Urteil des OLG Frankfurt vom 23.01.2003
OLG Frankfurt: treu und glauben, reiseveranstalter, allgemeine geschäftsbedingungen, haftung aus unerlaubter handlung, verschulden, statut, nato, beweislast, ausschluss, schmerzensgeld
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Gericht:
OLG Frankfurt 16.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
16 U 101/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 9 AGBG, § 651g Abs 1 BGB
(Reisevertrag: Wirksamkeit einer Klausel über die
Anmeldung deliktischer Ansprüche innerhalb eines Monats;
Unfallmeldung an örtliche Reiseleitung)
Leitsatz
Es gibt in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob
eine Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die die Anmeldefrist des §
651g Abs. 1 BGB auch auf deliktische Ansprüche erstreckt, wirksam ist. Eine
Entscheidung des BGH zu dieser Frage gibt es noch nicht.
Tenor
Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil der 19. Zivilkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. April 2002 (2/19 O 423/2001) wird
zurückgewiesen.
Die Klägerinnen haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Klägerinnen wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen
Sicherheitsleistung von 120 % des aufgrund dieses Urteil vollstreckbaren Betrages
abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerinnen machen Minderungs- und Schadensersatzansprüche geltend, da
die Klägerin zu 1) auf einer bei der Beklagten gebuchten Reise einen Unfall erlitten
hat. Die Klägerin zu 2) buchte bei der Beklagten für sich, ihren Ehemann und ihre
drei Kinder, darunter die Klägerin zu 1), eine Urlaubsreise in den ... -Club ... in …
auf der Insel Mallorca für die Zeit vom 22. Juli bis 5. August 1999. Die Beklagte
bestätigte der Klägerin zu 2) diese Reise mit Schreiben vom 26. März 1999. In
diesem Schreiben wird auf die Reise- und Zahlungsbedingungen der Beklagten
hingewiesen, die Vertragsinhalt wurden.
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten heißt es unter Ziff. 10.7:
"Sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche müssen Sie innerhalb eines
Monats nach dem vertraglich vereinbarten Reiseende möglichst schriftlich uns
gegenüber geltend machen. Nach dem Ablauf dieser Frist können Sie Ansprüche
nur noch dann geltend machen, wenn Sie an der Einhaltung der Frist ohne Ihr
Verschulden gehindert waren."
Während des Urlaubsaufenthaltes wurde die Klägerin zu 1) zusammen mit ihren
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Während des Urlaubsaufenthaltes wurde die Klägerin zu 1) zusammen mit ihren
Geschwistern in dem Kinderclub der Ferienanlage angemeldet. Dort kam es am
27. Juli 1999 zu einem Unfall, indem die Klägerin zu 1) von einer Mauer stürzte und
sich den rechten Ellenbogen kompliziert brach. Vor Ort wurde die Klägerin zu 1) in
einem Krankenhaus operiert und verbrachte dort einige Tage.
Am 2. August 1999 machte die Klägerin zu 2) eine Unfallmeldung bei der
Reiseleitung.
Mit Schreiben vom 6. September 1999, das der Beklagten ausweislich des
Eingangsstempels am 7. September 1999 zuging, meldete der erstinstanzliche
Vertreter der Klägerinnen bei der Beklagten Ansprüche an.
Die Klägerinnen sind der Ansicht gewesen, die Beklagte habe ihre
Verkehrssicherungs- und Aufsichtspflicht dadurch verletzt, dass die Club-
Mitarbeiter die Kinder nicht richtig beaufsichtigt und das Herumklettern auf der
Mauer ermöglicht bzw. geduldet haben. Die Klägerin zu 1) hält daher ein
Schmerzensgeld in Höhe von 5.112,92 Euro (10.000,00 DM) für gerechtfertigt, die
Klägerin zu 2) begehrt Ersatz der entgangenen Urlaubsfreuden sowie
entstandener Sachkosten.
Die Klägerinnen haben beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) ein angemessenes, in das
Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 6.
Februar 2001 zu zahlen,
2. die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) 1.277,21 Euro nebst
4 % Zinsen hieraus seit dem 6. Februar 2001 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, die Ansprüche der Klägerin seien nach §
651g Abs. 1 BGB bzw. Ziff. 10.7 ihrer AGB verwirkt, da sie nicht innerhalb eines
Monats nach Beendigung der Reise angemeldet worden seien.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 26. April 2002 die Klage abgewiesen, da die
Klägerinnen ihre Ansprüche nicht fristgerecht angemeldet hätten. Der Ausschluss
der Ansprüche beziehe sich auch auf deliktische Forderungen, da die
entsprechende Vertragsklausel wirksam sei.
Gegen das den Klägerinnen am 8. Mai 2002 zugestellte Urteil haben diese mit
einem am 6. Juni 2002 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie mit
einem am 4. Juli 2002 eingegangenen Schriftsatz begründet haben.
Die Klägerinnen meinen, die Klausel in Ziff. 10.7 der AGB der Beklagten verstoße
gegen § 9 ABGB, da hier eine vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Frist zu Lasten
des Kunden einseitig festgelegt werde, ohne, dass ein Hinweis bei der Anmeldung
erfolge. Die einseitige Festlegung einer Ausschlussfrist widerspreche dem
Grundgedanken der Trennung zwischen Reisevertragsvorschriften und Normen des
Deliktsrechts. Auch hätte die Beklagte die notwendigen Ermittlungen vor Ort
bereits aufgrund der Unfallmeldung vom 2. August 1999 vornehmen können.
Die Klägerinnen beantragen,
unter Abänderung des am 26. April 2002 verkündeten Urteils des Landgerichts
Frankfurt am Main (2/19 O 423/01) die Beklagte zu verurteilen,
1. an die Klägerin zu 1) ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts
gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Februar 2001 zu zahlen,
2. an die Klägerin zu 2) 1.277,21 Euro (2.498,00 DM) nebst 4 % Zinsen hieraus seit
dem 6. Februar 2001 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Klausel für wirksam. Selbst wenn man sie aber für unwirksam
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Die Beklagte hält die Klausel für wirksam. Selbst wenn man sie aber für unwirksam
halte, sei Verwirkung eingetreten. Die Schadensanzeige vom 2. August 1999
könne ihrer Ansicht nach nicht zur Fristwahrung dienen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerinnen ist zwar zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat
das Landgericht die Klage abgewiesen.
Der Klägerin zu 2) stehen keine reisevertraglichen Ansprüche gegen die Beklagte
zu. Derartige Ansprüche sind gemäß § 651g Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Nach
dieser Vorschrift sind reisevertragliche Ansprüche nach den §§ 651c bis 651f BGB
innerhalb eines Monats ab Ende der Reise geltend zu machen. Die
Schadensmeldung der Klägerin zu 2) vom 2. August 1999 stellte keine solche
Geltendmachung eines Anspruchs dar. Vielmehr handelt es sich nur um eine
Mängelanzeige nach § 651c Abs. 2 Satz 1 BGB. Dies ergibt sich zum einen daraus,
dass die Meldung gegenüber der örtlichen Reiseleitung und nicht gegenüber dem
Reiseveranstalter erfolgt ist. Zum anderen ist weder aus der Schadensmeldung
vom 2. August 1999, noch aus dem Vortrag der Klägerinnen erkennbar, dass sie
schon am 2. August 1999 erklärt haben, sie wollten Ansprüche gegen die Beklagte
geltend machen.
Die Geltendmachung der Ansprüche erfolgte vielmehr erst mit Schreiben vom 6.
September 1999, das am 7.9.1999 bei der Beklagten eingegangen ist. Da die
Reise am 5. August 1999 beendet war, war die Frist zur Anmeldung der Ansprüche
am 7. September 1999 (einen Dienstag) bereits abgelaufen.
Die Forderung der Klägerin zu 2) ist auch gemäß § 651 g Abs. 2 BGB verjährt.
Nach dieser Vorschrift verjähren reisevertragliche Ansprüche sechs Monate ab
Ende der Reise bzw. Zurückweisung der Ansprüche durch den Reiseveranstalter.
Die Beklagte hat die Ansprüche der Klägerinnen am 14. September 1999
zurückgewiesen.
Die Klage wurde erst am 27. Dezember 2001 erhoben.
Vertragliche Ansprüche sind damit sowohl wegen Versäumung der Anmeldefrist
als auch wegen Verjährung nicht gegeben.
Aber auch deliktische Ansprüche stehen weder der Klägerin zu 1) noch der Klägerin
zu 2) zu.
Ein Anspruch der Klägerin zu 1) aus § 832 BGB besteht nicht. Diese Vorschrift
betrifft nur Schäden von Dritten, die durch unzureichende Aufsicht eingetreten
sind, nicht aber Schäden des Beaufsichtigten.
Der Senat konnte auch dahingestellt bleiben lassen, ob bei den Klägerinnen ein
Schadensersatzanspruch nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB entstanden ist. Im
vorliegenden Fall ist dieser Anspruch jedenfalls ausgeschlossen. Zwar ergibt sich
dieser Ausschluss nicht aus § 651g Abs. 1 BGB. Nach ihrem klaren Wortlaut
bezieht sich diese Bestimmung nur auf die vertraglichen Ansprüche der § 651 c bis
651 f BGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1988, 1380)
und der herrschenden Meinung (vgl. Palandt-Sprau, BGB (62. Aufl.) § 651g Rdz. 1
m.w.N.) ist diese Vorschrift nicht unmittelbar oder analog auf deliktische
Schadensersatzansprüche anwendbar. Dieser Auffassung schließt sich der Senat
an.
Der Ausschluss des Anspruchs aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich vielmehr
aus Nr. 10.7 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten. Nach dieser
Vertragsbestimmung müssen sämtliche Ansprüche innerhalb einer Monatsfrist
seit Ende der Reise geltend gemacht werden. Darunter fallen auch deliktische
Ansprüche im Zusammenhang mit der Urlaubsreise. Ob diese Klausel wirksam ist,
ist streitig.
Teilweise wird angenommen, eine solche Klausel verstoße gegen § 9 AGBG.
Während die meisten Vertreter dieser Ansicht keine Begründung anführen
(Bidinger/Müller, Reisevertragsrecht 2. Aufl. § 651g Anm. 3; OLG München NJW-RR
1987, 493; Ulmer/ Brandner/Hansen, AGBG 9. Aufl., Anh. §§ 9 bis 11, Rdz. 598;
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1987, 493; Ulmer/ Brandner/Hansen, AGBG 9. Aufl., Anh. §§ 9 bis 11, Rdz. 598;
Staudinger/Eckert 13. Bearb. 2001, § 651g Rdz. 28; Pick, Reiserecht § 651g Rdz.
13), führt vor allem Tonner (RRa 1999, 91; Der Reisevertrag 4. Aufl., § 651g Rdz.
18; MüKo, BGB (3. Aufl.), § 651g Rdz. 2) aus, es liege bei einem Reiseunfall eine
Ungleichbehandlung des vertraglich gebundenen Kunden gegenüber Dritten vor,
die nicht ohne Vertragsbeziehungen zum Reiseveranstalter stehen. Ohne
sachlichen Grund würden dem Reisenden Ansprüche genommen, die ihm nach
dem Gesetz zustehen würden. Dies sei unangemessen im Sinne von § 9 Abs. 1
AGBG. Die Beweislage verschlechtere sich zwar für den Reiseveranstalter durch
den Zeitablauf. Dem könne man aber durch Konkretisierung des Verschuldens und
der Verkehrspflichtverletzung Rechnung tragen. Die Beweisnot treffe den
Reisenden eher als den Reiseveranstalter, da der Reisende bei unerlaubter
Handlung das Verschulden beweisen müsse. Deshalb treffe die ratio des § 651g
Abs. 1 BGB auf deliktische Ansprüche nicht zu. Der Umstand, dass der Reisende
die Beweislast für das Verschulden trägt, lässt auch Wolf/Horn/Lindacher (AGBG 4.
Aufl., § 9 Anm. R 101) die Auffassung vertreten, die Ausdehnung der Anmeldefrist
des § 651g Abs. 1 BGB auf deliktische Ansprüche verstoße gegen § 9 AGBG.
Dadurch, dass die Beweislast für das Verschulden beim Reisenden liege, sei der
Veranstalter besser gestellt als bei vertraglichen Ansprüchen. Deshalb lasse sich
der Schutz des Reiseveranstalters nicht mit den § 651g Abs. 1 BGB zugrunde
liegenden Erwägungen rechtfertigen. Teilweise wird auch darauf hingewiesen, dass
Personenschäden erst nach Ablauf eines Monats eintreten können (z.B. lange
Inkubationszeit) oder sich entgegen dem ersten Eindruck erheblich verschlimmern
(Seyderhelm, Reiserecht § 651g Rdz. 7). Dieser Umstand führe nicht nur dazu,
dass § 651g Abs. 1 BGB nicht auf deliktische Ansprüche angewendet werden
könnte, sondern auch dazu, dass entsprechende Klauseln, die die Anmeldefrist auf
deliktische Ansprüche ausdehnen, gegen §§ 651g Abs. 1, 651 e BGB und 9 AGBG
verstoßen.
Demgegenüber vertreten vor allen die verschiedenen Kammern des Landgerichts
Frankfurt am Main den gegenteiligen Standpunkt (21. Zivilkammer RR, 1998, 160;
24. Zivilkammer NJW 1987, 132 und NJW 1990, 520; 19. Zivilkammer RR 02, 69).
Insbesondere die 21. Zivilkammer meint, es liege weder ein Verstoß gegen § 651l
BGB (jetzt § 651m BGB) vor, noch sei eine vertragliche Erstreckung der
Anmeldefrist auf deliktische Ansprüche mit wesentlichen Gedanken der
gesetzlichen Bestimmungen unvereinbar, so dass auf § 9 AGBG nicht verletzt sei.
Gegen eine solche Unvereinbarkeit spreche bereits, dass der Ausschluss von
Schadenersatzansprüchen in § 651g Abs. 1 BGB ausdrücklich vorgesehen sei.
Auch umfasse die mit gleicher Zielsetzung normierte Ausschlussfrist des Art. 8
Abs. 6 Satz 1 des Finanzvertrages zum Nato-Truppen-Statut auch deliktische
Ansprüche (BGHZ 34, 230). Insbesondere die Gründe, die für eine analoge
Anwendung des § 651g Abs. 1 BGB auf deliktische Ansprüche sprechen, würden
die Vertragsbestimmungen rechtfertigen, die eine solche Anmeldefrist auch auf
deliktische Ansprüche erstrecke. Dem stehe nicht entgegen, dass
Personenschäden u.U. erst nach Fristablauf erkennbar oder in ihrer Schwere
deutlich werden, denn für den Reisenden treten die Rechtsnachteile nicht ein, wenn
die Fristversäumung unverschuldet sei. Habe aber der Reisende die Frist
schuldhaft versäumt, liege in dem Ausschluss des Anspruchs keine
unangemessene Benachteiligung.
Dieser Ansicht haben sich beachtliche Stimmen in der Literatur angeschlossen
(RGRK-Recken, BGB (12. Aufl.), § 651g Rdz. 7; Erman-Seiler BGB 10. Aufl., § 651g
Rdz. 1; Palandt/Sprau, BGB (62. Aufl.), § 651g Rdz. 1; Bechhofer, RR 1998, 160;
Führich, Reiserecht 4. Aufl., § 12 Rdz. 360 m.w.N.). Der Reiseveranstalter habe ein
legitimes Interesse an einer raschen Sicherung der Beweise, zumal Personen- und
Sachschäden oft erhebliche Forderungen nach sich ziehen. Es sei unbillig, dem
Reiseveranstalter die Möglichkeit zügiger Recherche und Beweissicherung vor Ort
und der Anspruchstellung gegen den örtlichen Leistungsträger zu nehmen und ihn
über Jahre im Ungewissen zu lassen, ob er Rücklagen bilden müsse. Auch liege
eine schnelle Beweissicherung im Interesse des Reisenden, da nach langer Zeit bei
vom Reiseveranstalter zu vertretender Erkrankung der Beweis für ihn kaum noch
zu führen sein werde. Auch werde der Reisende durch eine solche Klausel nicht
überrascht, da für den Veranstalter eine Hinweispflicht bestehe. Darüber hinaus
handele es sich bei den Ansprüchen aus einer Reise um einen einheitlichen
Lebenssachverhalt, der einheitlichen Regelungen unterworfen werden sollte. Der
Reisende könne bei rechtzeitiger Anmeldung später auftretende Unfallfolgen noch
geltend machen, da er bei der Anmeldung den Anspruch nicht beziffern müsse.
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Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Die Wirksamkeit der
Klausel richtet sich nicht nach § 651m BGB (früher § 651 l BGB), da diese
Vorschrift nur die Abweichung von den Vorschriften der §§ 651a bis 651l BGB zum
Inhalt hat, mit der Erstreckung des § 651g Abs. 1 BGB auf deliktische Ansprüche
aber keine Abweichung von den Gewährleistungsvorschriften erfolgt. Maßgebend
für die Beurteilung der Wirksamkeit ist deshalb § 9 AGBG.
Nach § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) sind Bestimmungen in
Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des
Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung ist nach § 9 Abs. 2 Nr. 1
AGBG im Zweifel anzunehmen, wenn die Bestimmung mit wesentlichen
Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu
vereinbaren ist.
Eine solche Abweichung von der gesetzlichen Regel liegt nicht vor. Der
Gesetzgeber sieht in § 651g Abs. 1 BGB ausdrücklich vor, das Ansprüche aus
Mängeln der Reise, auch wenn sie zu Schadensersatzansprüchen führen, innerhalb
einer Frist von einem Monat geltend zu machen sind. Deshalb verstößt es nicht
gegen den Grundgedanken des § 651g Abs. 1 BGB, wenn diese Frist auf deliktische
Ansprüche erstreckt wird. Auch gegen den Grundgedanken des § 823 Abs. 1 BGB
verstößt die Klausel nicht. Zwar sind vertragliche und deliktische Ansprüche nach
den Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich selbständig zu beurteilen.
Gleichwohl gibt es Wechselwirkungen (Palandt-Thomas, BGB, 61. Aufl., Einf. vor §
823 Rdz. 4), da vertragliche und gesetzliche Regelungen sich auch auf die Haftung
aus unerlaubter Handlung auswirken können (BGHZ 100, 182; 96, 228/229). Zu
Recht hat die 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (RRA 99, 88)
darauf hingewiesen, dass bei vergleichbaren Regelungen im Nato -Truppen-Statut
und seinen Nebengesetzen auch deliktische Ansprüche ausgeschlossen sind.
Nach Art. 6 des Ausführungsgesetzes zum Nato-Truppen-Statut sind
Schadensersatzansprüche innerhalb von drei Monaten geltend zu machen. Auch
diese Bestimmung dient ebenso wie § 651g Abs. 1 BGB einer schnellen Abwicklung
der Entschädigungsverfahren.
Die Frist des Art. 6 Ausführungsgesetz zum Nato-Truppen-Statut (früher Art. 8
Abs. 6 Satz 1 Finanzvertrag zum Nato-Truppen-Statut) soll den Geschädigten zu
einer alsbaldigen Geltendmachung seiner Rechte veranlassen und dadurch die
deutschen Behörden und die Dienststellen der Streitkräfte in die Lage versetzen,
die zur Abgeltung der Schäden erforderlichen Feststellungen mit der erforderlichen
Beschleunigung zu treffen. Infolge des häufigen Standort- und Personalwechsels
der militärischen Einheiten werden die Ermittlungen erheblich erschwert, wenn
nicht unmöglich gemacht (Bundesministerium der Finanzen, Entschädigungsrecht
der Truppenschäden 1991 Rdz. 91 S. 96).
Auch der Bestimmung des § 651g Abs. 1 liegen ähnliche Erwägungen zugrunde.
Der Normzweck dieser Vorschrift liegt in der Herbeiführung einer schnellen
Abwicklung der Ansprüche des Reisenden, da der Veranstalter schon nach kurzer
Zeit Schwierigkeiten hat, die Berechtigung von Ansprüchen, die aus der Reise
resultieren, zu überprüfen und Rückgriff auf seine Leistungsträger zu nehmen.
Dieser Normzweck der zeitnahen Überprüfung, der dem Anspruch zugrunde
liegenden Tatsachen gilt in gleicher Weise auch für deliktische Ansprüche. Nur im
engen zeitlichen Zusammenhang mit der Reise durchgeführte Ermittlungen
können erfolgreich sein und erhalten dem Reiseveranstalter die Möglichkeit des
Rückgriffs auf seine Leistungsträger. Auch kann ein frühzeitig in Anspruch
genommener Reiseveranstalter Rücklagen bilden, die im Falle der berechtigten
Geltendmachung von Ansprüchen zur Befriedigung des Reisenden zur Verfügung
stehen.
Geht man aber davon aus, dass bei Ansprüchen aus dem Nato-Truppen-Statut die
Einführung einer Anmeldefrist auch für deliktische Ansprüche gilt (BGHZ 34, 230)
und dies nicht gegen den Grundgedanken der §§ 823 ff. BGB verstößt, so muss
Entsprechendes gelten, wenn durch eine Allgemeine Geschäftsbedingung eine
Anmeldefrist, die der Gesetzgeber für bestimmte vertragliche Ansprüche
geschaffen hat, auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung ausgedehnt wird,
zumal sowohl § 651g Abs. 1 BGB als auch Art. 6 des Ausführungsgesetzes zum
Nato-Truppen-Statut derselbe Normzweck zugrunde liegt. Aber auch wenn man
von der beiderseitigen Interessenlage ausgeht, die bei der Beurteilung der Klausel
im Rahmen von § 9 AGBG zugrunde zu legen ist, gelangt man nicht zu einer
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im Rahmen von § 9 AGBG zugrunde zu legen ist, gelangt man nicht zu einer
Unwirksamkeit der Klausel. Wie bereits dargelegt entspricht die Klausel der
gesetzgeberischen Intention, die der Vorschrift des § 651g Abs. 1 BGB zugrunde
liegt und die auch für deliktische Ansprüche gilt, da der Reiseveranstalter auch bei
Ansprüchen aus unerlaubter Handlung ein Interesse an zügiger Aufklärung hat.
Würde man dem Reisenden die Möglichkeit verschaffen, Ansprüche noch bis zum
Ablauf der Verjährungsfrist geltend zu machen, würde dies den Reiseveranstalter
unzumutbar belasten. Dies gilt nicht nur für die dreijährige Verjährungsfrist des §
852 BGB bzw. § 195 BGB n.F., sondern erst recht für die 30jährige
Verjährungshöchstfrist für Personenschäden (§ 199 Abs. 2 BGB n.F.).
Der Reisende, der erst nach mehreren Jahren seine Ansprüche geltend macht,
kann den Reiseveranstalter in eine äußerst schwierige Situation bringen. Wegen
des starken Wechsels der Reiseleiter, die teilweise nur als Saisonkräfte beschäftigt
sind, ist eine Aufklärung des Sachverhalts durch eigene Mitarbeiter nicht mehr
möglich. Auch ist nach langer Zeit die Möglichkeit verbaut, Rückgriff auf die
Leistungsträger zu nehmen, da etwaige Ansprüche gegen sie verjährt sind. Auch
müsste der Reiseveranstalter für nahezu alle Reisenden Rückstellungen bilden, weil
er nicht weiß, ob nicht der Reisende nach Jahren Schadensersatzansprüche aus
unerlaubter Handlung geltend macht.
Wenn demgegenüber die Gegenmeinung ausführt, die Beweislast für ein
Verschulden sei bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung beim Reisenden,
während bei vertraglichen Ansprüchen der Reiseveranstalter sich entlasten müsse,
so stellt dies keinen wesentlichen Nachteil für den Reisenden dar, denn zum einen
wird in derartigen Haftungsfällen vor allem um die Pflichtverletzung des
Reiseveranstalters oder seines Erfüllungsgehilfen gestritten und nur selten um das
Verschulden. Hinsichtlich der Pflichtverletzung besteht aber kein Unterschied
zwischen den vertraglichen und deliktischen Ansprüchen des Reisenden
hinsichtlich der Beweislast. Zum anderen ist die Beweislage für den Reisenden oft
besser als für den Reiseveranstalter, da dieser durch mitreisende
Familienangehörige oder andere Urlauber, die er vor Ort kennen gelernt hat, über
relativ sichere Beweismittel verfügt, während der Reiseveranstalter üblicherweise
nur den Reiseleiter als Beweismittel hat. Der Umstand, dass der Reisende bei
deliktischen Ansprüchen die Beweislast auch für das Verschulden hat, führt
deshalb nicht zu einer wesentlichen Besserstellung des Reiseveranstalters und
einer mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden
unangemessenen Benachteiligung des Reisenden, so dass der Grundgedanke des
§ 651g Abs. 1 BGB auch für deliktische Ansprüche im Zusammenhang mit einer
Reise gilt. Auch liegt die Beweislast für fehlendes Verschulden bei einer Haftung
aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB beim Veranstalter. Er hat nach § 831 Abs. 1 Satz 2
BGB u.a. darzulegen und zu beweisen, dass er die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt beachtet hat. Außerdem betrifft der Gesichtspunkt der Beweislast nur die
gerichtliche Auseinandersetzung. Vorliegend geht es aber lediglich um die
Einhaltung der Anmeldefrist.
Die Gegenansicht überzeugt auch nicht, soweit sie ausführt, dem Reisenden
würden ohne sachlichen Grund Ansprüche genommen, die ihm nach dem Gesetz
zustehen. Der sachliche Grund liegt in dem Normzweck des § 651g Abs. 1 BGB,
der auch für Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit einer
Reise gilt. Auch die späte Erkennbarkeit einzelner Schäden spricht nicht gegen die
Wirksamkeit der Klausel, denn Voraussetzung für den Ausschluss des Anspruchs
ist ein Verschulden des Reisenden an der Fristversäumung. Dieses liegt nicht vor,
wenn der Schaden erst nach Fristablauf erkennbar ist. Außerdem kann ein
Reisender, wenn er unsicher ist, ob und wie sich ein ihm entstandener Schaden
entwickelt, den Anspruch dem Grunde nach anmelden. Eine Bezifferung der Höhe
nach ist nicht erforderlich. Im übrigen hat der Bundesgerichtshof (BGHZ 97, 258;
100, 181) ausgeführt, dass die Gewährleistungsbestimmung des
Reisevertragsrechts als Sondernormen die allgemeinen Vorschriften über
Leistungsstörungen sowie die Anspruchsgrundlagen des Verschuldens bei
Vertragsschluss oder der positiven Vertragsverletzung verdrängen. Auch wenn
diese Sonderregelungen nicht unmittelbar die gesetzlichen Ansprüche aus den §§
823 ff. BGB verdrängen, so muss es aber als zulässig angesehen werden, die
gesetzlichen Wertungen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen auch auf
deliktische Ansprüche zu übertragen, insbesondere, wenn der geltend gemachte
Reisemangel zugleich eine Verkehrspflichtverletzung des Reiseveranstalters
darstellt und damit den Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt.
Dies gilt insbesondere deshalb, weil in dem Reisevertragsgesetz vom 4. Mai 1979
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Dies gilt insbesondere deshalb, weil in dem Reisevertragsgesetz vom 4. Mai 1979
der Wille des Gesetzgebers deutlich geworden ist, für alle nachträglichen
Störungen einer Reise eine umfassendere Regelung zu treffen (so BGHZ 100,
261). Wenn etwaige Lücken in diesem Regelungssystem ausgeglichen werden
durch systemgerechte Allgemeine Geschäftsbedingungen, ist dies nicht zu
beanstanden. Da das Rechtsmittel der Klägerinnen erfolglos war, haben sie die
Kosten des Berufungsverfahrens nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.
10, 711 ZPO.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da dies der Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung dient (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Wie bereits dargelegt, gibt es in
Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob eine
Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die die Anmeldefrist des §
651g Abs. 1 BGB auch auf deliktische Ansprüche erstreckt, wirksam ist. Eine
Entscheidung des BGH zu dieser Frage gibt es noch nicht. Diese Frage hat darüber
hinaus auch grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.