Urteil des OLG Frankfurt vom 18.05.2000

OLG Frankfurt: dringender tatverdacht, einstweilige verfügung, treu und glauben, präsidium, verschulden, doping, suspendierung, rechtliches gehör, schiedsgericht, hinreichender tatverdacht

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Gericht:
OLG Frankfurt 13.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 W 29/00
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 242 BGB, § 244 Abs 3 StPO,
§ 294 ZPO, Art 9 GG
(Verhältnis der staatlichen zur Verbandsgerichtsbarkeit
und Umfang der Prüfungsbefugnis staatlicher Gerichte;
einstweilige Verfügung eines Leichtathleten auf Aufhebung
einer wegen Dopingverstoßes verhängten vorläufigen
Wettkampfsperre)
Tenor
Die Beschwerde des Verfügungsklägers gegen den seinen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss der ersten Zivilkammer des
Landgerichts Darmstadt vom 4. Mai 2000 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verfügungskläger zu tragen.
Tatbestand
Siehe Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe
Verkürzter Tatbestand und Entscheidungsgründe:
Der Verfügungskläger, nachstehend nur noch als Kläger bezeichnet, ist ein
international bekannter Athlet. Er gehört dem Verein TSV ... L an, welcher
wiederum Mitglied im Leichtathletikverband N ist. Der Verfügungsbeklagte,
nachstehend nur noch als Beklagter bezeichnet, ist die Vereinigung der deutschen
Leichtathletik-Landesverbände. Der Kläger schloß mit dem Beklagten darüber
hinaus eine von diesem vorformulierte und nicht datierte "Athletenvereinbarung
1999/2000" sowie eine Schiedsgerichtsvereinbarung ab, auf deren jeweilige Inhalte
Bezug genommen wird.
Bei dem Kläger wurden am 19.10. und 12.11.1999 Trainings-Doping-Kontrollen
durchgeführt, welche sich als positiv herausstellten. Die A-Probe vom 19.10.1999
ergab das Vorliegen von 23,2 ng/ml Norandrostesteron und 5,1 ng/ml 19-
Noretiocholanlon, diejenige vom 12.11.1999 von 19-Norandrostesteron von 24
ng/ml. Nondralon und seine Metaboliten gehören zu der Gruppe der anabolen
androgenen Steroide und zählen nach den IAAF Procedural Guidelines zu den als
Dopingsubstanzen verbotenen Wirkstoffen.
Der Beklagte leitete gegen den Kläger ein Dopingverfahren ein. Die Anti-Doping-
Kommission des Beklagten (ADK) beschloß am 19.11.1999, den Kläger aufgrund
der beiden positiven A-Proben-Analyse zu suspendieren.
Gelegentlich einer Hausdurchsuchung beim Kläger wurden in seinem Haus eine
Zahnpastatube der Marke "elmex" sichergestellt, die die Substanz
"Norandrostendion", ein Vorläufer von Nondralon, enthielt. Dieses Sachverhaltes
wegen erstattete der Kläger am 02.12.1999 bei der Staatsanwaltschaft Tübingen
Strafanzeige gegen Unbekannt. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind
derzeit noch nicht abgeschlossen. Am 17.12.1999 wurde im Haus des Klägers eine
mit Norandrostendion versetzte weitere Zahnpastatube der Marke "Signal"
aufgefunden.
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Parallel hierzu beantragte die ADK beim Präsidium des Beklagten, daß dieses
beschließen möge, die Fortdauer der Suspendierung des Klägers anzuordnen und
den Rechtsausschuß mit dem Antrag anzurufen, den Kläger eines
Dopingverstoßes wegen schuldig zu sprechen und gegen ihn eine
Wettkampfsperre von zwei Jahren zu verhängen. Der Einzelheiten wegen wird auf
die nicht datierte Antragsschrift der ADK Bezug genommen.
Parallel hierzu beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 19.01.2000 beim
Präsidium des Beklagten, seine Suspendierung aufzuheben, hilfsweise zu
unterbrechen. Der Kläger bestritt nachdrücklich, wie schon zuvor, daß er
wissentlich verbotene Substanzen zu sich genommen habe und ging - wie jetzt
auch noch - von einem gegen ihn gerichteten Anschlag aus und bezeichnete sich
selbst als "Doping-Opfer". In rechtlicher Hinsicht ließ der anwaltlich vertretene
Kläger ausführen, ein Anti-Doping-System, in dem strafrechtliche Sanktionen ohne
Tatbestands- bzw. Schuldnachweis verhängt werden könnten, sei gesetz- und
rechtsstaatswidrig.
Das Präsidium des Beklagten trat am 22.01.2000 zusammen und bejahte in
Bezug auf den Kläger einen dringenden Tatverdacht wegen Dopingverstoßes und
ordnete die Fortdauer der durch die ADK ausgesprochenen Suspendierung an. Das
Präsidium des Beklagten beantragte mit Schriftsatz vom 28.01.2000 bei dem
Rechtsausschuß (nachstehend auch als Verbandsgericht bezeichnet), den Kläger
"schuldig eines Dopingverstoßes" zu sprechen und ihn zu einer Wettkampfsperre
von zwei Jahren zu verurteilen. Der Kläger habe, so wird in der Antragsschrift u.a.
ausgeführt, ein fehlendes Verschulden nicht nachgewiesen.
Mit Beschluß vom 25.02.2000 wies der Vorsitzende des Rechtsausschusses den
klägerischen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, seine
Suspendierung aufzuheben, zurück. Auf Antrag des Klägers wurde der
vorstehende Vorsitzendenbeschluß durch den Rechtsausschuß in seiner Dreier-
Besetzung überprüft und mit Beschluß vom 03.03.2000, als unanfechtbar
bezeichnet, bestätigt.
Im Hauptsacheverfahren erließ der Rechtsausschuß am 17.03.2000 einen
Beweisbeschluß. Prof. Dr. W. Sch (Deutsche Sporthochschule K, Institut für
Biochemie) erstattete zwischenzeitlich das angeforderte Gutachten, auf dessen
Inhalt verwiesen wird. Der Beklagte meinte in seiner Stellungnahme hierzu vom
25.04.2000, es bestehe kein Anlaß, seine Auffassung zu ändern.
Mit Schriftsatz vom 14.04.2000 beantragte der Kläger bei dem Rechtsausschuß
eine Überprüfung der gegen ihn verhängten Maßnahme. Der Vorsitzende des
Rechtsausschusses teilte dem Kläger mit Verfügung vom 02.05.2000 mit, er sehe
in dem klägerischen Begehren einen neuen und zulässigen Antrag auf Erlaß einer
einstweiligen Anordnung. Mit Beschluß vom 03.05.2000, auf dessen Inhalt Bezug
genommen wird, wies der Vorsitzende des Rechtsausschusses den erneuten
Antrag des Klägers auf Aufhebung der Suspendierung zurück. Dieser Beschluß
wurde auf klägerischen Antrag durch den Rechtsausschuß in Dreier-Besetzung
überprüft und mit Beschluß vom 15.05.2000, auf dessen Inhalt gleichfalls
verwiesen wird, bestätigt.
Zwischenzeitlich unterzogen sich der Kläger und dessen Ehefrau, die ihn zugleich
ausschließlich trainiert, einer polygrafischen Untersuchung. Prof. Dr. U, der unter
dem 04.04.2000 über den Kläger sein Gutachten erstattete, kam zum Ergebnis,
daß eine Wahrscheinlichkeit von etwa 95 % dafür bestehe, daß der Kläger
wahrheitsgemäß in Abrede stelle, im kritischen Zeitraum seien anabole Steroide
mit seinem Wissen oder seiner Zustimmung in seinen Körper gelangt. Die
Gutachterin K kam in ihrem Gutachten vom 04.04.2000 in Bezug auf das
Bestreiten der Ehefrau des Klägers, diesem verbotene Substanzen zugeführt zu
haben, zu einem gleichlautenden Ergebnis.
Der Kläger hat erstmals mit bei Gericht am 02.05.2000 eingegangenem
Schriftsatz im Wege der einstweiligen Verfügung mit umfangreicher Begründung
beantragt, die von der ADK des Beklagten gegen ihn am 19.11.1999
ausgesprochene und vom Präsidium des Beklagten mit Beschluß vom 22.01.2000
bestätigte vorläufige Wettkampfsperre aufzuheben.
Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt hat ohne vorherige
Gegneranhörung mit Beschluß noch vom gleichen Tage - 02.05.2000 - den Antrag
auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung mit der Begründung abgewiesen, daß
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auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung mit der Begründung abgewiesen, daß
derzeit der Weg zu den staatlichen Gerichten noch nicht eröffnet sei, da das
verbandsinterne Verfahren noch nicht abgeschlossen sei.
Mit bei Gericht am 04.05.2000 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger unter
Hinweis auf den Beschluß des Vorsitzenden des Rechtsausschusses vom
03.05.2000 erneut mit gleichem Ziel den Erlaß einer einstweiligen Verfügung
beantragt und ausgeführt, das verbandsinterne Verfahren sei abgeschlossen.
Diesen vorstehenden Antrag hat - wiederum ohne Gegnerbeteiligung - die 1.
Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt mit Beschluß vom 04.05.2000, auf
dessen Inhalt Bezug genommen wird, als unbegründet zurückgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, vorliegend müsse entsprechend der Regelvermutung des
§ 82 Abs. 2 der Rechts- und Verfahrensordnung des Beklagten - nachstehend nur
noch als RVO abgekürzt - von einem dringenden Tatverdacht gegen den Kläger
ausgegangen werden. Dessen Einlassung, die verbotenen Substanzen müßten
ihm durch Manipulationen Dritter an der von ihm genutzten Zahnpasta zugeführt
worden sein, sei wenig glaubhaft, wenn auch ein solches Vorgehen nicht absolut
ausgeschlossen werden könne.
Gegen vorbezeichneten Beschluß hat der Kläger mit beim Oberlandesgericht
Frankfurt am Main am 05.05.2000 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde
eingelegt.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Landgerichts Darmstadt vom
04.05.2000 bis zur endgültigen Entscheidung durch das Verbandsgericht die von
der Anti-Doping-Kommission des Beklagten am 19.11.1999 gegen ihn
ausgesprochene und von dessen Präsidium durch Beschluß vom 22.01.2000
bestätigte vorläufige Wettkampfsperre aufzuheben und ihm, dem Kläger,
insbesondere das Startrecht für die deutsche Meisterschaft über 10.000 m am
26./27.05.2000 in T zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Beklagte meint, der Weg zu den staatlichen Gerichten sei dem Kläger nicht
eröffnet. In der Sache vertritt der Beklagte die Rechtsauffassung, die
Suspendierung des Klägers sei zu Recht erfolgt.
Der Senat hat über die Beschwerde mündlich verhandelt und die
Verfahrensbeteiligten angehört.
Aller Einzelheiten im übrigen wegen wird auf den Akteninhalt und auf die
Sitzungsniederschrift vom 18.05.2000 Bezug genommen.
Die gemäß § 567 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist sachlich
unbegründet, weshalb sie zurückzuweisen war.
I.
Entgegen der vom Beklagten vertretenen Rechtsauffassung ist der Weg zu den
staatlichen Gerichten eröffnet, weshalb der klägerische Antrag auf Erlaß einer
einstweiligen Verfügung nicht unzulässig ist. Weder steht der Zulässigkeit des
Antrages die vereinsrechtliche Natur der Streitigkeit - der Kläger hat sich, wie noch
darzulegen sein wird, rechtswirksam der Verbandsgewalt des Beklagten
unterworfen - (nachstehend zu 1) noch die getroffene Schiedsgerichtsklausel
entgegen (hierzu nachstehend zu 2).
1. Wenn auch das Reichsgericht zunächst im Hinblick darauf, daß das BGB im
Gegensatz zum preußischen ALR über Vereine kein staatliches Aufsichtsrecht
vorsieht, gemeint hat, jegliche gerichtliche Kontrolle der auch die Verhängung von
Strafen umfassenden Selbstverwaltung des Vereines sei untersagt, so hat es doch
in der Folgezeit seine Rechtsprechung geändert und Strafmaßnahmen des Vereins
einer, wenn auch sehr eingeschränkten, Kontrolle unterworfen. Im Urteil vom
30.05.1983 (BGHZ 87 S.337 = NJW 1984 S.918) hat der 2. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofes in Abkehr zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung
die Tatsachenfeststellungen des Vereinsgerichts der uneingeschränkten
gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Mit Urteil vom 19.10.1987 (BGHZ 102 S.265)
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gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Mit Urteil vom 19.10.1987 (BGHZ 102 S.265)
hat der 2. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes bei Monopolverbänden sowie
Vereinen oder Verbänden mit überragender Machtstellung im wirtschaftlichen oder
sozialen Bereich den Umfang der Prüfung durch staatliche Gerichte weiter
ausgedehnt und verlangt, daß die Vereinsstrafe durch sachlich nachprüfbare Ziele
gerechtfertigt sein müsse. Wegen der Vereinsautonomie dürfe indessen das
staatliche Gericht, so hat der Bundesgerichtshof in jenem Urteil weiter ausgeführt,
nicht ohne weiteres seine Überzeugung und seine Wertmaßstäbe an die Stelle
derjenigen des Verbandes setzen. Im sogenannten Reiterfall hat schließlich der 2.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofes mit Urteil vom 28.11.1994 (BGHZ 128 S.93 =
NJW 1995 S.583) die Regelwerke sogenannter sozial-mächtiger Verbände, zu
denen die Spitzenverbände des Sports - wie vorliegend der Beklagte - ohne
weiteres gehörten, der Inhaltskontrolle des § 242 BGB unterstellt.
Vereinsautonomie, auf die der Beklagte sich beruft, bedeutet nach heutigem
gesicherten Erkenntnisstand mithin keine staatliche Gerichtsfreiheit, weshalb § 3
Abs. 1 RVO, wonach Entscheidungen unter Ausschluß der ordentlichen Gerichte
endgültig werden, im Widerspruch zur staatlichen Rechtsordnung steht. § 3 Abs. 2
RVO geht im übrigen selbst davon aus, daß staatliche Gerichte angerufen werden
dürfen. Nach herrschender Meinung soll jedoch eine Klage vor dem staatlichen
Gericht im Grundsatz erst nach Erschöpfung des verbandsinternen
Instanzenweges zulässig sein (so auch der erkennende Senat in seinem Urteil vom
11.03.1996 zu Az.: 13 W 13/96). Zumindest nach Erlaß des Beschlusses vom
15.05.2000 durch das Beklagten-Verbandsgericht kann am Vorliegen dieser
Voraussetzung kein Zweifel mehr bestehen. Im übrigen kann ein verbandsinterner
Rechtsschutz den staatlichen nur dann auf eine bestimmte Zeit ausschließen,
wenn er ein effektiver ist. In Kenntnis des Umstandes, daß der Kläger am
26.05.2000 an den deutschen Meisterschaften im 10.000 m-Lauf teilnehmen will,
ist der Verband über zwei Wochen nach Stellung des Antrages vom 14.04.2000
untätig geblieben. Der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
hat in seinem Urteil vom 14.06.1995 (SpuRt 1998 S. 37) betreffend eine
Fußballsache die Rechtsauffassung vertreten, daß in Eilverfahren Vereinsmitglieder
nicht auf die Ausschöpfung einer etwa vorhandenen vereins- oder
verbandsinternen Gerichtsbarkeit verwiesen werden dürfen (in diesem Sinne wohl
auch Urteil des OLG Düsseldorf vom 19.01.1988 in NJW-RR 1988 S. 1271).
Der Kläger - obwohl selbst nicht Mitglied beim Beklagten - untersteht dessen
Verbandsgerichtsbarkeit; dies allerdings nicht wegen seiner Zugehörigkeit zum
Verein TSV ... L., weil dessen Satzung weder verbandsgerichtliche Bestimmungen
noch Anti-Doping-Bestimmungen enthält. Wesentliche Regelung für das
Mitgliedschaftsverhältnis, zu denen Strafbeschlüsse zählen, müssen aber in der
Satzung selbst eine Stütze finden (vgl. Urteil des 2. Zivilsenats des
Bundesgerichtshofs vom 24.10.1988 in BGHZ 105 S. 306 sowie Münchener
Kommentar-Reiter, BGB, 3. Aufl. 1993, Rn 30 zu § 25). Der Senat brauchte deshalb
zum Problem der sogenannten "dynamischen Verweisung", d.h., ein
Vereinsregelwerk nimmt Bezug auf das Regelwerk des ihm übergeordneten
Verbandes, nicht Stellung zu nehmen (vgl. hierzu auch Hess in Aktuelle
Rechtsfragen des Sports, 1999, S. 16f).
Der Kläger hat sich aber der Beklagten-Verbandsgerichtsbarkeit und den
vorliegend zur Anwendung gebrachten Anti-Doping-Bestimmungen durch die
Athletenvereinbarung rechtswirksam unterworfen.
Daß ein Sportler sich rechtsgeschäftlich unter den Sport ordnenden Regelwerken
des betreffenden Sportverbandes einschließlich den darin für Regelverstöße
vorgesehenen Sanktionskatalog unterwerfen kann, hat der Bundesgerichtshof in
seinem vorzitierten Urteil vom 28.11.1994 (BGHZ 128 S.93) ausdrücklich
anerkannt (vgl. wie hier in diesem Sinne u.a. auch das Urteil des OLG München
vom 28.03.1996 in NJWE - VHR 1996 S. 96; Haas/Adolphsen, Sanktionen der
Sportverbände vor ordentlichen Gerichten in NJW 1996 S.2351). Auf derartige
Vereinbarungen findet nach der Ansicht des Bundesgerichtshofes das AGBG keine
Anwendung. Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an, u.a. auch
deshalb, weil es sachlich geboten scheint, alle, die dem Verbandsregelwerk
unterstehen, gleich zu behandeln, weshalb auch nur ein einheitlicher Prüfmaßstab
- nämlich der des § 242 BGB (Grundsatz von Treu und Glauben) - gegeben sein
muß.
Die zu den Gerichtsakten gereichte Athletenvereinbarung zwischen den
Prozeßparteien selbst läßt keine Unwirksamkeitsgründe erkennen; solche sind
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Prozeßparteien selbst läßt keine Unwirksamkeitsgründe erkennen; solche sind
klägerseits auch nicht geltend gemacht worden.
2. Die Schiedsgerichtseinrede (§ 1032 ZPO) aufgrund des
Schiedsgerichtsvertrages ist, worauf der Senat bereits in der mündlichen
Verhandlung hingewiesen hat, nicht durchgreifend. Zwar handelt es sich bei der
vertraglichen Schiedsgerichtsabrede im Gegensatz zum Rechtsausschuß des
Beklagten um ein Schiedsgericht im Sinne der gesetzlichen Vorschriften, aber die
Prozeßparteien haben zumindest für den einstweiligen Rechtsschutz die generell
gegebene parallele Zuständigkeit von Schiedsgericht und ordentlichem
(staatlichen) Gericht (vgl. § 1041 Abs. 2 ZPO n.F.) nicht dahingehend aufgehoben,
daß nur das Schiedsgericht auch für den einstweiligen Rechtsschutz zuständig sein
soll (vgl. hierzu auch Schütze, Einstweiliger Rechtsschutz im Schiedsverfahren, in
BB 1998 S. 1650).
Aus der Regelung zu Ziffer 6 der Athletenvereinbarung ergibt sich zunächst, daß
das Schiedsgericht erst nach Ausschöpfung des verbandsinternen Rechtsweges
angerufen werden darf, was durchaus so verstanden werden darf, daß erst die -
hier allerdings noch nicht vorliegende - Entscheidung in der Hauptsache vorliegen
muß. § 7 Abs. 2 der Schiedsordnung für die Athletenvereinbarung - vorläufige oder
sichernde Maßnahme regelnd - setzt in systematischer Auslegung des
Regelwerkes voraus, daß sich das Schiedsgericht bereits konstituiert hat, was hier
nicht der Fall ist. Dem Kläger kann es nicht zum Nachteil gereichen, daß er noch
nicht das schiedsgerichtliche Verfahren eingeleitet hat, weil jedenfalls nicht mit der
gebotenen Klarheit und Eindeutigkeit sich die Regelung im Vertragswerk findet,
daß auch für den einstweiligen Rechtsschutz ausschließlich das Schiedsgericht
zuständig sein soll. Dies auch vor dem Hintergrund, daß der Rechtsausschuß
selbst keine dahingehende Rechtsbelehrung gegeben hat.
Der vorstehenden Erwägungen wegen kann deshalb dahingestellt bleiben, ob
gemäß Ziffer 6 Abs. 2 der Athletenvereinbarung überhaupt eine
verbandsgerichtlich verhängte Strafe einer schiedsgerichtlichen Kontrolle
unterliegen kann, wovon - bei jedoch nicht bekannter Vertragslage - ersichtlich das
Schiedsgericht der IAAF ausgeht.
II.
Das Begehren des Klägers, eine einstweilige Verfügung des Inhaltes zu erlassen,
daß die gegen ihn verhängte vorläufige Wettkampfsperre aufgehoben wird, läuft in
der Sache auf den Erlaß einer Leistungsverfügung heraus, begegnet aber deshalb
nicht durchgreifenden Bedenken, weil nach deutschem Verfahrensrecht der Erlaß
einer Leistungsverfügung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.
Diese vorbeschriebene Rechtslage gilt uneingeschränkt, auch für den
Sportbereich. Die Entscheidung des Genfer tribunal de premiere instance vom
14.09.1995 (SpuRt 1996 S. 166), mit der der Antrag eines Motorsport-Sportlers
auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, ihm die Teilnahme an einem
Weltmeisterschaftswettbewerb zuzulassen, mit der Begründung zurückgewiesen
worden ist, daß die beantragte Maßnahme mit dem materiell-rechtlichen Anspruch
in den Tatbestand verschmelze, was nicht zulässig sei, kann daher für den Senat
keine Leitbildfunktion haben.
Vielmehr kann nach deutschem Recht, worauf Schimke in seiner Urteilsanmerkung
zutreffend ausführt, ein Sportler für die Dauer des Hauptsacheverfahrens
durchaus eine einstweilige Verfügung erwirken. Entscheidend ist die Frage der
Intensität und der Auswirkungen des absehbaren Schadens bei Nichterlaß der
einstweiligen Verfügung. Weil die von der Rechtsprechung entwickelte
Leistungsverfügung über die bloße Sicherung und damit auch über den im Gesetz
beschriebenen Rahmen hinausgeht, indem sie dem Gegner bloß aufgrund eines
summarischen Verfahrens die Erbringung von Handlungen oder Vermögensopfer
auferlegt, die später in der Regel nicht, jedenfalls nicht mehr vollständig,
rückgängig gemacht werden können, müssen strenge Anforderungen an die
Annahme gestellt werden, daß dem Verfügungskläger eine vorweggenommene
Anspruchsbefriedigung aus besonderen Gründen nicht versagt werden darf. Der
Verfügungskläger hat daher darzulegen und glaubhaft zu machen, daß er so
dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruches angewiesen ist
und sonst so erhebliche (wirtschaftliche) Nachteile erleiden würde, daß ihm ein
Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von
Schadensersatzansprüchen nicht zumutbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des
OLG Düsseldorf vom 13.06.1995 in NJW-RR 1996 S. 123).
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Der Senat geht davon aus, daß der Kläger seiner Darlegungslast hinsichtlich der
tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen eine Leistungsverfügung erlassen
werden kann, ausreichend Genüge getan hat, zumal bei den deutschen
Meisterschaften über 10.000m ein offenes Teilnehmerfeld an den Start geht.
Nähere Ausführungen zu diesem Problemkreis bedarf es aber deshalb nicht, weil
der Senat aus anderen und im folgenden unter III. darzulegenden Gründen den
Erlaß der begehrten einstweiligen Verfügung ablehnen mußte.
III.
Indem der Kläger die Aufhebung seiner vorläufigen Wettkampfsperre im Wege
einer einstweiligen Verfügung begehrt, stellt er damit in rechtlicher Hinsicht die
Entscheidung des Präsidiums des Beklagten zur gerichtlichen Überprüfung, daß
gegen ihn ein dringender Tatverdacht wegen eines Dopingverstoßes bestehe.
Verbandsgerichtliche Entscheidungen sind, wie bereits oben unter I. in Bezug auf
die Zulässigkeit des klägerischen Antrages ausgeführt, einer gerichtlichen
Kontrolle unterzogen, die indessen, der grundrechtlich geschützten
Vereinsautonomie (Art. 9 GG) Rechnung tragend, nur eine eingeschränkte ist (vgl.
aus jüngster Zeit Urteil des 2. ZS des BGH vom 09.06.1997 in NJW 1997 S.3368,
sowie auch Münchener Kommentar-Reuter, BGB, 3. Aufl. 1993, Rn 35 ff sowie
Soergel- Hadding, BGB, 12. Aufl. 1987, Rn 59 ff, jeweils zu § 25). Der 2. Zivilsenat
des Bundesgerichtshofes hat in seinem Urteil vom 27.09.1999 zu Az. II ZR 305/98
klargestellt, daß der Vereinsautonomie nicht derselbe Stellenwert zukommt wie
der Berufsfreiheit. Dieser kommt deshalb der Vorrang zu, weil sie nur zur Abwehr
nachweisbarer oder höchst wahrscheinlich schwerwiegender Gefahren für ein
überragend wichtiges Gemeinschaftsgut eingeschränkt werden kann. Das
staatliche Gericht darf überprüfen, wobei die Darstellung dem Katalog von
Summerer im Praxishandbuch Sportrecht, München 1998 (Tz 2/354f) folgt:
- Erstreckung der Ordnungsgewalt des Verbandes auf den betreffenden
Sportler
- wirksame Grundlage der Ordnungsmaßnahmen in der insoweit gültigen
Satzung
- Einhaltung des in der Satzung oder Vereinsordnung festgelegten Verfahrens
- Einhaltung allgemein gültiger Verfahrensgrundsätze
- Gesetzmäßigkeit der Ordnungsmaßnahme
- Fehlerfreiheit der der Maßnahme zugrundeliegenden Tatsachenermittlungen
- inhaltliche Angemessenheit des Verbandsregelwerkes.
Ein auf verfahrensrechtlicher Ebene liegender Verstoß konnte nicht festgestellt
werden. Der Kläger untersteht der Verbandsgewalt des Beklagten. Der Beklagte ist
gegen den Kläger entsprechend seinem Regelwerk vorgegangen. In der IAAF-Liste
der verbotenen Substanzen und Techniken sind unter Ziffer 1 a I Nandrolon und
dessen chemische oder pharmakologische verwandte Verbindungen aufgeführt.
Gemäß § 83 RVO hat die ADK die Tatsachen ermittelt und gemäß § 84 RVO den
Ermittlungsbericht dem Präsidium des Beklagten vorgelegt. Das Präsidium des
Beklagten hat gemäß § 84 Abs. 2 RVO die bereits gemäß § 82 Abs. 1 RVO durch
die ADK ausgesprochene Suspendierung - Voraussetzung hier nur hinreichender
Tatverdacht - aufrechterhalten, weil es einen - nunmehr erforderlichen -
dringenden Tatverdacht bejaht hat.
Soweit der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs deshalb rügt, weil ihm vor
dem Präsidiumsbeschluß vom 22.01.2000 nicht der Bericht der ADK zur Kenntnis
gegeben worden war, kann dahingestellt bleiben, ob hierin ein durch die
staatlichen Gerichte aufzugreifender Verfahrensverstoß liegt, wofür in der Tat
vieles spricht, weil ein möglicher Verstoß gegen die Verpflichtung, dem Kläger
rechtliches Gehör zu gewähren, nicht mehr für die Aufrechterhaltung seiner
Suspendierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt kausal ist. Dem Kläger ist nämlich in
der Folgezeit ausreichend Gelegenheit gegeben worden, sich zur Sache zu äußern.
Wenn das formal auch im Verfahren vor dem Rechtsausschuß geschieht, so hat
das Präsidium des Beklagten die dort gewonnenen Erkenntnisse jedoch jeweils
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das Präsidium des Beklagten die dort gewonnenen Erkenntnisse jedoch jeweils
verarbeitet und seine Entscheidung, so die Beklagtenerklärung in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat, vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis intern
überprüft.
Das Präsidium des Beklagten kennt, was der Kläger nicht bestreitet, seine
Einlassungen in Bezug auf die beiden positiven Urinproben. Der beklagte Verband
ermittelt im Rahmen des verbandsgerichtlichen Verfahrens die relevanten
Tatsachen, auch solche, die zugunsten des Klägers ausgelegt werden können.
Nach Senatsansicht liegen keine jetzt noch wirksam werdende Verstöße gegen ein
faires, rechtsstaatlichen Geboten entsprechendes Verfahren vor. Der Umstand,
daß der Kläger den ADK-Abschlußbericht nicht vor dem Präsidiumsbeschluß am
22.01.2000 übermittelt bekommen hat, muß zwar gerügt werden, kann aber im
gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht die Aufhebung der Suspension
rechtfertigen, weil dem Kläger, wie bereits ausgeführt, zwischenzeitlich
ausreichend Gelegenheit gegeben worden ist, sich verbandsintern gegen die
Vorwürfe zu wehren.
Letztlich vermochte der Senat unter Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte
auch nicht festzustellen, daß der Beklagte auf materiell-rechtlicher Ebene gegen
staatliches Recht in einem Umfang verstoßen hat, der es rechtfertigen könnte, die
gegen den Kläger verhängte Disziplinarmaßnahme aufzuheben.
Vorab ist festzustellen, daß der Straftatbestand und die angedrohten Strafen
ordnungsgemäß in der Satzung des Beklagten (§§ 79 ff RVO i.V.m. §§ 11, 15 der
Satzung) verankert sind.
In Bezug auf den Beklagten als sozial-mächtigen Verband erstreckt sich die
Kontrollbefugnis des angerufenen Gerichtes nicht nur auf die Richtigkeit der
Tatsachenfeststellungen (vgl. hierzu Vieweg in NJW 1991 S. 1511 ff), sondern auch
auf die inhaltliche Angemessenheit der angewandten Bestimmungen (vgl. hierzu
die Urteile des 2. ZS vom BGH vom 24.10.1988 in BGHZ 105 S. 306 und vom
28.11.1994 in BGHZ 128 S.93), die einen angemessenen Ausgleich zwischen den
berechtigten Interessen des Verbandes und den schutzwürdigen Interessen
derjenigen, die seiner Verbandsgewalt unterworfen sind, herstellen müssen. Die
der Verbandsgewalt Unterworfenen dürfen durch die Anwendung von
Verbandsnormen keiner willkürlichen oder unbilligen, Treu und Glauben
widerstreitende Behandlung unterworfen werden (vgl. Röhricht,
Sportgerichtsbarkeit, 1997 S.28).
Unstreitig zwischen den Parteien ist, daß zwei Urinproben des Klägers positiv
waren. Selbst der Kläger behauptet nicht, daß die Proben manipuliert worden
seien. Unstreitig zwischen den Prozeßparteien ist aber auch, daß der Beklagte bis
zum heutigen Zeitpunkt dem Kläger nicht nachweisen kann, daß dieser sich aktiv
gedopt hat, was er mit Nachdruck bestreitet, auch wenn die verbotenen
Substanzen erwiesenermaßen exogener Natur sind.
Zumindest im Geltungsbereich des Grundgesetzes kann § 84 Abs. 4 RVO i.V.m.
der IAAF-Regel 55 Ziff. 2a und weiterer Verbindung mit Ziff. 4, wonach es Pflicht
jedes Athleten ist, sicherzustellen, daß kein nach diesen Regeln verbotene
Substanz in sein Körpergewebe oder seine Körperflüssigkeit gelangt, nicht so
verstanden werden, daß auch ohne Verschulden des Athleten gegen diesen eine
Disziplinarstrafe verhängt werden darf. Nach deutschem Rechtsverständnis setzt
eine Vereinsstrafe, zumindest wenn es sich um eine folgenschwere oder mit einem
Unwerturteil verbundene Aktion handelt, Verschulden voraus (vgl. Reuter-
Münchener Kommentar, a.a.O. RN 30 sowie Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Aufl.
2000, RN 14 jeweils zu § 25; Summerer a.a.O., Tz 2/262; a.A. für geringfügige
Strafurteile des 2. ZS des BGH vom 26.02.1959 in BGHZ 29 S. 352 sowie Soergel-
Hadding a.a.O. RN 50 zu § 25). Auch das Schiedsgericht des Deutschen
Schwimmverbandes hat im Beschluß vom 23.08.1994 (SpuRt 1994 S.210), einen
Dopingfall betreffend, mit der Begründung im Bereich der Vereinsstrafe müsse die
Frage der Strafbarkeit nach allgemein strafrechtlichen Kriterien beurteilt werden,
das Verschulden zur Voraussetzung einer Bestrafung erhoben. Für diese
Betrachtungsweise spricht auch der Grundsatz der Unschuldsvermutung des Art. 6
Abs. 2 EMRK.
Der Grundsatz der "strict liability", der den IAAF-Regeln zugrundeliegt, und
worunter im staatlichen Recht verstanden wird, daß weder Vorsatz noch
Fahrlässigkeit erforderlich ist, um eine Haftung zu begründen, ist im übrigen auch
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Fahrlässigkeit erforderlich ist, um eine Haftung zu begründen, ist im übrigen auch
international sehr umstritten. Der frühere Vorsitzende des Schiedsgerichts der
IAAF (arbitration panel of the IAAF), Lauri Tarasti, hat auf dem Internationalen
Symposium für Sportrecht 1997 in Berlin und Potsdam die Rechtsprechung des
internationalen Schiedsgerichtes dahingehend beschrieben, daß die strict liability
immer mehr als eine Beweislastregel (Burden of proof) ausgelegt werde. Tarasti
sagt:
"After a finding of a prohibited substance it is in the interest of the athlete to
show that there ist a doubt as to the reliability of the findings, because otherwise
he or she will loose the case."
Sowohl im Bevilacqua- (1996) als auch im Capobianco- (1997) Fall hat man bei
dem Athleten die Beweislast dafür gesehen, daß ihn kein Verschulden trifft. Im
Akpan-Fall, bei dem allerdings ungeklärt blieb, worauf die im Körper vorgefundene
verbotene Substanz letztlich zurückgeführt werden konnte, blieb die Beweislast für
den Dopingverstoß beim Verband. Der Rechtsausschuß des Beklagten hat bereits
im Verfahren RA 10/92 mit Beschluß vom 26.03.1993 (SpuRt 1994 S. 66)
entschieden, daß eine reine strict liability im Sinne einer Gefährdungshaftung des
Athleten mit dem deutschen Rechtsstaatsprinzip unvereinbar sei.
Auch im vorliegenden Verfahren geht der Beklagte davon aus, daß eine
Verurteilung des Klägers nur bei einem schuldhaften Verstoß gegen seine
Dopingbestimmungen in Frage kommen kann. Der Beklagte meint jedoch, daß bei
einer positiven Probe das Verschulden des Athleten indiziert sei und dem Athleten
es obliege, eine Fremdmanipulation nachzuweisen. In der Rechtslehre ist
umstritten, ob bezüglich des Verschuldenstatbestandsmerkmales eine
Beweislastumkehr, von der der Beklagte zumindest bis zu seinem Beschluß vom
15.05.2000 ausging, statthaft ist (verneint z.B. von Summerer, a.a.O. Tz 2/264f,
zumindest bei Unterwerfung unter die Verbandsstrafgewalt durch Satzung).
Der Senat erachtet das individuelle Freiheitsinteresse, auch die Freiheit
umfassend, berufsmäßig eine bestimmte Sportart auszuüben, für höherwertig als
jeden Verbandsstrafanspruch. Angesichts der Monopolstellung der Sport-
Spitzenverbände muß das Verhältnis zwischen Verband und Berufssportler als
rechtsähnlich mit dem Verhältnis zwischen Staat und Bürger angesehen werden.
Die Besonderheiten des verbandsgerichtlichen Verfahrens einerseits und das
berechtigte Anliegen der Sportverbände, effektiv Doping bekämpfen zu können,
bedingt jedoch, daß nicht ohne weiteres ausnahmslos die im Strafrecht geltende
Unschuldsvermutung im Dopingbekämpfungsbereich Platz greift. Nach
Senatsansicht ist geboten, aber auch ausreichend, davon auszugehen, daß eine
positive A-Probe den Anscheinsbeweis für einen schuldhaften Dopingregelverstoß
begründet. Es liegt dann an dem Sportler, diesen Anscheinsbeweis nachhaltig zu
erschüttern. Gelingt ihm dies, muß der Verband das Verschulden des Sportlers
nachweisen. Eine Sanktion ohne individuelles Verschulden - soweit es nicht um
eine Disqualifikation in einem konkreten Wettkampf geht, bei dem die
Ausschaltung irregulärer Vorteile absoluten Vorrang haben muß - ist nicht
rechtmäßig und kann, wenn sie denn von einem Verbandsgericht unter solchen
Umständen verhängt werden sollte, keinen Bestand haben.
Die Wertung des Senates muß auch vor dem Hintergrund gesehen werden, daß
von 6.829 in Deutschland 1998 durchgeführten Dopingkontrollen nur 35 (davon 21
bei Gewichthebern) positiv waren (Angaben bei Zück, Doping, NJW 1999 S. 831),
das sind ca. 0,5 % aller Proben.
Auch unter der Annahme, daß eine positive A-Probe nur einen Anscheinsbeweis für
das Sportlerverschulden begründet, sind die Spezial- und
Generalpräventionsinteressen des Berufssports als gesellschaftliche Institution
ausreichend gewahrt.
Letztlich dürfte es sich auch so verhalten, daß die Begründungen des
Internationalen Schiedsgerichtes des IAAF im Capobianco-Fall (1997) und im
Bevilacqua-Fall (1996) sich durchaus auch mit den Regeln des Anscheinsbeweises
nach deutschem Recht vereinbaren lassen. Auf die von Summerer (a.a.O. Tz
2/264) zitierte Entscheidung des Moskauer Bezirksgerichts im Fall der
Hallenweltmeisterin Naroschilenko steht keinesfalls im Widerspruch zur
Senatsansicht.
Wenn deshalb das Präsidium des Beklagten dem Kläger allein nach
Beweislastgrundsätzen ein Verschulden unterstellte, wie dies wohl noch in dessen
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Beweislastgrundsätzen ein Verschulden unterstellte, wie dies wohl noch in dessen
Antragsschrift vom 28.01.2000 der Fall war - und auch noch der Beschluß des
Rechtsausschusses vom 03.05.2000 geht erkennbar von einer Beweislastumkehr
aus -, wäre dies sicherlich eine fehlerhafte und von den staatlichen Gerichten nicht
hinzunehmende Rechtsanwendung.
Gleichwohl war dem Begehren des Klägers nicht zu entsprechen, weil es vorliegend
nicht darum geht, positiv einen Dopingverstoß durch den Kläger festzustellen,
sondern es nur darum geht, ob der Beklagte rechtsfehlerfrei wegen
Dopingverstoßes einen dringenden Tatverdacht gegen den Kläger bejahen durfte.
Gemäß § 84 Abs. 2 RVO ist nämlich die Anordnung der Fortdauer der
Suspendierung, deren Aufhebung der Kläger begehrt, nur rechtens, wenn
dringender Tatverdacht besteht. Wenn auch die RVO den Rechtsbegriff des
dringenden Tatverdachtes nicht definiert und im Umkehrschluß zu § 82 Abs. 1 RVO
zu schlußfolgern ist, daß dieser nicht allein durch eine positive A-Probe begründet
werden kann, so geht der Beklagte erkennbar doch davon aus, daß dringender
Tatverdacht dann vorliegt, wenn eine Verurteilung des Klägers wahrscheinlicher ist
als dessen Freispruch. Der Begriff des dringenden Tatverdachts im Sportrecht in
diesem Sinne zu verstehen, begegnet nach Senatsansicht keinen Bedenken.
Der Senat hatte mithin letztlich die Entscheidung des Beklagten dahingehend zu
überprüfen, ob unter Zugrundelegung dessen Würdigung der Tatsachen und bei
Beobachtung des Rechtsgrundsatzes, daß eine positive A-Probe nur ein
Anscheinsbeweis für das Verschulden des Sportlers zu begründen vermag,
rechtsfehlerhaft ein dringender Tatverdacht bejaht worden ist. Diese Frage mußte
der Senat im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens verneinen.
Der Rechtsausschuß hat in seinen Beschlüssen vom 03. und 05.05.2000 alle
bekannten und relevanten Tatsachen berücksichtigt und gleichsam tatrichterlich
gewürdigt. Im Beschluß vom 03.05.2000 heißt es zwar, daß dem Athleten die
Möglichkeit entgegen dem Regelwerk der IAAF eingeräumt werden müsse,
vorzutragen und zu beweisen, daß die verbotene Substanz ohne sein Wissen und
Wollen durch eine andere Person verabreicht worden und so in seinen Körper
gelangt sei, und auch im Beschluß vom 05.05.2000 wird gleichfalls noch von der
Regelung zur Beweislastverteilung gesprochen, aber im letztgenannten Beschluß
vom 15.05.2000 wird auf Seite 7 auch ausgeführt
"Aus diesen Gründen besteht der dringende Tatverdacht, sich stützend auf
zwei positive A- und B-Proben und den Regeln des Anscheinsbeweises, zum
gegenwärtigen Zeitpunkt fort".
Der durch die positiven Urinproben begründete Anscheinsbeweis wird nach
Senatsansicht nicht dadurch in Frage gestellt, daß die leistungssteigernde Wirkung
der bei dem Kläger vorgefundenen Substanzen nicht unbestritten ist. Abgesehen
davon, daß ein spezieller Athlet möglicherweise subjektiv positiv eine
Leistungssteigerung erfährt, hat das Präsidium des Beklagten in seiner
Antragsschrift auch darauf hingewiesen, daß Nandrolon in Zusammenhang mit
dem vom Kläger aufgenommenen Krafttraining durchaus Sinn machen könne.
Die Begründetheit bzw. Unbegründetheit des Rechtsmittels hing letztlich allein
davon ab, ob der Beklagte davon ausgehen muß, daß der Kläger den
Anscheinsbeweis nachhaltig erschüttert hat. In diesem Zusammenhang weist der
Senat nochmals nachdrücklich darauf hin, daß er - zumal im summarischen
Verfahren - nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz hat und es ihm verwehrt
ist, eine eigene Tatsachenwürdigung an die Stelle einer fehlerfreien
Tatsachenwürdigung des Verbandes zu setzen. Die Tatsachenwürdigung des
Beklagten, es bestehe weiterhin gegen den Kläger dringender Tatverdacht wegen
eines Dopingverstoßes, ist jedenfalls nicht fehlerhaft.
Der Beklagte hat sich eingehend mit den Möglichkeiten und der Wahrscheinlichkeit
einer Manipulation von zwei Zahnpastatuben durch Dritte auseinandergesetzt,
wobei darauf hingewiesen werden muß, daß derzeit noch nicht einmal feststeht, ob
der Kläger sich überhaupt die verbotenen exogenen Substanzen mittels
Zahnpasta zugeführt hat. Der Beklagte weist auch zutreffend darauf hin, daß die
klägerischen Erklärungsversuche sich allein auf die Zahnpastatube "elmex"
beziehen. Bislang fehlt eine schlüssige und nachvollziehbare Darstellung, weshalb
und wo die "Signal"-Zahnpastatube kontaminiert worden sein soll. Der Beklagte
führt zutreffend auch aus, die Kenntnis, daß die Einnahme verbotener Substanz
über die Mundschleimhaut ein geringeres Risiko als Einnahme solcher Substanzen
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über die Mundschleimhaut ein geringeres Risiko als Einnahme solcher Substanzen
in Tablettenform darstelle, sei nicht auf wenige beschränkt gewesen (hierzu
informativ auch Brigitte Berendonk, Doping - von der Forschung zum Betrug). Prof.
Schänzer hat in seinem Gutachten nachgewiesen, daß bei buccaler Applizierung
von Nandrolon der Entdeckungszeitraum bei max. 52,5 Stunden liege und auf 23
Stunden reduziert werden könne. Vor diesem vorbeschriebenen Hintergrund kann
die Tatsache allein, daß dem Kläger vor der Probe am 19.10.1999 letztmalig am
12.09.1999 eine Urinprobe entnommen worden war, den Anscheinsbeweis nicht
nachhaltig erschüttern, wenn auch durchaus gesehen werden muß, daß der Kläger
aufgrund der Kontrolldichte Mitte Oktober 1999 gleichsam damit rechnen mußte,
eine Urinprobe werde bei ihm wieder genommen werden. Diesen Gesichtspunkt
wird der Beklagte bei seiner endgültigen Entscheidung eingehend zu erörtern
haben.
Der Beklagte hat sich auch - durchaus nachvollziehbar - Gedanken über ein
mögliches Motiv des Klägers gemacht.
Daß der Beklagte den polygrafischen Test, dem sich der Kläger und dessen
Ehefrau unterzogen haben, als unbeachtlich bezeichnet hat, ist im gegenwärtigen
Verfahrensstadium nicht zu beanstanden. Der 1. Strafsenat des
Bundesgerichtshofes hat in seinem Urteil vom 17.12.1998 (NJW 1999 S.607) in
Auseinandersetzung mit dem Schrifttum die polygrafische Untersuchung mittels
des Kontrollfrage-Test (wie hier) als "völlig ungeeignetes Beweismittel" im Sinne
von § 244 Abs. 3 StPO bezeichnet (vgl. hierzu auch die Arbeit von Rill/Vossel in
NStZ 1998 S. 481). Der Beklagte hat sich vorliegend jedoch nicht darauf
beschränkt, das Gutachten allein wegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung in
Strafsachen für unbeachtlich zu erklären, sondern hat weitere plausible und
deshalb nachvollziehbare Ausführungen gemacht, weshalb er, der Beklagte, das
Gutachten nicht zur Grundlage einer Entscheidung machen könne. Diese
Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Im Bereich der staatlichen
Zivilrechtspflege kann das Gutachten allenfalls als ein Mittel der
Glaubhaftmachung im Sinne von § 294 ZPO angesehen werden, dessen Wertigkeit
jedoch noch geringer als die einer strafbewehrten eidesstattlichen Versicherung
einzustufen sein dürfte. Das Gutachtenergebnis kann nur auf der Wertigkeitstufe
einer eindringlichen Parteierklärung stehen (vgl. zur eindringlichen Parteierklärung
Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 58. Aufl. 2000, Rn 8, 6 zu § 294
i.V.m. Rn 5 zu § 286).
Wenn vor dem Hintergrund der noch immer offenen Fragen und der
Plausibilitätsdefizite in der klägerischen Darstellung der Beklagte in einer
würdigenden Gesamtschau des ihm unterbreiteten Sachverhaltes derzeit noch
immer gegen den Kläger einen dringenden Tatverdacht bejaht, was letztlich heißt,
die Wahrscheinlichkeit, daß der Kläger den Anscheinsbeweis nicht nachhaltig
erschüttern könne, sei höher einzustufen als die Wahrscheinlichkeit, daß der Kläger
den Anscheinsbeweis nachhaltig erschüttern könne und der Beklagte daher
gezwungen ist, voll umfänglich ein Verschulden des Klägers nachzuweisen, ist dies
durch die staatliche Gerichtsbarkeit im Rahmen der ihr eingeräumten
Kontrollbefugnisse nicht zu beanstanden, weshalb sich letztlich der Antrag des
Klägers und damit auch sein Rechtsmittel als unbegründet darstellen.
IV.
Die Kosten der Beschwerde hat der Kläger zu tragen, weil sein Rechtsmittel
erfolglos bleibt (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Das Urteil war nicht für vorläufig vollstreckbar zu erklären, weil gemäß § 545 Abs. 2
S.1 ZPO mit seiner Verkündung sofort Rechtskraft eingetreten ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.