Urteil des OLG Frankfurt vom 23.06.2003
OLG Frankfurt: treu und glauben, ehepartner, wohnung, zwangsvollstreckung, auflage, mitbesitz, besitzer, besitzdiener, vermieter, räumung
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Gericht:
OLG Frankfurt 26.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
26 W 24/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 885 ZPO
(Zwangsvollstreckung: Zwangsräumungstitel gegen beide
Ehepartner)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde vom 26. März 2003 wird der Beschluss des
Amtsgerichts Königstein vom 17. März 2003 abgeändert.
Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Königstein/Taunus vom
22. Oktober 2001 - 21 C 979/01 (14) - wird für unzulässig erklärt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen den Gläubigern als
Gesamtschuldnern zur Last.
Der Beschwerdewert beträgt 38.400 DM.
Gründe
Die Gläubiger, die ihren Wohnsitz in Belgien haben, betreiben aufgrund eines
gegen den Beschwerdeführer zu 1. gerichteten Titels die Zwangsräumung eines
Wohnhauses in ..., das der Schuldner mit seiner Ehefrau, der Beschwerdeführern
zu 2., und zwei Kindern bewohnt. In dem Mietvertrag ist nur der Schuldner als
Mieter aufgeführt, aber vermerkt, dass vier Personen in das Haus einziehen.
Die Schuldner haben gegen die Festsetzung eines Räumungstermins durch den
Gerichtsvollzieher Erinnerung eingelegt und geltend gemacht, zur
Zwangsräumung bedürfe es auch eines gegen die Ehefrau gerichteten
Räumungstitels.
Das Amtsgericht hat die Erinnerung mit der Begründung zurückgewiesen, ein
gegen die Ehefrau gerichteter Titel sei nicht erforderlich, weil diese nicht selbst
Mieterin sei. Die Beschwerdeführerin leite als Ehefrau des Schuldners ihr
Wohnrecht nur von diesem ab. Die Beschwerdeführer handelten treuwidrig, wenn
sie erstmals im Vollstreckungsverfahren den Mitbesitz der Ehefrau geltend
machten.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldner ist
zulässig und begründet.
Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts ergibt sich aus dem ausländischen
Wohnsitz der Gläubiger (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG).
Die Beschwerdeführerin zu 2. wendet sich zu Recht dagegen, dass die
Zwangsräumung der Ehewohnung aus einem nur gegen ihren Ehemann
gerichteten Titel betrieben wird, weil nicht nur dieser, sondern auch sie selbst
Besitzerin der Ehewohnung ist. In Rechtsprechung und Lehre wird bzw. wurde zum
Teil noch die Auffassung vertreten, ein gegen den Mieter einer Wohnung erwirkter
Räumungstitel rechtfertige auch die Zwangsräumung gegen dessen Ehepartner
(OLG Ffm., MDR 1969, 853; OLG Hamburg, NJW-RR 1991, 909; OLG Hamm, NJW
1956, 1681; OLG Köln, NJW 1958, 598; Schuschke, NZM 1998, 58, 61; Schilken,
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1956, 1681; OLG Köln, NJW 1958, 598; Schuschke, NZM 1998, 58, 61; Schilken,
DGVZ 1988, 49, jeweils m.w.N.).
Dies wird insbesondere damit begründet, der Ehepartner, der nicht selbst auch
Mieter sei, leite seinen Mitbesitz lediglich aus dem Besitzrecht des Mieters ab (OLG
Ffm., a.a.O.), aus §§ 885 Abs. 2, 3 ZPO ergebe sich, dass mit dem
Räumungsschuldner auch alle Mitbewohner der Wohnung die Räumung zu dulden
hätten (vgl. Schilken, DGVZ 1988, 49, 57; Schuschke, NZM 1998, 62), mit der
Unzumutbarkeit für den Vermieter, sich auch gegen den weiteren Besitzer einen
Titel beschaffen zu müssen oder mit einem Verstoß gegen Treu und Glauben.
Dies vermag nicht zu überzeugen, weil die Zwangsräumung eines Hauses bzw.
einer Wohnung gemäß § 885 Abs. 1 ZPO in der Weise erfolgt, dass der
Gerichtsvollzieher den Schuldner aus dem Besitz setzt. Da die
Zwangsvollstreckung gemäß § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO nur beginnen darf, wenn die
Personen, für und gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil oder der
Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind, setzt eine Zwangsräumung
grundsätzlich einen Titel gegen jeden der Besitzer des Hauses bzw. der Wohnung
voraus. Eine Differenzierung danach, worauf der Besitz beruht, ob und ggf. von
wem er abgeleitet ist oder ob er berechtigt ist, kann der gesetzlichen Regelung
nicht entnommen werden. Vielmehr kommt es für die entscheidende Frage des
Besitzes lediglich auf die nach außen erkennbare tatsächliche Gewalt und die
Verkehrsanschauung an und nicht auf die Frage der Rechtmäßigkeit oder der
rechtlichen Ableitung eines etwaigen Besitzrechtes (Palandt-Bassenge, BGB, 62.
Auflage, § 854 Rn. 3; Stein-Jonas-Brehm, ZPO, 21. Auflage, § 855 Rn. 11).
Soweit demgegenüber darauf abgestellt wird, ob lediglich ein "abgeleiteter" Besitz
vorliegt, kann dies im Übrigen auch deshalb nicht überzeugen, weil die
Zwangsvollstreckung damit in unzulässiger Weise von der Prüfung
materiellrechtlicher Vorfragen und nicht nur bestimmter tatsächlicher Verhältnisse
abhängig gemacht wird.
Daran, dass die Beschwerdeführerin ohne jede Einschränkung auch selbst
Besitzerin der gemeinsamen ehelichen Wohnung ist, bestehen keine Zweifel.
Dass auch derjenige Ehepartner, der selbst nicht Mieter ist, nicht mehr lediglich als
Besitzdiener oder jedenfalls nicht "selbständiger" Besitzer angesehen wird, ist
fester Bestand höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH NJW 1954, 918). Zu Recht
hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass es der Stellung eines
Ehepartner nicht entspreche, wenn man ihm jede selbständige Nutzungsbefugnis
der ehelichen Wohnung versagen und ihn von den Weisungen des alleinigen
Wohnungsinhabers abhängig sein lassen wolle BGH a.a.O. S.921).
Die Anerkennung des Mitbesitzes des Ehepartners, der selbst nicht Mieter ist,
verbietet es, aus der in § 885 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Empfangszuständigkeit
Familienangehöriger für wegzuschaffende Sachen zu schließen, diese unterlägen
der Räumung nach § 885 Abs. 1, ohne selbst "Schuldner "zu sein (so aber
Schuschke, NZM 1998,58,62). Darin läge das Festhalten an dem überholten
Rechtsstandpunkt, einer der Ehepartner - regelmäßig die Ehefrau - sei in
Wirklichkeit nicht Mitbesitzer, sondern weiterhin als ein den Weisungen des Mieters
unterworfener Besitzdiener anzusehen (vgl. KG in NJW-RR 1994, 713, 714; Stein-
Jonas-Brehm, a.a.O., Rn. 12).
Zu Recht wird daher von der inzwischen wohl überwiegenden Meinung in
Rechtsprechung und Schrifttum die Auffassung vertreten, dass die
Zwangsräumung einer Ehewohnung Titel gegen beide Ehepartner voraussetzt
(OLG Jena, WuM 2002, 221; OLG Düsseldorf, NZM 1998, 880; OLG Köln, (2. ZS),
MDR 1997, 782; OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 715; KG, NJW-RR 1994, 713; LG
Saarbrücken, NZM 2002, 939; Stein-Jonas-Brehm, ZPO, 21. Auflage, § 885 Rn. 15;
Zöller-Stöber, ZPO, 23. Auflage, § 885 Rn. 6 jeweils m.w.N.).
Soweit demgegenüber auf Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des
Räumungsanspruchs für den Vermieter und die Möglichkeit des
Rechtsmissbrauchs durch Mieter hingewiesen wird, kann dies kein überzeugender
Grund für eine andere rechtliche Beurteilung der gesetzlich normierten
Vollstreckungsvoraussetzungen sein (so zu Recht Stein-Jonas-Brehm, a.a.O., Rn.
15). Auch eine Abwägung der Interessen von Vermietern und Mietern kann nicht
zu einem anderen Ergebnis führen (vgl. aber Schuschke a.a.O.). Für eine derartige
Interessenabwägung lässt die gesetzliche Regelung, die allein auf die tatsächlichen
Besitzverhältnisse abstellt, keinen Raum.
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Wenn eine Zwangsräumung auch gegen den im Mietvertrag und im Titel nicht
genannten Ehepartner möglich sein soll, obwohl dieser nicht mehr als
Besitzdiener, sondern als Mitbesitzer angesehen wird, kann dies nur im Rahmen
einer Gesetzesänderung erfolgen.
Ob ein treuwidriges Verhalten im Ergebnis dazu führen kann, dass die
Zwangsräumung gegen eine bestimmte Person nach Treu und Glauben auch ohne
Vorliegen eines Titels und der übrigen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
betrieben werden kann, wie das Amtsgericht meint, muss nicht entschieden
werden. Im Streitfall lässt sich nämlich ein treuwidriges Verhalten der
Beschwerdeführer schon deshalb nicht feststellen, weil die Beschwerdeführerin zu
2 mit Wissen der Vermieter in die Wohnung aufgenommen worden ist und die
Beschwerdeführer unstreitig erst nach Erlass des gegen den Beschwerdeführer zu
1 gerichteten Versäumnisurteils durch ihren Rechtsanwalt auf das Erfordernis
eines auch gegen die Mitbesitzerin gerichteten Titels hingewiesen worden sind.
Solange nicht ein Titel gegen beide Eheleute vorliegt, kann aus dem Räumungstitel
auch nicht gegen den Schuldner und Beschwerdeführer zu 1 vollstreckt werden,
weil sich der Mitbesitz an der Ehewohnung auch auf alle Einrichtungsgegenstände
erstreckt und die Beschwerdeführerin zu 1 nicht daran gehindert werden könnte,
den Schuldner jederzeit wieder in die Wohnung aufzunehmen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 ZPO, 57 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO, 16 Abs.
2 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.