rz. 4 unter Hinweis auf Art. 13 CMR Rz. 4). Dies weist der
Luftfrachtbrief aus (Bl. 5 d.A., Art. 11 Abs. 1 WA 1929). Der Verlust wurde von der
Beklagten am 28.12.1995 anerkannt (Bl. 11 d.A.).
Auf die Haftungsbeschränkung des Art. 22 Abs. 2 WA 1929 kann sich die Beklagte
nach Art. 29 Abs. 1 und 2 WA 1929 nicht berufen, weil sie oder ihre Leute den
Schaden durch eine Fahrlässigkeit herbeiführten, die nach deutschem Recht dem
Vorsatz gleichsteht, also durch grobe Fahrlässigkeit (vgl. Koller, wie oben, Art. 25
WA 1929 Rz. 3 m.w.N.). Die Klägerin, die hierfür darlegungsbelastet ist (vgl.
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WA 1929 Rz. 3 m.w.N.). Die Klägerin, die hierfür darlegungsbelastet ist (vgl.
Ruhwedel, Der Luftbeförderungsvertrag, 3. Aufl., 6.1 Rz. 411 mit zahlreichen
Nachweisen in Fußnote 23), hat erstmals im nachgelassenen Schriftsatz vom
23.6.1999 behauptet (dort Seite 3, Bl. 344 d.A.), die beiden Frachtstücke seien
gestohlen worden. Dieses Vorbringen war nach § 296 a ZPO jedoch nicht zu
berücksichtigen, weil es sich nicht als Erwiderung auf eine neue Behauptung der
Beklagten in deren verspätet eingereichten Schriftsatz (§ 132 Abs. 1 ZPO) vom
15.6.1999 handelte.
Es liegt jedoch eine Reihe von unstreitigen oder sich aus dem Prozeßverhalten der
Beklagten ergebenden Hilfstatsachen vor, die im Einzelfall den Schluß auf grob
fahrlässigen Umgang mit der Fracht zuläßt und den ausdrücklichen Vortrag der
Haupttatsache ersetzt. Dabei ist auch das Verhalten der Beklagten zur Abwehr
des Klageanspruchs gemäß § 286 Abs. 1 ZPO heranzuziehen.
Der Senat hat sich bereits in der Entscheidung 5 U 210/96 (nicht veröffentlicht,
nicht rechtskräftig) der Auffassung angeschlossen, daß die im nationalen
Transportrecht anerkannten Darlegungsgrundsätze zum Vortrag groben
Verschuldens des Haftpflichtigen auf den Bereich des Warschauer Abkommens in
der Fassung des Haager Protokolles anzuwenden sind (so auch aus jüngerer Zeit
OLG München NJW-RR 1998, 898). Dies gilt auch für das WA 1929. Allerdings kann
hier nicht dahinstehen, ob die sekundäre Darlegungslast der Beklagten aus dem
Prozeßrecht folgt (so Gran Festschrift für Pieper, Seite 847, 853; OLG Köln
Transportrecht 1997, 348) oder aus materiellem Recht, nämlich Frachtrecht (so
Amtsgericht Frankfurt Transportrecht 1997, 348) bzw. Geschäftsbesorgung (BGH
NJW 1995, 606 für ADSp; Ruhwedel, wie oben, Rz. 525). Dies kann nicht
offenbleiben, weil sich ein materiellrechtlicher Anspruch auf Aufklärungshilfe aus
dem materiellen Recht des Staates Kalifornien ergeben müßte (Art. 28 Abs. 1
EGBGB), das weder von den Parteien vorgetragen noch sonst bekannt ist.
Die Aufklärungslast des Luftfrachtführers ist aus dem Prozeßrecht herzuleiten.
Zwar besteht keine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht (vgl. BGH NJW 1990,
3152 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), weil keine Partei verpflichtet ist, dem
Gegner das Material für seinen Prozeßerfolg zu verschaffen, über das er noch nicht
verfügt. Ausnahmsweise besteht jedoch eine prozessuale -- sekundäre -- Last,
"wenn eine darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden
Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen
besitzt, während der Prozeßgegner sie hat und ihm nähere Angaben zuzumuten
sind" (vgl. BGH NJW 1990, 3151, 3152 m.w.N.; auch BGHR § 138 Abs. 3 "Bestreiten
Substantiiertes 1"). Konkurrierende materiell-rechtliche Auskunftsansprüche sind
gegenüber der sekundären prozessualen Darlegungslast nicht vorrangig (vgl.
Baumgärtel, Beweislastpraxis im Zivilrecht, 1996, S. 211).
Die in jüngerer Zeit von Giemulla (Giemulla/Schmid, Warschauer Abkommen, 14.
Ergänzungslieferung, Stand Februar 1998, Art. 25 Rz. 51) geäußerten Bedenken,
das Warschauer Abkommen treffe in Art. 25 selbst eine Beweislastregelung, sind
für das Warschauer Abkommen in der Fassung von 1929 nicht gerechtfertigt. Denn
das Warschauer Abkommen in der Fassung von 1929 enthält keine dem Art. 25
WA 1955 entsprechende Formulierung ("wenn nachgewiesen wird"). Damit
unterfällt die Darlegungslast jedenfalls im Bereich des WA 1929 dem
Prozeßrechtsvorbehalt in Art. 28 Abs. 2. Einer Gefahr, daß die begrenzte Haftung
nach Art. 22 WA 1929 oder WA 1955 durch die Einlassungsobliegenheit des
Luftfrachtführers abgeschafft werden könnte, kann durch eine angemessene
Ausgestaltung der Voraussetzungen vorgebeugt werden. Dieser Gefahr wird
begegnet, wenn zunächst zur Einlassungsobliegenheit die Möglichkeit und
Zumutbarkeit ihrer Erfüllung wertend beurteilt wird und in einem zweiten Schritt
erwogen wird, ob sich aus der Nichterfüllung im Einzelfall auf das geforderte
besondere Verschulden schließen läßt. Die Lösung über die Regeln der
Beweisvereitelung, die Giemulla vorschlägt, bietet jedoch keinen Ausweg, weil es
auf Beweislastfragen erst ankommen kann, wenn zureichender Vortrag vorliegt,
der dem geschädigten Auftraggeber aber in der Regel gerade nicht möglich ist.
Eine Aufklärungslast der Beklagten bestand, denn die Klägerin hat keinen Einblick,
wie die Beklagte mit der Fracht verfuhr. Sie weiß nicht, welchen Weg die Fracht
nahm, wie sie zwischengelagert wurde und welche Kontrollen für sie bestanden.
Auf diese Informationen ist die Klägerin aber angewiesen, weil die Klägerin ohne
diese Informationen ihrer -- primären -- Darlegungslast aus Art. 25 WA 1929 nicht
genügen kann.
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Die Beklagte hat die Auskünfte nur teilweise erteilt, indem sie -- bestritten -- den
Verlust zeitlich (31.8.1995 oder 1.9.1995), örtlich (Build up area des John-F.-
Kennedy Flughafens in New York) und personell (Angabe der Lagerarbeiter)
eingegrenzt hat. Damit hat sie ihrer Vortragslast jedoch nicht gänzlich genügt, weil
die Handhabung der konkreten Sendung zu jener Zeit und an jenem Ort offen
geblieben ist. Nachdem die Beklagte in der Berufungsinstanz ihren
erstinstanzlichen Vortrag eines Diebstahls (Bl. 61 d.A.) zu Gunsten der
Behauptung eines Verstapelns (Bl. 218 d.A.) aufgegeben hat, hätte sie vortragen
müssen, welches Ordnungssystem auf der Build up area bestand und welche
Vorkehrungen gegen eine Verstapelung sie getroffen hatte. Man weiß nicht, wie die
Frachtstücke gekennzeichnet wurden, wie sie gelagert wurden und wie sie den
einzelnen Flügen zugeordnet wurden. Im Konkreten ist unklar geblieben, ob die von
Los Angeles kommende Fracht nach dem Entladen an der -- nach einem
unterstellten System -- für sie vorgesehenen Stelle überhaupt abgesetzt wurde
und bei welchem Anlaß ihr Fehlen bemerkt wurde. Dies vorzutragen, war der
Beklagten möglich. Sie hätte zu dem Ordnungssystem oder seinem Fehlen
vortragen können, weil es sich um einen Vorgang in ihrem Organisationsbereich
handelte. Sie hätte auch zur Positionierung der Fracht Stellung nehmen können,
gegebenenfalls bei fehlendem Ordnungssystem in negativer Weise.
Die Klägerin hat mit der Berufungsbegründung eine Konkretisierung der
Tatsachenbehauptungen angemahnt (Bl. 178 d.A.). Weitere gerichtliche Hinweise
nach § 139 Abs. 1 ZPO waren entbehrlich. Der Senat hat dennoch in der Sitzung
vom 5.5.1998 angefragt, welche Vorkehrungen die Beklagten gegen Verstapelung
getroffen habe. Diesen Hinweis hat der Beklagtenvertreter zutreffend
aufgenommen, wie seine Bezugnahme hierauf in dem Schriftsatz der Beklagten
vom 15.6.1999 zeigt (dort Seite 3, Bl. 321 d.A.).
Diese Umstände begründen -- in einem zweiten Schritt -- die Überzeugung, daß
die Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß
verletzt hat, indem sie schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht
angestellt hat und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten
mußte (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 277 Rz. 2 m.w.N.). Aus dem
mangelnden Vortrag von Ordnungsmaßnahmen auf der Build up area und ihrer
Kontrolle kann der naheliegende Schluss gezogen werden, daß ein
Ordnungssystem und/oder seine Kontrolle fehlte und daß die Beklagte über
konkrete Lagerpositionen der hier relevanten Fracht nicht informiert war. Ein
planloses, ungeordnetes Handhaben großer Mengen von Frachtgut anläßlich ihres
Umschlags stellt jedoch ein schwerwiegendes Versäumnis dar, wobei es
jedermann einleuchtet, daß dies bei einem Großflughafen einer Weltstadt und der
anfallenden Fülle von Fracht die Gefahr eines Kontrollverlustes begründet.
Die ... GmbH kann als Drittschaden gemäß Art. 14 WA 1929 den Güterschaden der
... GmbH liquidieren (vgl. Müller-Rostin in Giemulla/Schmid, wie oben, Art. 14 WA
Rz. 2 m.w.N.; Senat NJW 1978, 502, 503). Dieser Schaden beläuft sich auf den
Warenwert in Höhe von 151.600,00 US$, denn die zwei abhanden gekommenen
Frachtstücke enthielten die EDV-Zubehörteile, die in der Handelsrechnung der
Bianco ... vom 24.8.1995 (Bl. 8 d.A.) unter den Positionen 1, 2 und 7 beschrieben
sind.
Der Senat ist davon überzeugt, daß die verlorenen Frachtstücke diese Teile
enthielten. Das folgt aus unstreitigen und bewiesenen Hilfstatsachen. Unstreitig
waren diese Teile Gegenstand einer Gesamtbestellung, für die der
Endempfängerin ... GmbH eine Rechnung gestellt wurde. Nur unzulässig ist das
Gewicht der Gesamtfracht bestritten, das nach den Frachtpapieren 747 kg betrug.
Die Beklagte, die die Sendung entgegengenommen hatte und den Frachtbrief
ausgestellt hatte, durfte nicht ohne Angabe der abweichenden Gewichtsvorstellung
bestreiten. Die angelieferten sieben Frachtstücke wiesen nur noch ein Gewicht von
547 kg auf (vgl. Entladebericht vom 1.9.1995, Bl. 10 d.A.), so dass Frachtteile mit
einem Gewicht von 200 kg abhanden kamen. Bei der Endempfängerin kamen nur
die übrigen Waren der Rechnung an, nicht aber die Waren zu den Positionen 1, 2
und 7). Dies hat der Zeuge ... glaubhaft bestätigt, dessen Aussage keinen
Widerspruch oder Belastungseifer erkennen läßt. Da ein Teil der Sendung
unstreitig abhanden kam, ist darauf zu schließen, daß die fehlende Ware in den
fehlenden Frachtstücken enthalten war. Vernünftige Zweifel hieran bestehen nicht.
Nur theoretisch mögliche abweichende Geschehensabläufe stehen einer
Überzeugungsbildung grundsätzlich nicht entgegen, solange sich hierfür keine
Anhaltspunkte ergeben. Solche Anhaltspunkte hat die Beklagte nicht vorgetragen.
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Anhaltspunkte ergeben. Solche Anhaltspunkte hat die Beklagte nicht vorgetragen.
Ein untreuer Mitarbeiter der Versenderin konnte nicht voraussehen, daß sein Tun
durch den Verlust der von seiner Tat betroffenen Frachtstücke verdeckt werden
würde. Gegen unsorgfältiges Verpacken spricht der hohe Wert der verlorenen
Güter und die Vollständigkeit der Sendung zu den übrigen Rechnungspositionen.
Die Parteien haben die Umrechnung der 151.600,00 US$ mit 224.337,68 DM
unstreitig gestellt.
Der Zinsanspruch ist begründet. Deutsches Recht ist hierfür konkludent gewählt
(Art. 27 Abs. 1 EGBGB). Indem die Klägerin die Beklagte an ihrer deutschen
Niederlassung ungerügt in Anspruch genommen hat und die Parteien für die
Klageforderung eine Zahlung in deutscher Währung zu einem festliegenden
Umrechnungskurs vereinbart haben, kommt ihr Wille zum Ausdruck, die Zahlung
selbst und damit naheliegend auch ihre Verspätungsfolgen aus der Anwendung
des Rechts der Staaten Kalifornien oder Georgia zu lösen. Der Zinsanspruch ist
antragsgemäß aus § 353 HGB begründet, denn die Ersatzforderung war fällig und
beruhte auf einem Handelsgeschäft. Auch Sekundäransprüche werden von § 353
HGB erfaßt (vgl. Wagner in Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, § 353 Rz. 3). Die
Zinshöhe folgt aus § 352 Abs. 1 HGB.
Der Schriftsatz der Beklagten vom 20.8.1999 rechtfertigt keine Wiedereröffnung
der verfahrensfehlerfrei geschlossenen mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO).
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 546
Abs. 2 Satz 1 und 108 Abs. 1 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.