Urteil des OLG Frankfurt vom 23.05.2003

OLG Frankfurt: rücknahme der klage, treu und glauben, absolute verjährungsfrist, zukünftiger schaden, schmerzensgeld, ermessen, verdacht, schleudertrauma, form, vollstreckung

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Gericht:
OLG Frankfurt 2.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 U 40/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 852 BGB, § 852aF BGB, § 3
Nr 3 S 3 PflVG
(Kfz-Unfall: Wegfall der Verjährungshemmung des
Direktanspruchs gegen den Versicherer mit
Klagerücknahme nach Zahlung)
Leitsatz
Eines ausdrücklichen schriftlichen Hinweises gem. § 3 III PflVersG der Versicherung
bedarf es nicht, wenn der verletzte Versicherungsnehmer Klage einreicht und nach
Zahlung durch die Versicherung die Klage zurücknimmt.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main
vom 25. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
Dem Kläger fallen die Kosten der Berufung zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des
jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Parteien können die Sicherheitsleistung auch durch unbedingte, unbefristete,
unwiderrufliche selbstschuldnerische Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürge
zugelassenen inländischen Kreditinstitutes erbringen.
Gründe
Der Kläger hat am 06.09.1990 einen Verkehrsunfall erlitten, bei dem er verletzt
worden ist. Die Beklagte ist die Versicherung des Unfallgegners, der an dem Unfall
allein schuldig gewesen ist. Die Beklagte hat den materiellen Schaden des Klägers
ersetzt. Außerdem hat sie ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 800,-- gezahlt.
Der Kläger hatte bei dem Unfall ein schweres HWS-Schleudertrauma erlitten. In
dem ärztlichen Gutachten vom 19.09.1990 (Bl. 39 d.A.) der J-W-G-U. in F. wurde als
vorläufige Diagnose festgestellt: „Schweres HWS-Schleudertrauma. Dringender
Verdacht auf Hirnstammkontusion“. Nachdem zunächst die Folgen des HWS-
Schleudertraumas zurückgingen, blieb die entsprechende Verletzung bei der
Schadensregulierung zunächst außer Betracht. Der Kläger hat behauptet, er habe
ständig unter Kopfschmerzen gelitten im Übergang vom Hals zum Schädelbereich
sowie Rückenschmerzen und Schmerzen im HWS-Bereich. Deshalb befand er sich
seit September 1990 fortlaufend in orthopädischer Behandlung.
Am 11. Oktober 1990 (Bl. 33 d. A.) schrieb die Beklagte an den Kläger. Sie führte
dabei bezüglich des Schmerzensgeldes aus: „Als Schmerzensgeld halten wir nach
dem derzeitigen Erkenntnisstand den von uns bereits regulierten Betrag in Höhe
von 800,-- DM für angemessen und ausreichend. Sollte ein darüber
hinausgehender Anspruch geltend gemacht werden, bitten wir uns nach Abschluss
der Heilbehandlung kurz zu informieren; wir behalten uns vor, dann unsererseits
einen Arztbericht anzufordern und die Höhe des Schmerzensgeldes erneut zu
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einen Arztbericht anzufordern und die Höhe des Schmerzensgeldes erneut zu
überprüfen.“
Am 20. November 1990 reichte der Kläger gegen die Beklagte wegen des
Verkehrsunfalls eine Zahlungsklage in Höhe von DM 1.500,-- beim Amtsgericht in
Frankfurt am Main ein (Az. 31 C 4464/90).
Nachdem die Beklagte Zahlung an den Kläger geleistet hatte, die genaue Höhe ist
streitig, nahm der Kläger die Klage zurück.
Die Akten des Amtsgerichts sind nachdem inzwischen mehr als 10 Jahre
verstrichen sind, vernichtet worden.
Am 01.02.1991 sowie am 03.11.1992 erlitt der Kläger zwei weitere Unfälle, bei
denen HWS-Distorsionen ärztlich festgestellt wurden.
Im September 1998 wurde bei einer so genannten MRT-Untersuchung ein „Late
Whiplash Injury Syndrome“ diagnostiziert (s. Gutachten der Neurootologie der
Universitätsklinik in W. vom 02.09.1998, Bl. 52 d.A.).
Der Kläger hat behauptet, er leide unter Dauerschäden. Er ist seit Juni 1998
arbeitsunfähig. Der Kläger hat behauptet, er habe erstmals im Oktober 1998 durch
Einsichtnahme in die neurologischen Befundberichte Kenntnis davon erhalten,
dass bereits im September 1990 bei ihm eine Hirnstammkontusion festgestellt
worden sei. Er hat ferner behauptet, seit April 1995 leide er unter einem
beidseitigen Tinnitus, Gleichgewichts-, Seh- und Hörstörungen sowie Hyperosmie.
Ferner leide er unter Geruchs-, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie
erheblichen Kopfschmerzen. Er hat behauptet, diese Spätfolgen seien auf das
Unfallereignis vom 06.09.1990 zurückzuführen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, aufgrund der eingetretenen
gesundheitlichen Spätfolgen aus dem Unfallereignis vom 06.09.1990 für den
Zeitraum ab April 1995 bis zum 30.04.2001 ein angemessenes Schmerzensgeld
zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird,
zuzüglich eines Zinssatzes von 5% über dem zum Zeitpunkt der Klageerhebung
geltenden Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes seit dem
01.05.2001;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger aufgrund der eingetretenen
gesundheitlichen Spätfolgen aus dem Unfallereignis vom 06.09.1990 ab dem
01.05.2001 eine monatliche Schmerzensgeldrate zu zahlen, deren Höhe in das
pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich eines Zinssatzes von
5% über dem zum Zeitpunkt der Klageerhebung geltenden Basiszinssatz nach § 1
des Diskontüberleitungsgesetzes seit dem 01.05.2001;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle
materiellen Schäden zu ersetzen, die aufgrund der eingetretenen Spätfolgen aus
dem Unfallereignis vom 06.09.1990 entstanden sind und entstehen werden, soweit
diese Ansprüche nicht infolge sachlicher oder zeitlicher Kongruenz auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Einrede der Verjährung erhoben. Sie hat dazu erklärt, dem Kläger sei
bereits seit dem Unfall bekannt gewesen, dass er ein schweres HWS-
Schleudertrauma erlitten habe und deswegen der Verdacht, und zwar der
dringende, auf eine Hirnstammkontusion bestanden habe. Mit einem Spätschaden
sei sowohl für beteiligte Fachkreise zu rechnen gewesen, auch sei dies für den
Kläger selbst vorhersehbar gewesen. Ferner hat sie vorgetragen, dass die beiden
weiteren HWS-Schleudertraumata 1991 und 1992 für den späteren Schaden beim
Kläger mitursächlich gewesen seien.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und als Begründung die von der
Beklagten erhobene Einrede der Verjährung gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. als
gegeben angesehen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten
Berufung. Er ist der Ansicht, dass vorliegend die dreijährige Verjährung gemäß §
852 BGB a.F. nicht eingetreten sei, da gemäß § 3 Abs. 3 PflVG die Verjährungsfrist
des § 852 BGB a.F. gemäß § 3 Abs. 3 PflVG gehemmt gewesen sei bis zur
Erhebung der Klage. Die zehnjährige Frist des § 3 Abs. 3 Satz 2 PflVG sei keine
absolute Verjährungsfrist. Er meint, die rechtlichen und tatsächlichen
Voraussetzungen der Hemmung der Verjährung gemäß § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG
seien vorliegend gegeben. So sei der Unfall bereits am 11.09.1990 der Beklagten
gemeldet worden mit einer Forderungsaufstellung vom 14.09.1990. Damit sei aber
gemäß § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG die Verjährung bis zum Eingang einer schriftlichen
Entscheidung der Beklagten gehemmt. Bis zum 11.10.1990 seien sodann noch
Schreiben zwischen den Parteien gewechselt worden, die sich teilweise zeitlich
überschnitten hätten. Das Schreiben der Beklagten vom 11.10.1990 stelle nach
Ansicht des Klägers keine endgültige Ablehnung weiterer Zahlung dar (Bl. 33 – 34
d.A.). Vielmehr sei die Zahlung weiteren Schmerzensgeldes ausdrücklich
vorbehalten worden. Der Kläger ist ferner der Auffassung, zwar sei mit dem
Schreiben vom 11.10.1990 eine über 800,-- DM hinausgehende
Schmerzensgeldzahlung von der Beklagten abgelehnt worden, doch stelle dies
keine erschöpfende, umfassende und endgültige Erklärung der Gestalt dar, dass
zukünftiger Schaden nicht gezahlt werde.
Der Kläger beantragt nunmehr,
1. die Beklagte unter Abänderung des am 25.01.2002 verkündeten Urteils
des Landgerichtes Frankfurt am Main zu Az. 2-31 O 338/01 zu verurteilen, an den
Kläger aufgrund der gesundheitlichen Spätfolgen aus dem Unfallereignis vom
06.09.1990 für den Zeitraum ab April 1995 bis zum 30.04.2001 ein angemessenes
Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des
Gerichtes gestellt wird, zuzüglich 5 Prozentpunkten über Basiszins seit dem
01.05.2001,
2. die Beklagte unter Abänderung des am 25.01.2002 verkündeten Urteils
des Landgerichtes Frankfurt am Main zu Az. 2-31 O 338/01 zu verurteilen, an den
Kläger aufgrund der eingetretenen gesundheitlichen Spätfolgen aus dem
Unfallereignis vom 06.09.1990 ab dem 01.05.2001 eine monatlich jeweils im
Voraus zu leistende Schmerzensgeldrente zu zahlen, deren Höhe in das
pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes gestellt wird, zuzüglich 5 Prozentpunkten
über Basiszins seit dem 4. Werktag des jeweiligen Monats,
3. unter Abänderung des am 25.01.2002 verkündeten Urteil des
Landgerichtes Frankfurt am Main zu Az. 2-31 O 338/01 festzustellen, dass die
Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle materiellen Schäden zu ersetzen, die
aufgrund des Unfallereignisses vom 06.09.1990 entstanden sind und noch
entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger
oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat in der zweiten Instanz erstmals vorgetragen, dass der Kläger vor dem
Amtsgericht Klage gegen sie eingereicht gehabt hätte, dass dort DM 1.500,--
Schmerzensgeld gezahlt worden seien, und dass der Kläger daraufhin die Klage
vor dem Amtsgericht zurückgenommen habe (siehe Schreiben des damaligen
Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28.01.1991, Bl. 101 d.A.). Sie ist der
Auffassung, dass spätestens damit eine Hemmung gemäß § 3 Abs. 3 PflVG
entfallen sei, so dass vorliegend Verjährung am 31.12.1993 eingetreten wäre. Im
übrigen ist sie der Auffassung, dass eventuelle nichtverjährte Ansprüche verwirkt
seien, da während elf Jahren der Kläger keinerlei Ansprüche gegen die Beklagte
geltend gemacht habe und es insoweit auf die weiteren Vorfälle im Jahre 1991 und
1992, bei denen der Kläger unstreitig weitere Verletzungen der Halswirbelsäule
erlitten habe, nicht mehr ankomme.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, hat in der Sache
jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht vorliegend die Klage
abgewiesen. Die vom Kläger mit seiner Klage geltend gemachten Ansprüche sind
gemäß § 852 BGB a. F. verjährt. Die Verjährung ist nicht gemäß § 3 Nr. 3 Satz 3
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gemäß § 852 BGB a. F. verjährt. Die Verjährung ist nicht gemäß § 3 Nr. 3 Satz 3
PflVG gehemmt gewesen. Zwar sind Ansprüche gemäß § 3 Nr. 3 PflVG solange
gehemmt, bis die Versicherung in einem endgültigen abschließenden schriftlichen
Bescheid weitere Zahlungen ablehnt (siehe hierzu BGH in MDR 1996 Seite 259 f;
so auch in NJW 2000, 861 (862); in VersR 1991, 115 so auch OLG Frankfurt in OLG-
Report 2002 Seite 117 (118)). Jedoch bedurfte es vorliegend eines solchen
schriftlichen Bescheides seitens der Beklagten nicht. Deshalb kann dahingestellt
bleiben, ob das Schreiben der Beklagten vom 11. Oktober 1990 (Bl. 33 d. A.) eine
solche endgültige Ablehnung weiterer Zahlungen bezüglich des Schmerzensgeldes
darstellt. Inzwischen ist zwischen den Parteien unstreitig, dass am 20. November
1990 seitens des Klägers Klage gegen die Beklagte beim Amtsgericht Frankfurt
am Main, Az. 31 C 4464/90 (siehe Bl. 294 d.A.), eingereicht worden ist. Gleichfalls
unstreitig wurde nach Zahlung durch die Beklagte die Klage endgültig
zurückgenommen. In einem solchen Fall bedarf es aber keiner schriftlichen
Erklärung seitens der Beklagten mehr, dass sie weitere Zahlungen nicht mehr
leisten werde. Ein solches Schreiben wäre eine reine Förmelei. Durch die
Klageeinreichung hat der Kläger erklärt, welche Zahlungen er noch fordert.
Nachdem die Beklagte diesem Begehren nachgekommen ist und die Klage
zurückgenommen worden ist, hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass er
weitere Forderungen nicht mehr erheben werde. Hier noch eine zusätzliche
schriftliche Erklärung der Beklagten, dass weitere Zahlungen nicht erbracht werden
würden, zu fordern, wäre eine reine Förmelei und würde Treu und Glauben
widersprechen (§ 242 BGB). Der Kläger hat durch die Rücknahme der Klage
eindeutig zu erkennen gegeben, dass er weitere Ansprüche gegenüber der
Beklagten nicht mehr geltend machen werde, zumal er sich die Forderung weiterer
Zahlungen für die Zukunft seitens der Beklagten nicht vorbehalten hat. Damit war
mit der Klagerücknahme nach Zahlung der Klageforderung durch die Beklagte eine
endgültige Schadensabrechnung erfolgt. Spätestens damit entfiel die hemmende
Wirkung des § 3 Abs. 3 PflVG. Somit war die dreijährige Verjährungsfrist spätestens
am 31.12.1993 eingetreten.
Nach alledem kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger aufgrund des Gutachtens
der Universität Frankfurt am Main vom 19.09.1990 bereits Kenntnis davon hatte,
dass bei ihm ein dringender Verdacht auf Hirnstammkontusion vorgelegen hat. Bei
solcher Kenntnis waren sowohl für ihn als insbesondere auch für Ärzte spätere
Schäden aufgrund der beim Kläger unstreitig aufgetretenen Symptome
vorhersehbar.
Es kommt ferner nicht darauf an, ob durch unstreitig zwei weitere Wegeunfälle am
01.02.1991 sowie am 03.11.1992, die gleichfalls Schäden an der Halswirbelsäule
zur Folge hatten, die danach beim Kläger aufgetretenen Schäden alleine oder
zumindest überwiegend durch die beiden neuen Wegeunfälle verursacht worden
sind.
Nachdem vorliegend die Ansprüche des Klägers verjährt sind, kann dahingestellt
bleiben, ob gegebenenfalls die Geltendmachung der Ansprüche verwirkt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, da der Kläger mit seinem
Rechtsmittel keinen Erfolg gehabt hat.
Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§
26 Nr. 7 EGZPO in Verbindung mit § 543 Abs. 2 ZPO n. F.).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.