Urteil des OLG Frankfurt vom 03.03.2006

OLG Frankfurt: einstellung des verfahrens, untersuchungshaft, vorläufige einstellung, entschädigung, auflage, verfolgungsverjährung, haftbefehl, quelle, erlass, beschränkung

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 61/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 203 StPO, § 206a StPO, §
467 Abs 1 StPO, § 467 Abs 3 S
2 StPO, § 8 Abs 1 S 3 StrEG
(Einstellung des Strafverfahrens wegen Fehlens eines
wirksamen Eröffnungsbeschlusses: Verneinung einer
Entscheidung über eine Strafverfolgungsentschädigung;
Entscheidung über die notwendigen Auslagen des
Angeklagten)
Leitsatz
Die Versagung einer Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft kann erst erfolgen,
wenn eine für eine Entschädigungsregelung erforderliche verfahrensabschließende
Entscheidung vorliegt. Die Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO wegen
fehlenden Eröffnungsbeschlusses stellt eine solche Entscheidung nicht dar.
Gründe
Gegen den früheren Angeklagten, der am 3. 2. 2005 festgenommen worden war
und sich seitdem in Untersuchungshaft befand, wurde durch Urteil des
Amtsgerichts Offenbach vom 14. 7. 2005 wegen gemeinschaftlich begangenen
Betruges eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr 3 Monaten verhängt. Auf die Berufung des
früheren Angeklagten wurden die Akten dem Landgericht Darmstadt übersandt.
Der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer stellte nach Durchsicht der Akten
fest, dass das Verfahren gegen den Angeklagten "...“ nicht eröffnet worden war.
Durch Beschluss des Landgerichts vom 4. 11. 2005 wurde daraufhin der Haftbefehl
des Amtsgerichts Offenbach vom 30. 5. 2000 aufgehoben und der frühere
Angeklagte aus der Untersuchungshaft in dieser Sache entlassen. Durch
Beschluss vom 2. 12. 2005 stellte das Landgericht das Verfahren wegen eines
Verfahrenshindernisses gemäß § 206 a StPO ein, da der fehlende
Eröffnungsbeschluss in der Berufungsinstanz nicht mehr nachgeholt werden
könne. Weiterhin stellte es fest, dass der Angeklagte für die erlittene
Untersuchungshaft nicht zu entschädigen sei. Eine Entschädigung sei gemäß § 5
Abs. 2 StrEG ausgeschlossen, da der Angeklagte den Erlass des Haftbefehls und
den Vollzug der Untersuchungshaft durch seine Flucht nach O1 zumindest grob
fahrlässig herbeigeführt habe. Die Strafkammer hat davon abgesehen, die
notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.
Der frühere Angeklagte wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die
Versagung einer Entschädigung sowie die Kostenentscheidung.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 8 Abs. 3 StrEG sowie § 464 Abs. 3 StPO
statthaft. Die Beschränkung des § 464 Abs. 3 S. 1 2. Halbs. StPO gilt nicht, wenn
gegen die Hauptentscheidung als solche - hier die Einstellung gemäß § 206 a
StPO- ein Rechtsmittel statthaft ist, dieses einem Prozessbeteiligten - hier dem
früheren Angeklagten - mangels Beschwer aber nicht zusteht ( Meyer-Goßner,
StPO, 48. Auflage, § 464 RdNr. 19; OLG Bamberg, Beschl. v. 11. 1. 2006, Ws
971/05, zitiert nach juris).
Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache
Erfolg.
Die Versagung einer Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft war
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Die Versagung einer Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft war
aufzuheben, da es an der für eine Entschädigungsregelung erforderlichen
verfahrensabschließenden Entscheidung ( § 8 Abs. 1 Satz 3 StrEG) fehlt. Die
erfolgte Einstellung des Verfahrens nach § 206 a StPO wegen des fehlenden
Eröffnungsbeschlusses stellt eine solche abschließende Entscheidung nicht dar.
Der Eröffnungsbeschluss kann, jedenfalls wenn wie hier Verfolgungsverjährung
noch nicht eingetreten ist, in einem neuen Verfahren nachgeholt werden (
Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 260 RdNr. 48), so dass eine
Verurteilung des Beschwerdeführers weiterhin in Betracht kommt. Sollte eine
Freiheitsstrafe ausgesprochen werden, wäre die erlittene Untersuchungshaft
gemäß § 51 Abs. 1 StGB auf die ausgeworfene Strafe anzurechnen. Erst nach
rechtskräftiger Urteilsfällung steht mithin fest, ob und gegebenenfalls in welchem
Umfang eine (überschießende) Untersuchungshaft vorhanden ist, für die eine
Entschädigung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz möglich wäre ( vgl.
Senat, Beschluss vom 4. 3. 1994, MDR 1994, 626 für eine vorläufige Einstellung
nach § 154, 154 b StPO). Nur wenn das Hindernis durch Eintritt der
Verfolgungsverjährung nicht mehr behebbar sein sollte, käme der Einstellung des
Verfahrens eine abschließende Wirkung zu. Für eine Entscheidung über eine
Versagung der Entschädigung ist daher zur Zeit kein Raum, so dass der
angefochtene Beschluss insoweit aufzuheben war.
Auch die Kostenentscheidung konnte keinen Bestand haben. Die gemäß § 467
Abs. 3 S. 2 Ziffer 2 StPO vorzunehmende Abwägung führt dazu, dass die dem
früheren Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen nach 467 Abs. 1 StPO
der Staatskasse zu Last fallen. Das Verfahrenshindernis beruht auf einem
Verfahrensfehler des Amtsgerichts und nicht auf einem dem früheren Angeklagten
vorzuwerfenden Verhalten ( Karlsruher Kommentar, a. a. O., § 467 RdNr. 10 b ;
OLG Bamberg, a. a. O.; OLG München, StV 1988, 71 ). Im übrigen kommt auch
eine Verurteilung des Beschwerdeführers mit der Auferlegung seiner notwendigen
Auslagen in einem neuen Verfahren in Betracht, so dass es unbillig erscheint, ihn
wegen eines ihm nicht anzulastenden Verfahrensfehlers im vorliegenden
Verfahren doppelt mit seinen notwendigen Auslagen zu belasten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO in
entsprechender Anwendung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.